Neuwahlen in Frankreich: Macrons Partei kollabiert, Neue Volksfront und Neofaschisten legen zu

Am Sonntag fand die erste Runde der vorgezogenen Neuwahlen in Frankreich statt, die der französische Präsident Emmanuel Macron nach der Wahlschlappe seiner Partei bei den Europawahlen angesetzt hatte. Seine Koalition Ensemble fiel auf 20 Prozent und erlitt damit erneut eine demütigende Niederlage. Sowohl der neofaschistische Rassemblement National (RN, Nationale Sammelbewegung) als auch Jean-Luc Mélenchons Nouveau Front populaire (NFP, Neue Volksfront) konnten ihr Ergebnis deutlich auf 29 bzw. 28 Prozent verbessern.

Der französische Präsident Emmanuel Macron gibt am 30. Juni 2024 seine Stimme ab [AP Photo/Yara Nardi]

Wer im zweiten Wahlgang am 7. Juli die Mehrheit in der Nationalversammlung gewinnen wird, ist noch unsicher. Die meisten Prognosen gehen davon aus, dass der RN die für eine absolute Mehrheit erforderlichen 289 von 577 Sitzen nicht erreichen wird. Es wird erwartet, dass sie zwischen 230 und 280 Sitze bekommt. Die Neue Volksfront kommt voraussichtlich auf 125 bis 165 Sitze, während Ensemble auf 70 bis 100 Sitze einbrechen wird. Die rechte Partei Les Républicains (LR, Die Republikaner), die neun Prozent der Stimmen erhielt, wird auf 40 bis 60 Sitze kommen.

Das ist eine klare Absage an Macron. Er hatte sich im Wahlkampf als Verteidiger der französischen Demokratie gegen die „Extreme“ von NFP und RN inszeniert und die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine im Krieg gegen Russland befürwortet. Doch damit konnte er keine Unterstützung gewinnen.

Unter Arbeitern ist allgemein bekannt, dass Macron gegen die Bevölkerung regiert. Er hat trotz überwältigenden Widerstands die Renten und andere Sozialprogramme gekürzt. Die Kriegspläne Frankreichs und der Nato bergen die Gefahr einer katastrophalen Eskalation.

Die Wahlbeteiligung erreichte mit 66 Prozent den höchsten Stand in den Parlamentswahlen seit 30 Jahren. Die Wähler haben Macrons Partei in der Nationalversammlung auf eine Rumpffraktion reduziert. Alle Hochrechnungen zeigen, dass seine Partei ein Juniorpartner in der nächsten Regierungskoalition sein wird, die nach der zweiten Runde am Sonntag im Parlament gebildet wird.

Macron erklärte am Sonntagabend, er werde vermutlich ein Regierungsbündnis mit der Neuen Volksfront und den Republikanern gegen den RN anstreben. Er erklärte:

Die hohe Wahlbeteiligung in der ersten Runde dieser Parlamentswahlen zeigt die Bedeutung dieser Abstimmung für unsere Mitbürger und ihr Verlangen nach Klärung der politischen Lage.

Er rief zu einem Bündnis aller Parteien gegen den RN auf und erklärte: „Gegen den Rassemblement National eine breite, eindeutig demokratische und republikanische Koalition im zweiten Wahlgang.“

Der scheidende Premierminister Gabriel Attal forderte die Bildung von Koalitionen, die „in der Lage sind, den Rassemblement National zu schlagen, und mit denen [Ensemble] das Wichtigste gemeinsam hat: die Werte der Republik“. Attal kündigte außerdem an, nach der Niederlage von Ensemble seine in der Bevölkerung äußerst unpopulären Pläne für Kürzungen der Arbeitslosenversicherung auszusetzen.

RN-Führerin Marine Le Pen und der Premierministerkandidat Jordan Bardella appellierten an die Wähler, dem RN im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit zu geben, damit er eine Regierung bilden kann.

Le Pen erklärte:

Die Franzosen haben gezeigt, dass sie nach sieben Jahren unter einer herablassenden und zerstörerischen Regierung ein neues Kapitel aufschlagen wollen. ... Wir brauchen eine absolute Mehrheit. Ich lade Sie ein, uns erneut Ihre Stimme zu geben, wenn Sie uns gewählt haben... Wenn Sie jemand anderen gewählt haben, lade ich Sie ein, sich der Koalition der Sicherheit, der Freiheit und der Einheit anzuschließen.

Bardella erklärte, „das Lager des Präsidenten... ist nicht mehr in der Lage zu gewinnen“, und bezeichnete seine Partei als „patriotische Bastion“, mit der Frankreich gegen die Bedrohung durch die extreme Linke „gewinnen kann“. Nach seinem Wahlsieg werde er „die Verfassung und das Amt des Präsidenten der Republik respektieren, aber unnachgiebig die von uns geplante Politik umsetzen“.

