Die herrschende Klasse Deutschlands nutzt den Krieg, den die Nato in der Ukraine gegen Russland führt, um den Militarismus nach innen und nach außen aggressiv neu zu beleben. Daran lassen die jüngsten Reden von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) keinen Zweifel.
In einer außenpolitischen Grundsatzrede erklärte Lambrecht am 12. September, Deutschland müsse nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern auch militärisch eine führende Rolle spielen: „Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz: sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht, ob wir es wollen oder nicht. Auch im Militärischen.“
77 Jahre nach dem Untergang des Dritten Reichs und den fürchterlichen Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg soll Deutschland wieder als Kriegsmacht agieren und die deutsche Armee umfassende Kriege führen können. „Wir selbst brauchen starke, kampfbereite Streitkräfte, damit wir uns und unser Bündnis zur Not verteidigen können“, betonte Lambrecht.
Am Freitag legte der Bundeskanzler höchstpersönlich nach. In einer Rede auf der Bundeswehrtagung in Berlin erklärte Scholz vor der versammelten Militärführung: „Als bevölkerungsreichste Nation mit der größten Wirtschaftskraft und Land in der Mitte des Kontinents muss unsere Armee zum Grundpfeiler konventioneller Verteidigung in Europa werden, zur am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa.“
Beide, Lambrecht und Scholz, buchstabierten aus, dass dies die vollständige Militarisierung der deutschen Gesellschaft und Politik bedeutet. „Gerade die Bundeswehr wird in Zukunft eine wichtigere Rolle in unserem politischen Denken und Handeln spielen“, erklärte Lambrecht. Die Zeit, in der die deutschen Streitkräfte „ausschließlich als Akteur bei Kriseneinsätzen im Ausland oder in der Amtshilfe“ wahrgenommen wurden, sei vorbei. Man müsse „die Bundeswehr wieder als zentrale Instanz für unsere Daseinsvorsorge betrachten. Und zwar jeden Tag.“
Scholz pries das Sondervermögen der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro, das er Ende Februar im Bundestag verkündet hatte. Gleichzeitig stellte er klar, dass die gigantische Summe nur der Anfang sei und die von ihm ausgerufene „außenpolitische Zeitenwende“ – ein Euphemismus für die Rückkehr des deutschen Militarismus auf die Weltbühne – weitaus mehr umfasse.
„Das Sondervermögen ist Realität. Auch meine Aussage, dass wir den Verteidigungshaushalt kontinuierlich auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern werden, gilt! Damit können Sie planen,“ versicherte er den Militärs. „Die Fähigkeitslücken der Bundeswehr sind groß,“ aber man sei dabei, „die drängendsten davon sehr schnell zu schließen“. Prioritär gehe es „um Kampfflugzeuge, um schwere Transporthubschrauber, Eurofighter, die Nachfolge für den Schützenpanzer Marder, Korvetten 130 und Fregatten 126“.
Deutschland brauche „Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen können, Soldatinnen und Soldaten, die optimal ausgerüstet sind für ihre gefährlichen Aufgaben,“ polterte Scholz. All das müsse „ein Land unserer Größe, das besondere Verantwortung trägt in Europa, leisten können“. Das schulde Deutschland auch seinen „Verbündeten in der Nato“.
Die Strategie, die die herrschende Klasse bei ihrem dritten Griff nach der Weltmacht verfolgt, wurde von Scholz klar skizziert. Deutschland bemüht sich, Europa unter seiner Führung militärisch zu organisieren, um seine imperialistischen Interessen weltweit zu verfolgen. Solange der deutsche Imperialismus den USA (noch) nicht offen entgegentreten kann, findet die Aufrüstung im Rahmen der Nato statt.
Der Kanzler forderte u.a. „ein europäisches Hauptquartier [...], das Einsätze führen kann“. Das vielleicht „drängendste Problem in Europa“ sei „die völlig unübersichtliche Zahl an Waffensystemen und Rüstungsgütern“. Nur der „koordinierte Aufwuchs europäischer Fähigkeiten“ führe „zu einem handlungsfähigen Europa“. Dabei sei ihm „insbesondere der Bereich der Luftverteidigung wichtig – europäisch koordiniert und als Beitrag zur Stärkung des europäischen Pfeilers der Nato“.
Scholz prahlte mit der deutschen „Führungsrolle“ bei der Nato-Kriegsoffensive gegen Russland. „Gerade durch den substantiellen deutschen Beitrag von 30.000 Soldatinnen und Soldaten, 85 Flugzeugen und Schiffen“ werde „die Nato Reaktionsfähigkeit und Abschreckungswirkung drastisch erhöht“. Deutschland habe „bei all dem von Beginn an eine Führungsrolle übernommen – das war mir wichtig“.
Im Ergebnis stünden „Hunderte von deutschen Soldatinnen und Soldaten im Baltikum, in Rumänien, in der Slowakei. Unsere Marine und Luftwaffe patrouillieren verstärkt in der Ostsee und im östlichen Mittelmeer.“ Das sei „mehr als eine Rückversicherung gegenüber unseren östlichen Alliierten“. Deutschland sei „bereit, an führender Stelle Verantwortung zu übernehmen für die Sicherheit unseres Kontinents“.
Dann schärfte er seinen Zuhörern ein. „Meine Damen und Herren, Zeitenwende – das heißt Abschied zu nehmen von alten Gewissheiten. Das heißt umzudenken, auch strategisch. Innerhalb der Nato haben wir das beim Gipfel in Madrid und mit dem neuen Strategischen Konzept getan. Unsere Kampfkraft und Einsatzbereitschaft werden deutlich erhöht.“
Scholz zog es vor, nicht genauer zu erklären, was das neue Strategische Konzept der Nato konkret beinhaltet: Die Vorbereitung auf einen nuklearen dritten Weltkrieg gegen Russland und China.
