Griechische Ärzte und Krankenschwestern protestieren für mehr Mittel im Kampf gegen das Coronavirus

Anfang April begannen in ganz Griechenland Proteste gegen die chronische Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems während der Corona-Pandemie.

Anlässlich des Weltgesundheitstages am 7. April forderte die Föderation der griechischen Krankenhausärzteverbände (OENGE) die Aufstockung des Personals, das an vorderster Front gegen das Virus kämpft, mehr Betten auf Intensivstationen und eine ausreichende Ausstattung mit Schutzausrüstung.

Ärzte und Krankenschwestern protestierten vor Krankenhäusern in ganz Athen, nicht nur in Evangelismos, dem größten öffentlichen Krankenhaus der Hauptstadt. Auch in der zweitgrößten Stadt Thessaloniki sowie in kleineren Städten wie Volos, Trikala und Karditsa gab es Widerstand.

Krankenhauspersonal mit Schutzmasken protestiert vor dem Athener Evangelismos-Krankenhaus, 7. April 2020 (AP Photo/Petros Giannakouris)

Unter dem Vorwand, dass die Proteste gegen den Lockdown verstießen, der öffentliche Versammlungen von mehr als zehn Personen verbietet, ging die Polizei gegen die Proteste vor. Besonders angespannt war die Situation bei Evangelismos, wo die Polizisten in das Krankenhaus eindrangen und versuchten, den Protest aufzulösen, aber schließlich zum Rückzug gezwungen waren.

Seit der Einführung der Ausgangssperre wurde immer wieder berichtet, dass die Polizei ihre Macht missbraucht. Sie verhängt zahlreiche Geldstrafen, wenn Menschen nicht die vorgeschriebenen Belege für einen Ausgang, z.B. Einkäufe, vorweisen können. Sogar gegen Obdachlose wurden Bußgelder verhängt. Die polizeiliche Willkür zeigte sich auch, als Beamte das Dokument eines Immigranten zerrissen, mit dem er seinen Ausgang begründen wollte.

Aktuell sind in Griechenland 2.490 Corona-Infektionen und 130 Tote gemeldet. Bislang sind die Zahlen nicht so hoch wie in anderen europäischen Ländern. In Belgien, das eine ähnliche Bevölkerungsgröße hat, wurden 44.293 Fälle und 6.679 Tote registriert.

Die im Vergleich niedrige Zahl der Todesopfer ist vor allem das Ergebnis des strikten Lockdowns, der früher als in anderen Ländern umgesetzt wurde. Ende Februar, noch bevor ein griechischer Todesfall registriert worden war, sagte die Regierung den Karneval ab. Schulen wurden am 10. März geschlossen, eine Woche später folgten Geschäfte und Gastronomie, mit Ausnahme von Supermärkten, Bäckereien und Lebensmittelläden.

In den Köpfen der herrschenden Elite kreiste vor allem ein Gedanke: Nach zehn Jahren unerbittlicher Spardiktate auf Geheiß der Europäischen Union (EU) und des Internationalen Währungsfonds könnte das Gesundheitssystem unter der Last einer unkontrollierten Pandemie zusammenbrechen.

Aus Furcht vor der Gegenreaktion von Arbeitern und Jugendlichen sah sich die Regierung der rechten Nea Dimokratia (ND) gezwungen, schnell Maßnahmen zu ergreifen. In einem Interview mit CNN erklärte Premierminister Kyriakos Mitsotakis unverblümt, dass das Gesundheitssystem „nach zehn Jahren Sparmaßnahmen zerschlagen sei. Deswegen waren wir uns schmerzlich bewusst, dass wir im Vergleich zu anderen EU-Ländern einem größeren Risiko ausgesetzt sind.“

In den letzten Jahren wurde das griechische Gesundheitsbudget um 50 Prozent gekürzt. Nur fünf Prozent des BIP werden für die öffentliche Gesundheitsversorgung ausgegeben, zwei Prozent weniger als im EU-Durchschnitt. Griechenland verfügte bei Ausbruch der Pandemie nur über 560 Betten auf Intensivstationen. Laut einer Studie von 2012, als die Sparprogramme an Fahrt aufnahmen, hatte Griechenland nur sechs Intensivbetten für 100.000 Einwohner und gehörte damit fast zum Schlusslicht der EU – zum Vergleich: Deutschland hatte damals im Schnitt 29,2 Intensivbetten.

