Im Rahmen der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder rufen die Gewerkschaften derzeit in mehreren Bundesländern zu Warnstreiks auf. Für den heutigen Mittwoch haben Verdi, die Gewerkschaft Erziehung und Wissen (GEW) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin rund 140.000 Angestellte in Kitas, Schulen, Landes- und Bezirksbehörden, Hochschulen sowie bei der Feuerwehr und der Polizei zum Warnstreik aufgerufen. Zu einem Demonstrationszug vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor und einer anschließenden Kundgebung werden tausende Teilnehmer erwartet. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) greift dort mit dem folgenden Flugblatt ein. Ulrich Rippert ist Vorsitzender der SGP und kandidiert für die SGP zur Europawahl.
Viele Lehrer, Erzieher und andere Teilnehmer an den Warnstreiks im öffentlichen Dienst sind zurecht wütend. Die Situation an den Schulen, in den Kindergärten und in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes hat sich in den vergangen Jahren dramatisch verschlechtert.
An den Schulen haben die radikalen Sparprogramme der vergangenen Jahre zu einem katastrophalen Lehrermangel geführt. Die Arbeitsbelastung vieler Lehrer und Erzieher ist unerträglich. Die Schulgebäude sind marode. An vielen Schulen ist ein geordneter Unterricht nicht mehr möglich.
In Berlin wurden zu Beginn des neuen Schuljahres nur 37 Prozent der ausgeschriebenen Stellen mit ausgebildeten Lehrkräften besetzt. 28 Prozent sind so genannte Quereinsteiger ohne pädagogische Ausbildung. 34 Prozent der Neueinstellungen sind befristet.
Zusätzlich fehlen nach offiziellen Angaben des Berliner Senats etwa 2000 Erzieher und Sozialarbeiter. Die Kitas sind chronisch unterbesetzt. Was unter anderem damit zusammenhängt, dass die Erzieher in Berlin nicht wie in andern Ländern im TvöD der Kommunen eingruppiert sind und damit bis zu 450 Euro monatlich weniger verdienen.
Doch die Warnstreiks und Protestaktionen, zu denen Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufgerufen haben, zielen nicht darauf ab, die Probleme zu lösen oder die Situation auch nur zu verbessern. Vielmehr sind sie Teil einer rituellen Tarifauseinandersetzung, die seit Jahren in ähnlicher Form stattfindet und eine zunehmende Verschlechterung der Löhne und Arbeitsbedingungen zur Folge hat.
Verdi und GEW haben schon immer aufs engste mit dem Senat zusammengearbeitet und bilden mit den gegenwärtigen Senatsparteien – SPD, Grüne und Linke – eine Personalunion. Einige Verdi-Funktionäre beschweren sich lautstark über die „Blockadehaltung“ der öffentlichen Arbeitgeber. Doch das ist reine Schaumschlägerei. In Wahrheit sitzen sich bei den gegenwärtigen Tarifverhandlungen in Potsdam auf beiden Seiten des Verhandlungstisches Vertreter derselben Parteien gegenüber.
Verhandlungsführer der Arbeitgeber ist der Berliner SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz, der früher als Juso-Funktionär radikale Töne spuckte und seinen Parteiaufstieg im Büro von Hessens SPD-Vorsitzendem Thorsten Schäfer-Gümbel begann.
Die Verdi-Forderung von sechs Prozent mehr Lohn, mindestens aber 200 Euro monatlich mehr, ist eine Reaktion auf die aufgeheizte Stimmung unter den Beschäftigen. Doch wie üblich ist Verdi zu jedem faulen Kompromiss bereit und strebt vor allem eine lange Laufzeit und damit eine lange Friedenspflicht an.
Ebenso ist das „Zehn-Punkte-Programm“ der GEW gegen die Misere im Bildungssystem nur ein dürftiger Versuch, die Gemüter zu beruhigen. Die Forderungen nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen für alle Lehrkräfte – kürzere Arbeitszeit, kleinere Klassen, Ausgleichsstunden, Gesundheitsschutz, Altersermäßigung – „um die Attraktivität der Profession zu erhöhen“, klingt gut, ist aber nicht ernst gemeint. Ebenso wie die Forderung nach mehr „Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Psychologinnen und Psychologen, Heilerziehungspflegerinnen und -pfleger[n], Therapeutinnen und Therapeuten, Kunsterzieherinnen und -erzieher[n], Musikpädagoginnen und -pädagogen sowie herkunftssprachliche[n] Lehrkräfte[n]“, die „in multiprofessionellen Teams zusammenarbeiten“.
Diese Liste frommer Wünsche soll nur verdecken, dass die GEW genauso wie Verdi systematisch daran arbeitet, einen gemeinsamen Streik der Lehrer und aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu unterdrücken und zu verhindern. Stattdessen werden alle Proteste beschränkt, isoliert und schnellstmöglich beendet. Vor zwei Wochen streikten die Berliner Erzieher, gestern die Lehrer in Leipzig und anderen Städten in Sachsen, heute die Lehrer in Berlin, Donnerstag die Lehrer in NRW und für Freitag ruft Verdi die Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zu einem Warnstreik auf.
