Perspektive

Die Corona-Vertuschung oder: Wie die herrschende Klasse lernte, die Sorgen zu vergessen und das Virus zu lieben

Seit zwei Monaten erreicht die Verschleierung der Corona-Pandemie weltweit ein neues Niveau. Nicht nur das gesamte politische Establishment der USA und Europas, auch die Medien leugnen diese nach wie vor bestehende Gefahr. Die Tatsache, dass sich nach wie vor Millionen von Menschen mit Covid-19 infizieren und jede Woche Tausende sterben, stößt bei den herrschenden Eliten auf völlige Gleichgültigkeit. Über diese weltweite Krise wird praktisch nicht mehr berichtet.

Diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden der Bevölkerung wird beispielhaft von US-Präsident Joe Biden verkörpert, der im vergangenen September fälschlicherweise behauptete: „Die Pandemie ist vorbei.“ Letzten Monat sagte Biden auf einer Konferenz von Bürgermeistern zu der Tatsache, dass mehr als eine Million Amerikaner an Corona gestorben sind, in beiläufiger Offenheit: „Ich unterschätze es manchmal, weil ich aufgehört habe, darüber nachzudenken.“

Dies war nicht nur ein Anzeichen für Bidens nachlassende geistige Schärfe, sondern brachte die ganze soziopathische Einstellung der Kapitalisten gegenüber der Arbeiterklasse, welche die überwiegende Mehrheit der Corona-Todesfälle zu beklagen hat, auf den Punkt. Zudem gestand Biden implizit ihre Absicht ein, den Tod vieler weiterer in Kauf zu nehmen.

Eine Woche nach Bidens Kommentar kündigte das Weiße Haus an, dass der nationale Notstand sowie der Gesundheitsnotstand im Zusammenhang mit der Pandemie am 11. Mai auslaufen werden. Das wird weitreichende Folgen haben.

Die Kaiser Family Foundation schätzt, dass zwischen 5 Millionen und 14 Millionen Amerikaner den Zugang zur Krankenversicherung über Medicaid verlieren werden, wenn der Gesundheitsnotstand ausläuft. Das Center for Healthcare Quality and Payment Reform hat vorausgesagt, dass 200 ländliche Krankenhäuser in den USA in den nächsten zwei bis drei Jahren gezwungen sein könnten, den Betrieb einzustellen.

Der Vertrieb von Covid-19-Impfstoffen, Tests und Medikamenten wird privatisiert, und etwa 30 Millionen nicht versicherte Amerikaner werden gezwungen sein, für diese lebensrettenden Leistungen in voller Höhe zu bezahlen. Der Pharmakonzern Pfizer beabsichtigt, seinen Impfstoff für bis zu 130 Dollar pro Dosis zu verkaufen, was sich die große Mehrheit der Nichtversicherten nicht leisten kann.

Eine Woche nach der Ankündigung des Weißen Hauses erklärte die Johns Hopkins University, dass sie den Betrieb ihrer Daten-Website Coronavirus Resource Center am 10. März beenden werde. Die Universität begründete diesen drastischen Schritt damit, dass die lokalen, regionalen und bundesstaatlichen Behörden in den USA keine angemessenen Corona-Daten mehr melden, was auf bewusste Entscheidungen sowohl der demokratischen als auch der republikanischen Parteipolitiker zurückzuführen ist.

Die Einstellung des Trackers der Johns Hopkins University ist der letzte Nagel im Sarg dessen, was von der Sammlung genauer Daten zu Covid-19 in den USA noch übrig ist. Andere weit verbreitete Tracker, darunter Worldometer und Our World In Data, stützten sich auf die Daten der Johns Hopkins University.

Gregory Travis, Analyst für Gesundheitsdaten, erklärte gegenüber der WSWS über die Datenerhebung der Johns Hopkins University, sie sei „so nah an 'Echtzeit', wie man es nur sein kann“. Er fügte hinzu: „Daten in Form von Sterbeurkunden, die an die CDC weitergeleitet werden, haben eine Verzögerung von mindestens sechs Monaten und oft noch viel länger, besonders bei pädiatrischen Fällen. Im Moment können wir mit einiger Sicherheit sagen, dass wir wissen, was jetzt passieren wird. In Zukunft werden wir sichere Aussagen nur noch über das treffen können, was vor einem halben Jahr geschah.“

Einem von Travis geführten Tracker zufolge sind 36 US-Bundesstaaten, d. h. 72 Prozent, sowie Washington, D.C., bereits „untergetaucht“, d. h. sie melden Corona-Infektionen und Todesfälle nur noch einmal pro Woche oder seltener. Dies ist das Endergebnis der Reaktion von Regierung und Behörden auf das Auftauchen der Omikron-Variante im November 2021, deren rasche Ausbreitung dazu genutzt wurde, Covid-19-Tests und Datenmeldungen systematisch zu untergraben. Nur die World Socialist Web Site hat diesen Prozess kontinuierlich aufgedeckt.

