Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale
Wie die Workers Revolutionary Party den Trotzkismus verraten hat 1973 – 1985

Der Ausbruch des iranisch-irakischen Krieges

In den Monaten vor dem Ausbruch des Krieges im September 1980 erklang der Jubel der WRP über das Baath-Regime immer lauter. Am 28. Juli 1980 nahm das Politische Komitee einen Resolutionsentwurf an, der erklärte:

Die Workers Revolutionary. Party begrüßt die dynamische, radikale Politik der irakischen Regierung unter Präsident Saddam Hussein und verspricht ihr jede Unterstützung. Die Arabische Sozialistische Baath-Partei hat durch die Übergabe des Bodens an die Bauern, die Garantie auf Selbstbestimmung für die Kurden, die Ausrottung des Analphabetentums, die Vervielfachung des Pro-Kopf-Einkommens und die Beendigung der Herrschaft ausländischer Ölmonopole die arabische Revolution vorangetrieben und eine feste Grundlage für die Zusammenarbeit mit einem revolutionären sozialistischen Regime (!) in England geschaffen.

Auf der Grundlage dieser Resolution gab Healy eine Serie von sechs Artikeln in Auftrag, die im August veröffentlicht wurden. Laut der Einleitung in der News Line wurde darin in allen Einzelheiten über folgende Dinge berichtet:

Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung, das kulturelle Leben – von der Kunst bis zur Archäologie –, die neue Rolle der Jugend und den politischen Kampf der Arabischen Sozialistischen Baath Partei und des irakischen Präsidenten Saddam Hussein, den natürlichen Reichtum des Landes zur Verbesserung aller Lebensbereiche der irakischen Bevölkerung zu nutzen. (9. August 1980).

Sechs Wochen später nutzten Hussein und die Baathisten den nationalen Reichtum, um das irakische Volk in einen blutigen Krieg gegen den Iran zu stürzen.

Den historischen Hintergrund des iranisch-irakischen Krieges bildet ein Grenzkonflikt, der Jahrhunderte zurückreicht und durch die imperialistische Herrschaft nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches verschärft wurde. Seit den dreißiger Jahren gab es wiederholt Grenzzwischenfälle. Verschiedene, durch den Imperialismus aufgezwungene Regelungen legten lediglich die Saat für ein erneutes Aufflammen der Kämpfe. Den Kernpunkt des uralten Grenzkonflikts bildet die Frage der Hoheit über den Schatt-el-Arab, den Wasserlauf, der durch den Zusammenfluss der Flüsse Tigris, Euphrat und Karun gebildet wird, bevor sie in den Persischen Golf münden. Irakische Regierungen haben stets auf der uneingeschränkten Souveränität ihres Landes über den Schatt-el-Arab bestanden, weil er der einzige irakische Zugang zum Meer ist – im Gegensatz zum „Thalweg“-Prinzip, wonach die Grenze in der Mitte des Gewässers verlaufen würde.

Mit Hilfe einer Kriegsdrohung setzte das Schah-Regime im Iran mit Unterstützung der Vereinigten Staaten 1975 bedeutende Zugeständnisse durch, unter anderem auch das „Thalweg“-Prinzip. Als Saddam Hussein am 17. September 1980 das fünf Jahre alte Algier-Abkommen widerrief, konnte er daher mit einiger historischer Berechtigung darauf verweisen, dass dieses Abkommen 1975 dem Irak vom Imperialismus aufgezwungen worden war. Aber damit wiederholte er nur die Klagen der Teheraner Regierung über jedes andere Abkommen zur „Lösung“ des irakisch-iranischen Grenzkonfliktes.

Doch unabhängig davon, wie berechtigt die irakische Forderung nach Souveränität über den Schatt- el-Arab war, diente sie nur als Vorwand für den Versuch, ein ansehnliches und wertvolles Stück iranischen Gebiets zu erbeuten. Innerhalb weniger Stunden nach Kriegsausbruch waren die irakischen Truppen tief in den Iran eingedrungen, weit über jede Grenze hinaus, die der Irak traditionell jemals beansprucht hatte.

Auch der Zeitpunkt der irakischen Invasion war für die Entlarvung ihres Klassencharakters von Bedeutung. Dass der Angriff mitten in der „Geiselkrise“ erfolgte, machte klar, dass das Baathisten-Regime die Unterstützung des US-Imperialismus und der reaktionären Saudi- und Golf-Regime suchte, die nach dem Sturz des Pfauenthrones allesamt vor Angst gelähmt waren. Hussein bot so die irakische Militärmacht, die gegen die israelische Aggression aufgebaut worden war, dem Meistbietenden an.

