Tausende Post-Beschäftigte streiken erneut für 15 Prozent mehr Lohn

Am Montag haben bundesweit erneut rund 8000 Beschäftigte der Deutschen Post gestreikt. In zehn Städten fanden größere Streikkundgebungen statt, unter anderem in Berlin, München und Rostock. Am heutigen Dienstag werden wieder Tausende die Arbeit niederlegen und protestieren, darunter in Hamburg, Dortmund, Saarbrücken, Nürnberg, Frankfurt/Main und Stuttgart.

Kundgebung von Postbeschäftigten am 6. Februar in Berlin

Die Streiks in Brief- und Paketzentren sowie der Zustellung erfolgen im Vorfeld der dritten Tarifverhandlungsrunde zwischen der Deutschen Post AG und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), die am Mittwoch und Donnerstag in Düsseldorf stattfindet.

Verdi wurde durch ein Mitgliedervotum gezwungen, ihre ursprünglich vorgeschlagene Forderung nach 10 Prozent Lohnerhöhung für die insgesamt 160.000 Beschäftigten der Post auf 15 Prozent hochzusetzen. Auszubildende und Dual-Studierende sollen monatlich 200 Euro mehr bekommen.

Nachdem die Post AG auch in der zweiten Verhandlungsrunde im Januar kein Angebot vorgelegt hatte, beteiligten sich Zehntausende an dreitägigen Warnstreiks.

Der Wille, die niedrigen Löhne nicht länger zu akzeptieren und wenigstens ansatzweise einen Ausgleich für die gestiegenen Preise bei Energie, Sprit, Lebensmitteln und Mieten zu bekommen, zeigte sich auch auf der Kundgebung in Berlin, an der sich über 1000 Arbeiterinnen und Arbeiter der Post und ihrer Töchter, wie der DHL, beteiligten. Mit Bus und Bahn kamen sie aus Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zur Kundgebung vor der Verdi-Bundesverwaltung an der Schillingbrücke in Berlin Mitte.

Neben lokalen Vertreterinnen und Vertretern von Verdi sprachen der ehemalige Bundesvorsitzende von Verdi, Frank Bsirske, der aktuelle Verdi-Chef Frank Werneke sowie dessen Stellvertreterin im Bundesvorstand, Verhandlungsführerin Andrea Kocsis.

Ein Unternehmenssprecher bezeichnete die Warnstreiks als überzogen, weil der Konzern für die morgen und übermorgen stattfindende Verhandlungsrunde bereits ein Angebot angekündigt habe. In einem Atemzug versicherte er erneut, Einkommenssteigerungen in Höhe von 15 Prozent seien „nicht vertretbar“.

Eine junge Post-Beschäftigte aus Berlin brachte die Stimmung zum Ausdruck: „Die Verdi-Forderung von 15 Prozent reicht überhaupt nicht aus. Wir brauchen mindestens 25 Prozent, um noch einigermaßen über die Runden zu kommen. Aber wahrscheinlich werden wir nicht einmal 8 Prozent durchsetzen können.“

Die Postbeschäftigten, die zum Großteil zu den Geringverdienern gehören, sind über die arrogante Haltung des Postvorstands unter Frank Appel empört.

Christian, seit 2010 als Paketzusteller bei der DHL, lebt mit seiner Familie in Berlin. „Ohne den Lohn meiner Frau ginge gar nichts. Unser großer Chef, Herr Dr. Appel, der verdient einfach mal 10 Millionen im Jahr“ sagt er wütend. „Und das ist nicht nur er, das sind noch eine ganze Menge anderer Manager, die da oben sitzen“, fügt er aufgebracht hinzu. Angesprochen auf den Krieg in der Ukraine und seine Folgen sagt Christian: „Ich bin nicht für diesen Krieg. Wir leben hier, wir werden nicht bedroht. Was sollen diese Waffenlieferungen! Das Geld sollte besser in die Kitas und Schulen gesteckt werden.“

