In der fleischverarbeitenden Industrie breitet sich die Corona-Pandemie rasant aus. Erneut haben sich hunderte Arbeiter einer Schlachterei mit dem Coronavirus infiziert.
Bei Westfleisch im nordrhein-westfälischen Coesfeld sind bisher 151 von insgesamt 1200 Beschäftigten positiv auf Covid-19 getestet worden. Dreizehn Arbeiter mussten sofort ins Krankenhaus gebracht werden. Für den Landkreis wurden gestern die vereinbarten Lockerungen der Covid-19-Maßnahmen bis auf weiteres ausgesetzt.
Die Unternehmensgruppe Westfleisch mit Sitz in Münster ist der drittgrößte fleischverarbeitende Konzern Deutschlands. Auch im Oer-Erkenschwick haben sich im Westfleisch-Werk 33 von 1250 Arbeitern infiziert. In Hamm müssen über 1000 Arbeiter desselben Konzerns auf das Coronavirus getestet werden. Die beiden Betriebe liegen ebenfalls in NRW.
Westfleisch in Coesfeld ist schon der dritte deutsche Schlachthof, bei dem sich zahlreiche Arbeiter mit dem Coronavirus infiziert haben. Davor hatten sich 300 Schlachthofarbeiter von Müller Fleisch in Birkenfeld bei Pforzheim angesteckt.
Vor zehn Tagen waren auch beim Schlachthofbetreiber Vion in Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein) zwei Arbeiter an Covid-19 erkrankt, und bis zum 7. Mai wurden in demselben Schlachthof mindestens 109 Arbeiter positiv getestet. Die Vion Food Group ist mit einem Jahresumsatz von über fünf Milliarden Euro einer der größten Schlachtkonzerne Europas.
Die rasche Ausbreitung des Coronavirus unter Schlachthofarbeitern ist ein internationales Phänomen. Wie die World Socialist Web Site berichtete, sind die Schlachthöfe der USA zurzeit die Hotspots der Pandemie. Dort haben sich in den großen fleischerarbeitenden Konzernen schon über 6500 Arbeiter infiziert. Mindestens 25 Arbeiter sind bereits an Covid-19 verstorben.
Die Trump-Regierung hat die Fleischindustrie als lebenswichtige Infrastruktur eingestuft und dadurch ihre Schließung verhindert, obwohl die Betreiber die Arbeiter nicht mit der nötigen Schutzausrüstung ausstatten, geschweige denn ihnen ausreichende Testmöglichkeiten bieten. Trump betrachtet die Schlachthöfe, wo tausende Arbeitsmigranten aus Lateinamerika schuften, als wichtige Exempel, um die Arbeiter zurück an die Arbeit zu zwingen.
Dagegen ist es in den USA schon zu mehreren spontanen Streiks gekommen. So verlangen Dutzende Arbeiter eines Schweinefleischbetriebs von Smithfield Foods auf Crete (Nebraska) die Schließung des Betriebs, nachdem dort 48 Arbeiter positiv getestet worden sind. Auch in Kathleen (Georgia) und Sioux Falls (South Dakota) haben Arbeiter der Fleischindustrie für angemessenen Schutz und Hygienemaßnahmen protestiert und spontan gestreikt.
In Deutschland sind es fast immer Arbeitsmigranten aus Rumänien, die in der fleischverarbeitenden Industrie arbeiten. Sie werden über europaweit vernetzte Subunternehmen angeheuert und gehören zu dem am stärksten ausgebeuteten Billiglohnarbeitern. Obwohl sie in Deutschland das ganze Jahr über arbeiten, erhalten sie nur befristete Werkverträge.
Sie sind auf Gedeih und Verderb von den Subunternehmern abhängig, die sie wie moderne Sklaven an die Fleischkonzerne vermitteln. Offiziell erhalten sie zwar den gesetzlichen Mindestlohn von 9,35 Euro brutto, aber davon werden große Summen für Vermittlung, Unterkunft, Transport, Wäsche, Werkzeuggeld etc. abgezogen.
Seit Rumänien vor über zehn Jahren EU-Mitglied wurde, profitiert die deutsche Fleischindustrie von solchen Ausbeuterbeziehungen. Nach dem Niedergang der stalinistischen Regime vor dreißig Jahren haben finanzkräftige Investoren die osteuropäischen Industrien und Ländereien geplündert, was für die Bevölkerung mit immer mehr Arbeitslosigkeit, Armut und krasser sozialer Ungleichheit einherging. Seither sind viele Tausende rumänischer Arbeiter gezwungen, in Deutschland Arbeit zu suchen.