Der Krieg war die Fortsetzung – oder genauer der Höhepunkt – eines von Healy ständig gedeckten Rechtsschwenks der Baathisten. Von 1975 an verbesserten sich ihre Beziehungen mit dem Schah-Regime und der saudischen königlichen Familie ständig; der Handel mit den USA stieg stark an; die irakische KP wurde mit Zustimmung der WRP scharfen Repressionen unterworfen; und im März 1980 kündigten die Baathisten die Bildung einer Einheitsfront aller Gegner der südjemenitischen, pro-sowjetischen bürgerlich-nationalen Regierung an.

Nach dem Camp-David-Abkommen von 1978 behaupteten die irakischen Baathisten, die Führung der arabischen Revolution liege nun bei ihrer Partei. Doch bei all ihrem revolutionären Geschrei – das in der News Line emsig veröffentlicht wurde – fürchteten sie den wirklichen Massen- und Volksaufstand, der im Iran ausbrach, und schätzten seine Macht völlig falsch ein. Zur dauernden Bestürzung Saddam Husseins, der 1975 am Abschluss des Abkommens mit dem „allmächtigen“ Schah-Regime beteiligt gewesen war, war der Iran nach seiner antiimperialistischen Revolution nicht „reif zur Ernte“.

Die WRP reagierte auf die irakische Invasion im Iran im September 1980 mit einem lahmen Versuch, ihre politischen Bücher auf den neuesten Stand zu bringen. Sie verurteilte den Krieg und rief zu einem sofortigen Waffenstillstand auf. Aber man kann eine marxistische Analyse nicht auf- und zudrehen wie einen Wasserhahn. Die Erklärung des Politischen Komitees vom 24. September 1980 steckte voller Widersprüche, die die verräterische Linie widerspiegelten, welche die WRP bis unmittelbar vor Ausbruch des Krieges verfolgt hatte.

Die Analyse des Krieges und ihre politischen Schlussfolgerungen waren geprägt von dem Glauben der WRP an die historisch fortschrittliche Rolle des Baath-Nationalismus und seine Fähigkeiten als Führer des antiimperialistischen Kampfes. Aus diesem Grund betrachtete sie den Krieg als eine Verirrung. statt ihn als unvermeidlichen Ausdruck des reaktionären Charakters des irakischen bürgerlichen Nationalismus zu sehen, seines üblen anti-persischen Chauvinismus, seiner letztlichen Abhängigkeit vom Imperialismus und seiner Unfähigkeit, ein brauchbares Programm für die Einheit der Massen des Nahen Ostens und Kleinasiens zu schaffen.

Selbst als die Baathisten eine Politik trieben, die direkt den Interessen des US- Imperialismus, der Sowjet-Bürokratie und des Zionismus diente, behauptete das Politische Komitee, dass „die wirkliche Bedrohung für deren Intrigen und Interessen im Nahen Osten auf lange Sicht die Arabische Sozialistische Baath-Partei“ sei. „Sie hat immer wieder gezeigt, dass sie sich diesen reaktionären Kräften nicht unterordnet.“ (Dokumente des Fünften Jahreskongresses, Seite 20)

Die Bezeichnung der Baathisten als „wirkliche Bedrohung“ für den Imperialismus „auf lange Sicht“ beweist, dass die Arbeiterklasse im Nahen Osten, und überhaupt in allen halbkolonialen und rückständigen Ländern, in den politischen Berechnungen der Führung der Workers Revolutionary Party nicht länger berücksichtigt wurde. Diese Blindheit für die Existenz des Proletariats, von seiner revolutionären Rolle ganz zu schweigen, führte zu einer feigen Kapitulation vor den bürgerlichen Regimen und einer vollkommen hoffnungslosen Perspektive für die nationalen Befreiungskämpfe. Statt also die Arbeiterklasse aufzurufen, die irakischen Baathisten zu stürzen und ihre eigene, rechtmäßige Rolle als Führung des antiimperialistischen Kampfes einzunehmen, lagen Healy und Banda vor den Baathisten auf den Knien und flehten Saddam Hussein an, den Krieg zu beenden, weil die PLO sonst eines bürgerlichen Regimes beraubt werde, das ihren Kampf gegen den Zionismus fördert.

