USA: Lebenserwartung geht im zweiten Jahr der Pandemie erneut zurück

Einem vorläufigen Bericht der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zufolge ist die Lebenserwartung in den USA das zweite Jahr in Folge gesunken, und zwar im Jahr 2021 um 0,9 Jahre. Im Jahr 2020 betrug der Rückgang 1,8 Jahre, so dass sich der Zweijahreswert auf 2,7 Jahre beläuft. Infolge der Corona-Pandemie ist die Lebenserwartung in den USA auf 76,1 Jahre gesunken, d.h. auf den niedrigsten Wert seit 1996. Es ist außerdem der stärkste Rückgang innerhalb von zwei Jahren seit 1923. Diese Entwicklung ist die Folge des „Lebens mit Covid-19“.

Der Bericht ist eine vernichtende Anklage gegen die mörderische Reaktion der Trump- und der Biden-Regierung auf die Pandemie. Biden hatte seinen Wahlsieg zu einem Großteil dem Abscheu der Bevölkerung für Trumps gleichgültige und wissenschaftsfeindliche Reaktion auf Covid-19 zu verdanken. Außerdem hatte er seit Beginn seiner Amtszeit wirksame Impfstoffe zur Verfügung. Damit ist der Präsident vollständig als rücksichtsloser Vertreter der herrschenden Klasse in ihrem Krieg gegen die Arbeiterklasse entlarvt. Wenn die Profitinteressen der amerikanischen Unternehmen und der Finanzmärkte es erfordern, dass ihnen alle Überlegungen zum Schutz des menschlichen Lebens vor einem tödlichen Virus untergeordnet werden, so ist Biden dazu mehr als bereit.

Pfleger John McClung in einem Pausenraum des Helen Keller Hospital in Sheffield (Alabama), 7. März 2022. Auf der Pinwand im Hintergrund sind ein Foto und Andenken an seine verstorbene Frau Jennifer zu sehen, die auf diesem Stockwerk als Krankenschwester gearbeitet hatte. (AP Photo/David Goldman) [AP Photo/David Goldman]

Wenn Biden der Pandemie tatsächlich ein Ende gesetzt hätte, wie er es versprochen hat, oder wenn auch nur grundlegende Mitigationsmaßnahmen eingeführt und beibehalten worden wären, dann hätte die Lebenserwartung im Jahr 2021 nach dem verheerenden Rückgang 2020 wieder steigen müssen.

Im Jahr 2021 standen Biden nicht nur lebensrettende Impfstoffe zur Verfügung, sondern die Demokraten hatten auch die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses. Große Teile der Bevölkerung unterstützten sie wegen Bidens Wahlversprechens, „der Wissenschaft“ zu folgen. Dennoch sind im Jahr 2021 460.000 Menschen unnötig gestorben, ein Fünftel mehr als im Jahr 2020. In diesem Jahr sind bisher 220.000 Menschen gestorben, womit die offizielle Zahl der Toten in den USA auf 1,07 Millionen angestiegen ist.

Der Bericht wurde in einer Situation veröffentlich, in der die demokratische Regierung im Rahmen ihrer „für immer Covid“-Politik systematisch alle verbliebenen Schutzmaßnahmen beendet, einschließlich der kostenlosen Corona-Tests. Die CDC hat bei diesem Vorgehen wichtige Unterstützung geleistet, zuletzt mit ihren jüngsten Richtlinien, die die Empfehlungen zu Quarantäne, Tests und Kontaktverfolgung in den allermeisten Fällen zurückgenommen haben. Sie hat so die Bedingungen geschaffen, unter denen sich das Virus unter dutzenden Millionen Kindern ausbreiten kann, die im ganzen Land wieder in die Schulen zurückkehren. Fast nirgendwo gibt es noch Mitigationsmaßnahmen.

Covid-19 war für 50 Prozent der vorzeitigen Todesfälle verantwortlich und leistete so den größten individuellen Beitrag zum Rückgang der Lebenserwartung. Der zweitgrößte Faktor waren „unbeabsichtigte Verletzungen“ mit 15,9 Prozent, von denen laut Robert Anderson, dem Leiter der Abteilung für Sterblichkeitsstatistik des National Center for Health Statistics etwa die Hälfte auf Todesfälle durch eine Überdosis an Betäubungsmitteln zurückgehen. Weitere Faktoren waren Herzkrankheiten (4,1 Prozent), chronische Leberkrankheiten und Zirrhose (3,0 Prozent) und Selbstmord (2,1 Prozent). Als Ausdruck der wachsenden sozialen Verelendung stiegen die Todesfälle durch Überdosierung sowohl 2020 als auch 2021 dramatisch an, nämlich um 30 bzw. 15 Prozent, und im Jahr 2021 wurde ein Rekordwert von 108.000 Todesfällen erreicht.

