Ein Beitrag in Piers Morgans „Uncensored Program“ bot einem großen Publikum am Donnerstag ein seltenes Schauspiel. Ungeschminkt präsentierten sich beide Seiten im Konflikt um Julian Assange. Der WikiLeaks-Herausgeber Assange ist in Großbritannien inhaftiert und soll an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden, weil er amerikanische Kriegsverbrechen aufgedeckt hat.
Stella Moris, Assanges Ehefrau, wies auf den schrecklichen Präzedenzfall hin, den die USA damit schaffen, dass sie einen Journalisten wegen dessen Veröffentlichung wahrer Informationen strafrechtlich verfolgen. Eloquent verteidigte sie die demokratischen Rechte Assanges, wie auch die der gesamten Bevölkerung, und wies darauf hin, wie wichtig es sei, internationale Rechtsnormen einzuhalten.
John Bolton hingegen, zeitlebens ein republikanischer Politiker und Mann des Staatsapparats, schimpfte und tobte und bekräftigte das „Recht“ der amerikanischen Regierung, das Leben eines jeden zu ruinieren, der sich ihren „nationalen Interessen“ in den Weg stellt.
Die Sendung wurde auf dem britischen Fernsehsender TalkTV ausgestrahlt. In den sozialen Medien wird sie bereits hunderttausendfach aufgerufen.
Diese Resonanz im Netz zeigt die wahre öffentliche Meinung über Assange, was die offiziellen Medien im Allgemeinen verschweigen. Moris erhält viel Lob für ihre durchdachten und prinzipiellen Kommentare, wie zum Beispiel ihre Aussage zu Boltons eigener Verstrickung in Kriegsverbrechen. Boltons Äußerungen wirken gefährlich und beängstigend und stoßen auf Ablehnung.
Morgan begann mit der Feststellung, dass Assange nun seit fast vier Jahren im britischen Belmarsh-Gefängnis, einer „düsteren“ Einrichtung von „sehr hoher Sicherheitsstufe“, eingesperrt sei, nachdem er schon sieben Jahre lang in der britischen Botschaft Ecuadors willkürlich festgehalten worden sei. Er fragte Moris nach ihrer Meinung, wohin der Fall wohl führen werde, und was sie zu erreichen hoffe.
Stella Moris, selbst eine angesehene Menschenrechtsanwältin, erklärte: „In den Vereinigten Staaten droht Julian für seine journalistische Arbeit eine mögliche Strafe von 175 Jahren [Gefängnis]. Er hat Informationen von einer Quelle erhalten und sie veröffentlicht, und das war im öffentlichen Interesse. Es ging um US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan. Und er enthüllte zehntausende zivile Todesfälle, die zuvor nicht bekannt waren.“
Darauf sagte Morgan, er wolle einmal „des Teufels Advokat“ spielen, und zitierte die oft wiederholte Behauptung, dass der Guardian und die New York Times das Material der Whistleblowerin Chelsea Manning zwar geschwärzt hätten; WikiLeaks dagegen habe es online gestellt und damit Menschen in Gefahr gebracht.
Auf die Frage, ob sie dieses Argument akzeptiere, antwortete Moris mit Nachdruck: „Ich akzeptiere es nicht, denn es ist nicht wahr. WikiLeaks hat in Wirklichkeit alle Dokumente, die Manning ihnen gegeben hat, redigiert, und zwar in Zusammenarbeit mit diesen Zeitungen.“
WikiLeaks, so Moris weiter, habe 15.000 Dokumente aus den Protokollen der US-Armee zum Afghanistan-Krieg zurückgehalten. WikiLeaks sei von mehreren sogar kritisiert worden, weil es an den Protokollen zum Irak-Krieg umfangreiche Schwärzungen vorgenommen hatte. Nicht WikiLeaks sei dafür verantwortlich, dass 250.000 durchgesickerte diplomatische Kabel in vollem Umfang veröffentlicht wurden. Das falle in die Verantwortung derjenigen Guardian-Journalisten, die das Passwort für die Tranche leichtsinnigerweise in einem Buch veröffentlicht hatten.
Morgan stellte dann John Bolton vor und fragte ihn, warum die USA so entschlossen seien, Assange einer „unglaublich drakonischen Justiz“ zuzuführen. In den USA erwartet ihn eine 175-jährige Haftstrafe in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Bolton gab die atemberaubende Antwort: „Nun, ich denke, das ist ein kleiner Teil der Strafe, die er verdient.“ Darauf reihte Bolton ohne den Versuch eines Beweises eine falsche Behauptung an die andere, von der Art, Assange habe „kriminelle Aktivitäten“ begangen, er sei „genauso wenig ein Journalist wie der Stuhl, auf dem ich sitze“, er habe „Menschen in Gefahr gebracht“ usw. usw.
In dem einzigen Anflug von Wahrheit beklagte Bolton sich bitterlich darüber, dass Assange die „nationalen Interessen“ der USA behindert habe. Mit anderen Worten, Assanges legale, journalistische Arbeit habe die kriminelle, militaristische Politik der US-Regierung durchkreuzt.
