Perspektive

Hundert Tage imperialistisch-zionistischer Völkermord in Gaza

Am Sonntag sind hundert Tage vergangen, seitdem der von den Imperialisten unterstützte israelische Völkermord in Gaza begonnen hat. In etwas mehr als drei Monaten wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums fast 24.000 Palästinenser getötet, d. h. etwa einer von hundert in Gaza lebenden Menschen. Darunter sind nicht weniger als 9.600 Kinder. Mehr als 60.000 - drei von hundert Menschen - wurden verletzt. Im Verhältnis übertragen auf die USA wäre dies eine Dimension von 3,3 Millionen Toten und 10 Millionen Verletzten.

Palästinenser in den Ruinen von Gaza-Stadt am 3. Januar 2024 [AP Photo/Mohammed Hajjar]

Durch die Bombardements wurden mehr als die Hälfte aller Gebäude beschädigt oder zerstört. Nur 15 der 36 Krankenhäuser in Gaza sind noch teilweise funktionsfähig. Diejenigen, die noch geöffnet sind, haben mit einem akuten Mangel an medizinischem Material, Medikamenten und Personal zu kämpfen.

Ende letzten Monats hieß es, dass 1,9 Millionen Menschen im Gazastreifen, d. h. mehr als 85 Prozent, Binnenvertriebene sind und in ein winziges Gebiet gezwungen wurden, das weniger als ein Drittel der Gesamtfläche des Gazastreifens ausmacht. Der Gazastreifen umfasst selbst nur 365 km², das entspricht in etwa der Hälfte der Fläche Berlins. Unter den Bedingungen der starken Ballung von Menschen und des fehlenden Zugangs zu Nahrungsmitteln, Wasser, Strom und grundlegenden sanitären Einrichtungen breiten sich Krankheiten aus.

In den vergangenen drei Monaten reihte sich eine Gräueltat an die nächste – begonnen bei der Bombardierung von Flüchtlingslagern und Krankenhäusern über die Ermordung von Journalisten und Medienmitarbeitern (bereits weit über hundert) bis hin zur Massenhinrichtung von Gefangenen.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hat den 100. Tag des Blutbads mit einer Erklärung gefeiert: „Niemand wird uns aufhalten - auch nicht Den Haag [eine Anspielung auf das Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof], nicht die Achse des Bösen und auch sonst niemanden.“ Israel werde „bis zum Ende weitermachen - bis zum vollständigen Sieg“, warnte Netanjahu, was nur bedeuten kann, dass jeder Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland getötet oder ins Exil getrieben wird.

Der Völkermord im Gazastreifen hat weltweit Massenproteste ausgelöst, die sich in den letzten drei Monaten in der größten Antikriegsbewegung seit den Protesten gegen die US-Invasion im Irak zeigten. Nicht nur die Kriminalität und der faschistische Charakter der israelischen Regierung sind in den letzten Monaten deutlich zu Tage getreten, sondern auch die aktive Unterstützung und Komplizenschaft der imperialistischen Mächte, allen voran der Vereinigten Staaten. Für eine ganze Generation junger Menschen zeigt sich in der eindeutigen Unterstützung der US-Regierung unter Präsident Biden für die Handlungen Israels, dass die Beschreibung der Demokratischen Partei als das „geringere Übel“ eine Lüge ist.

Ein weltweit koordinierter Protest führte am Samstag zu Demonstrationen in 120 Städten in 45 Ländern. Dazu gehörten vor allem eine Demonstration von mindestens 500.000 Menschen in London - die größte in dieser Stadt seit der Versammlung von mehr als 800.000 Menschen am 11. November - und eine Demonstration von mehr als 100.000 Menschen in der US-Hauptstadt Washington.

Es besteht jedoch ein deutlicher Kontrast zwischen dem Geist, der die Teilnehmenden an den Demonstrationen antreibt, und der Sichtweise derjenigen, die vorrangig an der Organisation der Demonstrationen beteiligt sind. Die Organisatoren entstammen oft einer Politik des ohnmächtigen Mittelstandes, und lassen die wichtigsten Dinge, die gesagt werden müssen, unausgesprochen. Gleichzeitig versuchen sie die Opposition hinter Teilen der herrschenden Elite zu versammeln, die selbst jedoch mitverantwortlich sind für die Verbrechen, die gerade begangen werden.

