Coronavirus-Pandemie weitet sich aus

Kapitalismus im Kriegszustand mit der Gesellschaft

Die Coronavirus-Pandemie entwickelt sich zu einer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krise von bislang unbekannten Ausmaßen. Am 11. März kam es an den Börsen weltweit und insbesondere in den USA zu drastischen Einbrüchen. Das letzte Mal, dass die Wall Street innerhalb eines Tages einen derartigen Verlust verzeichnete, war im Jahr 1987. Alles deutet darauf hin, dass die Pandemie die Weltwirtschaft massiv beeinträchtigen und tiefe Verwerfungen in der bestehenden Gesellschaftsordnung hervorrufen wird.

Die Schätzungen, mit wie vielen Todesfällen durch das Virus zu rechnen ist, sind beängstigend. Die Gesamtzahl der weltweit bestätigten Infektionen erreicht demnächst 150.000 und steigt exponentiell an. Allerdings spiegeln die offiziellen Angaben die Realität nur unzulänglich wider. Die tatsächlichen Zahlen liegen weitaus höher, da es an adäquaten Tests mangelt und die Latenzzeit sehr lang ist. Die offizielle Zahl der Todesopfer beläuft sich mittlerweile auf über 5.000. In Gefahr ist jedoch das Leben von unzähligen Millionen Menschen auf der ganzen Welt.

In Italien liegt das gesellschaftliche Leben nach der landesweiten Abriegelung brach, praktisch alle Geschäfte sind geschlossen und die Straßen sind wie leergefegt. In Deutschland erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus infizieren werden. Entsprechend werden Millionen Menschen eine intensivmedizinische Betreuung benötigen oder andernfalls sterben. Im Iran wurde Berichten zufolge bereits damit begonnen, Massengräber auszuheben, da die Epidemie außer Kontrolle gerät. Unterdessen wurden auch in Frankreich sämtliche Schulen und Universitäten geschlossen. In den Vereinigten Staaten kam es zur Absage großer öffentlicher Sport- und Freizeitveranstaltungen. In den Supermärkten gehen Grundnahrungsmittel rapide zu Neige.

Reinigungskräfte von Servpro werden nach Feierabend mit Desinfektionslösung besprüht. Life Care Center in Kirkland bei Seattle, 12. März 2020 (AP-Foto/Ted S. Warren)

Die Coronavirus-Pandemie offenbart, dass das kapitalistische System eine solche Krise nicht bewältigen kann. Regierungen rund um den Globus reagieren mit chaotischer Inkompetenz. Obwohl eine solche Katastrophe absolut vorhersehbar war, wurden keine Vorbereitungen getroffen. Sämtlichen Gesundheitssystemen mangelt es an Ressourcen, Überforderung macht sich breit.

Die völlige Unfähigkeit der Vereinigten Staaten, des reichsten kapitalistischen Lands der Welt, auf die Notlage zu reagieren, ist ein vernichtendes Urteil über die dortige Regierung und das gesamte Wirtschaftssystem.

Am klarsten kam die Gleichgültigkeit der kapitalistischen Oligarchie gegenüber dem Leben von Millionen in der Ansprache von Präsident Donald Trump am vergangenen Mittwoch zum Ausdruck. In einer nationalistischen Hetztirade schob er China und Europa die Schuld an dem „ausländischen Virus“ zu.

Zuvor hatte sich Trump ausschließlich um die Auswirkungen der Krise auf den Aktienmarkt gekümmert und verkündet, das Coronavirus stelle keine ernsthafte Bedrohung dar und alles sei in bester Ordnung. Er konnte sich nicht dazu durchringen, den Massen in den USA und weltweit, deren Leben auf den Kopf gestellt wird, ein wenig Mitgefühl entgegenzubringen. Mit keiner Silbe erwähnte er die fehlenden Testmöglichkeiten oder die eklatanten Mängel in der Gesundheitsversorgung.

Das Problem beschränkt sich allerdings nicht auf die soziopathische Persönlichkeit des derzeitigen Präsidenten. Trump ist ein Produkt des amerikanischen Kapitalismus, einer Gesellschaft, die von beispielloser Ungleichheit geprägt ist und in der die Finanzelite auf Kosten der Massen einen unfassbaren Reichtum angehäuft hat.

