Das Cost of War Project der Brown University veröffentlichte am Montag einen vernichtenden Bericht, laut dem infolge der von den USA geführten Kriege seit den Anschlägen vom 11. September 2001 mindestens 4,5 Millionen Menschen gestorben sind.
Das Forschungsprojekt veröffentlicht regelmäßig – sehr konservative – Schätzungen über die Zahl der direkten Opfer dieser Kriege. Im aktuellen Bericht widmet es sich jedoch den indirekten Todesfällen infolge der Zerstörungen in der Landwirtschaft, im Gesundheitswesen, Verkehr und der gesamten Wirtschaft im Zusammenhang mit diesen Kriegen.
Die erschütternde Gesamtzahl von 4,5 Millionen Todesopfern verteilt sich auf Afghanistan, den Irak, Libyen, Somalia, Syrien und Teile von Pakistan, die in den Krieg in Afghanistan einbezogen wurden. Die Todesfälle unter amerikanischen Soldaten und Söldnern, u.a. spätere Todesfälle durch Krebs, Selbstmord und andere Folgen des Kriegs, stehen nicht im Fokus.
Die geschätzte Zahl der Todesopfer durch die Kriege der USA in der jüngsten Vergangenheit strafen die Behauptung Lügen, die USA würden in den Ukraine-Krieg eingreifen, um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen. Der US-Imperialismus ist die brutalste und die mit dem meisten Blut befleckte Kraft auf dem Planeten. Wenn sich der Stellvertreterkrieg gegen Russland zu einem umfassenderen Konflikt entwickelt, in dem sogar Atomwaffen zum Einsatz kommen, besteht die Gefahr, dass die Zahl der Toten selbst die schreckliche Zahl der letzten 22 Jahre schnell übersteigen würde.
Laut der Verfasserin des Berichts, Stephanie Savell, die auch Co-Vorsitzende des Cost of War Project ist, macht der in neutraler und akademischer Sprache verfasste Bericht „keinen einzelnen Kombattanten direkt verantwortlich.“ Die Schätzungen und die begleitenden anekdotischen Schilderungen sind aber dennoch vernichtende Beweise für die Verantwortung Washingtons für die größten Verbrechen des 21. Jahrhunderts. Das gilt sowohl für demokratische, als auch für republikanische Regierungen.
Da es unmöglich war, aus den untersuchten Ländern genaue demografische Zahlen zu erhalten, und da in mehreren von ihnen noch Krieg herrscht, war es notwendig, „eine grobe Schätzung vorzunehmen, indem man ein durchschnittliches Verhältnis von vier indirekten zu einem direkten Todesfall anwendet.“ Diese Schätzung basiert auf einer Studie des Sekretariats der Genfer Erklärung aus dem Jahr 2008, die sich mit allen Kriegen seit Anfang der 1990er befasste. Sie war zu dem Schluss gekommen, dass das Verhältnis von indirekten zu direkten Todesfällen zwischen drei und fünfzehn lag.
Ausgehend von früheren Studien des Cost of War Project, laut denen die Gesamtzahl der direkten Todesopfer dieser Kriege bei etwa 900.000 lag (eine konservative Schätzung, wenn man bedenkt, dass das Magazin The Lancet Schätzungen veröffentlicht hat, laut denen allein im Irak-Krieg 600.000 Menschen getötet wurden), ergibt die Multiplikation dieser Zahl mit vier eine indirekte Gesamtzahl von 3,6 Millionen. Addiert man beide Zahlen, ergibt sich die endgültige Schätzung für alle Todesfälle: 4,5 Millionen.
Unabhängig davon, wie groß die Fehlermarge einer solchen Schätzung sein mag, ist bereits die grob geschätzte Zahl erschreckend. Sie ist eine erschütternde Anklage gegen den kolossalen menschlichen Blutzoll der „Kriege des 21. Jahrhunderts“, wie Präsident George W. Bush sie unbekümmert nannte, als er die Kriege in Afghanistan und im Irak entfesselte. Barack Obama setzte beide Kriege fort und fügte drei weitere (Libyen, Syrien und Jemen) hinzu, wobei er in den letzten beiden Stellvertreterkräfte einsetze. Donald Trump und Joe Biden setzten alle fünf in der einen oder anderen Form fort.