Nicht zufällig werden gerade diese Arbeiter Opfer von immer neuen Covid-19-Ausbrüchen. Dazu erklärte der Mitarbeiter einer Beratungsstelle für südosteuropäische Fleischereiarbeiter dem WDR, das Virus breite sich auch deshalb so rasch unter den Arbeitern aus, weil sie einfach ausgelaugt seien: „Viele sind sehr erschöpft, da sie über die Maßen lange und hart arbeiten müssen. Sie sind in Behausungen untergebracht, wo von Schutz und Sicherheitsabstand keine Rede sein kann. Diese Betriebe sind sofort zu schließen.“
In Deutschland haben die Politiker bisher in Übereinstimmung mit den Konzernen eine besondere Quarantänepolitik verfolgt: Sie besteht im Wesentlichen darin, dass diese Billiglohnarbeiter von der übrigen Bevölkerung abgeschottet werden, während der Betrieb nach Möglichkeit weiterläuft. Die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat für diese Art gefährlicher Zwangsarbeit den Begriff der „faktischen Quarantäne bei gleichzeitiger Arbeitsmöglichkeit“ geprägt.
Ähnlich werden auch bestimmte Pflegeheime, die Gefängnisse und vor allem die Flüchtlingsunterkünfte und Ankerzentren abgeschottet. Für diese unterdrücktesten Schichten werden die entscheidenden Corona-Maßnahmen – systematisches Testen, Kontakte Zurückverfolgen, Isolieren – im Wesentlichen für unnötig betrachtet.
Dies rächt sich gerade anschaulich in Coesfeld. Insgesamt sind im ganzen Kreis Coesfeld die Ansteckungen dramatisch angestiegen, und der Kreis hat derzeit NRW-weit die höchste Neuinfektionsrate. Seit Donnerstag übertrifft sie deutlich den Grenzwert, der den Lockerungen der Bundes- und Länderregierungen zugrunde liegt. Dieser Grenzwert wurde aufgrund der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts auf 50 Infizierte pro 100.000 Einwohner festgelegt.
Zunächst wurde bei Westfleisch in Coesfeld entschieden, dass die Produktion weiterläuft. Der Engpass bei den Mitarbeitern sei trotz des Ausbruchs nicht so gravierend, wie anfänglich vermutet, ließ der Konzern noch am Donnerstag mitteilen.
Allerdings wurde diese Entscheidung bis zum Freitagabend revidiert. Da mittlerweile alle Medien über die ungezügelte Corona-Ausbreitung in den Schlachthöfen berichten und Anwohner protestieren, heißt es plötzlich, der Schlachthof werde doch stillgelegt. Offenbar befürchteten die Behörden, dass ein Weiterlaufen des Schlachthofs zu massiven Protesten in der Bevölkerung und Streiks der Arbeiter führen könnte.
In Baden-Württemberg entschied das Landesgesundheitsamt am 24. April, dass die Schlachterei Müller Fleisch in Birkenfeld weiterarbeiten müsse. Da war bereits klar, dass sich mindestens 230 Arbeiter angesteckt hatten. Seither schuften die Arbeiter dort sieben Tage zwölf Stunden die Woche, um die Ausfälle zu kompensieren, wie eine Arbeiterin dem Pforzheimer Kurier berichtete.
Im Fall des an Covid-19 verstorbenen Erntehelfers Nicolae Bahan in Bad Krozingen hielt man es nicht einmal für nötig, bei seinem Tod die Spargelernte einen Tag lang zu unterbrechen. Wie praktisch überall, bestand auch dort die Quarantäne lediglich darin, die Arbeiter vom Rest der Bevölkerung zu isolieren.
In Schleswig-Holstein steht der Vion-Betrieb erst seit Mittwoch für zwei Wochen still. Die Arbeiter sind in Quarantäne, und sie dürfen ihre Unterkünfte in einer ehemaligen Kaserne nicht verlassen. Davor hatten sich auch dort die Betriebsleitung und die Politiker mit Händen und Füßen gegen eine Stilllegung gesträubt. Ein Landrat schrieb in seiner Pressemitteilung noch am Mittwoch: „Immer wieder werde ich gefragt, warum der Kreis den Betrieb nicht einfach stilllegt? Die Antwort: Rechtlich haben wir dafür keine Handhabe, da die Produktion von Lebensmitteln als systemrelevant gilt und eine Übertragung des Virus durch Lebensmittel bislang noch nicht beschrieben worden ist.“
Die Ausbreitung von Corona in der fleischverarbeitenden Industrie illustriert auf drastische Weise das kapitalistische Prinzip, dass die wirtschaftlichen Interessen der großen Konzerne und Banken Vorrang vor Leben und Gesundheit der Arbeiterklasse haben.
Es ist notwendig, darauf mit der unabhängigen und internationalen Mobilisierung der Arbeiterklasse zu antworten, die ihre Gesundheit und Lebensbedingungen gegen den Profit der Konzerne und Banken verteidigen muss. Die Sozialistische Gleichheitspartei kämpft für den Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees in allen Betrieben und für ein sozialistisches Programm.