Der Nato-Gipfel im litauischen Vilnius findet am Dienstag und Mittwoch vor dem Hintergrund einer Medienkampagne statt, die ein direktes Eingreifen von Nato-Truppen gegen Russland fordert, um den Kollaps der ukrainischen Kriegsanstrengungen zu verhindern.
Diese Kampagne nimmt die Form der Forderung an, dass die Ukraine in die Nato aufgenommen wird. Sollte dies geschehen, würde die Ukraine unter Artikel 5 der Nato fallen, was wiederum bedeuten würde, dass die Vereinigten Staaten vertraglich verpflichtet sind, einen Krieg gegen Russland zu führen.
Ob durch die Aufnahme der Ukraine in das Nato-Bündnis oder durch die Schaffung von „Sicherheitsgarantien“ – es wird bewusst der diplomatische Rahmen für einen direkten Eintritt von Nato-Truppen in den Konflikt geschaffen.
Die Medienkampagne spiegelt die in den höchsten Rängen der Nato-Regierungen vorherrschende Haltung wider und hat einen zunehmend wahnhaften und besinnungslosen Charakter angenommen – die großen Zeitungen schreien nach einem dritten Weltkrieg.
In einem Artikel mit dem Titel „A NATO Invitation Will Make or Break Ukraine“, der im Redaktionsteil der New York Times veröffentlicht wurde, heißt es: „Jetzt ist es an der Zeit, Moskaus imperialistische Träume zu begraben. Es gibt keinen besseren Weg, als der Ukraine jetzt in Vilnius eine politische Einladung zum Nato-Beitritt auszusprechen.“
Die Autorin Aljona Getmantschuk bezeichnet die Befürchtung, dass ein solcher Konflikt den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu veranlassen würde, „sein Atomwaffenarsenal zu zücken“, als „Händeringen“. Sie schreibt:
Wie schon in den vergangenen Jahren ist das Händeringen über die Risiken wieder aufgeflammt, die mit einer Aufnahme der Ukraine in die Nato verbunden sind. Und wieder geht es um die Gefahr, Putin weiter zu provozieren... Die russische Armee hat in einer militärischen Konfrontation mit der Nato keine Chance; sie kommt mit den Streitkräften der Ukraine kaum zurecht.
Aus dieser Aussage spricht schierer Wahnsinn. Bei der Beurteilung der Gefahren, die von einem Krieg zwischen zwei nuklear bewaffneten Staaten ausgehen, ist die relative Stärke der konventionellen Streitkräfte beider Seiten bedeutungslos.
Für den Fall, dass Nato-Militär Russland zu besiegen droht, sieht Russlands Militärdoktrin vor, Atomwaffen einzusetzen und einen Atomkrieg auszulösen. In einem solchen Krieg wäre allein das russische Atomwaffenarsenal in der Lage, nicht nur jede größere Stadt in Amerika zu zerstören, sondern der menschlichen Zivilisation insgesamt ein Ende zu setzen.
Getmanchuk betont, dass die Zeit drängt, damit die Entscheidung, Krieg gegen einen nuklear bewaffneten Staat zu führen, nicht zu einem Thema bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen wird:
Einige zögernde Nato-Führer könnten sagen, dass sie nichts gegen eine Einladung der Ukraine in das Bündnis im Allgemeinen haben, doch der Zeitpunkt sei nicht günstig. Aber gibt es so etwas wie ein perfektes Timing? Nächstes Jahr, auf dem Nato-Gipfel in Washington, während die Vereinigten Staaten mitten im Präsidentschaftswahlkampf sind? Das erscheint zweifelhaft.
