Seit Anfang des Monats überschlagen sich die Ereignisse bei ThyssenKrupp, dem traditionsreichen Großunternehmen mit immer noch über 150.000 Beschäftigen.
Am 29. Juni stimmte der Aufsichtsrat mehrheitlich der Ausgliederung und Fusion des Stahlbereichs mit Tata Steel zu. Drei Tage später unterschrieben ThyssenKrupp-Vorstandschef Heinrich Hiesinger und Tata-Chef Natarajan Chandrasekaran in Brüssel die Fusionsverträge und unmittelbar danach, am 5. Juli trat Hiesinger von seinem Vorstandsposten zurück. In seinem Abschiedsbrief an die Mitarbeiter nannte er „mangelnden Rückhalt“ und das fehlende „gemeinsame Verständnis von Vorstand, Aufsichtsrat und wesentlichen Aktionären über die strategische Ausrichtung von thyssenkrupp“ als Grund für seinen Rücktritt.
Hinter dieser Formulierung verbirgt sich ein heftiger Streit der Kapitaleigner, wie auf die veränderte Weltlage, wachsende Wirtschaftskrise und Handelskriegsmaßnahmen auf der einen Seite und künftige Großaufträge für die Rüstung andererseits reagiert werden soll. Seit langem verlangt der schwedische Finanzinvestor Cevian, der zweitgrößte Aktionär nach der Krupp-Stiftung, eine beschleunigte Zerschlagung des industriellen „Mischkonzerns“.
Das Abstoßen des Stahlbereichs dürfe nur der Auftakt sein, betont Cevian-Gründer Lars Förberg. Andere Unternehmenssparten müssten folgen. Dazu gehören der Anlagenbau, U-Boot-Bau, Aufzugstechnologie, Fahrtreppen, Autoteile und der Werkstoffhandel. All diese Bereiche müssten durchrationalisiert, „verschlankt“ und auf maximale Rendite getrimmt werden. ThyssenKrupp sei mit „seiner Strategie des Konglomerats und seiner Matrix-Organisation gescheitert“, so Förberg.
Im Mai stieg auch noch der aggressive Investmentfonds Elliott des US-Milliardärs Paul Singer bei ThyssenKrupp ein und gab eine „signifikante Beteiligung“ bekannt. In Medienberichten hieß es damals, Singers Hedgefonds verfolge mit seiner Finanzbeteiligung das Ziel, Konzernchef Hiesinger zu ersetzten. Ihm werde eine „Unternehmenswende“ nicht mehr zugetraut. Der Aktienkurs schnellte daraufhin im Mai um fast zehn Prozent in die Höhe.
Um den Druck auf Hiesiger zu erhöhen und die Ziele der Hedgefonds durchzusetzen, stimmte der Vertreter von Cevian während der Aufsichtsratssitzung Ende Juni gegen die Fusion des Stahlbereichs mit Tata Steel und erklärte in den Verhandlungen mit Tata hätte sehr viel mehr in Interesse der Anleger erreicht werden können.
Auf der anderen Seite stimmten alle Vertreter der sogenannten Arbeitnehmerseite, von IG Metall und Betriebsrat, der Fusion geschlossen zu, obwohl damit massive Angriffe auf die Beschäftigen in Form von Arbeitsplatzabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden sind. IG Metall- und Betriebsratsvertreter bezeichneten die Fusion als zukunftsweisend. Das Stahlgeschäft brumme und die Arbeitsplätze seien für die nächsten Jahre gesichert. Kein Stahlarbeiter in Deutschland müsse sich bei dem neuen Gemeinschaftsunternehmen Sorgen um die Zukunft seines Arbeitsplatzes machen, erklärte der Betriebsratsvorsitzende Tekin Nasikkol von ThyssenKrupp Stahl in Duisburg.
Nach der Abstimmung im Aufsichtsrat sagte Nasikkol: „Ich bin froh, dass wir Klarheit haben und die Beschäftigten nach einer ewig langen Zeit der Unsicherheit nun wissen, wohin die Reise geht.“
Diese Aussage ist eine Lüge. Nicht nur weil der Preis für die Fusion der Abbau von 4.000 Arbeitsplätzen, je zur Hälfte bei ThyssenKrupp und bei Tata Steel, ist. Einspareffekte von 400 bis 600 Millionen Euro pro Jahr sollen durch die Zusammenlegung von Vertrieb und Einkauf und durch Synergieeffekte in der Produktion erreicht werden. Die in Aussicht gestellte Beschäftigungsgarantie, der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und von Werkschließungen bis zum Jahr 2026 sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen!
