Als heute vor 75 Jahren Einheiten der 60. Armee der 1. Ukrainischen Front der Roten Armee das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz befreiten, waren sie mit den Zeugnissen der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte konfrontiert. „Auf den Pritschen lagen Menschen, Skelette schon, nur mit Haut überzogen und abwesendem Blick“, erinnerte sich einer der Rotarmisten. Etwa 8000 dem Tode nahe stehende Gefangene waren von weit über einer Millionen Menschen übrig geblieben, die in weniger als fünf Jahren in Auschwitz ermordet worden waren.
Die SS hatte das Lager in den Tagen zuvor „evakuiert“ und 60.000 Häftlinge auf Todesmärsche in Richtung Westen gezwungen oder sofort umgebracht. Zurück blieben unter anderem 837.000 Frauenkleider, 370.000 Anzüge, 44.000 Paar Schuhe und sieben Tonnen Haar, die schätzungsweise von 140.000 Menschen stammten und Spuren von Zyklon B aufwiesen.
Auschwitz war das Zentrum einer den ganzen Kontinent umspannenden, industriellen Mordmaschinerie. Juden, Sinti, politische Gegner und andere Gruppen wurden unter enormem logistischem Aufwand aus allen besetzten Gebieten Europas in das Todeslager deportiert. Oft waren sie zuvor schon in anderen Konzentrationslagern interniert, von denen es allein auf dem Gebiet des heutigen Deutschland elf gab. Hinzu kamen etliche Konzentrationslager in Polen, den baltischen Staaten, den Niederlanden, Frankreich und Österreich. Insgesamt wurden im Holocaust sechs Millionen Juden ermordet.
In den meisten Lagern wurde die Vernichtung der Insassen durch Zwangsarbeit, Unterernährung und schwerste Misshandlung betrieben. Das KZ-System war dabei eng mit der Wirtschaft verwoben. Allein in Auschwitz siedelten dutzende Unternehmen um das Lager herum Fabriken an, um die Zwangsarbeiter dort ausbeuten zu können. Darunter befanden sich Konzerne wie Krupp und Siemens-Stuckert. Der Mega-Konzern IG-Farben, in dem Großkonzerne wie Bayer, BASF und Höchst zusammengeschlossen waren, betrieb mit Auschwitz III sogar ein eigenes Lager, in das bis zu 11.000 Zwangsarbeiter eingepfercht waren.
Im wahnsinnigen Antisemitismus, der Auschwitz zugrunde lag, wurden jahrhundertealte latente Vorurteile und Aggressionen gegen Juden durch Hitlers Hass gegen die organisierte Arbeiterschaft und den Sozialismus mobilisiert und politisiert. Wie der Sozialdemokrat Konrad Heiden in seiner bereits 1936 erschienenen Hitler-Biografie beobachtete, stieß Hitler nicht die Arbeiterbewegung ab, „weil sie von Juden geführt wurde, sondern die Juden stießen ihn ab, weil sie die Arbeiterbewegung führten“. Hitler wurde von der herrschenden Klasse an die Macht gebracht, um die gesamte Arbeiterbewegung zu zerschlagen. Der Antisemitismus war ein Werkzeug hierzu.
Zugleich war die Zerschlagung von SPD, KPD und Gewerkschaften die notwendige Voraussetzung, um den Zweiten Weltkrieg und die Verfolgung der Juden in die Tat umzusetzen. „Der Untergang der deutschen sozialistischen Bewegung ebnete der Vernichtung der europäischen Juden den Weg“, bemerkt David North in seinem Buch „Die Russische Revolution und das unvollendete 20. Jahrhundert“. „Bevor ein Verbrechen von diesen Ausmaßen organisiert und durchgeführt werden konnte, mussten die Nazis alles einschüchtern und vernichten, was in der deutschen Gesellschaft geistig lebendig, fortschrittlich und human war.“ (S. 382 f.)
Doch erst mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte der Mord an den europäischen Juden tatsächlich verwirklicht werden. Der Judenmord verschmolz mit dem Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion, der 27 Millionen Opfer forderte und von Anfang an darauf abzielte, die gesamte politische und intellektuelle Führungsschicht – den „jüdischen Bolschewismus“ in Hitlers Worten – physisch auszurotten, um die deutsche Vorherrschaft für Jahrhunderte zu sichern. „Der barbarische Charakter des Imperialismus, des höchsten Stadiums des Kapitalismus, fand in diesem Vernichtungsfeldzug seinen höchsten Ausdruck“, schreibt die Sozialistische Gleichheitspartei in ihren historischen Grundlagen. (S. 19 f.)
