Bundesweiter Warnstreik legt Bahnverkehr lahm

Warnstreiks der Eisenbahner haben gestern den Zugverkehr in mehreren Bundesländern für mehrere Stunden lahmgelegt. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hatte von fünf bis neun Uhr zu Warnstreiks in ganz Deutschland aufgerufen. Sie reagierte damit auf den Unmut der Beschäftigten.

Da auch Beschäftigte in den Stellwerken und Betriebszentralen der EVG angehören, wo schon wenige streikende Arbeiter einen großen Hebel in der Hand halten, hatte der Streik große Auswirkungen. Der Fernverkehr wurde bundesweit ganz eingestellt. S-Bahnen, Regionalzüge und auch Güterzüge fuhren ab 9 Uhr nur langsam wieder an.

Die Streiks hatten für den Regionalverkehr in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg die stärksten Folgen, teilte die Bahn mit. Insgesamt waren von dem Warnstreik über 1400 Züge der Deutschen Bahn betroffen.

In Duisburg trafen sich vor dem Hauptbahnhof mehrere Hundert Beschäftigte zu einer kleinen Kundgebung. Toni und Osman arbeiten bei der DB Fahrwegdienste GmbH, einem hundertprozentigen Tochterunternehmen der DB Netze AG. „Wir sind für Baustellenlogistik, Gleissicherung und auch die Streckenpflege etwa durch Grünschnitt zuständig“, berichtet Toni.

Sie beteiligen sich am Streik, um für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne einzutreten. „Wir haben wie alle Kollegen aus den Tochterunternehmen schlechtere Arbeitsbedingungen als unsere Kollegen bei DB Netze“, sagt Osman. „Wir arbeiten 40 Stunden pro Woche anstatt 39 oder 38, unsere Nachtzuschläge sind geringer, unser Weihnachtsgeld beträgt kein ganzes, sondern nur ein Drittel eines Monatsgehalts. Urlaubsgeld erhalten wir auch erst ab dem sechsten Urlaubstag. Aber in den aktuellen Verhandlungen wird ja ohnehin nicht über eine Angleichung gesprochen. Deswegen sind wir für eine kräftige Lohnerhöhung.“

Toni hatte 1980 bei der Bundesbahn angefangen. 2002 musste er zu den damals ausgegliederten Fahrwegediensten wechseln, zu bedeutend schlechteren Konditionen. „Wir haben auch keine Freifahrten mit der Bahn mehr.“

Toni und Osman berichten, dass ihnen neben der geringen Bezahlung auch die geforderte „Flexibilität“ zu schaffen macht. „Man muss immer kurzfristig arbeiten. Manchmal weiß ich am Wochenende noch nicht, wie ich in der Woche eingesetzt werde“, berichtet Osman. „Und selbst wenn es feststeht, kann es sich kurzfristig ändern, oder man kommt aus der Frühschicht in der Woche direkt in die Nachtschicht am Wochenende.“ Osman kam direkt von der Nachtschicht zur Kundgebung vor dem Duisburger Hauptbahnhof und hatte am Morgen noch kein Auge zugetan.

Auch Jessica und Anna beklagen die viele Arbeit. Sie arbeiten beide im Kundenservicezentrum der DB Cargo in Duisburg. „Die Personalpolitik müsste dringend geändert werden“, meint Jessica. „Letztes Jahr waren wir vom Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen betroffen. Man kürzte die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich von 39 auf 36 Stunden pro Woche. Weil immer die Rede von einem Sozialplan war, haben sich viele bei uns entschieden, freiwillig zu gehen. Der Sozialplan kam dann zwar doch nicht, aber die Älteren sind in Frührente gegangen, und gerade die Jüngeren, die woanders noch Chancen haben, hatten sich wegbeworben.“

„Das bedeutet sehr viel Arbeit für uns“, ergänzt Anna. „Inzwischen sucht die DB verzweifelt nach Personal.“ Und Jessica sagte, eine gute Lohnerhöhung sei angesichts der letzten Kürzungen wichtig. „Unsere Arbeit muss geschätzt und nicht ständig als selbstverständlich gesehen werden.“

Die Wut über die Arbeitsbedingungen unter den Beschäftigten ist offensichtlich groß.

Dies hat mit Sicherheit auch dazu beigetragen, dass die EVG die seit zwei Monaten laufenden Tarifverhandlungen am Samstagmorgen überraschend für gescheitert erklärte. Sie wolle erst dann wieder zurück an den Verhandlungstisch, wenn die Bahn ein neues Angebot vorlege, betonte EVG-Sprecher Uwe Reitz am Sonntagabend vor Journalisten in Berlin.