Diese krampfhaften Versuche, einen gemeinsamen Streik aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu verhindern, sind Teil der politischen Agenda der Gewerkschaften: Sie unterstützen die Politik der Großen Koalition und wollen eine Konfrontation mit der Bundesregierung verhindern.
Dabei handelt es sich bei der Großen Koalition um die rechteste Regierung seit dem Ende des Nazi-Regimes. Milliarden werden in Staatsaufrüstung und Krieg gesteckt, während in allen anderen Bereichen gekürzt wird. Die Flüchtlingspolitik von CDU/CSU und SPD trägt ebenso die Handschrift der AfD, wie die massive Aufrüstung von Polizei, Geheimdienst und Bundeswehr.
Die Wiederkehr von Militarismus und autoritären Herrschaftsformen ist dabei keineswegs auf Deutschland beschränkt. Überall reagieren die herrschenden Eliten auf die schreiende soziale Ungleichheit und die wachsenden Konflikte zwischen den Großmächten mit Aufrüstung, Hetze und Polizeistaatsmaßnahmen. US-Präsident Trump ist davon der deutlichste Ausdruck.
Unter Bedingungen der tiefsten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren können Arbeiter keines ihrer Rechte verteidigen und keine Verbesserungen durchsetzen, ohne mit den Gewerkschaften zu brechen und den Kampf selbst in die Hand zu nehmen. Das erfordert den Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees, die für eine internationale Strategie und ein sozialistisches Programm kämpfen.
Die gegenwärtigen Streiks und Proteste im öffentlichen Dienst müssen als Teil einer internationalen Bewegung verstanden werden. Auf der ganzen Welt wehren sich Arbeiter gegen die immer schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen. Sie sind mit den gleichen Problemen konfrontiert und können sie nur gemeinsam lösen.
Seit Monaten streiken in mehreren Bundesstaaten der USA Lehrer und Erzieher und geraten dabei in heftige Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften. Ähnlich ist es in Großbritannien. Vor einem Jahr konnte man den Beginn einer Lehrer-Rebellion auf vier Kontinenten verfolgen. Neben den USA und Kanada, entwickelten sich Lehrerstreiks in Nordafrika, vor allem in Tunesien und Algerien. Die algerische Lehrergewerkschaft streikte einen ganzen Monat, um höhere Löhne, sichere Renten und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
Im April vergangenen Jahres organisierten argentinische Lehrer in Buenos Aires ein permanentes Protestlager aus weißen Zelten und forderten eine 20-prozentige Lohnerhöhung. Kurze Zeit später traten die Lehrer im benachbarten Uruguay in den Streik.
Aber es sind nicht nur die Lehrer in Aufruhr. In Frankreich folgte auf die Lehrer-Proteste Anfang vergangen Jahres eine Streikwelle gegen die Arbeitsmarktreformen, die die Macron-Regierung nach dem Vorbild der deutschen Hartz-Gesetze einführen will. Und dann entwickelte sich die Gelbwesten-Bewegung als Revolte gegen soziale Ungleichheit, Armut und Not.
Im mexikanischen Matamoros haben 70.000 Automobilarbeiter in einer Rebellion gegen die Gewerkschaften wochenlang für bessere Löhne gekämpft, und auch in mehreren osteuropäischen Ländern wächst der Widerstand gegen die extreme Ausbeutung in den Autowerken.
Ohne mit der engstirnigen nationalen Politik der Gewerkschaften zu brechen, ist es nicht möglich, eine internationale Zusammenarbeit und Koordination des weltweiten Widerstands zu entwickeln.
Der Kampf gegen die Bildungsmisere und den ständigen Sozialabbau im öffentlichen Dienst muss als politischer Kampf verstanden werden, der sich gegen die Große Koalition und ihr Programm von Flüchtlingshetze, Staatsaufrüstung und Krieg richtet. Die Politik wird von einer superreichen Finanzelite dominiert, die die Privatisierung immer größerer Teile der staatlichen Einrichtungen und kommunalen Versorgung durchsetzt.
Es ist nicht möglich, die systematische Zerstörung des Bildungs- und Sozialsystems zu verhindern, ohne die Macht der Banken und der Finanzoligarchie zu brechen. Deshalb erfordert der Kampf gegen die sozialen Angriffe ein internationales sozialistisches Programm.
Dafür kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP), die deutsche Sektion der Vierten Internationale. Wir unterstützen jede ernsthafte Initiative, die Kontrolle und Bevormundung durch die Gewerkschaften zu durchbrechen und einen gemeinsamen Kampf aller Beschäftigen im öffentlichen Dienst zu organisieren. Wir treten zu den Europawahlen an, um die Kämpfe der Arbeiter international zusammenzuschließen und mit einer sozialistischen Perspektive zu bewaffnen. Nehmt mit uns Kontakt auf!