Gründungstreffen des Aktionskomitees Bahn beschließt Kampf gegen Schlichtungsergebnis und gegen Spaltung der Belegschaften

Am Dienstagabend fand das Gründungstreffen des Aktionskomitees Bahn statt, an dem über 60 Bahnbeschäftigte, aktive und ehemalige Verkehrsarbeiter aus anderen Unternehmen und weitere Unterstützer teilnahmen.

Streikende Bahnbeschäftigte im April 2023 in Berlin

Das Interesse an diesem konstituierenden Treffen war groß. Viele mussten wegen Schichtarbeit absagen, aber einige hatten sich dennoch auf der Arbeit eingeloggt und hörten gemeinsam mit Kollegen von der Arbeit aus zu. Aus dem südamerikanischen Amazonas-Gebiet schaltete sich Klaus*, ein ehemaliger Eisenbahner, zu, um seine Solidarität auszudrücken. Zum Schluss wurde die Resolution, in der zu einer energischen Offensive gegen das Schlichtungsabkommen und zur Vorbereitung eines Streiks aufgerufen wird, mit überwältigender Mehrheit angenommen.

Die Resolution beschreibt anfangs das Selbstverständnis des Aktionskomitees:

Das Aktionskomitee Bahn ist ein Zusammenschluss von Bahnbeschäftigten mit und ohne Gewerkschaftsbuch, die nicht länger bereit sind, die Vorherrschaft des EVG-Apparats zu akzeptieren. Nicht die EVG-Funktionäre, von denen viele im Aufsichtsrat sitzen und gekauft sind, entscheiden, sondern die Basis. Unser Ziel ist es, die massiven Angriffe auf unsere Löhne und Arbeitsbedingungen abzuwehren. Unsere Rechte auf angemessenen Lohn und erträgliche Arbeitsbedingungen stehen höher als die Profitinteressen des Bahnvorstands, der Investoren und Spekulanten.

Dietmar Gaisenkersting, Redakteur der World Socialist Web Site, leitete die Diskussion mit einem kurzen Beitrag ein. Immer, wenn er auf die Auswirkungen des Schlichtungsabkommens und die Rolle der EVG-Funktionäre zu sprechen kam, gingen die Daumen als Zeichen der Unterstützung hoch. So als er sagte, die große Kampfbereitschaft habe die EVG gezwungen, viele Tausende zu Warnstreiks aufzurufen, die dann teilweise das ganze Land lahmlegten.

Doch anstatt nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen einen Streik vorzubereiten und zu organisieren, habe die EVG „an den Schlichtungsverhandlungen teilgenommen und ein Ergebnis akzeptiert, dass sich kaum vom letzten Angebot der Bahn unterschieden hat“.

Die jetzt vorgesehene Senkung der Reallöhne sei riesig und treffe jeden, so Gaisenkersting. Die EVG plane dies „mit dem alten Mittel der Spaltung“ durchzusetzen. „Einige – vor allem die unteren – Entgeltgruppen erhalten mehr“, bei den oberen Gruppen werde eingespart.

Im Chat und in der anschließenden Diskussion machen Eisenbahner ihrem Unmut Luft. „Wir sind verraten, verkauft und vor den Karren gespannt worden. Die EVG hat nur pro Bahn entschieden“, stellt Karsten fest. Ein anderer erinnert: „Die EVG hat mehrmals die Eisenbahner verraten.“ Er habe „dieser Gewerkschaft schon lange den Rücken gekehrt“.

Timo berichtet: „In unserer Gruppe läuft der Chat schon heiß von der Propaganda der Betriebsräte, dass der Schlichterspruch so toll ist und dass er unbedingt angenommen werden soll.“

André fragt: „Kann man dem Abstimmungsergebnis überhaupt trauen? Wer kontrolliert die Abstimmung?“ Er setzt hinzu: „Je mehr Leute den Inhalt des Schlichterspruchs kennen, desto mehr werden ihn ablehnen. Ich habe gesehen, dass Busfahrer nur dann Geld bekommen, wenn sie während der Corona-Pandemie gesund geblieben sind. Wenn wir diese Dinge transparent machen und sie den Leuten an die Hand geben, dann werden wir noch viel mehr sein.“

