Die weltweite Zahl der Corona-Toten ist inzwischen auf über 307.000 gestiegen, die der Infizierten klettere auf über 4,6 Millionen. Bisher sind etwa 1,7 Millionen Infizierte genesen. Mehr als 2,5 Millionen Männer, Frauen und Kinder leiden akut an der lebensgefährlichen Krankheit.
Die USA liegen mit knapp 1,5 Millionen Infizierten und 88.000 Toten weltweit an erster Stelle, zudem verzeichnet das Land den größten Anstieg von Neuinfektionen und Toten pro Tag. Gleichzeitig liegen die Vereinigten Staaten mit der Anzahl getesteter Personen hinter mehr als drei Dutzend Ländern in Europa, dem Nahen Osten, Asien und einigen Inselstaaten – obwohl Tests der erste Schritt wären, um die Krankheit effektiv einzudämmen.
Doch auch andere Länder werden zu Epizentren der Pandemie, darunter Brasilien, Russland, Peru, Indien und das Vereinigte Königreich. Auf diese Länder entfallen zwar derzeit nur 18 Prozent der weltweiten Fälle, dafür allerdings 37 Prozent der täglichen Neuinfektionen. Brasilien und Großbritannien gehören außerdem zu den Ländern mit den weltweit meisten Todesopfern (15.600 bzw. 34.000). In den anderen erwähnten Ländern steigt die Zahl der Toten gerade stark an.
Vor dem Hintergrund der sich ausweitenden Pandemie erklärte Dr. Rick Bright am Donnerstag vor einem Unterausschuss im US-Repräsentantenhaus: „Die Welt ist mit einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit konfrontiert, die sogar die katastrophale Grippeepidemie von 1918, die mehr als 50 Millionen Todesopfer forderte, in den Schatten stellen könnte.“
Bright hat Beschwerde gegen die Regierung eingelegt, nachdem er letzten Monat von seinem Posten bei der US-Behörde, die an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus beteiligt ist, abgesetzt wurde. Er beruft sich dabei auf ein Bundesgesetz zum Schutz von Whistleblowern, d. h. Personen, die Missstände aufdecken und daher zu Unrecht gemaßregelt werden. Bright erklärte weiter, es werde „eine noch nie dagewesene Zahl an Erkrankten und Toten geben“, wenn die Trump-Regierung ihre derzeitige Politik fortsetze. Er bezog sich auf die Versuche der herrschenden Elite, die Bevölkerung verführt wieder an die Arbeit zu zwingen.
Seine Äußerungen erinnern an die Aussagen von Dr. Anthony Fauci, der am Dienstag vor „unnötigem Leid und Tod“ gewarnt hatte, wenn die Bundesstaaten weiterhin die Einschränkungen lockern, bevor das Virus eingedämmt werden konnte. Die Aussagen der Experten stehen in scharfem Gegensatz zu den Bestrebungen der Demokraten und Republikaner, die Arbeiter in die Fabriken, Büros und an die Arbeitsplätze zurückzuschicken, ohne ihnen lebenswichtige Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen.
Bright war bis vor Kurzem Direktor der Behörde für biomedizinische Forschung und Entwicklung (BARDA), die für die Entwicklung von Impfstoffen für bisher unbekannte Viren, darunter auch das Coronavirus, zuständig ist. Er leitete die Behörde seit 2016, wurde jedoch am 21. April seines Postens enthoben, nachdem er Informationen veröffentlicht hatte, die gegen die Versuche mit Hydroxychloroquin sprachen. Die Substanz wird vom Weißen Haus als Allheilmittel für die Pandemie dargestellt.
Eine Woche nachdem seine 89-seitige Beschwerde gegen die Regierung veröffentlicht wurde, erhielt er eine Vorladung vom Kongress. In seiner Beschwerdeschrift schildert er, wie die Trump-Regierung die Gefahren durch das Coronavirus schon im Januar verharmlost und jedes koordinierte Vorgehen zu seiner Eindämmung verhindert hat. Außerdem hat Bright die korrupten Beziehungen zwischen der Regierung und verschiedenen Pharmaunternehmen aufgelistet. Einige der Unternehmen haben Beziehungen zu Trumps Familie.
