Tausende protestieren gegen Seehofers brutale Abschiebepolitik

In Berlin und weiteren Städten Deutschlands, darunter Nürnberg und Köln, protestierten am Samstag weit mehr als 5000 Menschen gegen Bundesinnenminister Horst Seehofers Pläne, Flüchtlinge weiter zu entrechten, wie Straftäter zu behandeln und ihre Unterstützer zu kriminalisieren. Gleichzeitig forderten sie die Wiederaufnahme der Seenotrettung.

Zu der Demonstration aufgerufen hatte die europaweite Initiative „Seebrücke“, die gegen Seehofers Gesetzentwurf für ihre Petition „Kein ‚Geordnetes-Rückkehr-Gesetz‘ sondern Seehofers Rücktritt!“ bereits mehr als 15.000 Unterschriften erhalten hat.

Ihrer Empörung gegen diese rechte Politik machten die Demonstranten mit selbst gebastelten Plakaten Luft. „Stop Deportation“, „Seehofer abschieben“, „Lebensrettung ist kein Verbrechen, unterlassene Hilfeleistung hingegen schon“ und „Refugees Welcome“, lauteten einige Parolen.

Das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz sieht unter anderem unter Strafandrohung vor, dass abgelehnte Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge die Richtigkeit der Angaben zu ihrer Identität selbst beweisen und sich aktiv an ihrer Abschiebung beteiligen müssen.

Asylbewerber, deren Abschiebung nach Einschätzung der Behörde vorerst nicht möglich ist, sollen keinen Duldungsstatus erhalten, sondern eine „Ausreiseaufforderung“. Damit verbunden sind schärfere Arbeitsverbote und der Ausschluss von Integrationsmöglichkeiten. Lediglich Unterkunft, Nahrung und Hygieneartikel sollen bereitgestellt werden.

Gleichzeitig hat die Europäische Union letzte Woche beschlossen, ihre „Operation Sophia“ auf dem Mittelmeer zu beenden.

Zum Auftakt der Demonstration in Berlin sprachen Reporter der WSWS mit Kathrin, die sich als Einsatzleiterin auf der „Iuventa”, einem Schiff der Initiative „Jugend Rettet”, aktiv an der Rettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer beteiligt hat.

Die „Iuventa“ habe zwischen 2016 und 2017 um die 14.000 Menschen aus Seenot gerettet, berichtete Kathrin. Das Schiff wurde 2017 in Italien festgesetzt und liegt seitdem im Hafen von Trapani auf Sizilien. Gegen die zehn Crewmitglieder werde in Italien wegen „Beihilfe zur illegalen Einwanderung” strafrechtlich ermittelt. Ihnen drohen bis zu 20 Jahren Haft.

Kathrin verurteilte die Strafverfolgung als „bürokratisch-juristische Maßnahme”, die dazu diene, „Menschen sehenden Auges zum Tode zu verurteilen“. Es „werden gerade nur wenige angeklagt, aber es betrifft uns alle. Es ist etwas, was die Freiheit der demokratischen Gesellschaft gefährdet.“

Die italienischen Ermittlungen gegen die Crew der „Iuventa“ seien nicht erst mit der Amtsübernahme des für seine Flüchtlingspolitik berüchtigten Innenministers Matteo Salvini (Lega) Mitte 2018 aufgenommen worden, stellte Kathrin klar. Schon Monate zuvor seien eine Wanze auf dem Schiff installiert, Telefongespräche abgehört und verdeckte Ermittler auf anderen Schiffen eingesetzt worden.

Die Eskalation der Repressalien gegen Flüchtlingshelfer ist kein nationales Phänomen. „Tatsächlich ist diese strategische Kriminalisierung von Solidarität und humanitärer Hilfe im Moment in ganz Europa zu sehen”, kritisierte Kathrin. Überall würden Leute strafrechtlich verfolgt, die Geflüchteten zum Beispiel mit einem Schlafplatz, etwas zu essen oder einer Dusche ausgeholfen hätten. „Das Bereitstellen von lebenserhaltenden Maßnahmen wird unter Strafe gestellt, wenn es an die falschen Passinhaber gehen soll.”

Kathrin beteiligt sich an den Protesten, weil „diese menschenverachtende Politik von der deutschen Bundesregierung mitgetragen wird“. Bis heute habe sich die Bundesregierung noch nicht zu einem Statement zur Anklage gegen die Crew hinreißen lassen. Im Gegenteil: „Seehofer war einer derjenigen, die gefordert haben, dass die Crew der Seenotrettungsschiffe strafrechtlich verfolgt werden soll.“

Auch Ruben, Seenotretter für Sea-Watch, betont, dass die flüchtlingsfeindliche Politik ein europäisches Problem ist.

Nicht nur rechte, sondern auch vermeintlich linke Regierungen setzen diese Politik um, so Ruben. „Man sieht es zum Beispiel an Spanien, wo die sogenannten Sozialisten regieren und Sanchez auch das Auslaufen von Rettungsschiffen verhindert.“

Im Zusammenhang mit der Einstellung der „Operation Sophia” bemerkte Ruben, dass die Europäische Union die Libyer gezielt für ihre „Drecksarbeit” einspanne. „Man weiß genau, man darf mit den eigenen Kriegsschiffen die Leute nicht nach Libyen zurückbringen, weil klar ist, dass dort Menschenrechtsverbrechen an der Tagesordnung sind. Es gibt Gerichtsurteile, die verbieten, dass europäische Schiffe Menschen dorthin zurückbringen.” Deshalb, so konstatierte er, werde auf die libyschen Milizen zurückgegriffen, die juristisch nicht für ihre Taten zu belangen seien.

Von den Reportern der WSWS nach seiner Perspektive für den Kampf gegen die rechte Regierungspolitik befragt, antwortete Ruben: „Wir bauen hier gerade das solidarische Europa von unten.“ Bereits 50 Städte hätten sich der Seebrückenbewegung angeschlossen und sich zu „sicheren Häfen“ erklärt.

Besonders interessant findet er, dass „plötzlich nicht mehr nur über Migration, sondern auch über den Klimawandel und Artikel 13 geredet wird“. Seitdem über all diese Themen geredet werde, „verliert die AfD in den Umfragewerten“, so Ruben.

Arnoud, der für einige Wochen in Berlin lebt, diskutierte mit dem SGP-Kandidaten zur Europawahl, Markus Klein, die aktuellen Entwicklungen in der EU-Politik sowie Parallelen in Deutschland und Frankreich. Auch im Nachbarland werden die Asylgesetze immer weiter verschärft. Gleichzeitig wächst der Widerstand in der Bevölkerung in Form der Gelbwesten-Bewegung. Er erläuterte, wie Macron immer stärker versucht, die Proteste zu unterdrücken und das Militär gegen die Protestierenden zu mobilisieren.

Auf die Notwendigkeit einer internationalen Politik gegen diese Rechtsentwicklung angesprochen, stimmt Arnoud zu: „In Zeiten der Globalisierung scheint dies die einzige Möglichkeit zu sein.“

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