Diana aus Duisburg hofft, „dass wir die 75 Prozent zusammenkriegen, um die Schlichtung abzulehnen, denn viele Leute haben ihre Mitgliedschaft bei der EVG aus Protest bereits gekündigt. Ich habe 1993 bei der Bahn angefangen und bin jetzt seit 30 Jahren im Unternehmen. Ich kann nachvollziehen, dass manche überlegen, dem Ergebnis zuzustimmen, weil man jetzt Geld haben will, weil Dinge wie die Stromkosten und die Gasrechnung im Raum stehen. Die Einmalzahlung ist für manch einen viel Geld.“

Sie weist darauf hin, dass die Reallohnsenkungen weitreichende Folgen haben. „Man muss das Ganze auch längerfristig sehen. Je weniger Lohnerhöhung wir haben, umso weniger zahlen wir in die Rentenkasse ein. Das Rentensystem ist schon jetzt eine Farce. Die jungen Leute, die jetzt bei der Bahn oder andernorts anfangen zu arbeiten, müssen noch 50 Jahre arbeiten gehen. Einige bei uns bei der Bahn verdienen noch nicht einmal den Mindestlohn. Das ist ein Irrsinn. Schon jetzt kommen Leute nicht mit ihrer Rente klar. Wenn alles teurer wird, was soll man sich dann bei dem Renteneintrittsalter überhaupt noch leisten können? Dann geht man Flaschen sammeln, wenn es überhaupt noch Pfandflaschen gibt.“

Ein Teilnehmer wirft die Frage auf, was zu entgegnen sei, wenn EVG-Funktionäre drohen, dass in der Bevölkerung angeblich keine Unterstützung für einen Streik der Eisenbahner bestehe. Darauf antwortet Dietmar Gaisenkersting: „Ein unbefristeter massiver Streik bei der Bahn stoppt das gesamte Land und hat den Charakter eines Generalstreiks. Das ist es, was alle in den Chefetagen fürchten und auch die EVG.“

Andere Beschäftigte würden ein solches Signal für einen Generalstreik begrüßen, sie warteten förmlich darauf: „Endlich nimmt jemand den Kampf gegen die ständigen Angriffe auf, gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, gegen die sinkenden Reallöhne, weil alles immer teurer wird, aber die Löhne nicht mithalten können“, erklärt Gaisenkersting. „Das hätte eine enorme Resonanz.“

Die Frage, warum die EVG ihren gesamten Apparat einsetzt, um einen Streik zur Durchsetzung der ursprünglichen Forderung zu verhindern, und ob die Lokführer-Gewerkschaft GDL eine Alternative sei, führt zu einer Diskussion über den Charakter der Gewerkschaften insgesamt.

„Die Gewerkschaftsapparate sind Teil des kapitalistischen Ausbeutungssystems“, erklärt WSWS-Redakteur Ulrich Rippert. „Ihre Funktionäre sitzen in den Aufsichtsräten und sind Teil des Managements, sie nennen sich sogar so: Co-Manager.“ Leute wie der EVG-Vorsitzende Burkert wechselten vom Gewerkschaftsvorstand in den Bundestag und zurück, einer seiner Vor-Vorgänger, Norbert Hansen, sei von der Gewerkschaft in den DB-Vorstand gewechselt.

Fast die gesamte EVG-Spitze sei in der SPD: Martin Burkert, Cosima Ingenschay, Frank Hauenstein, die Pressesprecherin der EVG Anne Jacobs und viele mehr. Sie seien in einer Partei mit Kanzler Scholz und gingen im Bundestag ein und aus. Sie unterstützten die Bundesregierung bei der Durchsetzung von Reallohnsenkungen, die sie im letzten Jahr nicht nur bei der Bahn, sondern auch in anderen Bereichen wie der Post oder dem öffentlichen Dienst vereinbart hatten, wo auch Aktionskomitees aufgebaut würden.

Die GDL sei dabei keine Alternative zur EVG, sagt Rippert. „Christian hat das ja gerade schon im Chat völlig korrekt gepostet: [GDL-Chef Claus] Weselsky ist CDU Mitglied. Er vertritt nicht nur konservative, sondern sehr rechte Standpunkte. Auch er steht völlig auf der Seite der Bundesregierung und des Bahnvorstands und will lediglich die Lokführergewerkschaft nutzen, um den Unmut, der unter den EVG-Mitgliedern besteht, auf die GDL zu lenken.“

Nicht nur die EVG und die GDL stünden völlig auf der Seite der Unternehmen und der Regierung. Dasselbe gelte für Verdi, die IG Metall, die IGBCE und alle anderen Gewerkschaften. „Daher ist es wichtig, dass wir uns unabhängig organisieren“, schließt Rippert.