In Zukunft werden die einzigen zuverlässigen Instrumente zur Verfolgung von Covid-19-Infektionen und Todesfällen grobe Schätzungen aus Abwasserproben oder Daten zur Übersterblichkeit sein. Obwohl diese beiden Messgrößen ungenau sind, machen sie deutlich, dass Corona nach wie vor auf der ganzen Welt enorme Opfer fordert.

Abwasserdaten aus den USA und der ganzen Welt zeigen, dass die Aufhebung aller Maßnahmen zur Eindämmung des Virus als Reaktion auf die Omikron-Subvarianten eine neue, stark erhöhte Ausgangslage für Masseninfektionen geschaffen hat. Sie reicht nahe an die Spitzenwerte der Alpha- und Delta-Varianten heran. Infolgedessen werden sich weltweit Millionen von Menschen kontinuierlich mit Corona infizieren und reinfizieren, wobei die Infektionen immer stärker auch langfristige Auswirkungen haben werden.

Die weltweit umfassendste Studie über die Auswirkungen von Reinfektionen zeigt, dass jede erneute Infektion das Risiko eines Krankenhausaufenthalts, einer Long-Covid-Erkrankung und einer Schädigung fast aller Organsysteme erhöht, wie in der folgenden Grafik zu sehen ist.

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Diese Auswirkungen in Verbindung mit dem schweren Schlag, den die Pandemie dem öffentlichen Gesundheitssystem versetzt hat, haben die Zahl der Todesfälle gegenüber der Zeit vor der Pandemie drastisch erhöht. Überall auf der Welt sind die Krankenhäuser nahe am Zusammenbruch. Immer häufiger werden Patienten in der Notaufnahme abgeladen und verbleiben dort stunden-, tage- oder sogar wochenlang unbehandelt auf den Fluren. Dies ist in erster Linie auf den grassierenden Personalmangel und Pflegenotstand zurückzuführen, den die Pandemie stark verschlimmert hat.

Nach Angaben von The Economist sind inzwischen 20,5 Millionen Todesfälle auf die Pandemie zurückzuführen. Derzeit gibt es weltweit jeden Tag mehr als 10.000 überzählige Todesfälle, womit Covid-19 weltweit die dritthäufigste Todesursache ist. In den Ländern der Europäischen Union lag die Übersterblichkeit im Dezember um 19 Prozent höher als vor der Pandemie, wobei Deutschland mit 37 Prozent den höchsten Anstieg verzeichnete.

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Die weltweiten Bemühungen, diese schreckliche Realität zu vertuschen, beweisen, dass die Kapitalistenklasse aller Länder grundlegende Lehren aus der Corona-Pandemie gezogen hat.

Zuallererst stellt für sie das öffentliche Gesundheitssystem ein Hindernis für die Anhäufung von Profiten dar. So wurde der Einsatz von Lockdowns, Massentests, Kontaktverfolgung und Quarantäne zur Verhinderung von Virusübertragungen von Anfang an als Hindernis für den Produktionsprozess und die Ausbeutung der Arbeiterklasse aufgefasst.

Der ehemalige US-Präsident Trump stand an der Spitze der „Back-to-work“-Kampagne, bei der Arbeiter an unsichere Arbeitsplätze zurückgedrängt wurden. Zu dieser Politik ließ er sich unter anderem vom Kolumnisten der New York Times, Thomas Friedman, inspirieren. Friedman hatte das Anti-Lockdown-Mantra „Das Heilmittel darf nicht schlimmer sein als die Krankheit“ geprägt. Später waren es Biden und die Demokraten, die die vollständige Wiedereröffnung von Betrieben und Schulen in Verbindung mit der Aufhebung der Maskenpflicht und aller anderen Pandemie-Maßnahmen durchsetzten.

