Die Rücktritte des Vorstandsvorsitzenden von ThyssenKrupp, Heinrich Hiesinger, am 5. Juli, und des Aufsichtsratsvorsitzenden, Ulrich Lehner, elf Tage später, lösten am Aktienmarkt Begeisterung aus. Der Aktienkurs stieg am Tag nach Lehners Rücktritts-Meldung um mehr als 9 Prozent an und zeigte deutlich, worauf die Aktionäre und Finanzspekulanten hoffen: die Filetierung der verschiedenen Sparten des Konzerns und Trennung von Bereichen, die nicht den internationalen Rendite-Benchmarks entsprechen. Lehner hatte sogar von „Psychoterror“ gesprochen, der von Anteilseignern auf die Unternehmensführung ausgeübt werde, um eine Zerschlagung des Konzerns zu betreiben.
Die ThyssenKrupp AG entstand 1999 durch die Fusion der Stahlunternehmen Krupp, Hoesch und Thyssen, die mehr als 200 Jahre deutscher Industriegeschichte repräsentieren. Der heutige Konzern gliedert sich in die Bereiche Stahl, Aufzüge, Groß-Anlagen, Autoteile und U-Boote und beschäftigt weltweit mehr als 155.000 Arbeiter. Seitdem zwei Investitionen in neue Stahlwerke in Brasilien und den USA nach 2006 zu Verlusten von 10 Milliarden Euro geführt hatten, befindet sich der Konzern in einer anhaltenden Krise.
Unter dem Vorstandschef Hiesinger wurde eine Fusion des Stahlbereichs mit dem Konkurrenten Tata Steel verhandelt und vor wenigen Wochen, am 30. Juni 2018 unterzeichnet. Im Rahmen dieser Fusion hatte die IG Metall ihre Zustimmung zum Abbau von 4.000 Arbeitsplätzen gegeben und mit einer angeblich vertraglich vereinbarten Arbeitsplatzgarantie bis zum Jahr 2026 gerechtfertigt. Mit dem jetzt anstehenden Strategiewechsel des Konzerns bestätigt sich die Einschätzung der WSWS, dass diese Garantie nicht das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht. Eine Aufspaltung des Konzerns wird massive Arbeitsplatzverluste bedeuten.
Aus Furcht vor einem Aufstand der Belegschaft, warnen SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre vor einem „strukturpolitischen Erdbeben“ (Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel). Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) befürchtete einen „möglichen Arbeitsplatzabbau“, der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet (CDU), mahnte, die Aufspaltung des Konzerns könne „Land und Leuten schaden“.
Die IG Metall, die mit zehn Vertretern die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder stellt, spielt seit langem eine Schlüsselrolle bei der Umstrukturierung des Konzerns und arbeitet hinter dem Rücken der Belegschaft eng mit dem Vorstand und den Kapitaleignern zusammen. Während sie im Wirtschaftsausschuss und in anderen Führungsgremien an allen Strategie-Debatten beteiligt ist, spielt sie gegenüber der Belegschaft den Ahnungslosen und behauptet, sie sei von den Plänen überrascht worden. IGM-Bezirksleiter für NRW, Knut Giesler, warnte vor den Auswirkungen für die 39.000 Beschäftigten von Thyssenkrupp in Nordrhein-Westfalen. In der Rheinischen Post bezeichnete er die Rücktritte von Hiesinger und Lehner als „Weckruf“ und verlangte von allen Beteiligten mehr Disziplin.
Mit den „Beteiligten“ meinte er die Aktionäre, allen voran den Mehrheitsanteilseigner, die Krupp-Stiftung mit 21 Prozent der Aktien, den schwedischen Investmentfonds Cevian (18% Anteile) und den US-Hedgefond Elliott des Milliardärs Paul Singer, der seit seinem Einstieg bei Thyssenkrupp mit knapp unter 3% Anteilen vor wenigen Monaten einen aggressiven Kurs verfolgt. Mit seinen Forderungen nach Führungswechsel und Dezentralisierung des Konzerns bezweckt Singer einen Strategiewechsel, den die Finanzmärkte seit Jahren betreiben und der sich nach der Finanzkrise vor zehn Jahren noch verstärkt hat.
Mischkonzerne, die Unternehmen aus verschiedenen Branchen in einem Konglomerat vereinen, und dadurch konjunkturelle Höhen und Tiefen der verschiedenen Bereiche ausgleichen können, sind den Finanzspekulanten ein Dorn im Auge. Die Finanzindustrie zielt darauf ab, das eingesetzte Kapital in immer kürzeren Zyklen zu vermehren. Durch die Aufspaltung von Mischkonzernen sollen die ertragreicheren vom „Ballast“ der unterdurchschnittlich profitablen Bereiche „befreit“ werden.