Ali und Hassan, beide Paketfahrer bei DHL, berichten, dass die Arbeit immer schwerer wird. „Es werden immer mehr Pakete, von Jahr zu Jahr.“ Angesichts dieser Plackerei und aufgrund der Inflation sind sie wie die meisten, mit denen wir sprachen, der Meinung, die geforderten 15 Prozent seien eigentlich zu wenig. Hassan muss 900 Euro im Monat Miete zahlen. „Da bleibt nicht viel vom Lohn am Monatsende übrig. Und bei den steigenden Preisen für alles andere kommt man gar nicht mehr aus mit dem Lohn.“

Mit Blick auf den Wahlaufruf der Sozialistischen Gleichheitspartei „Stimmt gegen Krieg! Wählt SGP“, den Unterstützer der SGP auf der Kundgebung verteilten, drücken Hassan und Ali ihre Abscheu vor dem Krieg in der Ukraine aus. „Warum werden dort so viele Waffen hin geliefert?“ Sie wissen, wer dafür zahlen muss: „Das sind doch unsere Steuergelder. Aber für uns soll nichts da sein.“

Karsten arbeitet für die Post in Rüdersdorf bei Berlin. Auch er ist der Meinung, wir seien in der Frage des Kriegs in der Ukraine „auf dem völlig falschen Weg“. „Da müsste man doch mit Russland verhandeln, um den Krieg zu beenden.“ Auch er sieht die Preissteigerungen auch als eine Folge des Kriegs. Er hofft, dass in dieser Tarifrunde eine wirkliche Erhöhung rauskommt, ist aber skeptisch Verdi gegenüber. Er und seine Kollegen würden einen niedrigen Abschluss nicht akzeptieren. „Wenn die Post nichts Vernünftiges vorlegt, dann müssen wir halt richtig streiken, ruhig auch mal wochenlang.“

Marion arbeitet für die Post in der Niederlassung Magdeburg und ist auch bereit, für die Lohnforderung zu kämpfen. Dass die Post behauptet, die 8,4 Milliarden Gewinn würden in anderen Bereichen gemacht, und nicht mit den Brief- und Paketdiensten, hält sie für vorgeschoben. Erstens mache das Unternehmen auch damit Gewinne, nur eben nicht so hohe.

Außerdem: „Das hat ja auch mit der Preispolitik zu tun. Und da ist ja nun mal auch der Bund involviert.“ Sie hofft, dass nach der dritten Verhandlungsrunde „ein zweistelliges Ergebnis steht – für zwölf Monate“. Denn beim letzten Mal war „der Abschluss mit seiner langen Laufzeit ja eine Mogelpackung“.

Damals, im September 2020, hatte Verdi stufenweisen Lohnsteigerungen von 3 und 2 Prozent zugestimmt bei einer Laufzeit von 28 Monaten! „Ich glaube nicht, dass sie sich das jetzt wieder trauen“, gibt sich Marion siegesgewiss.

Ein Kollege aus Berlin, der seit 20 Jahren bei der Post arbeitet, und SGP-Wahlkandidat Endrik Bastian

Ein Kollege aus Berlin, der seit 20 Jahren bei der Post arbeitet, erklärt im Gespräch, dass er vor allem aus Solidarität mit den 90 Prozent seiner Kolleginnen und Kollegen da ist, die nur den Mindestlohn erhalten. „Die haben Familien, die sie zu ernähren haben, Kinder und so weiter. Wie sollen die es mit diesem Lohn schaffen, ihre Familie durchzubringen?“ Man könne doch nicht bei der Post arbeiten und danach noch irgendeinen Zweitjob annehmen, um dann die Lebenshaltungskosten abzudecken! „Die Arbeit hat in den zwanzig Jahren, die ich dabei bin, ja extrem zugenommen. Die Kollegen bekommen weniger Geld und haben dabei mehr Arbeit.“

Angesichts dieser Situation – real sinkende Niedriglöhne, steigende Arbeitsbelastung, Bereicherung des Post-Vorstands und der Aktionäre, Milliarden für Krieg und Aufrüstung – zeigen sich die Postbeschäftigten kampfbereit.