Die Klasseninteressen hinter der Reaktion der US-Regierung wurden am 12. März besonders deutlich. In einem ebenso verzweifelten wie vergeblichen Versuch, den Ausverkauf an der Wall Street zu stoppen, kündigte die amerikanische Zentralbank an, 1,5 Billionen Dollar für den Ankauf von Aktien und anderen Wertpapieren bereitzustellen. Währenddessen feilscht der Kongress um ein paar Milliarden Dollar, um diejenigen zu unterstützen, die ihre Arbeit verloren haben oder anderweitig unter der Krise leiden. Im Vergleich zu dem, was tatsächlich benötigt wird, ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.

Der Ausbruch der Pandemie und ihre Folgen können nur im Zusammenhang mit der Entwicklung des globalen Kapitalismus in den letzten vierzig Jahren verstanden werden. In diesen vier Jahrzehnten trat der zutiefst reaktionäre Charakter eines Systems zutage, das auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht und in dem alle Bedürfnisse der Gesellschaft der persönlichen Bereicherung untergeordnet werden. Die kapitalistischen Oligarchen handeln getreu dem Motto: „Wenn Millionen sterben müssen, damit wir Milliarden scheffeln können – so sei es.“

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher tat 1987 den berüchtigten Ausspruch: „There is no such thing as society“, mit dem sie die Gesellschaft zur Fiktion erklärte. Dies war die Begründung für einen Generalangriff auf soziale Leistungen und Einrichtungen und für eine massive Umverteilung von der Arbeiterklasse zur Bourgeoisie. Die herrschenden Eliten, allen voran in den USA, betreiben seit vier Jahrzehnten einen unerhörten Raubzug. Das einzige Ziel ihrer Politik ist die private Bereicherung der Oligarchen – auf Kosten der Gesellschaft.

In den USA sind sowohl die Republikaner als auch die Demokraten für diese soziale Brandstiftung verantwortlich. Während der vergangenen drei Jahre, in denen Trump Arbeiter und Immigranten attackierte, verkündeten die Demokraten unaufhörlich, die größte Bedrohung für die amerikanische Bevölkerung gehe von Russland aus. Jede gesellschaftliche Opposition gegen die Trump-Regierung wurde der reaktionären Agenda des Militärs und der Geheimdienste untergeordnet.

Nun sehen wir die Folgen. Kein Land ist derart unvorbereitet auf die Krise wie die Vereinigten Staaten. Am Donnerstag erklärte der Direktor der Gesundheitsbehörde des Bundesstaates Ohio, dass derzeit 1 Prozent der Einwohner mit dem Coronavirus infiziert ist. Das entspricht 117.000 Menschen. Lediglich fünf Personen wurden tatsächlich getestet.

In den Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention können pro Tag maximal 300 bis 350 solcher Tests durchgeführt werden. Aber noch nicht einmal das wird getan. Diese Woche gab es am Dienstag lediglich acht Tests, am Mittwoch keinen einzigen – obwohl sich das Virus im ganzen Land ausbreitet. Anthony Fauci, Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten, räumte am Donnerstag vor dem Kongress ein, dass „das System nicht auf das ausgerichtet ist, was derzeit gebraucht wird… Es versagt.“

Mit der weiteren Ausbreitung des Virus wird das Gesundheitssystem in den Vereinigten Staaten in kürzester Zeit überfordert sein. Die Anzahl der Krankenhausbetten und Intensivstationen ist vollkommen unzureichend, um den erwarteten Bedarf zu decken. Zehntausende Menschen werden nicht versorgt werden können, was zu einem enormen Anstieg der Todesfälle führen wird. Den Beschäftigten im Gesundheitswesen mangelt es am Nötigsten, einschließlich Masken, wodurch sie sich und ihre Patienten einem erhöhten Risiko aussetzen.

Auch zahlreiche Betriebe sind nicht so ausgestattet, dass gesundheitliche Risiken minimiert werden. Viele Arbeiter berichten von unhygienischen Zuständen, es fehlt an Seife und bisweilen sogar an Heißwasser. Am Donnerstag wurde ein Autoarbeiter in einem Fiat-Chrysler-Werk im Bundesstaat Indiana positiv auf das Coronavirus getestet. Das Werk wurde jedoch nicht geschlossen, weil es für die Produktion von Fiat Chrysler eine wichtige Rolle spielt. Besonders Beschäftigte im Dienstleistungssektor, deren Lohn bei Krankheit in der Regel nicht weitergezahlt wird, sind einer erheblichen Gefahr ausgesetzt.