NFP-Führer Jean-Luc Mélenchon bezeichnete die zweite Runde der vorgezogenen Wahlen als Wahl zwischen seiner Parteienkoalition und dem Neofaschismus.

Er erklärte:

Wir stehen vor einem zweiten Wahlgang von außergewöhnlicher Intensität. Das Land muss sich entscheiden. Wird es die schlimmsten Spaltungen – der sozialen Ungleichheit, Religion, Hautfarbe, der sozialen und geografischen Herkunft – verschärfen oder wird es zusammenkommen und ein Volk bilden, ohne irgendwelche Vorbedingungen? Das ist die Wahl in der zweiten Runde. ... Unter diesen Bedingungen kann es keine anderen Vorschläge oder vernünftigen Forderungen geben als diese: Die Neue Volksfront braucht eine absolute Mehrheit.

Am Sonntagabend wurde Mélenchons Position durch das Wahldebakel seiner beiden Rivalen innerhalb der NFP etwas gestärkt.

Der Vorsitzende der stalinistischen Parti communiste français (PCF, Kommunistische Partei Frankreichs), Fabien Roussel, schied im Distrikt Nord bereits in der ersten Runde aus. Roussel hatte sich übelster Law-and-Order-Rhetorik bedient, um Mélenchon zu kritisieren.

François Ruffin, ein Kandidat der Partei La France insoumise (LFI, Unbeugsames Frankreich), der aggressiv Stimmung für den Ukraine-Krieg gemacht hatte, wurde von der RN-Kandidatin Nathalie Ribeiro-Billet im Distrikt Somme auf den zweiten Platz verwiesen und kämpft nun um seinen Sitz im Parlament.

Mélenchon, der wiederholt angeboten hat, unter Macron als Premierminister zu dienen, signalisierte, dass die Neue Volksfront Macrons Kandidaten gegen den RN unterstützen wird. Er erklärte, wenn die NFP einem Ensemble-Kandidaten Stimmen wegnehmen und damit einen Sieg des RN ermöglichen könnte, dann „werden wir unsere Kandidaten zurückziehen, wo auch immer das sein mag, unter allen Umständen... Keine einzige Stimme, nicht ein einziger Sitz mehr für den RN. Unsere Politik ist klar und einfach.“

In Wirklichkeit ist vor allem eins klar und einfach: die massive Ablehnung von Macrons Kriegspolitik und Sparmaßnahmen sowie der Polizeidiktatur durch Arbeiter und Jugendliche. Das Wahlergebnis in Frankreich ist nur ein Ausdruck der allgemeinen Opposition der internationalen Arbeiterklasse gegen die militärische Eskalation in der Ukraine, den Völkermord in Gaza und die Sparpolitik, die weltweit mit den Methoden des Polizeistaats durchgesetzt werden.

Doch diese Stimmung der Arbeiter und Jugendlichen findet im politischen Establishment Frankreichs keinen Ausdruck. Das endgültige Wahlergebnis ist noch nicht abzusehen. Das Kräfteverhältnis in der Nationalversammlung ist ebenso unklar wie die Position, die die Republikaner einnehmen werden, wenn Macron sie auffordern würde, eine Koalitionsregierung der Neuen Volksfront und dem Ensemble zu unterstützen.

Eric Ciotti von den Republikanern, der sich am meisten für ein Bündnis mit dem RN einsetzt, forderte am Sonntagabend erneut die Bildung eines Regierungsbündnisses aus LR und RN.

Ciotti erklärte:

Heute Abend kommt man nicht mehr umhin, sich zwischen unserer verantwortungsbewussten, patriotischen und republikanischen Vereinigung und der furchtbaren linksextremen Gefahr zu entscheiden. Ich fordere alle Republikaner auf, den Weg der Einheit zu gehen, den ich beschritten habe.

Eine Koalitionsregierung aus Mélenchons Neuer Volksfront, Macrons Ensemble und vielleicht noch einem Teil der Republikaner hätte der Arbeiterklasse nichts zu bieten. Es wäre eine kapitalistische Regierung, die auf einer Koalition mit ausdrücklich rechten Kräften basiert. Zudem verpflichtet sich die Neue Volksfront in ihrem Programm zu Truppenentsendungen und Waffenlieferungen an die Ukraine, dem Aufbau der französischen Militärpolizei und der Geheimdienste, was sie mit Macrons aggressivem, arbeiterfeindlichem Kurs kompatibel machen würde.

Eine solche Koalitionsregierung würde auf einen Versuch des französischen Finanzkapitals hinauslaufen, die NFP und Mélenchon direkter in die Schaltstellen der Macht einzubinden, um die imperialistischen Interessen durchzusetzen. Diese Regierung würde eher früher als später in eine offene Konfrontation mit der Arbeiterklasse geraten.

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