Die Kundgebung in London wurde u.a. von der „Stop the War Coalition“ unter der Leitung des ehemaligen Vorsitzenden der Labour Party, Jeremy Corbyn, organisiert. Corbyn, die Personifizierung politischer Feigheit, erwähnte in seinen Ausführungen weder die Labour Party noch ihren Vorsitzenden Sir Keir Starmer, der den Völkermord uneingeschränkt unterstützt. Und das, obwohl Starmer Corbyn aufgrund falscher Antisemitismus-Vorwürfe aus der parlamentarischen Labour Party ausgeschlossen hat. Die Kundgebung wurde von mehreren Labour-Abgeordneten unterstützt, welche die Unterstützung der Labour Party für Israel kritisieren. Alle vertreten jedoch den Standpunkt, dass man die Labour Party unter Druck setzen kann, so dass sie einen kritischen Standpunkt gegenüber Israel einnimmt.

Die Kundgebung in den Vereinigten Staaten wurde von einer Koalition muslimischer Gruppen zusammen mit ANSWER organisiert, die mit der Party for Socialism and Liberation (PSL) verbunden ist.

Eine von der World Socialist Web Site und der Socialist Equality Party an die Organisatoren gerichtete Anfrage, auf der Demonstration zu sprechen, wurde abgelehnt. Während eine Reihe palästinensischer Redner auf bewegende Weise über die Katastrophe im Gazastreifen sprachen, wurde die politische Linie von einer Handvoll Vertreter der Demokratischen Partei vorgegeben, die das Vorgehen Israels kritisierten, sowie von den Präsidentschaftskandidaten Jill Stein (Grüne Partei) und Cornel West, dem bekannten Theologen, Philosophen und Ehrenvorsitzenden der Democratic Socialists of America (DSA).

Unter den Demokraten befand sich auch der Kongressabgeordnete Andre Carson, der erklärte, er habe bei der Demonstration gesehen, „was es bedeutet, das Gewicht unserer Wählerschaft zu nutzen“. Carson gehört zu jenen Demokraten (zusammen mit Alexandria Ocasio-Cortez und anderen), die im vergangenen Jahr einen Brief an das Weiße Haus unterzeichneten, in dem sie zwar Kritik am Vorgehen Israels äußerten, der Regierung Biden aber abschließend für das danken, „was sie tut, um auf diese Krise zu reagieren, unseren Verbündeten Israel zu unterstützen und amerikanische Bürger sicher nach Hause zu bringen“.

Carson vermied in seinen Ausführungen jeglichen Hinweis auf die Regierung Biden oder deren Unterstützung für den Völkermord. Er rief abschließend dazu auf, „diejenigen wiederzuwählen, die uns vertreten“ - vermutlich ihn selbst und andere Demokraten.

Die Äußerungen von Stein, die als Mitglied der Grünen Partei vorgeblich unabhängig von den Demokraten kandidiert, zielten ganz darauf ab, Druck auf das politische Establishment auszuüben, wobei sie weder die Demokratische Partei noch Präsident Biden namentlich erwähnten. „Wir haben die Macht, den proisraelischen Politikern im Weißen Haus und im Kongress zu sagen, dass Sie uns gegenüber rechenschaftspflichtig sind, uns, dem Volk... Wir haben die Macht, unseren gewählten Vertretern zu sagen, was sie zu tun haben.“

Die Erfahrung der letzten drei Monate hat jedoch gezeigt, dass die „gewählten Vertreter“ sowohl der Demokratischen als auch der Republikanischen Partei auf den Massenwiderstand nicht reagieren, indem sie auf die Menschen hören und einlenken. Vielmehr denunzieren sie Proteste gegen den Völkermord als antisemitisch und versuchen, sie zu kriminalisieren. Darüber hinaus reagiert die Regierung Biden auf die wachsende Opposition nicht mit einer Rücknahme der militärischen Unterstützung. Stattdessen hat die US-Regierung den Krieg im Nahen Osten durch die Bombardierung des Jemen ausgeweitet und droht mit einem Krieg gegen den Iran.