Im Madrider Dokument heißt es: „Wir werden einzeln und kollektiv das volle Spektrum an Streitkräften ... liefern, das zur Abschreckung und Verteidigung benötigt wird, und zwar auch für hochintensive dimensionsübergreifende Kriegsführung gegen gleichwertige Wettbewerber, die Kernwaffen besitzen.“
Die Kosten für diesen Wahnsinn wird die Arbeiterklasse tragen – als Kanonenfutter im Krieg und in Form von milliardenschweren sozialen Angriffen zur Finanzierung der Aufrüstung. Während rasant steigende Energiepreise und die galoppierende Inflation bereits jetzt Millionen in die Armut stürzen, plant die Ampel-Regierung in ihrem aktuellen Haushaltsentwurf für 2023 heftige Kürzungen. Allein der Gesundheitsetat soll von 64 auf 22 Milliarden gekürzt werden – und das inmitten der Corona-Pandemie, die allein in Deutschland bereits zu etwa 150.000 Toten geführt hat.
Die offizielle Propaganda, die Nato reagiere lediglich auf die „russische Aggression“ und kämpfe für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, ist eine dreiste Lüge.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Tatsächlich haben die Nato-Mächte Russland seit der Auflösung der Sowjetunion systematisch eingekreist, mit dem Ziel, das rohstoffreiche Land zu unterjochen und aufzuspalten, damit es von den imperialistischen Mächten ausgebeutet werden kann. Putins Einmarsch am 24. Februar 2022 war die verzweifelte Reaktion eines reaktionären kapitalistischen Regimes auf die Offensive der Nato.
Die Rückkehr des deutschen Militarismus wurde seit langem hinter dem Rücken der Bevölkerung vorbereitet und öffentlich bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 verkündet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte als damaliger Außenminister, Deutschland sei „zu groß und wirtschaftlich zu stark, als dass wir die Weltpolitik nur von der Seitenlinie kommentieren könnten“.
Wenig später wurde dieser größenwahnsinnige Anspruch mit dem pro-westlichen Putsch in der Ukraine zum ersten Mal in die Tat umgesetzt. Die Sozialistische Gleichheitspartei analysierte bereits damals in einer Resolution, welche historischen und politischen Triebkräfte hinter der Kriegspolitik stehen, und warnte vor den enormen Implikationen der Rückkehr des deutschen Militarismus:
Die Geschichte meldet sich stürmisch zurück. Knapp 70 Jahre nach den Verbrechen der Nazis und der Niederlage im Zweiten Weltkrieg knüpft die herrschende Klasse Deutschlands wieder an die imperialistische Großmachtpolitik des Kaiserreichs und Hitlers an. Das Tempo, mit der die Kriegshetze gegen Russland eskaliert, erinnert an den Vorabend des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. In der Ukraine arbeitet die Bundesregierung mit den Faschisten von Swoboda und dem Rechten Sektor zusammen, die in der Tradition von Nazi-Kollaborateuren aus dem Zweiten Weltkrieg stehen. Sie benutzt das Land, das sie in beiden Weltkriegen besetzt hatte, um erneut gegen Russland vorzugehen.
Nun werden diese Pläne in die Tat umgesetzt. Deutschland und die Nato führen in der Ukraine einen Krieg gegen die Atommacht Russland, den sie immer weiter eskalieren. Nach dem Debakel der russischen Armee in der Nordukraine liefern sie noch mehr schwere Waffen an Kiew. Deutschland verkündete in den vergangenen Tagen die zusätzliche Lieferung von Mehrfachraketenwerfern, gepanzerten Fahrzeugen und weiteren vier Panzerhaubitzen aus Beständen der Bundeswehr.
Zusätzlich fordern deutsche Politiker und Medien, die Ukraine mit schweren Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 auszustatten. In den USA wird die Lieferung von Raketen vorbereitet, mit denen die ukrainische Armee russisches Territorium angreifen kann. Obwohl die Gefahr eines nuklear geführten dritten Weltkriegs akut ist, spricht niemand über die möglichen Konsequenzen.
Im Gegenteil, die Kriegs- und Kürzungspolitik wird vor allem von den nominell „linken“ Parteien im Bundestag vorangetrieben. Die SPD stellt mit Scholz den Kanzler und führt mit Lambrecht das Verteidigungsministerium. Die Grünen leiten das Außen- und Wirtschaftsministerium und drängen innerhalb der Regierung am aggressivsten, wenn es um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine geht.
Die Linkspartei ist ebenfalls auf Linie. Sie steht bedingungslos hinter der Kriegspolitik der Bundesregierung und der Nato, was die jüngste Auseinandersetzung um Sahra Wagenknecht unterstreicht. Die frühere Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag wird nicht wegen ihren AfD-ähnlichen Ausfällen gegen Flüchtlinge angegriffen, sondern weil sie – vom Standpunkt des deutschen Nationalismus – den Nato-Kriegskurs gegen Russland kritisiert.
Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt der Kriegspolitik und der Rückkehr des deutschen Militarismus als einzige Partei von links entgegen. Zusammen mit ihren Schwesterparteien im Internationalen Komitee der Vierten Internationale kämpft sie für den Aufbau einer sozialistischen Antikriegsbewegung. Dabei stützt sie sich auf die enorme Opposition in der Arbeiterklasse, die weltweit in heftige Klassenkämpfe eintritt und nicht zulassen wird, dass die herrschende Klasse die Welt in einen vernichtenden dritten Weltkrieg stürzt.