Rene Lichtman, Holocaust-Überlebender und leidenschaftlicher Gegner des Völkermords in Gaza, im Alter von 87 Jahren gestorben

Rene Lichtman im Juli 2024

Die World Socialist Web Site trauert um Rene Lichtman, einen Holocaust-Überlebenden, der in seinen letzten Jahren ein leidenschaftlicher Gegner des von den USA unterstützten israelischen Völkermords in Gaza war. Lichtman (87) starb in der Nacht des 28. Januar in einem Hospiz in der Großregion Detroit an Herzversagen, wie seine Familie und Freunde mitteilten.

Am 31. Januar fand in Southfield, Michigan, eine Gedenkfeier mit bewegenden Nachrufen von der langjährigen Freundin Rabbi Alana Alpert und mehreren Kindern Lichtmans statt. Anschließend wurde Lichtman in einem einfachen Kiefernsarg auf dem Beth Moses Cemetery beigesetzt.

Rene Lichtman war die lebendige Widerlegung der Apologeten des Imperialismus, die alle Gegner des Zionismus und der Verbrechen Isrels als „Antisemiten“ verleumden. Aus diesem Grund war er bei den Zionisten auch so verhasst.

Er wurde am 4. Dezember 1937 in Paris als Sohn eines polnisch-jüdischen Paares geboren, das ein Jahr zuvor nach Frankreich geflohen war. Der Großteil seiner Familie in Polen wurde in der Nazizeit nach Majdanek, Sobibor und in andere Todeslager verschleppt und ermordet.

Renes Vater, Jacob Lichtman, war ein Schneider, der in Paris durch den Spanischen Bürgerkrieg radikalisiert wurde. Später trat er der französischen Fremdenlegion bei, wurde jedoch während der deutschen Invasion in Frankreich im Jahr 1940 getötet. Als Rene zweieinhalb Jahre alt war, tauchte seine Mutter Helen, eine Näherin, unter. Sie brachte Rene bei der Familie Le Page unter, Katholiken, die in Vert-Galant, außerhalb von Paris, lebten.

Die Familie Le Page riskierte ihr Leben, um Rene zu verstecken, während über 75.000 Juden aus Frankreich deportiert wurden – meist nach Auschwitz, wo keine 2.500 von ihnen überlebten. Im Juli 1942 führte die französische Polizei zusammen mit den Nazis große Razzien in Paris durch und verhafteten 13.000 Juden, sperrte sie im Vélodrome d'Hiver ein und schickte sie dann in den Tod. „Im Juli 1942 musste meine Mutter untertauchen, denn zu diesem Zeitpunkt wurde mit der ‚Endlösung‘ wirklich ernst gemacht“, erzählte Lichtman später der WSWS.

Fast fünf Jahre lang lebte er als untergetauchtes Kind. „Die Familie Le Page war internationalistisch eingestellt“, berichtete Lichtman. Er erwähnte auch, dass ihr Neffe Albert dem Widerstand angehörte. Seine Mutter besuchte ihn heimlich, wann immer es möglich war. Nach den Massendeportationen ging die Familie Le Page davon aus, dass Helen umgekommen sei, und betrachtete Rene als ihr eigenes Kind. Helen kehrte jedoch nach dem Krieg zurück, um ihn wieder zu sich zu holen, und 1950 wanderten sie nach Williamsburg in Brooklyn (New York) aus.

Politisches Erwachen und Radikalisierung

Als Jugendlicher konnte Lichtman in Brooklyn Holocaust-Überlebende beobachten, die ihre KZ-Nummer auf dem Arm eintätowiert hatten. Während der Bürgerrechtsbewegung und des Vietnamkriegs wurde er politisch aktiv. In einem Interview zur mündlichen Überlieferung beim amerikanischen Holocaust Memorial Museum erklärte er im Jahr 1996: Als Juden, als Überlebende dürfen wir nicht nur für uns selbst kämpfen, sondern müssen es überall dort tun, wo wir irgendeine Art von Unterdrückung erkennen. Wir müssen sensibler sein als alle anderen, denn wir wissen, wie es sich anfühlt. Deshalb war ich gegen den Vietnamkrieg. Ich wusste, dass mein Volk betrogen worden war, und das durfte niemandem sonst mehr passieren. Das habe ich immer als jüdischen Wert betrachtet.“

Während seines Militärdienstes in der US-Armee in Kansas kam Lichtman mit Antisemitismus in Berührung. Beim Besuch von Jazzclubs in Kansas City vertiefte er sein Verständnis für rassistische Ungerechtigkeiten. Nach seiner Rückkehr nach New York studierte er Kunst an der Cooper Union und arbeitete in einem Tapetenunternehmen, dessen Betreiber ein Veteran der Abraham-Lincoln-Brigade war [die im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatte]. Er gewann ein Fulbright-Stipendium, um in Belgien zu studieren und zu malen.