Anlässlich des Internationalen Gesundheitstages erklärte Meropi Mantaiou, Lungenspezialistin im Krankenhaus für Brustkorbkrankheiten „Agia Sotiria“, in einem Facebook- Livestream von omniatv: „Alle haben große Angst, besonders die Regierung, falls das ESY [Nationales Gesundheitssystem] zusammenbricht. Denn wenn das ESY kollabiert, werden wir Zeugen biblischer Szenen.“ Das Sotiria-Krankenhaus hat mehr als die Hälfte aller Corona-Krankenhausfälle in Griechenland.

Gegenwärtig gibt es in griechischen Krankenhäusern 30.000 offene Stellen. 4.000 Arbeiter, viele von ihnen an vorderster Front, haben nur befristete Verträge. Ihre Verlängerung um ein weiteres Jahr wurde im vergangenen September vom Gesundheitsministerium genehmigt. Die chronische Unterbesetzung und der Mangel an Schutzausrüstung haben dazu geführt, dass die Krankenhäuser selbst mit den relativ geringen Krankenhauseinweisungen in der Pandemie schwer zu kämpfen haben. Viele Gesundheitsmitarbeiter sind mit dem Coronavirus infiziert. In einem Gespräch mit iEidiseis.gr erklärte Dimitra Stamatelou, führendes Mitglied des OENGE-Dachverbands und Beschäftigte im Nikaia-Krankenhaus: „129 unserer Kollegen sind an dem Virus erkrankt und mehr als 500 stehen unter Quarantäne.“

Die rechtskonservative Regierung hat etwas mehr als 2.000 neue Ärzte, Krankenschwestern und Sanitäter eingestellt, weitere 2.000 Neueinstellungen sind geplant. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Das neue Personal soll befristet angestellt werden und wird zweifellos nach Ende der Pandemie wieder fallen gelassen.

Selbst diese geringe Personalaufstockung ist trügerisch, wie Mantaiou deutlich machte. Im Gespräch mit Balkan Insight sagte sie: „Es sind nur sehr wenige neue Ärzte tatsächlich ins Sotiria-Krankenhaus gekommen. Durch Verlegungen aus anderen Krankenhäusern und Kliniken wurde vor allem mehr Pflege- und Hilfspersonal zur Verfügung gestellt, das jedoch unerfahren ist. Sie können nicht ungeschulte Mitarbeiter auf der Intensivstation einsetzen. Das Ganze ist Flickarbeit.“

Die Regierung nutzt die Pandemie, um den privaten Gesundheitssektor zu stärken. Bereits im Januar führte sie eine öffentlich-private Partnerschaft im griechischen Gesundheitssystem ein. Während dies zunächst in drei Krankenhäusern erprobt werden sollte, hat ND die Pandemie zum Vorwand genommen, um die Präsenz des privaten Sektors noch schneller zu erhöhen. Die Regierung plant, die Kapazität der Intensivstationen auf 910 Betten zu erhöhen, indem sie Betten in privaten Kliniken zu einem exorbitanten Tagessatz von 1.600 Euro mietet – das Doppelte der üblichen Preise in privaten Krankenhäusern!

Ein weiterer Bereich, in dem die Regierung den privaten Sektor stärkt, sind Corona-Tests. Obwohl die Testrate in den letzten Wochen gestiegen ist, liegt sie bei nur 5.891 Tests pro eine Million Einwohner – etwa ein Viertel der Rate in Deutschland.