Die EVG hat für ihre mehr als 100.000 bei der DB AG beschäftigten Mitglieder eine Lohnerhöhung von 7,5 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert. Zusätzliche Forderungen sind eine Erhöhung des Arbeitgeberanteils bei der betrieblichen Altersvorsorge sowie die Möglichkeit der Beschäftigten, anstelle der Lohnerhöhung auch mehr Urlaub oder eine Arbeitszeitverkürzung zu wählen.

Ein erstes Angebot der Bahn umfasste eine Lohnerhöhung von 4,5 Prozent in zwei Stufen, 2 Prozent ab dem 1. April 2019 und weitere 2,5 Prozent zum 1. Juli 2020. Die Laufzeit des Vertrags sollte 24 Monate betragen. Aufs Jahr umgerechnet bedeutete das ursprüngliche Angebot des Bahnvorstands also nicht mehr als 2,25 Prozent.

Beim letzten Angebot erhöhte die Bahn die erste Steigerung auf 2,5 Prozent sowie eine Einmalzahlung von 500 Euro, bestand aber auf eine Laufzeit von 29 Monaten. Die verlängerte Laufzeit hätte die Erhöhung weitgehend kompensiert.

Trotzdem war die EVG bereit, diesem Angebot zuzustimmen, wenn die Bahn AG bei der Lohnerhöhung einen Prozentpunkt drauflegt. Als der Bahn-Vorstand sich weigerte und eine Vertagung auf den heutigen Dienstag vorschlug, erklärte die EVG die Verhandlungen für gescheitert.

Die Bahn sprach von einer „völlig überflüssigen Eskalation“. Personalvorstand Martin Seiler erklärte: „Bei diesem Angebot den Verhandlungstisch zu verlassen, ist nicht nachvollziehbar.“ Seiler hat den Vorstandsposten erst Anfang des Jahres übernommen, aber er kennt die Tricks bei Tarifverhandlungen. Denn bevor er ins Management aufstieg, war er 15 Jahre lang Betriebsrat bei der Post und Funktionär der DPG (Deutsche Postgewerkschaft) und später von Verdi.

Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL), die mit der EVG konkurriert, vermutet andere Gründe für den plötzlichen Streik der EVG, die ansonsten für ihre enge Kooperation mit der Deutschen Bahn bekannt ist. Sie sieht darin vor allem einen Versuch, ihr Mitglieder abzuwerben. Er glaube, die EVG wolle auch mal zeigen, dass sie streiken könne, sagte GDL-Chef Claus Weselsky am Sonntag.

Die GDL, die sich ebenfalls in Tarifverhandlungen mit der Bahn befindet, kooperiert seit ihrem letzten Abschluss, in dem sie einem Streikverzicht bis 2020 zustimmte, ebenfalls eng mit der DB. Weselsky kommentierte den EVG-Streik mit den Worten, er treffe ein Unternehmen, das angesichts des Sparkurses schon geschwächt sei: „Da muss man als Gewerkschaft auch ein bisschen Rücksicht nehmen.“ Die GDL hatte die Vertagung der Verhandlungen auf den heutigen Dienstag akzeptiert.

Unmittelbar nach dem zeitlich befristeten Warnstreik erklärte die EVG ebenfalls, dass sie die Verhandlungen heute Nachmittag wieder aufnehme, wenn die Bahn schriftlich ein verbessertes Angebot vorlege. Weitere Warnstreiks seien auf jeden Fall vorerst nicht geplant.

Die enge Zusammenarbeit der EVG und der Bahn wird fortgesetzt. Dabei haben die EVG und ihre Vorläuferorganisationen Transnet und GdED gemeinsam mit der Bahn die Bedingungen durchgesetzt, die den Unmut der Beschäftigten hervorrufen. Die Privatisierung des ehemaligen Staatsunternehmens im Jahr 1993/94 hatte verheerende Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen. Allein von 2002 bis 2012 hatte der Bahnvorstand in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften die Belegschaft in Deutschland von 350.000 auf 190.000 Beschäftigte reduziert. Aktuell arbeiten wieder knapp 198.000 Beschäftigte im Inland bei der DB und durch Zukäufe mehr als 125.000 im Ausland.

Der ständige Arbeitsplatzabbau durch EVG und Bahn ist für die schlechten Arbeitsbedingungen verantwortlich, die der Grund sind, weshalb der gestrige Streikaufruf eine so große Resonanz erhielt.

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