Diese bankrotte Abhängigkeit von dem bürgerlichen Regime wurde so formuliert:

Wirklich gefährdet durch den irakisch-iranischen Krieg ist die palästinensische Revolution im Süd-Libanon. Die PLO ist auf einen Schlag in arge Bedrängnis geraten. Sie hat nicht nur die unmittelbare Unterstützung durch den Irak und den Iran verloren, sondern auch von dem krisengeschüttelten Assad-Regime in Syrien oder dem doppelzüngigen König Hussein von Jordanien nichts zu erwarten. Im Norden werden die palästinensische Revolution und ihre Verbündeten in der Libanesischen Nationalen Bewegung von der CIA und den von Israel unterstützten Falangisten unter Pierre Gemayel bedroht, und im Süden von den Faschisten unter Major Saad Haddad und der israelischen Armee. (ebd., S. 21)

Statt nachdrücklich zu erklären, dass die PLO von der arabischen Bourgeoisie verraten wurde, bejammerte die WRP den Verlust ihrer Gönner und erklärte den Palästinensern, dass es keine Alternative zu dieser politischen Abhängigkeit gebe. Ohne den geringsten Hinweis auf die verräterische Rolle der Baathisten legte das Politische Komitee die Verantwortung für die Krise, mit der die PLO konfrontiert war, „voll und ganz auf die Schultern des Imperialismus und die schäbigen Manöver der Sowjetbürokratie“ – als ob man vom Imperialismus oder Stalinismus irgend etwas anderes erwarten könne. Zum IKVI hatte die Erklärung dementsprechend nichts weiter zu sagen, als dass es ein „Gegner dieser konterrevolutionären Kräfte“ sei. (ebd.)

Diese politische Selbsterniedrigung kam auch in folgender Aussage zum Tragen:

Wir haben Meinungsverschiedenheiten mit den nationalen Befreiungsbewegungen und nationalen revolutionären Bewegungen über die entscheidende Frage der revolutionären Partei und des Aufbaus der Weltpartei der Sozialistischen Revolution. (ebd)

Die stillschweigende Schlussfolgerung war, dass der Aufbau der revolutionären Partei und der Kampf für die Weltrevolution eine taktische Frage sei, über die Trotzkisten mit bürgerlichen Nationalisten debattieren. Allein die Art und Weise, wie diese Frage dargelegt wurde, leugnete die historisch-materialistische Grundlage der Politik der proletarischen Partei. Die WRP verwarf den marxistischen Standpunkt – der der objektiven Wirklichkeit entsprach –, dass die Baathisten Vertreter des Klassenfeindes des Proletariats seien. Stattdessen wurde in extremster pablistischer Manier die Möglichkeit offen gelassen, dass es eine politische Annäherung zwischen den Trotzkisten und der einen oder anderen Variante des bürgerlichen Nationalismus geben könnte, und dass aus dieser Mischehe möglicherweise eine Kreuzung namens „Weltpartei der sozialistischen Revolution“ hervorginge.

Es wurden zwei politische Kategorien – “nationale Befreiungsbewegungen“ und „nationale revolutionäre Bewegungen“ nebeneinander gestellt, um den Eindruck zu erwecken, die PLO sei im großen und ganzen politisch genauso einzuschätzen wie die Arabische Sozialistische Baath-Partei. Abschließend erklärte das Politische Komitee:

Der politische Maßstab, an dem jede Kraft im Nahen Osten gemessen wird, ist der Kampf gegen den zionistischen Imperialismus. Die Workers Revolutionary Party kann mit Stolz sagen, dass sie stets prinzipientreu, konsequent und fehlerfrei gehandelt hat. (ebd. S. 22).

Diese Stelle kombinierte einen theoretischen Fehler mit einer glatten Lüge. Der erste Satz verfälschte die Theorie der Permanenten Revolution; der zweite überstieg die Grenzen menschlicher Glaubwürdigkeit.