Die Verdi-Funktionäre wissen das. Verdi-Chef Frank Werneke rechnete auf der Kundgebung in Berlin vor, dass eine Inflation von fast acht Prozent im Vorjahr und sechs bis sieben Prozent in diesem Jahr große Reallohnverluste bedeute. „Wir wollen die Reallöhne sichern“, sagte er. Verdi-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis erklärte, die 15-Prozent-Forderung bei einer zwölfmonatigen Laufzeit „ist notwendig, gerecht und sie ist machbar“.

Das ist schlicht gelogen. Weder Wernecke noch Kocsis haben auch nur die geringste Absicht, für die Forderung zu kämpfen. Was sie betrifft, so dienen die Warnstreiks vor der Tarifrunde dazu, Dampf abzulassen, bevor sie den Ausverkauf vereinbaren. Verdi hat darin jahrzehntelange Erfahrung.

Die Gewerkschaft ist Mitglied der Konzertierten Aktion von Bundeskanzler Olaf Scholz – ein Bündnis von Regierung, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften, das sich gegen die Arbeiter richtet. Werneke ist seit vier Jahrzehnten Mitglied der SPD, der Partei, die Hartz IV erfunden und das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr auf den Weg gebracht hat: Diese Milliarden werden jetzt bei den Löhnen und den Sozialausgaben wieder hereingeholt.

Frank Bsirske sitzt für die Grünen im Bundestag, die am lautesten nach Waffen für die Ukraine und nach einer Eskalation des Kriegs schreien. Verdi selbst unterstützt die Waffenlieferungen an die Ukraine und den Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland.

Es ist gut möglich, dass sich Verdi und Post hinter den Kulissen bereits auf einen Abschluss geeinigt haben. Am kommenden Montag kommt die Verdi-Tarifkommission zusammen, um über das Ergebnis der dritten Tarifrunde zu beraten. Womöglich versucht Verdi den Kampf dann abzuwürgen.

Die Post-Beschäftigten können nur dann für höhere Löhne und vernünftige Arbeitsbedingungen kämpfen, wenn sie den Verdi-Bürokraten das Verhandlungsmandat entziehen und die Streiks massiv ausweiten. Das erfordert den Aufbau von Aktionskomitees, die unabhängig von Verdi und anderen Gewerkschaften sind.

Sie stehen dabei nicht allein. In Großbritannien kämpfen Beschäftigte der Post, des öffentlichen Diensts, des nationalen Gesundheitssystems sowie Lehrkräfte und Transport- und Eisenbahn-Beschäftigte für die Verteidigung ihres Streikrechts, für höhere Löhne und angemessene Arbeitsplätze. Allein am 1. Februar beteiligten sich eine halbe Million an Streiks und Demonstrationen.

In Frankreich protestieren Millionen gegen die Pläne der Regierung von Präsident Macron, das Renteneintrittsalter um zwei Jahre zu erhöhen, was auf eine massive Senkung der Altersbezüge hinausläuft.

Verdi-Funktionärin Kocsis erwähnte auf der Berliner Kundgebung zwar die Streiks in England und drückte ihre Zustimmung aus. Die versammelten Streikenden sollten als Zeichen der Solidarität ihre Fäuste in die Luft strecken, was sie begeistert taten. Doch in Wirklichkeit gilt Verdis Unterstützung den Gewerkschaften – Kocsis nannte ausdrücklich den Gewerkschaftsdachverband TUC –, die genauso wie hier eng mit der Regierung zusammenarbeiten und die Streiks zügeln und ausverkaufen.

Die Streiks bei der Post und im öffentlichen Dienst sind Bestandteil einer internationalen Offensive der Arbeiterklasse, die zur Grundlage für den Kampf gegen Lohnsenkungen und Entlassungen, gegen Krieg und seine Ursache, die kapitalistische Profitwirtschaft entwickelt werden muss. Das erfordert den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees und ihren Zusammenschluss in der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees. Dafür tritt die Sozialistische Gleichheitspartei ein, die sich am Sonntag in der Berliner Abgeordnetenhaus zur Wahl stellt.

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