Zu Beginn der Epidemie wurde der Großteil der Tests in nur einem Labor des Griechischen Instituts Pasteur in Athen durchgeführt. Die Kapazitäten im öffentlichen Sektor wurden dann erhöht, vor allem dank der Initiativen, die von den medizinischen Fakultäten landesweit und unabhängig von der Regierung ergriffen wurden. Anstatt diese Initiativen zu unterstützen, stellte die Regierung 30 Millionen Euro für Tests des Privatsektors zur Verfügung.

Bei den derzeitigen Marktpreisen wird dies nur einige hunderttausend Tests ausmachen. Berichten zufolge verlangen private Labors in Griechenland bis zu 300 Euro für einen Covid-19-Test. Staatliche medizinische Fakultäten hingegen haben die Nutzung ihrer Einrichtungen für Tests zu einem Fünftel der Kosten im Privatsektor angeboten.

Die Labore der Universität Athen sind dabei auf Spenden angewiesen. Die Ioannis-Latsis-Stiftung und die Syn-Enosis-Stiftung, die von griechischen Reedern finanziert wird, haben beispielsweise den Universitäten Athen und Thessaloniki 20.000 Testkits gespendet.

Man sollte keinerlei Vertrauen in ein Testprogramm setzen, bei dem kommerzielle Erwägungen ständig über die öffentliche Gesundheit gestellt werden. Das zeigen auch die 500 neuen mobilen Einheiten privater Unternehmen, die kürzlich von der Regierung eingesetzt wurden, um Covid-19-Tests bei Patienten zu Hause durchzuführen. Gemäß der Regierungsverordnung werden die Arbeitsverträge der Teams nur für drei Monate abgeschlossen, mit der Möglichkeit auf Verlängerung um weitere drei Monate.

Das Fehlen systematischer Tests hat unter griechischen Wissenschaftlern viel Kritik an der Regierung hervorgerufen. Bisher verließ sich die Politik ausschließlich auf Maßnahmen zur sozialen Distanzierung. Sotiris Tsiodras, der Spezialist für Infektionskrankheiten, der zum Sprecher des Gesundheitsministeriums ernannt wurde, reagierte auf die Kritik, indem er einräumte, dass die Planung der Tests immer auf den „Fähigkeiten des Gesundheitssystems“ basiert. Gleichzeitig bestand er darauf, dass „in diesem Stadium physische Distanz besser ist als Testen“.

Wie überall in Europa plant die herrschende Elite in Griechenland, die Rückkehr zur Arbeit zu erzwingen. In einem Fernsehinterview mit dem TV-Kanal Mega kündigte Gesundheitsminister Vassilis Kikilias an, dass einige Sperrmaßnahmen im Mai aufgehoben werden könnten. Er behauptete, dass dies mit umfangreichen Tests einhergehen wird, „um festzustellen, ob Teile der Bevölkerung Antikörper entwickelt haben und daher immun sind. Darauf gestützt wird dann über weitere Schritte entschieden.“

Niemand sollte solchen Zusicherungen Glauben schenken, wenn keine ernsthaften Anstrengungen zur Stärkung des öffentlichen Gesundheitssystems unternommen werden. Tsiodras warnt sogar, dass eine zweite Welle der Pandemie im Herbst sehr wahrscheinlich ist und durchaus tödlicher sein könnte.

Die herrschende Klasse setzt vor allem auf eine Stärkung der staatlichen Repression, um sich auf eine unvermeidliche Gegenreaktion der Arbeiterklasse vorzubereiten. In Erwartung wachsender sozialer Unruhen schrieb der erfahrene Journalist und Kommentator Alexis Papachelas in der regierungsnahen Sonntagszeitung Kathimerini: „Es wird Entschlossenheit und eine ‚kriegsähnliche‘ Regierung nötig sein, die das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine bringen und zu gegebener Zeit ‚Nein‘ sagen kann, wenn sie unter großem Druck steht.“

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