Die Bilder dieses grauenhaften Verbrechens des Kapitalismus sind tief im kollektiven Bewusstsein eingebrannt und Menschen werden sich daran erinnern, solange sie auf diesem Planeten leben. „Nie wieder Faschismus!“ ist im Angesicht der Wiederkehr von Rechtsextremismus und Krieg der tief empfundene Ausruf der großen Mehrheit der Bevölkerung.
Selbst der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sah sich in seiner Rede in der Schoah-Gedenkstätte Yad Vashem am vergangenen Donnerstag gezwungen, vor der Rückkehr von antisemitischem, völkischem und autoritärem Denken zu warnen. Er könne nicht sagen, „wir Deutschen“ hätten aus der Geschichte gelernt, „wenn nur eine schwere Holztür verhindert, dass ein Rechtsterrorist an Jom Kippur in einer Synagoge in Halle ein Blutbad anrichtet“, so der Bundespräsident.
Die Gefahr des Faschismus ist heute zweifellos so groß wie nie zuvor seit der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reichs. Mit der AfD ist erstmals eine rechtsextreme Partei mit über 90 Abgeordneten im Bundestag vertreten. Rechtsterroristische Netzwerke bedrohen und ermorden Andersdenkende und Neonazi-Banden machen Jagd auf Flüchtlinge.
Aus dem Munde Steinmeiers oder anderer Vertreter der herrschenden Klasse klingen Warnungen vor der rechten Gefahr jedoch wie blanker Hohn. Sie haben die Hetze und die Politik der AfD selbst zunehmend übernommen und damit das ideologische Klima und die politischen Voraussetzungen für ihren Aufstieg und den rechten Terror gelegt. Das deutsche Staatsoberhaupt spielte dabei eine zentrale Rolle. Schon kurz nach dem Wahlerfolg der AfD bei den Bundestagswahlen 2017 hatte er erklärt, man müsse „die Mauern der Unversöhnlichkeit“ zu den Rechtsextremisten abtragen und einen „deutschen Patriotismus“ entwickeln.
Kurze Zeit später traf er sich mit den AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland und Alice Weidel, um über die Regierungsbildung zu beraten. Im März 2018 wurde dann die Große Koalition vereidigt und die AfD damit zur offiziellen Oppositionsführerin gemacht. Die anderen Parteien überließen den Rechtsextremisten den Vorsitz wichtiger Ausschüsse und arbeiten seither eng mit ihnen zusammen.
Die gesamte herrschende Klasse verharmlost auch systematisch den Nationalsozialismus und bekämpft den Antifaschismus. In seiner Rede zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs im vergangenen Jahr erwähnte der Bundespräsident die Verfolgung der Juden und den Holocaust mit keinem Wort. Das war ein deutliches Zugeständnis und Signal an die AfD, die den Nationalsozialismus als „Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnet. Als im Oktober Studierende an der Universität Hamburg dagegen protestierten, dass der AfD-Gründer Bernd Lucke wieder als Professor lehren soll, warf Steinmeier ihnen „aggressive Gesprächsverhinderung“ vor, die „nicht akzeptabel“ sei.
Eine Schlüsselrolle bei der Relativierung der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte spielt der rechtsradikale Professor Jörg Baberowski, der von der Bundesregierung unterstützt und von einem Großteil der Presse gegen jede Kritik verteidigt wird. Der Professor für Geschichte Osteuropas an der Berliner Humboldt-Universität sprach sich schon im Februar 2014 gegenüber dem Spiegel dafür aus, den mittlerweile verstorbenen Nazi-Apologeten und Antisemiten Ernst Nolte zu rehabilitieren. „Nolte wurde unrecht getan. Er hatte historisch recht“, erklärte Baberowski und fügte als Begründung hinzu: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“
Gegen diese bodenlose Verharmlosung der Nazi-Verbrechen im größten deutschen Nachrichtenmagazin gab es von Seiten der Professorenschaft oder der Medien keine einzige Stimme des Protests. Ganz im Gegenteil wurden die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) massiv angegriffen, weil sie Baberowski auf Veranstaltungen und in Flugblättern kritisierten. Die Leitung der Humboldt-Universität beharrt bis heute darauf, dass Baberowski „nicht rechtsradikal“ sei und „mediale Angriffe“ auf ihn „inakzeptabel“ seien.