Brights Aussage ist eine weitere Anklage gegen die Reaktion der Trump-Regierung auf die Corona-Pandemie. In seinem Eröffnungsplädoyer erklärte er: „Das amerikanische Gesundheitssystem wird an den Rand seiner Belastung getrieben, unsere Wirtschaft bricht zusammen, was Massenarbeitslosigkeit zur Folge hat, und die schiere Angst lähmt unsere Bevölkerung, da es keine koordinierte Reaktion und keine korrekte, klare Kommunikation über den weiteren Weg gibt.“
Gleichzeitig erklärte Bright, es gebe keine „national koordinierte Strategie auf Grundlage von Empfehlungen anerkannter Wissenschaftler“, um die Bevölkerung auf das Virus zu testen und es zu bekämpfen. Er machte deutlich: „Ohne eine solche Strategie wird unsere Handlungsfähigkeit weiter eingeschränkt ... Es ist unbestreitbar, dass es im Herbst eine zweite Welle von Covid-19-Fällen geben wird, dass die Gefahren durch die saisonale Grippe deutlich verschärft werden und dass unser Gesundheitssystem einer noch nie dagewesenen Belastung ausgesetzt sein wird. Ohne klare Planung und Umsetzung der weiteren Schritte, die ich und andere Experten geschildert haben, wird 2020 der dunkelste Winter der Neuzeit werden.“
Bright erklärte, der „schnelle Abriss“ der Versorgungskette für Schutzausrüstung bereits im Frühstadium der Pandemie sei eines der Hauptprobleme. Im Gesundheitsministerium sei er mit seinen Warnungen jedoch auf nur „Gleichgültigkeit“ gestoßen, sowohl bei Beamten als auch bei Gesundheitsminister Alex Azar. Er erklärte, dies habe „Leben gefährdet und, wie ich glaube, auch Leben gekostet“. Vor allem bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen, die nicht genügend gegen das Virus geschützt wurden, so Bright.
Der Whistleblower informierte den Unterausschuss außerdem über seine „erheblichen Bedenken“, ob Pharmaunternehmen in der Lage sein werden, einen Impfstoff zu produzieren und zu verteilen, wenn dieser verfügbar wird. Er erklärte: „Kein Unternehmen kann genug für unser Land oder den Rest der Welt produzieren“, daher müsse es „jetzt eine Strategie und einen Plan geben“, wenn eine potenziell lebensrettende Impfung „in fairer und gerechter Weise“ verteilt werden solle.
Bei der Anhörung wurde auch bekannt, dass die Bundesregierung von den Mängeln wusste, da im letzten Jahr unter dem Titel „Crimson Contagion“ eine Pandemie-Situation simuliert wurde. Es sollten die Auswirkungen untersucht werden, wenn ein neues grippeartiges Virus von Touristen aus China nach Chicago eingeschleppt würde. Die Studie ging von schätzungsweise 110 Millionen Infizierten, 7,7 Millionen Krankenhausaufnahmen und 586.000 Toten aus.
Bright machte klar, dass „einige der wichtigsten Erkenntnisse die Notwendigkeit von verbesserter Koordination und Kommunikation sowie die Abstimmung zwischen den Bundesstaaten und der Bundesregierung beim Bedarf an Schutzausrüstung sowie von Geldmitteln“ waren. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Zahlen der derzeitigen Pandemie mindestens doppelt so gravierend sind wie die simulierte Seuche.
Es war abzusehen, dass die Trump-Regierung wütend auf Brights Aussagen reagieren würde. Gesundheitsminister Azar behauptete: „Alles, was er gefordert hat, wurde umgesetzt.“ Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany, behauptete wiederholt, Bright würde „nicht aufpassen“. Die Bundesregierung habe „90 Millionen Atemschutzmasken vom Typ N95... und eine Milliarde Handschuhe... sowie weitere Schutzausrüstung verschickt“. Präsident Trump versuchte Bright lächerlich zu machen: „Er ist nur ein verdrießlicher Mitarbeiter, keiner mag oder achtet ihn.“
Weder Azar noch McEnany – und erst recht nicht Trump – machten sich die Mühe, ihre Aussagen über das Vorgehen der Regierung damit in Einklang zu bringen, dass jetzt versucht wird, die Seuchenschutzbehörden zu zwingen, ihre offizielle Zählung von Coronavirus-Fällen und Todesopfern nach unten zu korrigieren. Letzte Woche wurde bekannt, dass Deborah Birx, die Chefin der Coronavirus-Taskforce des Weißen Hauses, darum gebeten hat, sämtliche Fälle von den offiziellen Zahlen abzuziehen, die nur möglicherweise an Covid-19 gestorben sind. Dies würden die Sterblichkeit und die Zahl der Fälle um bis zu 25 Prozent verringern.
Bright kritisierte die Trump-Regierung zwar, doch weder er noch die von den Demokraten geleitete Anhörung stellte die tatsächliche Reaktion des Präsidenten und seiner Mitarbeiter in Frage. Großkonzernen, Banken und Wall-Street-Spekulanten wurden im März und April etwa acht Billionen Dollar zur Verfügung gestellt, ohne dass eine einzige Auflage erfolgt wäre. Ein Viertel der Summe floss unter dem Deckmantel des CARES Act. Die Aktienkurse stiegen daraufhin um 35 Prozent. Gleichzeitig fordert die Regierung, dass die Arbeiter ihr Leben und das Leben ihrer Freunde und Angehörigen aufs Spiel setzen, in dem sie an die Arbeit zurückkehren.