Der US-Politiker fuhr munter fort und behauptete, Assange werde in Amerika ein „ordentliches Verfahren“ und einen „fairen Prozess“ bekommen, um gleich darauf zu verkünden: „Ich hoffe, er bekommt 176 Jahre!“ Offenbar war sich Bolton des krassen Widerspruchs zwischen diesen beiden Behauptungen nicht bewusst, den das Publikum zweifellos sehr wohl versteht. Der Journalist Assange soll ein „ordnungsgemäßes Verfahren“ erhalten, so der US-Staatsdiener, der gleichzeitig lautstark hofft, dass man ihn in eine Zelle sperrt und den Schlüssel fortwirft.
Moris fuhr fort, Boltons durchsichtige „Argumente“ zu zerlegen und sagte, der ehemalige US-Botschafter sei eine Art „ideologischer Erzfeind von Julian“.
Bolton habe, so Moris, „während seiner Zeit in der Bush-Administration und später in der Trump-Administration sich darum bemüht, das internationale Rechtssystem zu untergraben und dafür zu sorgen, dass die USA nicht unter die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen. Und wenn das stimmt, dann könnte Herr Bolton tatsächlich vor dem IStGH angeklagt werden. Er war einer der Hauptbefürworter des Irak-Kriegs, den Julian dann durch diese leaks, diese undichten Stellen aufgedeckt hat. Er befindet sich also in einem Interessenkonflikt.“
Bolton lachte hämisch und bezeichnete Moris’ Aussage als „lächerlich“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Tatsächlich hat Bolton jeden verbrecherischen, von den USA geführten Krieg seit Vietnam unterstützt. Er war der Botschafter der Bush-Regierung bei den Vereinten Nationen, als Bush die illegale Besetzung des Irak fortsetzte, einen Krieg, der auf Lügen beruhte und über eine Million Menschenleben forderte.
Wie Wikipedia feststellt, gilt Bolton „als Anhänger einer aggressiven, militärische Optionen nutzenden Außenpolitik (‚Falke‘ statt ‚Taube‘).“ Er habe militärische Aktionen und Regimewechsel durch die USA im Iran, in Syrien, Libyen, Venezuela, Kuba, Jemen und Nordkorea befürwortet. Mit anderen Worten, er ist der typische Vertreter des militaristischen Staatsapparats, den Assange entlarvt hat.
Bolton versuchte zu kontern, indem er wissen wollte, ob Moris denn akzeptiere, dass Assange in den USA einen fairen Prozess erhalten würde.
Moris erklärte, dies sei nicht der Fall. Assange sei der erste Journalist, der auf der Grundlage des Espionage Act (Spionagegesetzes) verfolgt werde. Dieses Gesetz sieht keine Möglichkeit vor, das öffentliche Interesse ins Feld zu führen, und sogar bürgerliche Medien weisen warnend darauf hin, dass dieser Fall der Pressefreiheit einen schweren Schlag versetzen würde.
Einmal mehr warnte Moris davor, dass die Verschlechterung von Assanges Gesundheitszustand sein Leben bedroht. Er sei wie ein „eingesperrtes Tier“, dem der regelmäßige Kontakt zu seiner Familie, seinen Freunden und Mitarbeitern verwehrt sei. Moris rief die Zuschauer auf, sich am Samstag, den 8. Oktober, um 13 Uhr britischer Zeit an einer Menschenkette für Assanges Freiheit vor dem britischen Parlament zu beteiligen. Auch in anderen Städten auf der ganzen Welt werden Kundgebungen abgehalten.
Der Beitrag machte deutlich, was im Kampf um Assanges Freiheit auf dem Spiel steht. Bolton brachte in besonders unverblümter Form die Linie all der Regierungen zum Ausdruck, die an der Verfolgung von Assange beteiligt sind. Dies sind in erster Linie die Biden-Regierung in den USA, die seine Auslieferung anstrebt, die britische Regierung, die Assange in einem Hochsicherheitsgefängnis festhält, sowie auch die Labor-Regierung in Australien, die sich weigert, den WikiLeaks-Herausgeber zu verteidigen, obwohl er australischer Staatsbürger ist.
Sie alle nutzen den Rachefeldzug gegen Assange, um einen Präzedenzfall für eine weitaus umfassendere Unterdrückung zu schaffen, die sich vor allem gegen den weit verbreiteten Widerstand gegen Krieg richten wird. Dies geschieht zu einer Zeit, in der die imperialistischen Mächte, angeführt von den USA, in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen, der zu einer nuklearen Katastrophe führen kann, während sie gleichzeitig China provozieren.
Wie die WSWS seit langem betont, muss der Kampf für Assanges Freiheit ein zentraler Bestandteil einer neuen, internationalen Bewegung der Arbeiterklasse sein. Sein Ziel muss es sein, den katastrophalen Absturz in den Weltkrieg und den damit verbundenen Angriff auf die demokratischen Grundrechte aufzuhalten.