Der Rückgang der Lebenserwartung um 0,9 Jahre war schlimm genug, wurde aber sogar durch einen Rückgang der Todesfälle durch mehrere andere Ursachen abgemildert, darunter „Grippe und Lungenentzündung“ und andere „chronische Erkrankungen der unteren Atemwege“, die um 38,5 bzw. 28,8 Prozent zurückgingen. Diese Rückgänge sind größtenteils das Ergebnis der begrenzten öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen, die im Jahr 2021 eingeführt wurden. So gab es immer noch teilweise die Maskenpflicht, Abstandsregeln und ein Angebot an Onlineunterricht. Da diese Maßnahmen allesamt eingestellt werden, können auch Atemwegsviren wie Grippe wieder frei zirkulieren, sodass auch die Todesfälle in diesen Kategorien schnell wieder ansteigen werden. Damit könnte es zu einer „Doppelbelastung“ durch Grippe und Covid-19 kommen.

Es ist bezeichnend, dass der Bericht die Menschen ausschließlich nach Kategorien wie „Rasse“ und Geschlecht einteilt, ohne die Auswirkungen sozioökonomischer Faktoren zu analysieren. Der deutlichste Rückgang ereignete sich unter nicht-hispanischen Ureinwohnern der Vereinigten Staaten und Alaskas, deren Lebenserwartung im Jahr 2021 um 1,9 Jahre sank. In dieser Bevölkerungsgruppe ist sie seit 2019 katastrophal um 6,6 Jahre zurückgegangen, von 71,8 auf 65,2 Jahre. Covid-19 und „unbeabsichtigte Verletzungen“ machten jeweils 21,4 Prozent der Todesursachen aus; „sonstige“ Fälle, d.h. andere Faktoren, hatten mit 29,9 Prozent den größten Anteil.

Die Auslassung sozioökonomischer Faktoren wird umso offensichtlicher angesichts der Tatsache, dass ein Viertel des Rückgangs der Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung ohne jede Erklärung auf solche „sonstigen“ Ursachen zurückgeführt wird. Angesichts der Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte, Lohnverlust und die Verschärfung des Klassenkampfes muss man davon ausgehen, dass Armut und andere soziale Faktoren eine große Rolle in diesem Bereich gespielt haben.

Dass der zweitgrößte Rückgang der Lebenserwartung im Jahr 2021 mit 1,0 Jahren auf die nicht-hispanische weiße Bevölkerung entfiel, widerlegt das Narrativ von kleinbürgerlichen Anhängern der Identitätspolitik. Tatsächlich haben mehrere wichtige Studien die Beziehung zwischen sozioökonomischem Status und Sterblichkeit durch Covid-19 untersucht und zeigen eindeutig, dass die Pandemie grundlegend eine Klassenfrage ist, die Arbeiter jedes ethnischen Hintergrundes betrifft.

Eine Vordruckversion einer epidemiologischen Studie von kalifornischen Forschern, die im April veröffentlicht wurde, befasste sich mit Sterblichkeitsraten durch Covid-19, differenziert nach Industriezweig und Beschäftigung. Sie kam zu dem Schluss, dass systemrelevante Arbeiter fast doppelt so häufig starben wie nicht-systemrelevante; die höchsten Todesraten gab es in der Gastronomie- und Lebensmittelbranche, in Transport und Lagerwirtschaft, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Jagdwesen, im Bergbau und im Baugewerbe.

Eine weitere Studie von Forschern aus Florida, die im Journal of Environmental Research and Public Health veröffentlicht wurde, analysierte die Todesfälle von 70.000 Erwachsenen im Erwerbsalter (25 bis 64 Jahre) durch Covid-19 im Jahr 2020. Sie kam zu dem Ergebnis, dass 68 Prozent der Toten eine „niedrige sozioökonomische Position hatten“, d.h. körperlich Arbeitende, Beschäftigte des Dienstleistungssektors und im Einzelhandel. In diesem Teil der Bevölkerung war die Todesrate fünfmal höher als in denjenigen in höherer sozioökonomischer Position.