Zweitens hat die Pandemie die herrschenden Eliten in ihrem Interesse bestärkt, die Lebenserwartung zu senken, um die Rentenverpflichtungen und andere Sozialausgaben bis in den Kern auszuhöhlen. Die eugenischen und reaktionären Äußerungen von Ezekiel Emanuel, der der amerikanischen Bevölkerung im Jahr 2014 vorwarf, „den Tod betrügen und das Leben so lange wie möglich verlängern“ zu wollen, sind zur Leitideologie der Kapitalistenklasse weltweit geworden.

Die Übersterblichkeit, ob direkt durch Covid-19 oder durch damit zusammenhängende Faktoren, ist ein Nettogewinn für die herrschende Klasse. Mehr als 90 Prozent der Corona-Todesfälle betreffen Menschen, die über 65 Jahre alt sind und keine Profite mehr erwirtschaften. Hinter den Bemühungen, die nach wie vor große Pandemiegefahr zu leugnen, steckt eine eugenische Strategie, dauerhaft ältere Menschen zu töten.

Die dritte grundlegende Lehre, die die herrschende Klasse gezogen hat und die mit den ersten beiden verbunden ist, besteht darin, dass nichts getan werden sollte, um künftige Pandemien zu verhindern oder sich auf sie vorzubereiten. Die Milliardäre haben Zugang zur besten medizinischen Versorgung, die man für Geld kaufen kann, und verfügen über private Bunker, in denen sie die nächste Katastrophe abwarten können (wie es übrigens einige schon zu Beginn der Covid-19-Pandemie taten). Den nächsten tödlichen Krankheitserreger würden sie als Mittel zur weiteren „Verringerung der Überbevölkerung“ begrüßen.

Mit dem Klimawandel und der planlosen Urbanisierung ist die Bedrohung durch künftige Pandemien keineswegs gebannt; sie nimmt vielmehr täglich zu. Allein im vergangenen Jahr verbreitete sich das Affenpockenvirus rasch in über 100 Ländern, in denen das Virus noch nie entdeckt worden war, infizierte über 85.000 Menschen und tötete bisher 266. Gleichzeitig wurden über 140 Millionen Vögel durch die hoch pathogene Vogelgrippe H5N1 getötet oder gekeult.

Erst diese Woche ist ein 11-jähriges Mädchen in Kambodscha an der Vogelgrippe gestorben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Situation als „besorgniserregend“ eingestuft und weltweit zu „erhöhter Wachsamkeit“ aufgerufen. Sollte H5N1 Mutationen entwickeln, die eine schnelle Übertragung von Mensch zu Mensch ermöglichen, wären die Folgen katastrophal. Das über die Luft übertragbare Virus hat eine Sterblichkeitsrate von mindestens 30 Prozent, die weit höher ist als die von Covid-19. Die bereits bröckelnden Gesundheitssysteme würden über Nacht zusammenbrechen.

Die Kapitalisten haben ihre reaktionären Lehren aus der Pandemie gezogen. Die internationale Arbeiterklasse muss sich ihre eigenen Lehren bewusst aneignen – vor allem, dass eine Zukunft und eine fortschrittliche Entwicklung der Menschheit im Kapitalismus unmöglich ist. Während die imperialistischen Mächte fälschlicherweise das Ende der Pandemie verkünden, rasen sie gleichzeitig Hals über Kopf auf den Dritten Weltkrieg zu, der unweigerlich den Einsatz von Atomwaffen nach sich ziehen würde.

Um die drohenden Katastrophen, die der Kapitalismus hervorbringt, zu verhindern, müssen sich die Arbeiter international auf der Grundlage eines revolutionären sozialistischen Programms zusammenschließen. Die gesellschaftlichen Ressourcen dürfen nicht länger in Krieg und privaten Profit gesteckt, sondern müssen in eine globale Wirtschaftsplanung und das öffentliche Gesundheitssystem investiert werden. So kann eine künftige sozialistische Gesellschaft die Kriegsgefahr stoppen, die Covid-19-Pandemie rasch beenden, den Klimawandel aufhalten und umkehren, die Entwicklung künftiger Pandemien verhindern und einen angemessenen Lebensstandard für alle gewährleisten. Diese grundlegenden Ziele müssen die kommenden revolutionären Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse antreiben.

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