Bei Thyssenkrupp spekulieren Aktionäre und Hedgefonds dass die Summe der Einzelteile – Stahl, Aufzüge, Groß-Anlagen, Autoteile, U-Boote – oder sogar die Aufzugssparte alleine, mehr Wert sei als der heutige Börsenwert des Konzerns.
ThyssenKrupp ist nicht der einzige Konzern, bei dem sich dieser Trend breit macht. Es handelt sich um ein internationales Phänomen, das die Macht des Finanzkapitals über die Wirtschaft demonstriert. Zu den aktuellen Beispielen dieser Strategie gehört auch der Siemens-Konzern, der sich in eine Holding verwandelt mit der Börsenregistrierung der Medizintechnik unter dem Namen Healthineers, der Fusionierung der Windkraft mit dem spanischen Konkurrenten Gamesa, der Ausgliederung von Osram/Ledvance und dem Zusammenschluss der Schienentechnik mit dem französischen Konkurrenten Alstom. Die Reihe der Konzerne liesse sich unendlich fortsetzen.
„Old World Germany Versus the Hedge Funds“, betitelte Bloomberg einen Bericht über ThyssenKrupp, der das aggressive Vorgehen der Hedgefonds unterstützte. Der Mischkonzern sei ein „Underperformer“, er liege mit seinem Profit von knapp zwei Prozent weit unter dem Marktdurchschnitt. Wenn ein Unternehmen mit seinem Gewinn nicht über den Kapitalzinsen liege, „solle es einpacken“, so Bloomberg. Die verschiedenen Sparten des Konzerns zusammenzuhalten entspreche nicht der „Logik des Marktes“.
Mit dem Rücktritt des Aufsichtsratsvorsitzenden und der Zuspitzung der Krise rückt die IG Metall weiter ins Zentrum der Auseinandersetzung. Denn bis ein neuer Aufsichtsratschef benannt ist, übernimmt IG Metall Sekretär Markus Grolms – der bisherige stellvertretende AR-Chef – diese Schlüsselfunktion.
Er strebe eine Grundsatzvereinbarung zwischen den zehn Aufsichtsräten der Arbeitnehmerseite und den zwei Vertretern der Krupp-Stiftung sowie des Vertreters von Cevian, Jens Tischendorf, an, erklärte Grolms. Unter den gegebenen Bedingungen bedeutet das, dass die IG Metall als Handlanger der Aktionäre und Hedgefonds fungiert.
Der Cevian-Gründer, Lars Förberg, der mit seinen 40 Mitarbeitern die Summe von 13 Milliarden Euro in den Finanzmärkten investiert, akzeptierte bereits das Gesprächsangebot. Er ist ein starker Befürworter einer Entflechtung des Konzerns und damit im gleichen Boot wie Paul Singer.
Auch die Krupp-Stiftung, die seit Januar von Ursula Gather geführt wird, einer Professorin und Rektorin der TU Dortmund, orientiert sich am Trend der Finanzmärkte. Vor zwei Jahren führte sie bereits Sondierungsgespräche mit dem finnischen Konkurrenten Kone über einen möglichen Verkauf der ThyssenKrupp-Aufzugssparte.
IGM-Sekretär und Aufsichtsratschef Grolms hat bereits die Bereitschaft der Gewerkschaft zum Abbau von weiteren Arbeitsplätzen signalisiert, vorausgesetzt er werde sozialverträglich gestaltet.
Die Beschäftigen bei Thyssenkrupp müssen sich auf heftige Auseinandersetzungen vorbereiten. Es bestätigt sich, was die WSWS Anfang des Jahres schrieb, als sie zur Ablehnung des Tarifvertrags über die Fusion mit Tata Steel aufrief. Wir erklärten damals, die Abspaltung der Stahlsparte sei der Auftakt zur Zerschlagung des Konzerns und forderten: „Die Nein-Stimme muss zum Auftakt gemacht werden, um Aktionskomitees in allen Stahlwerken aufzubauen und gemeinsam mit den Stahlarbeitern von Tata Steel in Großbritannien Kampfmaßnahme zur prinzipiellen Verteidigung aller Arbeitsplätze zu organisieren.“
Wir betonten, dass es notwendig ist „die Zwangsjacke der IG Metall und ihrer Betriebsfunktionäre zu durchbrechen. Das Recht auf Arbeit ist ein elementares Grundrecht und darf nicht den Profitinteressen der Konzerne, ihren Kapitalanlegern, Vorstandsmitgliedern und Lakaien in den Gewerkschaftshäusern geopfert werden.“