Cornel West sprach zum Abschluss der Kundgebung. West hat sich auf Ansprachen spezialisiert, die mehr auf den Bauch als auf das Gehirn einwirken. Er spricht klangvoll und wütend, wenn man jedoch einen Moment über die Äußerungen nachsinnt, bedeuten sie rein gar nichts. In seiner typischen Art beschwort West die Notwendigkeit von „Liebe in Freiheit und Freiheit in Liebe“. Er kündigte an, „die Wahrheit in der Welt wird wieder auferstehen“ und verlor sich in anderen Moralsprüchen und Allgemeinplätzen.

West bezeichnete Biden und andere Vertreter der Regierung als Kriegsverbrecher, ohne jedoch die Demokratische Partei selbst zu erwähnen, mit der er seit langem verbunden ist. West schloss seine Ausführungen mit den Worten: „Wir fordern mehr als einen Waffenstillstand, wir fordern ein Ende der Belagerung, ein Ende der Besatzung und dass die Palästinenser ein Leben in Würde führen können.“ Aber wie ist dieses Ziel zu erreichen? Mit welchen Mitteln und mit welcher Perspektive? West hat nichts anzubieten, mit Ausnahme der Hoffnung, dass Biden und Blinken ihr Verhalten ändern könnten.

Auf der Demonstration wurde kein Bezug hergestellt zu den wesentlichen Fragen, die mit der Entwicklung einer Bewegung gegen den Völkermord verbunden sind. Es wurde nichts über die Geschichte Israels und des Zionismus oder seine Rolle als Bollwerk des Imperialismus im Nahen Osten gesagt. Niemand erwähnte die Interessen, die mit der imperialistischen Unterstützung für den Völkermord verbunden sind. Niemand sprach die drei Jahrzehnte nicht enden wollenden Kriege an, die Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Iran, den Zusammenhang mit dem laufenden Krieg der USA und der NATO gegen Russland oder den sich entwickelnden Konflikt mit China. Es gab keinen Hinweis auf die Arbeiterklasse oder das Anwachsen des Klassenkampfes in der ganzen Welt. Die Worte „Imperialismus“ und „Kapitalismus“, geschweige denn „Sozialismus“ wurden nicht in den Mund genommen.

Die Organisatoren erwähnen dies alles bewusst nicht, weil es ihre Ausrichtung auf die Demokratische Partei beeinträchtigen würde. Das ist selbstverständlich auch der Grund, warum sie keine Redner von der World Socialist Web Site auf der Kundgebung akzeptierten.

Für Massen von Arbeitern und Jugendlichen, einschließlich derer, die an den Demonstrationen teilgenommen haben, stellt sich dringend die Frage nach der Entwicklung einer Bewegung der Arbeiterklasse im Weltmaßstab. Nur eine internationale Bewegung kann durch Massenstreiks und andere Aktionen beispielsweise den Fluss von Waffen nach Israel stoppen.

Der Kampf gegen den Völkermord ist notwendigerweise ein Kampf gegen den US-NATO-Imperialismus, für den Israel als Vorposten im Nahen Osten fungiert. Der Kampf gegen den Imperialismus ist notwendigerweise ein Kampf gegen den Kapitalismus, somit ein Kampf für die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse und für eine sozialistische Neuordnung der Weltwirtschaft. Dies erfordert den Widerstand gegen alle kapitalistischen Staaten und gegen die politischen Parteien der herrschenden Elite. Nur auf diesem Weg sind dieser Krieg und alle Kriege, die eskaliert und vorbereitet werden, zu stoppen.

Dies ist die wesentliche Schlussfolgerung, die aus dem hunderttägigen imperialistisch-zionistischen Völkermord in Gaza zu ziehen ist.

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