Konferenz zum „Wiederaufbau der Ukraine“: Der Streit um die Beute hat begonnen

Krieg verspricht Profit. Das gilt auch für den Ukrainekrieg. Bevor ein Ende der Kampfhandlungen in Sicht ist, hat die Auseinandersetzung um die Aufteilung der Beute bereits begonnen. Darin lag die Bedeutung der sogenannten „Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine“, die am Dienstag unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Berlin stattfand.

Ursula von der Leyen und Olaf Scholz begrüßen den ukrainischen Premierminister Denys Schmyhal auf der Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine [Photo by Bundesregierung/Hartmann]

Es geht um gewaltige Summen. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal bezifferte den Finanzbedarf für den Wiederaufbau Anfang Juli auf 750 Milliarden Dollar, die Weltbank und die EU-Kommission nannten im September die Summe von 349 Milliarden Dollar. Diese Zahlen, die sich nur auf die ersten drei Kriegsmonate beziehen, gelten inzwischen als überholt. Und die Milliardenbeträge, mit denen die USA und Europa das ukrainische Militär unterstützen, sind darin nicht eingerechnet.

Über die Frage, wie die hohen Beträge aufgebracht werden sollen und wer davon profitiert, tobt ein heftiger Streit. Eines steht allerdings fest. Die ukrainische Bevölkerung wird davon nichts zu sehen bekommen. Was immer am Ende fließt, landet auf den Konten ukrainischer Oligarchen und westlicher Konzerne. Letztere versprechen sich vom „Wiederaufbau“ nicht nur ein gutes Geschäft, sondern auch einen beherrschenden Einfluss über die ukrainische Wirtschaft. Vor allem deutsche Konzerne lauern darauf, von den Folgen des Kriegs zu profitieren und in der Ukraine zukünftig die führende Rolle zu spielen.

Am Tag vor der Wiederaufbaukonferenz eröffneten Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal das 5. Deutsch-Ukrainische Wirtschaftsforum. Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, der das Forum in Zusammenarbeit mit anderen Wirtschaftsverbänden und der ukrainischen Regierung organisierte, freute sich: „Der große Andrang bei der Konferenz zeigte das breite Interesse der deutschen Wirtschaft, sich beim Wiederaufbau zu engagieren. Es war die erste derartige Konferenz in Deutschland seit Kriegsbeginn und gleichzeitig die bislang hochkarätigste Veranstaltung dieser Art.“

Arbeitsgruppen deutscher Unternehmen und Wirtschaftsverbände hatten für das Forum ein Dossier „Rebuild Ukraine“ verfasst, das die ukrainische Regierung ermuntert, „bereitgestellte Mittel und politische Entscheidungen strategisch so einzusetzen, dass Anreize für den Privatsektor geschaffen werden, zu investieren und Reichtum zu schaffen“. Es beschreibt zahlreiche Investitionsmöglichkeiten und gliedert sie in die Bereiche Bauen, Logistik und Infrastruktur, Digitalisierung, Energie, Gesundheit sowie Agrarwirtschaft.

Die ukrainische Handelsministerin Yulia Svyrydenko versprach den versammelten Wirtschaftsvertretern, die Rolle des Staates durch Privatisierungen zu reduzieren. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lockte sie mit der Aussicht: „Die Ukraine ist ein Premiumhandelspartner für Rohstoffe, Energie und als Zulieferer. Es lohnt sich daher jedes Engagement, um die Ukraine an den Binnenmarkt heranzuführen.“

Die Wiederaufbaukonferenz der Bundesregierung und der EU am folgenden Tag befasste sich mit der Aufgabe, die gewaltigen Summen aufzubringen, die notwendig sind, um die Ukraine als Rohstofflieferant und Zulieferer in den Binnenmarkt zu integrieren.

„Auch wenn man mit historischen Vergleichen stets vorsichtig sein sollte, geht es hier um nicht weniger, als einen neuen Marshallplan des 21. Jahrhunderts zu schaffen,“ schrieben Scholz und von der Leyen in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Mit dem Marshallplan hatten die USA nach dem Zweiten Weltkrieg dem westeuropäischen Kapitalismus wieder auf die Beine geholfen.

„Der Wiederaufbau wird eine große, große Aufgabe,“ ergänzte Scholz. „Und wir werden sehr viel investieren müssen, damit das gut funktioniert. Das kann die Ukraine nicht allein. Das kann auch die Europäische Union nicht allein. Das kann nur die ganze Weltgemeinschaft.“

Auch von der Leyen betonte, dass kein Land oder keine Union den Wiederaufbau alleine stemmen könne. Man brauche starke Partner wie die USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Australien und andere Länder sowie Institutionen wie die Weltbank. Jeder Euro, jeder Dollar, jedes Pfund, jeder Yen sei eine Investition in die Ukraine.