Hundertausenden Studierenden in den USA droht zudem die Räumung ihrer Wohnheime, wenn Schulen und Colleges geschlossen werden. Notfallpläne für alternative Unterkünfte gibt es nicht. Eltern werden gezwungen, unbezahlten Urlaub zu nehmen oder eine Betreuung für ihre Kinder zu organisieren. Auf staatliche Hilfe warten sie dabei vergeblich.

Diese Zustände wiederholen sich überall auf der Welt. Die Regierungen mühen sich ab, um die Gewinne der Unternehmen zu sichern, während Millionen Menschen den Folgen ihrer Politik schutzlos ausgesetzt sind. Es gibt keinen koordinierten Plan, um die Pandemie zu bekämpfen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die eigentlich für globale Gesundheitsnotfälle geschaffen wurde, erweist sich als ohnmächtig. Ihre Richtlinien und Vorschriften werden allgemein ignoriert.

Während die tödliche Pandemie Fahrt aufnahm, wurde kostbare Zeit verschwendet. Als das Coronavirus erstmals im chinesischen Wuhan nachgewiesen wurde, interessierte sich Washington ausschließlich dafür, wie die Krise in China zum geopolitischen Vorteil der USA ausgenutzt werden könnte. Auch die Medien schenkten der Entwicklung nur wenig Aufmerksamkeit. Aufrufe zu dringenden, globalen Maßnahmen blieben aus.

Im Gegensatz dazu erkannten das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die ihm angeschlossenen Sozialistischen Gleichheitsparteien die drohende Gefahr sofort und schlugen Alarm. Grundlage für diese klare Sicht war ihre internationale sozialistische Perspektive. So warnte die World Socialist Web Site bereits am 28. Januar: „Die Ausbreitung des Coronavirus zeigt erneut die enorme Anfälligkeit der heutigen Gesellschaft gegenüber neuen Mutationen von Infektionskrankheiten. Keine kapitalistische Regierung hat angemessene Vorbereitungen für diese Gefahren getroffen.“ Auf der WSWS hieß es weiter, dass die dringende Notwendigkeit einer international koordinierten Aktion zur Bekämpfung der Pandemie durch nationale Konflikte untergraben werde:

In einer Zeit, in der eine rationale Planung über nationale Grenzen hinweg entscheidend ist, um die globale Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit zu bekämpfen, sind die Vereinigten Staaten und China in einem wachsenden Handelskonflikt und einem neuen „Kalten Krieg“ gefangen. Auch wenn neue Krankheitserreger die wissenschaftlichen Ressourcen aller Kontinente zur Bekämpfung benötigen, ziehen die Länder der Welt metaphorisch und wortwörtlich Mauern hoch.

Die Verteidigung der menschlichen Zivilisation gegen die Bedrohung durch globale Pandemien erfordert – ebenso wie der Klimawandel und die wachsende Gefahr ökologischer Katastrophen – ein Maß an Planung und globaler Zusammenarbeit, zu dem der Kapitalismus nicht in der Lage ist. Die Gesellschaft ist über das kapitalistische System und die willkürlichen Spaltungen, die es der Welt auferlegt, hinausgewachsen. Die Befriedigung existentieller gesellschaftlicher Bedürfnisse erfordert eine rationale Planung. Das heißt, notwendig ist der Sozialismus. („Das Coronavirus von Wuhan und die globale Bedrohung durch Infektionskrankheiten“)

Sechs möglicherweise entscheidende Wochen wurden von der herrschenden Klasse bereits vergeudet, und die globale Bedrohung wächst exponentiell. Jetzt muss gehandelt werden.

Die Reaktion auf die Krise muss von der Prämisse geleitet sein, dass die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen auf der ganzen Welt unbedingten Vorrang vor Profitstreben und privatem Reichtum haben.

