Die politischen Lehren aus den Wahlen in Thailand 2023

Am 22. August, mehr als drei Monate nach den Parlamentswahlen in Thailand vom 14. Mai, wurde mit Srettha Thavisin ein reicher Immobilienmagnat von der Pheu-Thai-Partei (PT) zum Premierminister gewählt. Er bildet eine Koalition mit den beiden pro-militärischen Parteien des Landes. Damit beweist die Pheu-Thai-Partei, dass sie den Anspruch einer demokratischen Alternative vollständig aufgegeben hat. Obwohl sie 2006 und 2014 in Staatstreichen der Armee gestürzt worden war, stützt sie sich jetzt auf das Militär.

Der thailändische Premierminister Srettha Thavisin in der Parteizentrale von Pheu Thai in Bangkok (Thailand) am 24. August 2023 [AP Photo/Sakchai Lalit]

Das gesamte Wahlverfahren, wie es die von der Militärjunta 2017 durchgesetzte Verfassung vorsieht, war von Anfang bis Ende undemokratisch. Der Premierminister, und damit die Regierung, werden nicht von einem gewählten Unterhaus bestimmt, sondern durch eine gemeinsame Sitzung mit dem Oberhaus, das ausschließlich vom Militär berufen wird. Die Fortschrittspartei, welche die meisten Sitze erhalten hat, wurde von den vom Militär ernannten Vertretern blockiert, und ihr Vorsitzender wegen fingierter Vorwürfe vor dem Verfassungsgericht angeklagt.

Ähnliche Maßnahmen wurden auch gegen Pheu Thai ergriffen, die bei den Wahlen 2019 die Mehrheit der Sitze errang. Als der Putschführer von 2014 Prayut Cahn-o-cha wieder als Premierminister eingesetzt wurde und gegen die Oppositionsparteien vorging, brachen Massenproteste aus, die vor allem von der Jugend getragen und mit Gewalt unterdrückt wurden.

Dass das Militär seinem erbitterten politischen Gegner Pheu Thai erlaubt hat, die Regierung zu bilden, zeigt die Angst in herrschenden Kreisen, dass erneute Proteste wie 2020–21 angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Krise Teile der Arbeiterklasse einbeziehen könnten. Die Partei hat mittlerweile ihr Wahlversprechen aufgegeben, keine Koalition mit den Parteien des Militärs einzugehen. Sie wird mit dem Militär zusammenarbeiten, der arbeitenden Bevölkerung eine Sparpolitik aufzwingen und jeden Widerstand unterdrücken.

Was die Fortschrittspartei angeht, die von den früheren Protesten profitieren konnte und – zumindest in Worten ­– Vorschläge für begrenzte demokratische Reformen unterbreitete, so hat sie sich nahezu ohne ein Wort des Protests an den Rand drängen lassen. Sie hat zwar formal gegen den neuen Premierminister gestimmt, um sich weiterhin als Opposition zu inszenieren, aber keinen Widerstand oder Demonstrationen gegen das undemokratische Wahlergebnis mobilisiert.

Sowohl Pheu Thai als auch die Fortschrittspartei haben alles in ihrer Macht Stehende getan, um jeden Widerstand innerhalb der Zwangsjacke des Parlaments und der Gerichte zu halten – ein System, das vom Militär manipuliert wird, um die traditionellen Eliten aus dem Umfeld der Monarchie zu begünstigen. Beide Parteien wurden von Wirtschaftsmagnaten gegründet und repräsentieren abweichende Flügel der thailändischen Kapitalistenklasse, die ihre Interessen gegen die erdrückende Vorherrschaft des konservativen Establishments durchsetzen wollen.

Für viele Jugendliche, Arbeiter und arme Landbewohner, die Pheu Thai und die Fortschrittspartei gewählt haben, weil sie in ihnen eine fortschrittliche Alternative sahen, die demokratische Rechte garantieren und den Lebensstandard verbessern würde, ist das Wahlergebnis eine herbe Enttäuschung. Es ist notwendig, zu verstehen, warum es dazu kam, und vor allem, wie es politisch weitergehen muss.

Leo Trotzki erklärte vor mehr als einem Jahrhundert in seiner Theorie der permanenten Revolution, dass in Ländern mit einer verspäteten kapitalistischen Entwicklung kein Teil der Bourgeoisie, auch nicht die so genannten demokratischen und liberalen Flügel, in der Lage ist, einen politischen Kampf für grundlegende demokratische Forderungen und die sozialen Bedürfnisse der Massen zu führen.

Im Unterschied zu den klassischen bürgerlich-demokratischen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts in Europa und Amerika waren die schwachen Kapitalistenklassen in Ländern wie Russland mit einer mächtigen Arbeiterklasse konfrontiert, die ihre Existenz bedrohte. Wenn sie mit einer Massenbewegung konfrontiert ist, verbündet sich selbst die liberale Bourgeoisie unweigerlich mit der Reaktion gegen die arbeitende Bevölkerung.

Trotzki stellte fest, dass die demokratischen Aufgaben deshalb notwendigerweise der Arbeiterklasse zufallen, die die ländlichen Massen anführen muss. Die Arbeiterklasse führt diesen Kampf mit ihren eigenen Klassenmethoden als Teil des Kampfs für den Sozialismus. Dieser politische Kampf weitet sich notwendigerweise von der nationalen auf die internationale Ebene aus und ist Teil der sozialistischen Weltrevolution.