Ende der 1960er Jahre zogen Lichtman und seine Frau Kathy nach Detroit, wo er „Finally Got the News“ (1970) mitproduzierte, einen Film über die League of Revolutionary Black Workers, eine vom Maoismus beeinflusste schwarz-nationalistische Organisation. Er machte Detroit zu seiner Heimat und arbeitete fast 20 Jahre lang am Beaumont Hospital, wo er Bildungsressourcen für Patienten und Mitarbeiter entwickelte. Sein Leben lang lernte und studierte er, und im Jahr 2000 promovierte er im Alter von 63 Jahren in Bildungstechnologie.

Lichtman betrachtete die Ungerechtigkeiten der Gegenwart durch die Linse seiner eigenen Kindheitserfahrungen. Während Trumps erster Amtszeit beteiligte er sich aktiv an Protesten gegen die brutale Einwanderungspolitik der Regierung. Im Jahr 2017 sagte er vor einer Anhörung des Repräsentantenhauses von Michigan aus und beschrieb, wie man Juden massenhaft zusammengetrieben hatte, als er noch ein kleines Kind in Frankreich war, und zeigte Fotos seiner ermordeten Verwandten. „Meine Familienmitglieder wurden auf den Straßen von Paris aufgegriffen, genau so, wie Beamte der ICE [Einwanderungsbehörde] sich heute als Polizei aufspielen und die Menschen auf der Straße aufgreifen“, sagte er.

Seine Aussage fiel auf den Jahrestag der berüchtigten Reise der „MS St. Louis“ im Jahr 1939, und Lichtman wies auf die historische Bedeutung dieses Ereignisses hin, bei dem ein Schiff mit jüdischen Flüchtlingen die amerikanische Küste erreichte, aber von der Roosevelt-Regierung abgewiesen wurde. „Mitarbeiter des Außenministeriums hinderten die Passagiere daran, in die Vereinigten Staaten einzureisen“, sagte er. „Sie wurden zurückgeschickt, und die Hälfte von ihnen kam in den Gaskammern um.“

Entschiedener Widerstand gegen Zionismus und israelische Kriegsverbrechen

Rene Lichtman war Gründungsmitglied der World Federation of Jewish Child Survivors of the Holocaust. Er war außerdem über 10 Jahre lang regelmäßiger Sprecher im Zekelman Holocaust Museum in Farmington Hills.

Als das israelische Regime nach dem palästinensischen Aufstand in Gaza mit seinem völkermörderischen Angriff begonnen hatte, organisierten Lichtman und Mitglieder der Jüdischen Stimme für Frieden im Dezember 2023 eine Protestkundgebung vor dem Holocaust-Museum, bei der er ein Schild mit der Aufschrift „Juden und Verbündete sagen: Nie wieder, und für niemanden!“ trug.

Zur Strafe entließ ihn der Vorstand des Museums. „Was heute in den Museen und Universitäten vor sich geht, ist McCarthyismus – jüdischer McCarthyismus“, sagte er damals.

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Lichtman blieb fest und sagte im Januar 2024 im Gespräch mit der WSWS: „Ich denke, Israel ist heute ein faschistischer Staat. Wie sollte man es sonst nennen? Kannst du dir vorstellen, auf eine Art und Weise zu sterben, bei der ein Gebäude über dir zusammenbricht? So geschieht der Tod an diesen Orten, Tag für Tag. Das ist fast wie Folter.“

Er zog historische Parallelen und erklärte: „Es gibt Parallelen zu dem, was die Nazis taten. Der Plan der Nazis war, keine Kugel auf Juden oder Kommunisten zu verschwenden und sie stattdessen verhungern zu lassen. Und die Israelis sind sehr bewusst, und sie sind stolz darauf, und sie prahlen damit.“

Er weigerte sich, die verlogenen Anschuldigungen gegen die militanten Palästinenser zu akzeptieren. Er sagte: „Es gibt einen weiteren Punkt, der meiner Meinung nach wirklich von Bedeutung ist. Man betrachte die afroamerikanischen Aufstände, Nat Turners Aufstand: Sie waren nicht höflich, weißt du, so mit Tee und Keksen. Sie waren extrem gewalttätig. Es gab Exzesse, denn das gehört zum Befreiungsprozess. Es gibt so viel aufgestaute Wut und Hass, dass es zu Exzessen kommt; sie sind zu erwarten. Aber die Abolitionisten verstanden diese Wut und den Hass, und deshalb kritisierten sie Nat Turner und die anderen Aufständischen nicht dafür. Also denke ich, dass man auch die Hamas in diesen Kontext stellen muss.“