In einem modernen Nürnberger Prozess würden alle vier Präsidenten auf der Anklagebank sitzen, angeklagt wegen der Führung völkerrechtswidriger Angriffskriege und der Verantwortung für massenhaftes Sterben und Leiden.
Den sechsten dieser Kriege, in Somalia, hatte bereits Bushs Vater mit der ersten Intervention 1992 begonnen. Seither haben alle US-Regierungen immer wieder Luftangriffe, Überfälle von Spezialeinheiten und Drohnenangriffe durchgeführt und Blockaden von Nahrungsmittelieferungen und anderen humanitären Hilfsgütern für die eine oder andere Region oder für das ganze Land verhängt. Dazu kamen Invasionen von US-Stellvertreterkräften aus Äthiopien und Kenia in das Land.
Das Cost of War Project nennt vier miteinander verbundene Hauptursachen für das Massensterben infolge dieser Kriege:
- Wirtschaftlicher Zusammenbruch, Verlust von Lebensgrundlagen und Ernährungsunsicherheit,
- Zerstörung der öffentlichen Dienstleistungen und der Gesundheitsinfrastruktur;
- Umweltverschmutzung;
- anhaltende Traumatisierung und Gewalt
Das wohl am stärksten verwüstete Land ist Afghanistan, das von den USA 20 Jahre lang besetzt und mit Krieg überzogen wurde. Zuvor hatte dort seit dem Einmarsch der Sowjetunion zehn Jahre lang ein Guerillakrieg getobt, danach sieben Jahre Bürgerkrieg bis zur Machtübernahme der Taliban, die das Land vor der US-Invasion fünf Jahre lang regiert hatten.
Die Sterblichkeitsrate in Afghanistan ist heute in allen Bevölkerungsgruppen höher als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in dieser schrecklichen Geschichte. Im Bericht heißt es:
Die Wirtschaft Afghanistans ist zusammengebrochen, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt heute in extremer Armut, mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag. Die Lage ist katastrophal: 95 Prozent der Bevölkerung bekommt nicht genug zu essen, und in Haushalten, die von Frauen geführt werden, sind es sogar 100 Prozent. Schätzungsweise 18,9 Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung, litt im Jahr 2022 unter akuter Ernährungsunsicherheit. Darunter befinden sich 3,9 Millionen Kinder, die akut unterernährt sind oder an „Schwindsucht“ leiden, d.h. sie nehmen nicht genügend essenzielle Nährstoffe zu sich, was ernsthafte physiologische Konsequenzen hat. Eine Million afghanischer Kinder befindet sich in Lebensgefahr.
Außer in einigen wenigen Großstädten gibt es praktisch im ganzen Land kein Gesundheitssystem. In dem Bericht heißt es: „Nach dem Rückzug der USA aus Afghanistan kam die gesamte Finanzierung der Gesundheitsversorgung aus dem Ausland abrupt zum Erliegen. Einen Monat später wurde berichtete, dass mehr als 80 Prozent der afghanischen Gesundheitseinrichtungen nicht mehr funktionieren.“
Am schlimmsten ist die Situation für diejenigen, deren Leben gerade erst begonnen hat. In der Studie heißt es dazu: „In Afghanistan starb zwischen Januar und März 2022 jedes zehnte Neugeborene, mehr als 13.000 in nur drei Monaten.“
Die Anthropologin Anila Daulatzi erklärte nach einem Besuch in Kabul: „In einem Land wie Afghanistan stellt sich die dringende Frage, ob es bei einem einzigen Todesfall keinen Zusammenhang zum Krieg gibt.“
In den meisten untersuchten Ländern war die Zerstörung der Landwirtschaft und des Gesundheitswesens keine ungeplante Nebenerscheinung des Kriegs, sondern ein wesentliches Ziel. Zu Syrien hieß es in dem Bericht:
Verschiedene Parteien, darunter die Regierungen Syriens, Russlands, der USA sowie militante Gruppen wie der Islamische Staat und die al-Nusra-Front, haben Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen bombardiert.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Im Jemen hat das von den USA unterstützte saudische Militär Bauernhöfe, Lebensmittellager, Lebensmittelgeschäfte und sogar Fischerboote bombardiert, um die Bevölkerung auszuhungern. Im Irak bombardierten die USA gezielt Gesundheitseinrichtungen und Fabriken für Medikamente.