Die Theorie der permanenten Revolution bildete die theoretische Grundlage für die Russische Revolution von 1917 unter der Führung von Trotzki und Lenin, die den ersten Arbeiterstaat an die Macht brachte und dem weltweiten Kampf für den Sozialismus einen gewaltigen Auftrieb verlieh. Doch Stalins Regime riss die politische Macht an sich, vertrat die antimarxistische Theorie des „Sozialismus in einem Land“ und war verantwortlich für schreckliche Niederlagen der internationalen Arbeiterklasse. Diese Entartung des Arbeiterstaats führte zur Auflösung der Sowjetunion 1991 durch die stalinistische Bürokratie.

Die Theorie der permanenten Revolution wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts zahllose Male auf negative Weise bestätigt, nicht zuletzt in Asien, wo die stalinistischen Parteien die Arbeiterklasse und die Bauernschaft immer wieder dem einen oder anderen angeblich fortschrittlichen Flügel der Bourgeoisie unterordneten. Die stalinistische Zwei-Stufen-Theorie der Revolution – erst die demokratische Revolution unter Führung der Bourgeoisie, dann der Kampf für den Sozialismus in ferner Zukunft – hat unweigerlich in eine Katastrophe geführt.

Nirgendwo waren die Konsequenzen tragischer als in Indonesien, wo die stalinistische Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) den friedlichen Weg zum Sozialismus propagierte und die Arbeiter an Präsident Sukarno gefesselt hielt, indem sie die Illusion schürte, er würde ihre demokratischen und sozialen Rechte verteidigen.

Doch wie die Theorie der permanenten Revolution erklärt, war diese „progressive Bourgeoisie“ nicht in der Lage, demokratische Rechte zu verteidigen. Durch ihre Unterstützung für Sukarno machte die PKI den von der CIA unterstützten Militärputsch von 1965–66 möglich, der zur systematischen Ermordung von bis zu einer Million Arbeitern, Bauern und PKI-Mitgliedern führte.

Thailand ist keine Ausnahme. Die schwache und korrupte herrschende Klasse hat immer wieder auf das Militär zurückgegriffen, um jede Bedrohung ihrer Herrschaft durch die Arbeiterklasse und die Landbevölkerung zu unterdrücken. Die Parteien, die den so genannten fortschrittlichen Flügel der Bourgeoisie repräsentierten, kapitulierten jedes Mal schamlos und überließen die arbeitende Bevölkerung ihrem Schicksal.

Der Milliardär Thaksin Shinawatra hatte die Vorgängerpartei von Pheu Thai, Thai Rak Thai, 1998 als politisches Vehikel zur Durchsetzung seiner Interessen gegründet und eine Anhängerschaft gewonnen, indem er versprach, die Auswirkungen der Asienkrise für die arbeitende Bevölkerung abzumildern. Er kam 2001 an die Macht und verteilte Almosen an Dörfer und die staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung. Dadurch geriet Thaksin schnell in Konflikt mit dem konservativen Establishment, das befürchtete, er könne unerfüllbare und unkontrollierbare Forderungen nach sozialen Verbesserungen schüren.

Die Thai-Rak-Thai-Regierung wurde 2006 vom Militär abgesetzt, ohne dass Thaksin viel dagegen unternommen hätte. Er flüchtete aus dem Land, nachdem er wegen fingierter Korruptionsvorwürfe schuldig gesprochen wurde. Mit dem Putsch begann eine Zeit der politischen Instabilität, die bis heute andauert. Der Widerstand der Bevölkerung gegen die Verfolgung Thaksins und seiner Partei und die anhaltenden Angriffe auf demokratische Grundrechte führten im Jahr 2010 zu Massendemonstrationen von Thaksins Anhängern, den Rothemden. Das Militär ließ schließlich das Feuer auf eine Massendemonstration in Bangkok eröffnen, wobei 91 Menschen getötet und Tausende weitere verwundet wurden.

Das Militär und seine Hintermänner werden nicht zögern, erneut zu schießen. Die angeschlagene thailändische Wirtschaft und die zunehmenden sozialen Spannungen, die Teil der globalen Krise des Kapitalismus sind, werden unweigerlich zu einem Ausbruch des Klassenkampfs führen, wie es überall auf der Welt bereits passiert. Im jetzigen Stadium setzt die herrschende Klasse darauf, dass Pheu Thai ihren verbliebenen politischen Einfluss benutzt, um den aufkommenden Widerstand einzudämmen. Wenn sie das nicht schafft, wird sie andere Mittel einsetzen, einschließlich militärischer Gewalt.

Die Arbeiterklasse darf sich nicht darauf verlassen, dass Pheu Thai, die Fortschrittspartei oder irgendeine andere kapitalistische Partei ihre Klasseninteressen verteidigt. Arbeiter und Jugendliche, die das Ergebnis der diesjährigen Wahl angewidert und erbost hat, müssen die notwendigen politischen Schlüsse ziehen. Der Kampf für demokratische Rechte ist untrennbar mit dem Kampf für den Sozialismus verbunden.

Zudem wird es immer offensichtlicher, dass die Probleme der arbeitenden Bevölkerung – die wachsende Gefahr eines Weltkriegs und der katastrophale Klimawandel sowie die ständigen Sozialangriffe – nicht auf nationaler Grundlage gelöst werden können. Sie erfordern eine vereinte internationale Bewegung der Arbeiterklasse.

Notwendig ist der Aufbau einer Arbeiterpartei in Thailand als Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale – der einzigen politischen Organisation, die für die Perspektive des sozialistischen Internationalismus und der Theorie der permanenten Revolution kämpft.

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