Vor zehn Wochen begann Israel mit voller Unterstützung der US-Regierung unter Präsident Joe Biden seinen Angriff auf die Bevölkerung im Gazastreifen. 20.000 Palästinenser wurden getötet, weitere 7.000 liegen wahrscheinlich unter den Trümmern begraben. Eine ganze Bevölkerung von 2,2 Millionen Menschen wird vorsätzlich ausgehungert und erhält keine medizinische Versorgung.
Der Völkermord in Gaza radikalisiert eine ganze Generation von Arbeitern und Jugendlichen in den USA und weltweit.
Das spiegelt sich auch teilweise in Umfragen wider, die in den letzten Tagen veröffentlicht wurden. Laut einer Umfrage der New York Times und des Siena College, über die die Times am 19. Dezember berichtete, verurteilen 57 Prozent der registrierten US-Wähler Bidens „Umgang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt“.
Unter jungen Menschen ist diese Ablehnung besonders stark: Fast drei Viertel lehnen die Politik der Biden-Regierung in Gaza ab. Nur 28 Prozent der Wähler im Alter von 18 bis 29 Jahren gaben an, dass „Israel ernsthaft an einer friedlichen Lösung des Konflikts interessiert sei“, während die Hälfte sagte, die Palästinenser seien an Frieden interessiert, so die Times.
Die Mitschuld der USA an dem Genozid hat zu einem starken Rückgang der Unterstützung für die Demokratische Partei beigetragen. Bidens Zustimmungsraten sind auf ein Rekordtief von 34 Prozent gesunken. In einer Umfrage der Monmouth University äußerten sich 61 Prozent der Befragten gegen den US-Präsidenten, im September waren es noch 55 Prozent.
Solche Umfragen sind nur ein schwacher Abglanz der enormen Antikriegsstimmung, die in breiten Schichten der Arbeiterklasse und Jugend vorherrscht. In fast allen Ländern der Welt fanden Demonstrationen gegen den Genozid in Gaza statt. In London versammelten sich mehr als 800.000 Menschen zur größten Massendemonstration in der britischen Hauptstadt seit den Protesten gegen den Irakkrieg 2003.
Der breite Widerstand in der Bevölkerung ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass das gesamte politische Establishment und die Presse für den amerikanisch-israelischen Vernichtungskrieg in Gaza unermüdlich die Propagandatrommel rühren. Die Medien setzen Antizionismus fälschlicherweise mit Antisemitismus gleich und versuchen, die Bevölkerung zu konditionieren, damit sie den Massenmord an Frauen und Kindern akzeptiert.
Die Medien berichten immer seltener über das tägliche Massaker an der palästinensischen Bevölkerung. Je höher die Zahl der Todesopfer, je größer die Hungersnot, desto weniger liest und hört man darüber in der Presse. Die historischen, ökonomischen und geopolitischen Triebkräfte hinter dem Genozid im Gazastreifen und die wahren Beweggründe der US- und Nato-Mächte werden nicht untersucht.
Die Wut junger Menschen und Arbeiter wird durch die Verbreitung objektiver Informationen im Internet und in den sozialen Medien außerhalb der offiziellen Kanäle und staatlich kontrollierten Medien angefacht. Journalisten in Gaza haben Millionen Menschen auf der ganzen Welt die schreckliche Realität des Kriegs gegen eine wehrlose Bevölkerung vor Augen geführt. Deshalb hat sie das israelische Militär auch systematisch ins Visier genommen und seit Kriegsbeginn am 7. Oktober mindestens 64 Journalisten getötet.
Der weit verbreitete Widerstand unter Arbeitern und Jugendlichen in den USA und weltweit ist von immenser objektiver Bedeutung. Diese enorme Empörung muss in eine Bewegung verwandelt werden, die in der Lage ist, das Gemetzel zu beenden. Das erfordert ein Verständnis für die tieferen politischen, theoretischen und historischen Fragen, die den Verbrechen Israels und des US-Nato-Imperialismus zugrunde liegen.
Ein wichtiger Beitrag zu dieser Arbeit ist der Vortrag „Die faschistische Ideologie des israelischen Staats und der Genozid in Gaza“, den der Vorsitzende der internationalen WSWS-Redaktion, David North, letzte Woche an der Berliner Humboldt-Universität hielt. Zusammen mit zwei früheren Vorträgen („Völkermord in Gaza: Der Imperialismus stürzt in den Abgrund“ und „Sozialistischer Internationalismus und der Kampf gegen Zionismus und Imperialismus“) bieten sie eine umfassende Untersuchung der Ursprünge des Zionismus und seiner Beziehung zum Imperialismus.