Die Diskussion wird im weiteren Verlauf sehr politisch. Mehrere Redakteure der WSWS und Mitglieder der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), die die Gründung von Aktionskomitees unterstützen, beteiligen sich daran. So sei der gegenwärtige Tarifkampf bei der Bahn Teil einer umfassenderen Entwicklung. Seit vielen Jahren finde ein systematischer Abbau von Löhnen und Sozialleistungen statt. Das Durchschnittseinkommen eines DAX-Managers habe im letzten Jahr bei 3,2 Millionen Euro gelegen, mehr als 40 mal so viel wie ein Durchschnittsarbeiter verdiene.

Der Ukraine-Krieg habe diese Kluft drastisch verschärft. Die Kosten der militärischen Aufrüstung würden durch Lohnsenkung und soziale Sparprogramme der arbeitenden Bevölkerung aufgezwungen. In der Resolution heißt es daher, dass der Kampf gegen Lohnsenkung mit dem Kampf gegen Krieg und Aufrüstung verbunden werden muss.

Weil alle Probleme der Vergangenheit zurückkommen – Armut, Krieg, Diktatur und das Anwachsen faschistischer Parteien – plädiert Rippert dafür, für ein internationales sozialistisches Programm zu kämpfen.

Daraufhin meldet sich ein Bahnarbeiter aus Ostdeutschland zu Wort und betont, er habe „30 Jahre im Sozialismus gelebt“ und wolle nicht dahin zurück. Rippert unterstreicht den Gegensatz zwischen Sozialismus und Stalinismus: „Gerade für uns Arbeiter ist es sehr wichtig dieser großen Lüge und Geschichtsfälschung entgegenzutreten, die die Verbrechen der stalinistischen Diktatur in der DDR und in der Sowjetunion mit Sozialismus gleichsetzen. Sozialismus ist nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft.“

Es wird vereinbart, auf einem nächsten Treffen diese Fragen weiter zu diskutieren.

Nach lebhafter Diskussion wird dann die Resolution beschlossen, die es Arbeiterinnen und Arbeitern ermöglicht, den Ausverkauf durch die EVG zu verhindern und für ihre Rechte zu kämpfen. Sie schließt mit den folgenden unmittelbaren Maßnahmen, die nun ergriffen werden müssen:

  • Nein zum Schlichtungsangebot! Unterstützt dazu eine offensive Kampagne. Organisiert in allen EVG-Basisgremien, in den Orts- und Betriebsgruppen Treffen, um darüber zu diskutieren, weshalb das Schlichtungsangebot abgelehnt werden muss.
  • Kein Vertrauen in den EVG-Vorstand! Die angelaufene Urabstimmung muss unter voller Kontrolle der Basis stattfinden. Vertrauenswürdige Kollegen müssen den Dienstleister der Online-Wahl und v. a. die Ergebnisberechnung und -verbreitung kontrollieren. Das Ergebnis muss transparent und nachprüfbar sein.
  • Bereitet Streiks vor! Der Bundesvorstand der EVG will nicht streiken und hat dementsprechend auch keine Vorbereitungen getroffen. Zwischen Ablehnung des Schlichtungsangebots und dem Streik dürfen nicht Wochen vergehen!
  • Um das durchzusetzen, rufen wir alle Kolleginnen und Kollegen auf, in ihren Betriebsstätten und Niederlassungen Aktionskomitees zu gründen, die den Interessen aller Beschäftigten verpflichtet sind – auch über die EVG hinaus. Wir reichen den Kolleginnen und Kollegen der GDL, anderer Gewerkschaften oder den Unorganisierten die Hand, wenn ihnen ernsthaft an der Verteidigung unserer gemeinsamen Interessen liegt.

Alle Bahnbeschäftigten, die diese Maßnahmen unterstützen, rufen wir auf, sich dem Aktionskomitee anzuschließen! Meldet euch per Whatsapp unter +49-163-337 8340 und registriert euch auch über das unten stehende Formular.

* Die Namen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden von der Redaktion geändert.

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