„Ab Mitte des Monats ist kein Geld mehr da“ – Arbeiter an Jobcentern in Berlin und Duisburg

Arbeiter und Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger und Studierende sind dramatisch von der hohen Inflation und den explodierenden Energie- und Gaspreisen betroffen, die eine Folge der Corona-Pandemie, des Ukrainekrieges und der Wirtschaftssanktionen gegen Russland sind. Viele schilderten gegenüber WSWS-Reportern ihre Lage und sprachen sich gegen den Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland aus, von dem nur die kapitalistischen Oligarchen profitieren.

Sara*, die vor einem Jobcenter in Duisburg mit der WSWS sprach, ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Sie sagt: „Der Krieg ist schlecht und die Lage ist insgesamt katastrophal. Lebensmittel sind so teuer geworden. Ab Mitte des Monats ist kein Geld mehr da. Ich leihe mir dann hier und da Geld, zahle zu Beginn des Monats meine privaten Schulden zurück und dann geht das Gleiche wieder von vorne los.“

Zu den gestiegenen Stromkosten sagt Sara: „Früher habe ich 50 Euro im Monat für Strom gezahlt. Dann bekam ich eine hohe Nachzahlungsforderung von den Stadtwerken, die mir große Probleme machte. Deshalb habe ich von mir aus die monatlichen Abschlagszahlungen auf 110 Euro im Monat erhöht. Ich hoffe auf eine Rückzahlung, aber ich habe noch nichts zu den erhöhten Strompreisen gehört. Ich weiß nicht, von was ich sie bezahlen soll.“

Die offizielle Inflationsrate lag im September bei über 10 Prozent. Laut dem Vergleichsportal Verivox haben sich bis Ende September die Strompreise fast verdoppelt. In Nordrhein-Westfalen sind sie sogar durchschnittlich um 74 Prozent gestiegen. Die Gaspreise sind mit einem durchschnittlichen Anstieg um 280 Prozent regelrecht explodiert und haben sich nahezu vervierfacht.

In einem Beispiel rechnet Verivox vor, dass die Gaskosten für ein Einfamilienhaus mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden (kWh) Ende September bei 5.208 Euro (26.04 Cent/kWh) liegen. Vor 12 zwölf Monaten lagen die Durchschnittskosten noch bei 1.369 Euro. „Das bedeutet Mehrkosten von 3.839 Euro und einen Anstieg von 280 Prozent“, erklärte ein Sprecher von Verivox gegenüber dem WDR.

„Alles ist teurer geworden, viele Familien haben Probleme“, sagen zwei junge Leute, die am Jobcenter vorbeikommen: „Wenn man heute für 100 Euro einkaufen geht, ist der Einkaufswagen nicht voll. Es reicht maximal für eine Woche.“ „Meinen Eltern wurde mitgeteilt, dass sich ihre Energiekosten von 400 auf 1.000 Euro erhöhen werden“, berichtet die junge Frau. „Meine Mutter sagt, sie wisse nicht, wie sie das bezahlen soll. Wenn man im Winter nicht heizen kann, friert man. “

Ihr Freund fügt mit Blick auf den Krieg in der Ukraine hinzu: „Man wünscht sich keinen Krieg und trotzdem gibt es Krieg mit all seinen grausamen Folgen für die, die unmittelbar davon betroffen sind. Aber es gibt nicht nur den Krieg in der Ukraine. Auch in Afghanistan, Somalia und anderen Ländern werden die Kriege ständig weiter von der Nato angeheizt. Darüber hört man aber viel weniger.“

„Von Amerika und Deutschland werden viele Waffen produziert, sie verdienen viel Geld an diesem Krieg“, stellt ein Arbeiter aus Moldawien fest, mit dem WSWS-Reporter vor einem Jobcenter in Berlin sprachen. „Es ist keine richtige Hilfe, wenn die Menschen über Jahre hinweg arbeitslos in ihrer Wohnung sitzen müssen.“ Er setzt hinzu: „Jetzt, wo der Krieg da ist, ist Corona plötzlich weg und wird wie eine Grippe betrachtet. Wie kann das sein?“

„Der Krieg ist sehr schlecht“, sagt auch Tayyaba, die mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern zusammen wohnt. „Die Energiepreise steigen, aber unsere Löhne steigen nicht. Über dieses Problem sprechen wir zuhause immer. Mein Mann ist Softwareentwickler. Wir wissen auch nicht, ob die Mieten noch weiter ansteigen, darüber sorgen wir uns sehr. Bis jetzt hatten die Kinder kein Corona, aber das ist für beide auch ein Problem.“

Moses, der aus Rumänien kommt und in Berlin in Teilzeit als Bauarbeiter arbeitet, sagt: „Wir leben in schwierigen Zeiten. Es ist schwierig, eine Ausbildung zu machen oder einen Job zu finden. Ich bin Jude und arbeite am Samstag nicht, aber das Jobcenter nimmt darauf keine Rücksicht. Mein Deutsch ist nicht so gut und auch das macht es schwer.“