Die Vorträge entlarven den – wie North sich ausdrückte – „Zynismus, die Heuchelei, die Demagogie und die hemmungslose Verlogenheit hinter der Kampagne, Opposition gegen Israels Angriff auf Gaza als ‚antisemitisch‘ zu diskreditieren. Diese Verleumdung ist eine wichtige Waffe in den Bemühungen Israels und seiner imperialistischen Komplizen, all diejenigen einzuschüchtern und zu isolieren, die gegen den Völkermord an den Palästinensern protestieren.“
Zu denjenigen, die den Vorwurf des Antisemitismus erheben, um den Widerstand gegen Israels Politik zu diskreditieren und zu kriminalisieren, gehören rechtsextreme und faschistische Organisationen und Personen wie die republikanische Kongressabgeordnete Elise Stefanik, eine Verfechterin der antisemitischen „Theorie des Großen Austauschs“. Gleichzeitig verbünden sich die USA in ihrem Stellvertreterkrieg gegen Russland mit dem faschistischen Asow-Bataillon der Ukraine, dessen Mitglieder häufig Nazi-Tattoos tragen.
Es wird versucht, den Antisemitismus so umzudeuten, dass er jegliche Opposition gegen Israels kolonialistische Apartheidspolitik gegenüber den Palästinensern meint. Das hat David North als „semantische Umkehrung“ bezeichnet: „Hierbei wird ein Wort auf eine Weise und in einem Kontext verwendet, die das genaue Gegenteil seiner eigentlichen und seit langem akzeptierten Bedeutung sind.“ So wird „ein Phänomen [der Antisemitismus], das historisch mit der politischen Rechten assoziiert wurde, in ein zentrales Attribut der politischen Linken umgewandelt“.
Dieser Prozess der „semantischen Umkehrung“ findet einen besonders abstoßenden Ausdruck in der Denunzierung jüdischer Arbeiter und Jugendlicher als „selbsthassende Juden“, wenn sie sich Israels Verbrechen widersetzen. North betont:
Diese Diagnose geht von der Voraussetzung aus, dass das Judentum als besondere religiöse Identität vollständig im israelischen Staat und der nationalistischen Ideologie des Zionismus aufgegangen ist. Die religiöse Zugehörigkeit eines Individuums – die im Leben des einen oder anderen jüdischen Menschen eine geringe oder gar keine besondere Rolle spielen mag – wird mit einer enormen metaphysischen Bedeutung aufgeladen.
Der Vortrag gibt einen detaillierten Überblick über die historischen Ursprünge des heutigen Zionismus, der „die extreme konterrevolutionäre Antithese und Zurückweisung der fortschrittlichen, demokratischen und sozialistischen Tradition [ist], die sich aus dem an Spinoza und später am Marxismus angelehnten Denken von Generationen jüdischer Arbeiter und Intellektueller herleitet“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
North erklärte in seinem Vortrag:
Der anhaltende Krieg hat trotz all seiner Schrecken einen wichtigen politischen Beitrag geleistet. Er hat die Jugend wachgerüttelt. Er hat der Welt die Augen geöffnet. Er hat das zionistische Regime und seine imperialistischen Komplizen als die Verbrecher entlarvt, die sie sind. Er hat eine Flutwelle der Empörung in Bewegung gesetzt, die sich weltweit ausbreitet. Sie wird auch die Verantwortlichen für diesen Völkermord überschwemmen.
Aber Empörung ist nicht genug. Was wir brauchen, ist eine Perspektive, die den Massenwiderstand von Arbeitern und Jugendlichen gegen die Biden-Administration und alle Regierungen und Parteien orientiert, die Israels Massenmord und ethnische Säuberung unterstützen. North sagte am Ende seines Vortrags:
Die große Herausforderung, vor der unsere Bewegung steht, besteht darin, die Empörung mit einem revolutionären sozialistischen Programm zu verbinden, das die globale Arbeiterklasse in einem gemeinsamen Kampf gegen die imperialistische Barbarei vereinen kann.
Die Millionen, die zur Verteidigung der Palästinenser auf die Straße gegangen sind, müssen sich jetzt der Arbeiterklasse zuwenden, die einzige gesellschaftliche Kraft, die Israels Krieg stoppen und dem Netanjahu-Regime die Mittel dafür entziehen kann.
Notwendig sind Streiks und Boykotte von Rüstungsunternehmen, Häfen und Flughäfen, um die Lieferung von militärisch nutzbaren Gütern nach Israel zu verhindern und so den Völkermord zu beenden. In der zunehmenden Welle von Kämpfen gegen die Sparpolitik in den USA und anderen Ländern müssen sich die Arbeiter aus dem Würgegriff der Gewerkschaftsbürokratie befreien und mit der systematischen Vorbereitung eines politischen Generalstreiks gegen den Krieg beginnen.
Die Socialist Equality Party und das Internationale Komitee der Vierten Internationale bauen die sozialistische und internationalistische Führung auf, die notwendig ist, um diesen Kampf zu anzuleiten.