Trotzki hätte den trügerischen politischen „Maßstab“ der WRP ausdrücklich abgelehnt:

Man soll das Verhältnis einer jeden nationalen Bourgeoisie zum Imperialismus nicht ‚überhaupt, sondern speziell deren Verhältnis zu den historischen revolutionären Tagesfragen ihrer eigenen Nation abwägen. (China, Verlag Neuer Kurs, Bd. 2, S. 208)

Fünf Tage nach der Erklärung des Politischen Komitees wurde am 27. September 1980 eine ergänzende Erklärung des Zentralkomitees herausgegeben. Diese war nicht weniger verräterisch und widersprüchlich als die erste. Diesmal ging die WRP so weit, die irakischen Massen zu drängen,

gegen den Krieg aufzutreten, die blutige Hand der Kriegstreiber aufzuhalten und gemeinsam mit den iranischen Massen gegen den gemeinsamen imperialistischen Feind vorzugehen. (Dokumente des Fünften Jahreskongresses, S. 24)

Aber die Verlogenheit dieses Aufrufes zeigte sich darin, dass es das Zentralkomitee taktvoll vermied, die Namen der „Kriegstreiber“ zu nennen. Offenbar war die „blutige Hand“ mit keinem Körper verbunden! Wie dem auch sei, Healy und Banda (die diese Erklärung verfasst hatten) vergaßen nicht, Saddam Hussein einen freundschaftlichen Rat zu geben:

Die Arabische Sozialistische Baath-Partei hat standhaft jeden Versuch abgewehrt, sich dem Imperialismus oder dem Stalinismus unterordnen zu lassen. Daher hat sie die Unterstützung aller revolutionären Kräfte, einschließlich der Workers Revolutionary Party, gewonnen. Sie muss verstehen, dass ihre gegenwärtige militärische Offensive und ihre Kriegsziele einen Bruch mit dieser Politik bedeuten, der nicht unterstützt werden kann. Falls diese Offensive fortgeführt wird, wird sie mit einer Katastrophe für die Arabische Sozialistische Baath-Partei selbst enden. (ebd., S. 25)

Diese Erklärung schloss nicht mit einem Aufruf zur revolutionären Aktion der Arbeiterklasse gegen den Imperialismus und seine bürgerlich-nationalistischen Agenten, sondern mit einem ergreifenden Appell für „eine sofortige Friedenskonferenz des Irak, des Iran, der PLO und all derjenigen, die die Imperialisten und den zionistischen Feind bekämpfen!“ (ebd., S. 27) Vermutlich hätte sich auch eine Delegation der WRP an dieser Konferenz beteiligt, mit Healy und Banda als Rechtsanwälten, um Saddam Hussein beim Entwurf eines Friedensvertrages behilflich zu sein. Der reaktionäre Inhalt dieser Erklärung bestand darin, dass sie vorschlug, mit Hilfe der WRP die politischen und historischen Ursachen des Krieges hinter dem Rücken der Arbeiterklasse und ohne Beteiligung der Massen unter ihrem eigenen Banner beizulegen.

Kein einziges Mal konsultierte die WRP das Internationale Komitee, als sie in freundschaftlichem Wettstreit mit dem britischen Außenministerium ihre eigene Außenpolitik zu entwickeln begann.

Als der Krieg im Jahre 1981 mit Tausenden von Toten und Verstümmelten andauerte, versuchte Healy immer noch, sich an die Rockschöße der Baathisten zu klammern. Daher hieß es in einem vom Fünften Kongress der Workers Revolutionary Party einstimmig angenommenen Manifest im Februar desselben Jahres:

Unsere Opposition gegen den Krieg mindert nicht unsere Unterstützung für die Arabische Sozialistische Baath-Partei im Irak, soweit sie den Kampf gegen Imperialismus und Zionismus und die Unterstützung der palästinensischen Revolution aufrechterhält. (News Line, 7. Februar 1981)

Healy ließ sich sein gutes Verhältnis zur Arabischen Sozialistischen Baath-Partei auch durch die Leichen Tausender Arbeiter und Bauern in Iran und Irak nicht verderben. Er gab selbst die Position der WRP vom letzten September auf und hielt nicht länger daran fest, dass die Fortsetzung des Krieges nicht mit der Verteidigung des palästinensischen Kampfes gegen den Zionismus zu vereinbaren sei.

Solche abwegigen Formeln können nicht einfach aus theoretischen Fehlern erklärt werden. Sie waren das Werk eines Menschen, der sich und seine Partei direkt an die Agenturen bürgerlicher Staaten verkauft hatte und bewusst und direkt in ihrem Auftrag handelte. Die hier geschilderten Tatsachen lassen keinen anderen Schluss zu.