Der Irak verfügte über eins der modernsten Gesundheitssysteme im Nahen Osten. Doch in den fünf Jahren nach dem US-Einmarsch ab 2003 hat die Hälfte aller Ärzte, insgesamt 18.000, das Land verlassen. Mit dem Aufstieg des IS und der Verschärfung des Bürgerkriegs im Jahr 2014 haben weitere 5.400 Ärzte das Land verlassen, sodass heute nur noch nur eine Notbesetzung übrig ist.
Die Studie des Cost of War Project konnte aktuelle Berichte über die Unterernährung von Kindern zusammentragen, die auf den Berichten von Entwicklungshelfern und Regierungen basieren. Sie schätzt, dass „in diesen Ländern derzeit 7,6 Millionen Kinder an Auszehrung oder unter akuter Unterernährung leiden.“ Die Hälfte davon lebt in Afghanistan, ein Großteil der übrigen im Jemen.
Im Jemen hat das saudische Militär schätzungsweise 24.000 Luftangriffe auf ein Land mit 33 Millionen Einwohnern geflogen. Dabei benutzten sie Bomben und Kampfflugzeuge, die ihnen die imperialistischen Mächte geliefert haben, vor allem die USA. Amerikanische und britische Militärs liefern ihnen die Daten und Ziele dazu. Laut der Studie richteten sich 7.000 dieser Angriffe auf nicht-militärische Einrichtungen, 8.000 auf militärische Einrichtungen und 9.000 auf Ziele, die nicht bestimmt werden konnten.
In Libyen nahmen die USA die Führungsrolle bei der Bombardierung des Landes während des Nato-Kriegs im Jahr 2011 ein, der zum Sturz und der grauenhaften Ermordung des langjährigen Herrschers Muammar Gaddafi führte. Sie setzten ihre Rolle während des langen Bürgerkriegs fort, in dem islamische Aufständische eine große Rolle spielten. Einige von ihnen wurden von den USA unterstützt, andere waren ihre Gegner.
Laut einem Bericht des Pentagon haben die USA von August bis Dezember 2016 auf Sirte, Gaddafis Geburtsort, das damals vom IS kontrolliert wurde, 500 Luftangriffe durchgeführt – davon 300 mit Drohnen und 200 mit bemannten Flugzeugen. Das Cost of War Project weist darauf hin, dass „dieses Bombardement intensiver war als in vergleichbaren Zeiträumen der US-Luftangriffe in Syrien und dem Irak.“
Diese Kriege haben zahllose weitere Folgen: riesige Mengen von nicht explodierten Kampfmitteln, Umweltzerstörung, weit verbreitete psychische Probleme wie posttraumatische Belastungsstörungen, die Zerstörung von Abwassersystemen und anderer für die öffentliche Gesundheit wichtiger Infrastruktur. Zum letzteren Thema heißt es in dem Bericht: „Die wichtigsten Todesursachen bei irakischen Kindern unter fünf Jahren sind Infektionen der unteren Atemwege, Durchfall und Masern.“
Eine der wichtigsten Folgen dieser Kriege ist die Vertreibung von Dutzenden Millionen Menschen. Die Studie schätzt, dass in den Kriegen seit dem 11. September 2001 mehr als 38 Millionen Menschen vertrieben wurden, die Mehrheit davon (53 Prozent) sind Kinder.
In Syrien wurde mehr als die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung vertrieben: 5,6 Millionen leben als Flüchtlinge in anderen Ländern, und 6,5 Millionen sind Binnenflüchtlinge. In Afghanistan gab es 2022 vier Millionen Binnenflüchtlinge, 60 Prozent davon Kinder. Im Jemen gab es im Jahr 2019 3,6 Millionen Binnenflüchtlinge, allerdings nur wenige Flüchtlinge, da die Flucht über das Meer oder durch Saudi-Arabien schwierig ist.
Der Bericht endet mit einer Schlussfolgerung, die so schwach und kurz ist – mit einem Appell an die diversen Regierungen, einschließlich der US-amerikanischen, ihre Politik zu ändern –, dass deutlich wird, dass die Autorin selbst nicht daran glaubt. Und das aus gutem Grund. Die einzige vernünftige Antwort auf diese verheerenden Fakten und Zahlen ist der Aufbau einer revolutionären sozialistischen Bewegung auf Grundlage der internationalen Arbeiterklasse mit dem Ziel, dem Imperialismus und all seinen Verbrechen ein Ende zu setzen.