Ermutigt durch die Rückendeckung, die er vom politischen Establishment erhält, geht Baberowski immer weiter. Vor wenigen Tagen erklärte er gegenüber der F.A.Z., Hitler habe nichts vom größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte wissen wollen. „Stalin habe sich am Grauen ergötzt, während Hitler das nicht getan habe, sondern nichts von Auschwitz habe wissen wollen – was die Sache ja noch viel schlimmer mache“, fasst die F.A.Z. Baberowskis Aussage gegenüber der Zeitung.
Dass Hitler von Auschwitz nichts habe wissen wollen, ist das altbekannte Argument von Rechtsextremisten, die leugnen, „dass die Ermordung der europäischen Juden das Ergebnis einer systematisch betriebenen Politik war und dass diese Politik maßgeblich von der höchsten Autorität des ‚Dritten Reichs‘, Adolf Hitler, verfolgt wurde“, wie der Hitler-Biograf Peter Longerich in Hinblick auf seine beiden Gutachten gegen den britischen Holocaust-Leugner David Irving erklärte.
75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wird dieser rechtsradikale Schmutz in einer der größten Zeitungen Deutschlands gedruckt. Und nicht nur das. Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten hat zu ihrer zentralen Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs neben der CDU-Vorsitzenden und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auch Baberowski geladen, der den Hauptvortrag halten soll. Die Veranstaltung soll laut Stiftung nicht nur der Opfer des Zweiten Weltkriegs gedenken, sondern auch der Opfern der Diktaturen in Osteuropa, die „erneut Verfolgung und Leiden mit sich brachten“. Geplant ist unter anderem die Verlesung von Selbstzeugnissen von Internierten der sowjetischen Speziallager in Torgau, in denen nach dem Krieg unter anderem tausende Nazis und Kriegsverbrecher eingesperrt worden waren.
Mit dieser Geschichtsklitterung durch höchste Regierungskreise und weite Teile der Medien sollen rechtsradikale Standpunkte wieder salonfähig gemacht werden. Angesichts der tiefsten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren kehren die Herrschenden zu einer Politik heftiger sozialer Angriffe nach innen und von wachsendem Militarismus nach außen zurück.
Die Zerstörung hunderttausender Arbeitsplätze in der Autoindustrie kann ebensowenig mit demokratischen Mitteln verwirklicht werden wie die neokoloniale Unterwerfung Afrikas und die Aufrüstung für einen drohenden dritten Weltkrieg. Deshalb setzen die Herrschenden wie vor 90 Jahren auf autoritäre und faschistische Methoden. Baberowski selbst erklärte schon 2014, dass man den Krieg gegen den Terror nur gewinnen könne, wenn man bereit sei, „Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten“. Das ist die Sprache der Nazis und des Vernichtungskriegs.
Diese Entwicklung ist dabei keineswegs auf Deutschland beschränkt, sondern findet in der herrschenden Klasse jedes Landes statt. Der französische Präsident Emmanuel Macron würdigt den faschistischen Diktator Philippe Pétain und setzt die Armee gegen die Proteste der Gelbwesten ein. Der britische Premier Boris Johnson stützt sich in seiner fremdenfeindlichen und nationalistischen Politik auf Mitglieder der rechtsradikalen Partei Britain First, und in den USA mobilisiert Trump immer offener seine faschistische Basis, um die Politik horrender Aufrüstung und krimineller Kriegsvorbereitungen durchzusetzen.
Es gibt für diese Politik keine Unterstützung in der Bevölkerung. Ganz im Gegenteil brechen überall auf der Welt heftige Klassenkämpfe aus. Arbeiter und Jugendliche protestieren gegen soziale Ungleichheit, Militarismus und Diktatur. Doch ohne eine revolutionäre Führung und ein klares Programm können diese Kämpfe nicht erfolgreich sein und wird die Bourgeoisie ihre Politik von Faschismus und Krieg erneut durchsetzen. Die zentrale Aufgabe, um einen Rückfall in die kapitalistische Barbarei zu verhindern, ist der Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, der Weltpartei der sozialistischen Revolution.