Über die Arbeitsteilung beim „Wiederaufbau“ gibt es in Scholz‘ „Weltgemeinschaft“ allerdings höchst unterschiedliche Ansichten. Washington, Brüssel, Berlin und andere europäische Hauptstädte streiten erbittert darüber, wer bezahlt, wer bestimmt und wer profitiert.

Washington steht auf dem Standpunkt, dass es die Hauptlast der militärischen Unterstützung trage und Europa daher den Löwenanteil des Wiederaufbaus schultern müsse. Deutschlands Versuch, sich als führende Wirtschaftsmacht in der Ukraine festzusetzen, wird in den USA und auch in anderen europäischen Staaten mit Misstrauen verfolgt. Washington ist deshalb nicht bereit, die Leitung des „Wiederaufbaus“ der Ukraine Brüssel oder Berlin zu überlassen.

Konflikte gibt es außerdem über die Frage, ob die Ukraine mit Zuschüssen oder mit rückzahlbaren Krediten unterstützt werden solle. Die USA und Deutschland sind für Zuschüsse, die meisten anderen europäischen Länder für Kredite.

Die Konferenz in Berlin sollte keine Entscheidungen fällen, sondern das Terrain sondieren. Scholz und von der Leyen hatten hochrangige Wirtschaftsexperten, Regierungspolitiker, Mitglieder von Think-Tanks und Vertreter internationaler Institutionen, wie der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, eingeladen, „fachliche Empfehlungen für das weitere Vorgehen“ abzugeben.

Der Think-Tank German Marshall Fund legte eine ausführliche Studie zum Wiederaufbau der Ukraine vor. Sie tritt dafür ein, die Leitung nicht der EU, sondern der G7, dem Zusammenschluss der sieben führenden westlichen Industriestaaten, zu übertragen, um den Konflikt mit den USA nicht zu vertiefen.

„Weil Sicherheit und Wiederaufbau einander bedingen, müssen sie gemeinsame Aufgabe des Westens sein,“ schreibt Thomas Kleine-Brockhoff, der Leiter der GMS-Studie, im Tagesspiegel. „Keinesfalls dürfen die Vereinigten Staaten die Militärhilfe übernehmen und den Europäern sowie weiteren Gebern den Wiederaufbau überlassen. Erfahrungsgemäß begänne die gegenseitige Kritik am ersten Tag.“

Die Studie schlägt weiter vor, einen „Amerikaner mit globalem Standing“ als Obersten Koordinator zu ernennen. Denn nur die USA seien „in der Lage, die erforderliche globale Koalition zusammenzubringen und einen Konsens unter den Partnern der Ukraine herzustellen“.

Kleine-Brockhoff hatte bereits 2013/14 als Direktor des German Marshall Fund und als Chef des Planungsstabs von Bundespräsident Joachim Gauck eine Schlüsselrolle dabei gespielt, den Ukrainekonflikt zu provozieren. Die WSWS hat darüber berichtet.

Der Kampf um die zukünftige wirtschaftliche Kontrolle über die Ukraine ist nur ein Aspekt, der zeigt, dass es bei diesem Krieg nicht um die Verteidigung von „Demokratie“, sondern um imperialistische Interessen geht. Nach einem „Wiederaufbau“, wie ihn sich Berlin, Brüssel und Washington vorstellen, wäre die Ukraine nicht „frei“, sondern eine Halbkolonie der westlichen Mächte – eine Quelle billiger Rohstoffe und noch billigerer Arbeitskräfte, beherrscht von einem autoritären Oligarchenregime, das Nazi-Kollaborateuren huldigt, die Presse zensiert und seit Kriegsbeginn ein Dutzend Parteien verboten hat.

Dabei ist die Kontrolle über die Ukraine nur ein untergeordnetes Ziel der Nato. Ihr Hauptinteresse gilt Russland, seiner gewaltigen Landmasse und seinen unermesslichen Rohstoffen. Um Russland eine militärische Niederlage zuzufügen und das Land unter ihre Kontrolle zu bringen, eskalieren die USA und ihre europäischen Verbündeten den Krieg immer weiter, auch wenn sie damit eine nukleare Katastrophe riskieren.

Die Ablehnung der Nato und ihrer Kriegsziele bedeutet keine Unterstützung des Putin-Regimes und seines reaktionären Angriffs auf die Ukraine. Der Krieg kann nur durch eine Offensive der internationalen Arbeiterklasse gestoppt werden, die den Kampf gegen Krieg und Ausbeutung mit einem sozialistischen Programm zum Sturz des Kapitalismus verbindet.

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