In den offiziellen Erklärungen des Politischen Komitees, des Zentralkomitees und des Fünften Kongresses hatte die WRP versucht, zwischen den beiden gegnerischen Lagern zu balancieren. Sie unterließ es, ausdrücklich das Recht des iranischen Regimes anzuerkennen, sich gegen die irakische Aggression zu wehren. Wäre sie von marxistischen Grundsätzen ausgegangen, hätte sie ausdrücklich festgestellt, dass der Iran einen Verteidigungskrieg gegen einen opportunistischen Angriff des Baath-Regimes führte, welches mit dem US-Imperialismus zusammenarbeitete. Sie hätte die iranischen Arbeiter aufgerufen, den irakischen Streitkräften bewaffneten Widerstand zu leisten, aber gleichzeitig rigoros ihre politische Unabhängigkeit zu verteidigen und eine Haltung kritischer Wachsamkeit gegenüber den bürgerlichen islamischen Führern beizubehalten und ihren Beteuerungen, keine Angriffe gegen irakische Gebiete zu planen, nicht zu trauen. Gleichzeitig hätte sie verlangt, dass der Iran seine Ansprüche auf den Schatt-el-Arab zurückzieht, und dass die Rechte aller Minderheiten im Iran respektiert werden. Außerdem hätte sie erklärt, dass die endlosen Konflikte zwischen den Iranern und den Irakern ihre Ursache in den unvollendeten demokratischen Revolutionen in beiden Ländern haben und in den Staatsgrenzen, die den wirtschaftlichen Fortschritt behindern und dem instinktiven Streben der Massen des Iran und des Irak nach Einheit im Weg stehen. Sie hätte hinzugefügt, dass ein Ende der Bruderkriege und die Erringung der nationalen Unabhängigkeit vom Imperialismus nur verwirklicht werden kann, wenn sich das Proletariat des Iran und Irak vereinigt, den Kapitalismus in beiden Ländern stürzt und gemeinsam für die Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens kämpft. Kurz, sie hätte erklärt, dass die einzige Alternative zu Bruderkrieg, wirtschaftlicher Abhängigkeit und imperialistischer Unterdrückung die sozialistische Revolution ist.

Anfang 1982 stellte sich heraus, dass die militärische Lage des Irak immer mehr ins Wanken geriet. Im Mai errangen die Iraner bedeutende Siege, die in der Zurückeroberung von Khorramschahr gipfelten. Mit dem inzwischen typischen Opportunismus wurde dieses Ereignis in dem Leitartikel der News Line vom 25. Mai 1982 ohne jede theoretische Erklärung als „ein Triumph für die iranische Revolution und ihre kämpfenden Massen“ bezeichnet. Mit ebenso typischer Kurzsichtigkeit sprach die News Line ihr volles Vertrauen bezüglich der Absichten der iranischen Bourgeoisie aus:

Wir glauben die westlichen Behauptungen nicht, dass der Iran plant, demnächst in den Irak einzumarschieren. Sollte es geschehen, dann würden wir dem ebenso heftig entgegentreten wie der irakischen Invasion des Iran.

Diese einfältigen Illusionen zeigten das vollständige Fehlen jeglicher marxistischen Analyse über den Klassencharakter der kämpfenden Kräfte. Blind für die neuen Gefahren der politischen Situation behauptete die News Line weiter, die iranischen Erfolge hätten

in ihrem Verlauf die Revolution gestärkt. Dies ist ein Anzeichen für die politische Entwicklung der revolutionären Massen, nicht nur im Iran, sondern auf der ganzen Welt, und die britische Arbeiterklasse sollte das zur Kenntnis nehmen.

Die Islamische Republik scherte sich nicht um die Leitartikel-Schreiber der News Line und setzte zum Angriff auf den Irak an. Als dem Volk unerträgliche politische und wirtschaftliche Opfer abverlangt wurden, konnte jeder sehen, dass der Islamische Fundamentalismus nichts weiter war als ein messianisches Gewand für die traditionellen expansionistischen Ziele eines kapitalistischen Persischen Reiches in der Rolle des starken Mannes am Golf. Von diesem Zeitpunkt an führte das Khomeini-Regime keinen Verteidigungskrieg mehr, und dies hätte einen scharfen Wechsel in der Politik von Marxisten erfordert, die jetzt dazu verpflichtet gewesen wären, eine defätistische Position zum Krieg einzunehmen.

