Landesweite Zusammenstöße in Frankreich, weil Macron Rentenkürzungen ohne Parlamentsabstimmung durchsetzt

Polizeieinsatz zur Beendigung einer Demonstration auf der Place de la Concorde, gegenüber der Nationalversammlung, Paris, 16. März 2023 (AP-Foto/Thomas Padilla) [AP Photo/Thomas Padilla]

Am Donnerstagabend kam es in Städten in ganz Frankreich zu Massenprotesten, nachdem Premierministerin Elisabeth Borne angekündigt hatte, ihre Regierung wolle die Rentenkürzungen von Präsident Emmanuel Macron ohne eine Abstimmung in der Nationalversammlung durchsetzen. In der Arbeiterklasse wächst die Wut, und sie geht in eine direkte Konfrontation mit der Macron-Regierung, mit revolutionären Konsequenzen.

Macrons Polizeistaatsapparat tritt die Demokratie und den Willen der Bevölkerung mit Füßen. Er ignorierte die Tatsache, dass drei Viertel der französischen Bevölkerung gegen seine Kürzungen sind und dass sich in den letzten zwei Monaten Millionen von Arbeitern im ganzen Land an Protesten und Streiks dagegen beteiligt haben. Da 60 Prozent der Bevölkerung einen Generalstreik unterstützen, um eine Blockade der Wirtschaft durchzusetzen und Macron zur Rücknahme der Kürzungen zu zwingen, nehmen die Streiks und Proteste in Frankreich weiter zu.

In Marseille, Lyon, Lille, Toulouse, Bordeaux, Nantes, Rennes, Brest, Dijon, Angers und Besançon griff die Polizei Proteste mit Tausenden von Teilnehmern an. Zehntausende versammelten sich auf der Place de la Concorde in Paris, wo die Polizei, bewaffnet mit Tränengas, Wasserwerfern, Gummigeschossen und Sturmgewehren, anrückte, um strategisch wichtige Gebäude wie den Elysée-Palast, die Nationalversammlung und die amerikanische Botschaft zu bewachen. Als die Polizei die Demonstranten angriff, kam es zu Zusammenstößen. In den Straßen im Zentrum von Paris kam es zu Bränden, als die Demonstranten gegen die Bereitschaftspolizei kämpften. Mindestens 120 Demonstranten wurden verhaftet.

In ganz Europa entwickelt sich eine objektiv revolutionäre Situation, da der Ausbruch des Klassenkampfs mit dem blutigen Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine zusammenfällt. In Deutschland und Großbritannien streiken Millionen gegen Inflation und Lohnsenkungen, in den Niederlanden und Portugal gehen die Streiks weiter, und in Griechenland fand am Donnerstag ein Generalstreik statt. Doch obwohl die soziale Wut in ganz Europa ein gigantisches Ausmaß annimmt, hat Macron außer Unterdrückung nichts zu bieten.

Macron erklärte am Donnerstagmorgen vor seinem Ministerrat, er werde Artikel 49 Absatz 3 der französischen Verfassung anwenden. Mit diesem Artikel kann die Regierung die Nationalversammlung zwingen, ein Gesetz ohne Abstimmung anzunehmen, es sei denn, die Nationalversammlung stimmt für die Absetzung der Regierung. Im Vorfeld von Bornes Ankündigung waren Berichte aufgekommen, dass Macron, dessen Partei nur eine Minderheit in der Nationalversammlung hat, von den rechten Republikanern (Les Republicains, LR) nicht genug Stimmen für die Rentenkürzungen bekommen konnte.

Macron erklärte gegenüber dem Ministerrat, die Ablehnung seiner Rentenkürzungen durch die Nationalversammlung hätte katastrophale Folgen, angesichts der zunehmenden Finanzkrise, der Angst vor möglichen Bankenpleiten in Europa und der zunehmenden Spekulationen über die französische Staatsverschuldung. Daneben wäre die Ablehnung auch ein Schlag für Macrons Pläne, den Militäretat von 413 Milliarden Euro und die Teilnahme am Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine durch Rentenkürzungen zu finanzieren.

Macron erklärte: „Es war mein politisches Interesse und mein politischer Wille, [die Nationalversammlung über die Kürzungen] abstimmen zu lassen. Von Ihnen allen bin ich nicht derjenige, der seine Position und einen Parlamentssitz riskiert. Aber ich glaube, dass die finanziellen und wirtschaftlichen Risiken in der gegenwärtigen Situation zu groß wären.“

Macron räumte mit der Lüge auf, seine Rentenkürzungen seien notwendig, um die finanzielle Tragfähigkeit des französischen Rentensystems zu gewährleisten. In Wirklichkeit handelt es sich um eine riesige Geldspritze für die Banken und die Kriegsmaschinerie.

Der französische Aktienindex CAC-40 war im frühen Handel stark gefallen. Nach Bornes Ankündigung, im Parlament Artikel 49.3 anzuwenden, stieg er kräftig an. Da die Finanzwelt mit weiteren massiven Gewinnen rechnet, stieg der CAC-40 um über 120 Punkte und schloss bei über 7.000 Punkten.

Die Macron-Regierung verspricht, die Kürzungen um jeden Preis durchzusetzen. Borne trat in einem Interview mit dem Fernsehsender TF1 zur Hauptsendezeit auf, verteidigte ihr Vorgehen, wies die Fragen der Reporter nach dem massiven Widerstand der Bevölkerung gegen die Kürzungen zurück und versicherte, dass die Kürzungen durchgesetzt würden.