Rene prangerte die Verleumdungen an, die gegen diejenigen gerichtet werden, die gegen Völkermord demonstrieren. Er sagte: „Der wahre Antisemitismus kommt von rechts, von den Trump-Anhängern, von Steve Bannon und diesen Leuten. Sie sind Judenhasser. Aber in ihrem Judenhass sind sie sehr wählerisch. Zum Beispiel lieben sie Israel, aber sie hassen amerikanische Juden.“

Im Juni 2024 forderten Rene Lichtman und seine Unterstützer in der Coalition Against Genocide, dass Holocaust-Museen einen Waffenstillstand fordern. Sie sollten in ihre Ausstellungen die Arbeiten prominenter Historiker mit jüdischem Hintergrund mit einbeziehen, darunter Ilan Pappé, Avi Schlaim und Norman Finkelstein, die die Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948 darstellen. Bei einer Mahnwache erklärte Lichtman: „Wie soll jetzt die Nakba dargestellt werden? Man beendet die Geschichte mit dem Happy End, dass Juden nach Israel kommen. Aber das ist nicht das Ende. Was ist mit dem palästinensischen Volk?“

Am 14. Juli führte Lichtman trotz der Drohungen faschistischer Milizen einen weiteren Protest vor dem Holocaust-Museum an. Unbeeindruckt von der Menge von 200 zionistischen Gegendemonstranten, die ihn mit Beleidigungen und Schimpfwörtern überschütteten, sagte er: „Diese Institution gibt vor, objektiv zu sein. Aber nein, nein, nein. Sie sind Teil der Israel-Lobby, die die Menschen jeden Tag indoktriniert. Was jetzt passiert, ist genauso schlimm oder schlimmer als das, was während des Zweiten Weltkriegs passiert ist. Es ist Völkermord, ethnische Säuberung, (...) die Fortsetzung der Nakba.“

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Rene Lichtmans politische Einstellung war durch den Radikalismus der Studierenden der 1960er Jahre geprägt. Damit war er von einer trotzkistischen Analyse der Rolle des Stalinismus abgeschnitten, sowie vom Verständnis, wie der stalinistische Verrat an der Arbeiterklasse zum Sieg des Faschismus, des Holocaust und des Zionismus geführt hatte. Aber Lichtman war ein äußerst mutiger, gebildeter und prinzipientreuer Mann, der sich selbst als sozialistischer und internationalistischer Gegner des Imperialismus und Kapitalismus betrachtete.

Die Beziehung, die er im letzten Jahr seines Lebens zur World Socialist Web Site und zur Socialist Equality Party anknüpfte, erwies sich als reichhaltig und dauerhaft. Regelmäßig lud er SEP-Mitglieder als Sprecher auf seinen Kundgebungen ein und betonte dabei, dass die Kämpfe einer neuen Generation von einer sozialistischen Perspektive geleitet werden müssen.

Lichtman unterstützte die Demonstration der SEP am 24. Juli 2024 in Washington, D.C., die wir zusammen mit den International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) organisiert hatten, um gegen Netanyahus Rede im Kongress zu protestieren. Lichman forderte Arbeiter und Jugendliche auf, daran teilzunehmen, und sagte: „Ja, unbedingt. Alles ist gut, was das bloßstellt, was die Imperialisten und was Biden mit Netanyahu anstellt. Sie sind die Architekten des Völkermords. Die Menschen müssen rausgehen – man darf nicht tatenlos zusehen. Das ist eine Lehre der Geschichte.“

Sargträger bei der Trauerfeier für Rene Lichtman

Bei der Trauerfeier fasste Risa Lichtman in ihrer Würdigung die Prinzipien und den Mut ihres Vaters zusammen: „Sich für seine Moral einzusetzen, das hatte Vorrang vor allem anderen. Angesichts von Ungerechtigkeit hat er sich selbst nie erlaubt, es sich bequem zu machen. Er stellte sich ihr frontal entgegen, mit Demonstrationen und Protesten bis ins hohe Alter von 87 Jahren (...) So sagte mein Vater ganz zuletzt, als er noch bei klarem Verstand war, zu mir: „Also bis zum nächsten Mal, wo auch immer.“ Das brach mir das Herz, als er das sagte, weil ich noch nicht bereit war, Lebewohl zu sagen. Aber ich weiß, dass es wahr ist. Ihn werde ich überall sehen. Ich werde ihn sehen, wenn Menschen sich online organisieren und durch die Straßen marschieren. Ich werde seine Hand auf meiner Schulter spüren, wenn ich durch Museen und Kunstgalerien gehe. Und ich werde diesen moralischen Kompass in mir spüren, der mich daran erinnert, wie er sein großes Leben gelebt hat.“