Im Juli erschien eine weitere Studie im Journal of the American Medical Association, die sich direkt mit der Beziehung zwischen Lebenserwartung und Einkommen während der Pandemie unter Einwohnern Kaliforniens befasste. Bereits im Jahr 2019 lag die Lebenserwartung im untersten Einkommensperzentil um 11,52 Jahre unter derjenigen im obersten. Diese Kluft hat sich während der Pandemie bis 2021 auf etwa 15,51 Jahre erhöht.

Der Rückgang der Lebenserwartung ist Teil eines internationalen Trends. Seit Beginn der Pandemie ist die globale Lebenserwartung Schätzungen zufolge um 1,64 Jahre gesunken, was den ersten Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen durch die Vereinten Nationen 1950 bedeutet. Fast alle kapitalistischen Regierungen der Welt haben die Strategie der „Herdenimmunität“, d.h. der Durchseuchung verfolgt. Diejenigen, die anfänglich eine Mitigation auf der Grundlage minimaler und unzureichender Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung verfolgt haben, darunter auch die Biden-Regierung, haben während der Omikron-Welle im letzten Winter selbst den Anschein davon aufgegeben. 

Doch Länder der asiatischen Pazifikregion wie China, die versucht haben, das Virus auszurotten, verzeichneten 2020 und 2021 dagegen einen Anstieg der Lebenserwartung. Diese „positiven Erfahrungen“ verdeutlichen die unmittelbaren Vorzüge einer Eliminierungsstrategie, wie sie nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale unablässig fordert.

Bereits vor der Pandemie gab es einen Rückgang der weltweiten Lebenserwartung aufgrund der jahrzehntelangen sozialen Konterrevolution, die auf die Auflösung der Sowjetunion 1991 folgte. Diese Zeit erlebte die immensen US-imperialistischen Kriege und einen Klassenkrieg im Innern. Die Corona-Pandemie, welche die World Socialist Web Site als „auslösendes Ereignis“ analysiert hat, verschärfte schnell die tieferen Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems und hat zu einer sozialen und politischen Krise von historischem Ausmaß geführt. Diese Krise äußert sich nicht nur in der Pandemie, sondern auch in zunehmenden Angriffen auf die demokratischen Rechte, in den Kriegsprovokationen gegen Russland und China und schließlich in der Verschärfung des Klassenkampfs in den USA und weltweit.

Robert Hummer von der University of North Carolina erklärte gegenüber Associated Press, die Lebenserwartung sei „der fundamentalste Indikator für die Gesundheit der Bevölkerung dieses Landes“. Dass das reichste Land der Welt, in dem die Milliardäre während der Pandemie ihr Vermögen um mehr als zwei Billionen Dollar erhöhen konnten, nicht die Mittel dazu hat, seine Bevölkerung vor einer vermeidbaren Krankheit und einem vermeidbaren Tod zu schützen, zeigt, dass dieses verkommene Gesellschaftssystem am Ende ist.

Dass die Forderung der herrschenden Klasse, die Bevölkerung müsse unablässige Durchseuchung und permanentes Massensterben hinnehmen, schwerwiegende Auswirkungen hat, lässt sich kaum leugnen. Was hier stattfindet, ist der Beginn einer katastrophalen Umkehrung von 80 Jahren Fortschritt der öffentlichen Gesundheit, nicht nur in den USA, sondern weltweit. Solange die Kapitalistenklasse die Kontrolle über die Gesellschaft behält, können sich Covid-19 und alle anderen Krankheitserreger wie die Affenpocken ungehindert ausbreiten.

Die herrschende Klasse verlangt von der Arbeiterklasse, „mit Covid-19 zu leben“, und sie soll auch die Hauptlast der ausufernden Wirtschaftskrise tragen. Die Federal Reserve hat der Arbeiterklasse „Schmerzen“ verheißen und die Zinssätze angehoben, um Massenentlassungen auszulösen und die Forderungen der Arbeiter nach höheren Löhnen abzuwehren.

Die Arbeiterklasse muss erkennen, dass sie es ist, die den Reichtum und die Ressourcen der Gesellschaft produziert, und dass sie deshalb die Macht hat, die Pandemie und alle anderen sozialen Übel der Menschheit zu beenden. Dies erfordert eine revolutionäre Massenbewegung, die von der Arbeiterklasse angeführt wird, um die Staatsmacht zu erobern und die Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage wieder aufzubauen, mit dem Ziel, die sozialen Bedürfnisse zu befriedigen und das menschliche Leben zu schützen.

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