Eine noch gestörtere Forderung nach einem Kriegseintritt der USA kam von Guardian-Mitherausgeber Simon Tisdall, der am Wochenende in einen Meinungsartikel einen direkten Eintritt von Nato-Truppen in den Krieg forderte. Unter dem Titel „Die Nato muss endlich eingreifen, um Russland zu stoppen“, fordert Tidsall: „Also bitte keine Bedingungen, Ausflüchte und pfiffigen Vorbehalte mehr. Die Nato muss ihre beträchtliche Macht entfalten, um den ukrainischen Sieg zu sichern.“
Tisdall erklärt, dass „die Ukraine [der Nato] beschleunigt beitreten sollte“, und verrät die zentrale Motivation für diese Kampagne: „Doch so wichtig diese Frage auch ist, die Nato steht diese Woche vor einer weitaus größeren Frage: ob sie genug tut, um sicherzustellen, dass Kiew den Krieg gewinnt – oder zumindest nicht verliert.“
Monatelang hatten die US-Medien die Frühjahrsoffensive der Ukraine angekündigt und atemlos als entscheidenden Wendepunkt des Krieges verkündet. Vor etwas mehr als einem Monat verkündete der Economist, „westliche Militärs glauben, dass Russlands schlecht motivierte und schlecht ausgebildete Truppen, die nach monatelangen erfolglosen Offensiven erschöpft sind, Schwierigkeiten haben könnten, die Schützengräben und Befestigungen zu verteidigen“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Angesichts des Scheiterns der ukrainischen Offensive – die dem Tode zehntausender Soldaten zum Trotz nichts bewirkt hat – behaupten die US-Medien nun, die einzige Möglichkeit, das Kiewer Regime vor einem militärischen Debakel zu bewahren, bestehe darin, direkt einzugreifen.
Das Treffen in Vilnius war als ein Gipfel der Sieger konzipiert. Stattdessen treffen sich die Nato-Mächte vor dem Hintergrund militärischen Scheiterns: Das Treffen wird ein „Gipfel der Verzweifelten“ sein. Alle Nato-Regime befinden sich in einer tiefen inneren Krise, die durch ein Scheitern des von ihnen hervorgerufenen Krieges noch verschärft würde.
Nachdem die USA im Mai angekündigt hatten, angesichts des Sturzes von Bakhmut F-16-Kampfjets in die Ukraine zu schicken, warf die World Socialist Web Site die Frage auf: „Wie werden die Vereinigten Staaten auf dieses jüngste Debakel reagieren? Wie weit kann Washington noch eskalieren? Kann irgendjemand bezweifeln, dass nach der Entsendung moderner Kampfjets in die Ukraine in der Presse Forderungen laut werden, Biden solle ‚defensive‘ Atomwaffen in die Ukraine liefern oder sogar Nato-Truppen – ob zu Lande oder zu Luft – direkt in die Schlacht schicken?“
Diese Vorhersagen haben sich innerhalb weniger Monate bestätigt.
Am Sonntag sagte Biden, dass es für einen Nato-Beitritt der Ukraine „verfrüht“ sei. „Wir befinden uns im Krieg mit Russland, wenn das der Fall wäre“, sagte Biden. Diese Erklärung muss im Zusammenhang mit Bidens Statement vom Februar 2022 gesehen werden, als er sagte: „Die Idee, dass wir Offensivausrüstung schicken und Flugzeuge, Panzer und Züge senden... das nennt man den Dritten Weltkrieg“, woraufhin die Vereinigten Staaten Kampfpanzer und F-16 in Bewegung setzten. Jede einzelne rote Linie, von der die Biden-Regierung behauptete, sie würde sie in der Ukraine nicht überschreiten, wurde schließlich überschritten – in einigen Fällen nur Wochen oder sogar Tage später.
Die unerbittliche Eskalation des Krieges wird ohne die direkte Intervention der Arbeiterklasse weitergehen, die mit einer eigenen internationalen Kampagne gegen den Krieg reagieren muss. Die gleiche kapitalistische Krise, die die unerbittliche Eskalation des Krieges mit Russland vorantreibt, schafft auch die Grundlage für eine solche Bewegung. Während des gesamten Jahres haben Millionen Arbeiter an Massenstreiks und Demonstrationen teilgenommen, die durch die explodierenden Lebenshaltungskosten und die extreme Ausbeutung ausgelöst wurden.
Es ist dringend notwendig, die entstehende Bewegung der Arbeiterklasse mit dem Kampf gegen den Imperialismus zu verbinden, der die Menschheit unaufhaltsam an den katastrophalen Rand eines Atomkriegs treibt. Es ist unerlässlich, die Opposition gegen Militarismus und Krieg mit der Opposition gegen Ungleichheit, Ausbeutung und das kapitalistische System zu verbinden.