Verfassungsgerichtsurteil zum Klimafonds: Ein Signal für weitere Sozialkürzungen

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimafonds der Bundesregierung ist keine juristische, sondern eine politische Entscheidung. Es reduziert die fest verplanten Haushaltsmittel auf einen Schlag um 60 Milliarden Euro und ist ein Signal für weitere Sozialkürzungen.

Das höchste deutsche Gericht hat am Mittwoch einer Klage von 197 Unionsabgeordneten stattgegeben und die Umschichtung von 60 Milliarden Euro, die ursprünglich zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorgesehen waren, in den Klimafonds für verfassungswidrig erklärt. Sie verstoße gegen die seit 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.

Das Urteil hat weitgehende Folgen. Der fast fertige Bundeshaushalt 2024, der bereits dramatische Kürzungen bei den Sozialausgaben vorsah, ist dadurch weitgehend Makulatur. Laut Richterspruch muss der Haushaltsgesetzgeber „bereits eingegangene Verpflichtungen, die nicht mehr bedient werden können, anderweitig kompensieren“ – also die fehlenden Milliarden anderswo einsparen, – was weiteren Sozialabbau bedeutet.

Als Einsparmöglichkeiten wurden von verschiedenen Journalisten und Politikern bereits das Bürgergeld, die Kindergrundsicherung, die Wohnungsbaupolitik, die Unterstützung für Geflüchtete, die Abfederung der Kosten der Heizwende und die Klimapläne der Bundesregierung ins Spiel gebracht.

Das Urteil betrifft aber nicht nur die 60 Milliarden für den Klimafonds, sondern hat Auswirkungen auf sämtliche Sonderfonds, mit denen Bund und Länder die Schuldenbremse umgangen haben. Allein der Bund unterhält zurzeit 29 derartige Sondervermögen mit Verschuldungsmöglichkeiten in Höhe mehrerer Hundert Milliarden Euro. Erlaubt sind solche Fonds nur in einer „außergewöhnlichen Notlagensituation“.

CDU-Chef Friedrich Merz frohlockte bereits, dies sei „das Ende aller Schattenhaushalte, jedenfalls derer, die schuldenfinanziert sind“. Nach Ansicht der CDU ist auch das 200 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Energiepreisbremsen von dem Urteil betroffen.

Das Urteil hat aber auch Folgen für die Bundesländer, einschließlich der CDU-regierten. Es habe „Auswirkungen auf die Haushaltspraxis nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der Regierungschef im Stadtstaat Hamburg war, bevor er als Finanzminister in die Bundesregierung wechselte.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil tief in die Kompetenzen von Regierung und Parlament eingegriffen. Ein kritischer Kommentar in der Süddeutschen Zeitung spricht von einer „Lizenz zum Mitregieren“. Das Urteil trage „paternalistische Züge“ und enge „den Spielraum der Politik“ ein.

Trotzdem wurde das Urteil von Politik und Medien weitgehend begrüßt oder ohne Widerspruch hingenommen. Kanzler Scholz erklärte in einer ersten Stellungnahme, seine Regierung werde das Urteil sorgfältig auswerten und „genau beachten“.

Der Grund ist, dass Regierung und Opposition seit langem nach Mitteln und Wegen suchen, die gewaltig gestiegenen Ausgaben für Aufrüstung und Krieg – allein im kommenden Jahr sind es nach der jüngsten Aufstockung der Militärhilfe für die Ukraine etwa 89 Milliarden Euro – und die riesigen Summen, mit denen sie Konzerne subventionieren und die Aktienkurse hochhalten, aus der arbeitenden Bevölkerung herauszupressen. Mit dem Urteil des Verfassungsgerichts können sie dies nun als Sachzwang darstellen, dem sie sich nicht entziehen können.

Die Schuldenbremse wurde am 29. Mai 2009, unmittelbar nach der weltweiten Finanzkrise, mit den vereinten Stimmen von SPD und CDU/CSU ins Grundgesetz aufgenommen. Sie sollte sicherstellen, dass die halbe Billion Euro, die die Bundesregierung zur Rettung der Banken aus ihrer selbstverschuldeten Krise bereitgestellt hatte, durch Haushaltskürzungen – und nicht durch zusätzliche Schulden – eingespart werden und dass auch spätere Regierungen dies nicht ändern können.

Auch alle Länder verabschiedeten entsprechende Gesetze. Die WSWS kommentierte dies 2011, anlässlich der Einführung der Schuldenbremse in die hessische Landesverfassung, mit den Worten:

Mit der Schuldenbremse berauben sich die Politiker bewusst und freiwillig selbst der finanziellen Handlungsfähigkeit. Das Verbot, weitere Kredite aufzunehmen, wird Auswirkungen auf die Sozialhilfe, die Bildung, das Gesundheitswesen, den Straßenbau und generell die öffentlichen Investitionen haben. Die Schuldenbremse wird die Begründung dafür liefern, dass die Preise für Energie und Wasser, für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr, die Müllabfuhr, die Kinderbetreuung, die Sportstätten und vieles andere weiter steigen werden.

Seither sind große Teile der öffentlichen Infrastruktur, des Bildungs- und des Gesundheitswesens kaputtgespart, die Renten und Löhne gesenkt und die Kosten für Mieten, Wasser und Strom drastisch erhöht worden. Ausgeschlossen war dagegen eine Erhöhung der Steuern auf Profite, Vermögen und Spitzeneinkommen.

Doch angesichts der eskalierenden Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, in denen Deutschland eine führende Rolle spielt, reicht das nicht mehr aus. In den herrschenden Kreisen wird seit Monaten darüber diskutiert, wie man die Angriffe auf die Arbeiterklasse verschärfen kann. Flüchtlinge und Migranten werden zum Sündenbock für die Finanznot der Kommunen erklärt und so gezielt die rechtsextreme AfD gestärkt.

Das Urteil des Verfassungsgerichts leitet eine neue Stufe dieses Klassenkriegs ein, der unter Arbeitern immer offener auf Gegenwehr stößt. Die Streiks bei der Bahn, im öffentlichen Dienst und in anderen Bereichen legen davon beredtes Zeugnis ab.

Die Gewerkschaften spielen eine Schlüsselrolle, den Widerstand unter Kontrolle zu halten und die Angriffe von Regierung und Konzernen durchzusetzen. Deshalb ist es notwendig, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen. Der Kampf gegen Lohn- und Sozialabbau, gegen Krieg und Faschismus muss zu einer vereinten Bewegung der internationalen Arbeiterklasse entwickelt werden, die für den Sturz des Kapitalismus und eine sozialistische Gesellschaft kämpft.

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