Die Sozialistischen Gleichheitsparteien und das Internationale Komitee der Vierten Internationale fordern eine massive, international koordinierte Mobilisierung aller Ressourcen der Gesellschaft zur Bekämpfung des Coronavirus. Es müssen Billionenbeträge zur Verfügung gestellt werden, damit genügend Tests zur Verfügung stehen und alle Infizierten eine erstklassige medizinische Versorgung erhalten. Das profitorientierte Zweiklassen-Gesundheitssystem muss durch eine universelle Versorgung auf gleichberechtigter Grundlage ersetzt werden. Die Herstellung dringend benötigter medizinischer Ausrüstung ist durch massive staatliche Finanzierungsprogramme sicherzustellen.

Es müssen unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, um die Gesundheit aller Beschäftigten zu schützen. Betriebe, in denen sich das Virus leicht verbreiten kann, müssen geschlossen werden. Die Betroffenen müssen ihre Löhne und Gehälter weiterhin in voller Höhe erhalten. Eltern, die wegen Schulschließungen ihre Kinder betreuen müssen, brauchen eine bezahlte Freistellung. Aus ihren Wohnheimen vertriebene Studenten brauchen eine sichere Unterkunft, bis sie an die Hochschulen zurückkehren können. Zwangsräumungen und das Abstellen von Wasser und Strom müssen generell ausgesetzt werden. Mietrückstände müssen gestundet werden. In allen Bereichen sind Notfallmaßnahmen angezeigt.

Wer wie Bernie Sanders behauptet, dass all dies ohne einen Frontalangriff auf das kapitalistische System möglich sei, ist ein dreister Lügner. In einer Rede am 12. März erklärte Sanders, dass bis zu 400.000 Menschen am Coronavirus sterben könnten. Er verglich die Folgen der Krise mit denen eines größeren Kriegs. Dennoch wurde er nicht müde zu wiederholen, dass Maßnahmen zur Krisenbewältigung sowohl von den Demokraten als auch von den Republikanern umgesetzt werden könnten.

In Wirklichkeit zeigt die Krise, dass eine politische Massenbewegung der Arbeiterklasse nötig ist, die gegen den Kapitalismus und für die sozialistische Reorganisation der Weltwirtschaft kämpft. Was wir derzeit erleben, sind die Folgen einer Gesellschaft, die auf dem Profistreben basiert. Eine Gesellschaft nach dem Muster der amerikanischen, in der drei Individuen – Jeff Bezos, Bill Gates und Warren Buffet – mehr besitzen als die Hälfte der Bevölkerung zusammengenommen, ist nicht in der Lage, eines der größten Probleme zu lösen, mit denen die Menschheit je konfrontiert war.

Banken und Unternehmen müssen in öffentliches Eigentum überführt und unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Die riesigen Vermögen der Reichen müssen enteignet werden, damit alle Menschen zuverlässig mit medizinischer Betreuung, Wohnraum, Strom, Wasser und allem Nötigen versorgt werden können. Die gesamte Wirtschaft muss auf der Grundlage einer globalen Planwirtschaft neu organisiert werden, ohne durch Privateigentum oder Profistreben behindert zu werden. Das Letzte, worum man sich jetzt kümmern sollte, sind die Auswirkungen der Krise auf Unternehmensgewinne und Börsenkurse.

Durch die Corona-Pandemie ist die dringende Notwendigkeit einer grundlegenden Umstrukturierung der Gesellschaft offensichtlich geworden. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte wird durch eine große Krise deutlich, dass der Fortschritt der Menschheit vom Kampf gegen die Ungleichheit abhängt. In seinem aktuellen Buch Nach dem Krieg sind alle gleich: Eine Geschichte der Ungleichheit schreibt der Historiker Walter Scheidel: „Im Lauf der Geschichte haben vier verschiedene Arten gewaltsamer Brüche die Ungleichheit verringert: Massenmobilisierungskriege, transformative Revolutionen, Staatsversagen und verheerende Pandemien. Diese vier Kräfte bezeichne ich als die ‚vier apokalyptischen Reiter der Nivellierung‘.“ [1] Alle diese apokalyptischen Reiter haben nun die Bühne betreten.

Die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel. Der Kapitalismus befindet sich im Kriegszustand mit der Gesellschaft. Die Arbeiterklasse muss unter dem Banner des internationalen Sozialismus Krieg gegen den Kapitalismus führen.

Anmerkungen:

[1] Scheidel, Walter: Nach dem Krieg sind alle gleich. Eine Geschichte der Ungleichheit, Darmstadt 2018, S. 16.

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