Die News Line jedoch war ängstlich darauf bedacht, die aufsteigende Macht am Golf nicht zu kränken, und zweifelte immer mehr am Wert ihrer Beziehungen zum Irak. Sie veröffentlichte daher nur eine milde Rüge, wobei sie wie üblich die Palästinenser benutzte, um von Healys politischer Hirnlosigkeit abzulenken:

Die iranische Invasion des Irak ist ein schlechter Dienst für die bedrängten palästinensischen und libanesischer Kämpfer in Beirut und für die iranische Revolution selbst, und muss daher verurteilt werden. (16. Juli 1982)

Jetzt, wo das irakische Regime durch den Krieg finanziell ruiniert war, entschied Healy, dass sein Bündnis mit Saddam Hussein keinen Sinn mehr habe. Es war Zeit, in ein vielversprechenderes bürgerliches Lager zu wechseln. Aber zwei gewaltige Hindernisse versperrten Healy den Weg – die bisherige Opposition gegen die iranische Invasion und die ursprüngliche Analyse des Internationalen Komitees über den Klassencharakter und die Perspektiven der iranischen Revolution, die drei Jahre zuvor erstellt worden war. In einer Erklärung vom 12. Februar 1979 hatte das Internationale Komitee der Vierten Internationale den Klassencharakter der Khomeini-Führung bloßgelegt und davor gewarnt, der islamischen Geistlichkeit zu vertrauen.

Während es Khomeinis herausragende Rolle in den Ereignissen anerkannte, die zum Sturz des Schah geführt hatten, wies das IKVI jedes Zugeständnis an seine religiöse Ideologie und sein politisches Programm zurück:

„Die Wahrheit ist, dass die Massen durch Klassenfragen und nicht durch religiöse Fragen in Bewegung gebracht wurden. Durch das Fehlen einer organisierten revolutionären Führung und aufgrund der feigen Klassenkollaborationspolitik des iranischen Stalinismus in der Tudeh-Partei jedoch konnten der Ayatollah Khomeini und andere religiöse Führer der schiitischen Sekte ein regelrechtes politisches Monopol über die Oppositionskräfte aufbauen. Millionen von Iranern folgen heute Khomeini, nicht weil sie die reaktionäre Utopie eines islamischen Staates anstreben, sondern weil der Ayatollah die kompromisslose Opposition gegen die Pahlewi-Dynastie und ihre autokratische Herrschaft symbolisiert.

Khomeinis eigene politische Lehre ist unklar, widersprüchlich und doppeldeutig. Sie umschließt Fortschritt und Reaktion, die Gesetze der Scharia und die Verfassungsgebende Versammlung, die Unterdrückung der Frauen und persönliche Freiheit. Die Politik Khomeinis spiegelt den widersprüchlichen und doppeldeutigen Charakter der Basarhändler und anderer Elemente der iranischen Kapitalistenklasse und Kleinbourgeoisie wider. Diese Teile der iranischen Gesellschaft halten eine unsichere Balance zwischen dem Imperialismus und den Ölmonopolen und Banken auf der einen Seite und den iranischen Massen auf der anderen. Ihre halbkoloniale Position zwingt sie zur Gegnerschaft gegen den britischen und US-Imperialismus. Aber sie können und werden die kapitalistische Staatsmacht im Iran nicht antasten... (Revolution im Iran, Essen 1979, S, 15-16)

Jetzt sind es die grundlegenden Fragen der sozialistischen Revolution, die vorherrschen. Die bewusste Bewältigung dieser Fragen und die revolutionäre Praxis, die vom wissenschaftlichen Erfassen der objektiven Situation diktiert wird, werden die Lage entscheiden. Welches sind diese grundlegenden Prinzipien, die in mehr als einem Jahrhundert revolutionärer Erfahrungen gewonnen wurden? Die Arbeiterklasse ist die einzig revolutionäre Klasse in der modernen Gesellschaft. Die Revolution gegen den Imperialismus ist eine Weltrevolution, der die Revolution in jeder einzelnen Nation untergeordnet ist. ... Der kapitalistische Staat kann nicht übernommen und für sozialistische Zwecke eingerichtet werden; seine bewaffneten Einheiten müssen zerstört und auseinander getrieben werden. Das Volk muss bewaffnet und hinter einer marxistischen Partei organisiert werden. (ebd., S. 24)

Die Erklärung schloss mit der Ausarbeitung eines revolutionären sozialistischen Programms und dem Aufruf zum Aufbau einer iranischen Sektion des IKVI.