„Das Jobcenter und die Behörden spotten über die Menschen“, fährt Moses fort. „Die Institutionen arbeiten alle miteinander, um die Menschenrechte auf den Müll zu werfen. Das ist schlimm, es bringt nur noch größere Schwierigkeiten für das Zusammenleben der Menschen.“ Zum Krieg sagt Moses:

„Der Krieg ist Schuld daran, dass die Preise hochgehen. Und der Schuldige für den Krieg in der Ukraine ist Amerika. Seit dreißig Jahren hören sie nicht auf, Krieg zu führen. Ganz intelligente und studierte Menschen arbeiten daran jeden Tag. Sie wollen damit Geld machen.“ Dass die deutsche Regierung Waffen in die Ukraine schicke, „macht es nur noch schlimmer“:

Sie werden die Menschen in Europa in eine sehr große Krise stoßen. Damals, 2008, gab es eine Krise und in ganz Europa keine Arbeit. Aber jetzt wird es noch schlimmer werden. Für normale arbeitende Menschen wird es noch schlimmer, auch für die, denen es jetzt noch gut geht. Sie haben immer weniger Geld und auch die Arbeit ist nicht richtig bezahlt. Die Lebensmittel werden noch teurer werden. In Süddeutschland kostet ein Liter Benzin schon drei Euro.

Unschuldige Menschen müssen das bezahlen, woran die Politik schuld ist. Demokratie muss anders sein, als viele denken. Wir brauchen normale Demokratie, keine kapitalistische Demokratie. Man muss Menschen respektieren und besser bezahlen, egal welche Position sie haben. In Rumänien gibt es heute auch keine sichere Zukunft.

Vor der Wiedereinführung des Kapitalismus in Rumänien 1990 sei das Leben noch besser gewesen. „Heute ist es wie im Dschungel: Wer hat, kann leben und mit den Kleinen machen, was er will. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für ganze Länder. Wohin soll das führen? Es wird eine große Krise kommen...“

Severin ist Student und lebt in Duisburg mit zwei Kommilitonen in einer WG. Auch er berichtet der WSWS, dass er von dem Krieg und den immensen Preissteigerungen stark betroffen ist: „Am schlimmsten sind die Gaspreise, weil wir jetzt auch eine neue Wohnung haben. Wir wissen noch nicht, wie gut die Heizung ist. Wir zahlen schon einen fetten Abschlag, der als Student wirklich schwierig zu stemmen ist. Dazu kommen die Lebensmittelpreise, die einen großen Teil unserer Kosten ausmachen. Die Inflation spürt man wirklich enorm.“ Severin ist geringfügig beschäftigt und außerdem auf die finanzielle Unterstützung seiner Eltern angewiesen.

„Einer von uns ist nicht mehr am Studieren und arbeitet“, fährt Severin fort. „Wir zwei, die noch an der Uni sind, erhalten kein Bafög. Ich arbeite im Einzelhandel bei einer großen Kette. Anstelle des vorherigen Mindestlohns bekomme ich jetzt 12 Euro Stundenlohn, aber das macht keinen großen Unterschied – dafür arbeite ich einfach zu wenig.“ Bei allen privaten Ausgaben „muss ich jetzt echt zurückschrauben“, sagt Severin: „Ich habe Sorge vor der Zukunft.“

Obwohl die „täglichen Schreckensmeldungen“ niederschmetternd seien, verfolgt Severin den Krieg in der Ukraine eingehend. Zwischen der Nato und Russland werde es „wahrscheinlich noch ganz große Konflikte geben“, sagt er. Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte die Nato-Mächte zuletzt aufgefordert, die Nuklearfähigkeiten Russlands durch Präventivschläge zu vernichten. Vor allem die westliche Seite müsse „Zugeständnisse machen“ und „Verhandlungen führen“, um den Krieg zu beenden, sagt Severin.

Die Aussicht auf einen drohenden Atomkrieg bezeichnet Severin als „riesengroße Katastrophe“: „Eine Atomwaffe hält sich nicht an Ländergrenzen. Ihr Einsatz würde ganze Landstriche verwüsten und riesige Fluchtbewegungen auslösen. Dazu kommen die Flüchtlinge aus der Ukraine und jetzt auch aus Russland, die nicht in den Krieg ziehen wollen.“ Ein Schlag gegen Russland würde dazu führen, dass „nicht nur Deutschland, sondern auch alle unsere Nachbarländer verstrahlt“ sein würden: „Atomwaffen dürfte es eigentlich gar nicht geben.“

Abschließend sagt Severin: „Die Überwindung des kapitalistischen Systems ist das einzige, was uns noch vor all den Katastrophen retten kann – sei es Imperialismus oder Krieg oder Klimawandel. Es hilft nur noch, dass wir in einen sozialistischen und kommunistischen Staat übergehen – auf jeden Fall eine alternative Gesellschaft. Von den etablierten Parteien kann man leider nichts mehr erwarten.“

* Name von der Redaktion geändert

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