Das Gewerkschaftsbündnis, das in den letzten zwei Monaten die landesweiten Streiks und Proteste organisiert hatte und dem u.a. die sozialdemokratische CFDT und die stalinistische CGT angehören, riefen bei einer kurzen Pressekonferenz am Donnerstagabend zu einem weiteren eintägigen Proteststreik am 23. März auf.

Dieser Kurs führt die Arbeiter in Frankreich und ganz Europa in eine Sackgasse. Macron hat unmissverständlich klargemacht, dass es mit ihm nichts zu verhandeln gibt und dass er entschlossen ist, sich rücksichtslos über die öffentliche Meinung hinwegzusetzen. Wenn die Arbeiter erfolgreich Widerstand gegen Macrons Versuche leisten wollen, die Arbeiterklasse in Armut zu stürzen und in den Krieg zu zwingen, müssen sie zuerst der Gewerkschaftsbürokratie die Kontrolle über den Kampf entreißen und Aktionskomitees aufbauen, um einen politischen Kampf zum Sturz der Macron-Regierung zu führen.

Während im gesamten herrschenden Establishment Frankreichs Panik herrscht, verbreiten bürgerliche Journalisten und pseudolinke Politiker die Meinung, die Arbeiter sollten sich darauf beschränken, Macron umzustimmen oder die Abgeordneten zu bitten, einen Misstrauensantrag gegen seine Regierung zu stellen und Neuwahlen anzuordnen. Das ist ein verzweifelter Versuch, Zeit zu gewinnen und der Gewerkschaftsbürokratie Raum zu verschaffen, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen und einen revolutionären Kampf gegen Macron zu verhindern.

Die Redakteurin von Marianne, Natacha Polony, erklärte auf BFM-TV: „Dies ist der Beginn von etwas, das außer Kontrolle gerät. ... Die repräsentative Demokratie erlaubt es nicht mehr, dass die Stimme der Bevölkerung zum Ausdruck kommt.“ Ihr Redakteur Bernard Duhamel fragte verzweifelt: „Das Risiko ist, dass die Gewerkschaft nicht standhält. Wird die Gewerkschaftsführung in der Lage sein standzuhalten?“

Mitglieder der Parteienkoalition NUPES, die Jean-Luc Mélenchon für die Präsidentschaftswahl 2022 gegründet hatte, verbreiteten die Illusion, Macron und die herrschende Elite würden die Kürzungen plötzlich aufgeben. Die Grünen-Politikerin Sandrine Rousseau erklärte: „Wir befinden uns in einer großen politischen Krise.“ Sie forderte die rechten Republicains auf, die entscheidenden Stimmen für den Misstrauensantrag zu liefern und damit Neuwahlen zu erzwingen. Sie fügte hinzu: „Die Lage muss sich beruhigen. Die Regierung trägt die Verantwortung dafür, die Dinge zu beruhigen.“

François Ruffin von Mélenchons Partei Unbeugsames Frankreich (LFI) erklärte: „Die gesellschaftliche Harmonie muss wiederhergestellt werden. Macron muss zur Vernunft kommen.“ Der Vorsitzende der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs, Fabien Roussel, kündigte an, eine Petitionskampagne zu organisieren, um vier Millionen Unterschriften zu sammeln und Macron zum Umdenken zu bewegen. Roussel fragte zynisch: „Welcher Präsident der Republik würde einer solchen Petition mit Verachtung begegnen?“

Das ist Betrug. Wenn Macron bereit ist, den Widerstand von 50 Millionen Menschen in Frankreich und drei Millionen Streikenden mit Füßen zu treten, kann er eine Petition mit vier Millionen Unterzeichnern leicht ignorieren.

Die Gewerkschaftsbürokratie signalisiert in ihren Geheimverhandlungen mit den Arbeitgebern und in den Medien ebenfalls, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um die Arbeiter zu unterdrücken. Jean-Christophe Deprat von der Force ouvrière (FO), der für die öffentlichen Verkehrsmittel in Paris zuständig ist, beklagte sich über „das Risiko, dass die Lage außer Kontrolle gerät. Es besteht die Gefahr, dass es zu einem großen Durcheinander kommt, in dem jeder macht, was er will.“

Der CGT-Bürokrat Frédéric Ben aus der Energiesparte warnte: „Ein gewisser Aufstand ist möglich. Wir kämpfen gegen die Radikalisierung der Bewegungen... aber an den Streikposten sind nicht nur CGT-Mitglieder beteiligt. Die Arbeiter tun, was sie wollen.“

Diese Äußerungen kommen einem Versprechen gleich, keinen Widerstand gegen Macrons bevorstehende Niederschlagung zu mobilisieren. Bereits am Donnerstag löste die Bereitschaftspolizei in Paris Streikposten von Müllwerkern auf und verhaftete mehrere streikende CGT-Energiearbeiter, die kostenlos Energie an Arbeiterhaushalte verteilt hatten.

Nur unabhängige Basisorganisationen der Arbeiterklasse, bewaffnet mit einer revolutionären sozialistischen Perspektive, können die Versuche der Bürokratie vereiteln, die Kämpfe der Arbeiter abzuwürgen und Macron den Sieg zu verschaffen. Was sich in Frankreich anbahnt, ist keine nationale Krise, die durch Verhandlungen mit der Regierung von Macron und Borne oder ihrer Ablösung gelöst werden kann. Es ist der Ausdruck einer unlösbaren wirtschaftlichen und militärischen Krise des Weltkapitalismus in Frankreich.

Diese Krise kann nicht durch Reformen oder parlamentarische Manöver gelöst werden, sondern nur durch die Übertragung der Staatsmacht auf Organisationen der Arbeiterklasse in Frankreich, ganz Europa und international, die für den Aufbau des Sozialismus kämpfen.

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