Mit der Bildung von Thyssenkrupp-Tata Steel entsteht der zweitgrößte europäische Stahlkonzern nach Arcelor-Mittal mit 48.000 Beschäftigten in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden. Unter Bedingungen von einem weltweiten Überangebot von 700 Millionen Tonnen Stahl ist die Fusion Teil der Vorbereitungen auf einen mörderischen Konkurrenzkampf, der auf dem Rücken der Beschäftigen ausgetragen wird und eine ständige Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen zur Folge haben wird.
Dass die IG Metall und ihre Betriebsräte die Fusion dennoch begrüßen, hat einen guten Grund. Denn sie waren es, die die Einzelheiten in Bezug auf die sozialen Verschlechterungen ausgearbeitet haben. Die Vorbereitungen und Verhandlungen zur Fusion zogen sich über zwei Jahre hin. Im vergangen Herbst setzte der ThyssenKrupp-Aufsichtsrat eine Arbeitsgruppe ein, die von ThyssenKrupp-Personalvorstand Oliver Burkhard sowie dem stellvertretenden Aufsichtsratschef und IG Metall-Sekretär Markus Grolms geleitet wurde. Auch alle Betriebsratsvorsitzenden der acht Stahlstandorte in Deutschland sowie des Standorts im belgischen Antwerpen gehören zur Arbeitsgruppe.
Gruppenleiter Burkhard war von Ende 2007 bis September 2012 Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen und stieg 2013 zum Arbeitsdirektor der ThyssenKrupp AG auf und kassiert seitdem ein Millionengehalt. Die Bedingungen für die Zustimmung der Gewerkschaft und Betriebsräte zur Fusion wurden also von derzeitigen und ehemaligen IGM-Funktionären unter sich ausgehandelt.
Obwohl der Unternehmensvorstand unter Hiesinger seit dessen Amtsantritt als Vorstandschef bei ThyssenKrupp im Jahr 2011 ein Sparprogramm nach dem anderen durchsetzte, das Tausende von Arbeitern und Angestellten mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze und die verbliebenen Arbeiter vor allem auch in der Stahlproduktion mit Lohnverzicht und steigender Arbeitshetze bezahlen mussten, waren die Gewerkschaftsfunktionäre in der vergangenen Woche voll des Lobes für den scheidenden Konzernchef. Markus Grolms erklärte: „Heinrich Hiesinger verdient Respekt und Anerkennung.“
Die Ausgliederung des Stahlbereichs stellt für ThyssenKrupp eine Zäsur dar, war doch die Stahlproduktion Ursprung und Grundlage für den Aufstieg der Krupp-Dynastie, die vor 206 Jahren in Essen begann und eine ähnliche Bedeutung für Thyssen hatte, die 1997 zu ThyssenKrupp fusionierten. Gleichzeitig leitet sie ein neues Stadium massiver sozialer Angriffe ein. Es ist daher wichtig Bilanz zu ziehen.
Seit den 1960er Jahren als es in Deutschland noch 420.000 Stahlarbeiter gab, ist ihre Zahl in den folgenden Jahrzehnten immer weiter gesunken auf heute nur noch 85.000. Technologische Entwicklungen und Fusionen wurden von den Unternehmen ausschließlich dazu genutzt, die Kosten zu senken und ihre Profite zu steigern, während Hunderttausende Arbeitsplätze zerstört wurden. Alle Vereinbarungen zum Abbau dieser Arbeitsplätze und der Schließung von Werken tragen die Unterschriften von IG Metall und Betriebsräten.
Um dieser Entwicklung Einhalt zu bieten, müssen Arbeiter mit den Gewerkschaften und ihrer nationalistischen Standortpolitik politisch und organisatorisch brechen. Der Aufbau von Aktionskomitees in Betrieben, die sich unternehmens- und länderübergreifend auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms zusammen schließen, ist dringend erforderlich. Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei bieten ihre Unterstützung beim Aufbau dieser Aktionskomitees an.