Ein neuer Covid-19-Ausbruch ist im DPD-Paketdepot Hückelhofen (Nordrhein-Westfalen) gemeldet worden. Dort wurden bis am gestrigen Montag 82 von 340 Beschäftigten positiv auf das Virus getestet. Der Ausbruch in dem Depot, das im Ganzen über 400 Arbeiter beschäftigt, kam in so geballter Form, dass der Betrieb jetzt für zwei Wochen geschlossen wurde.
DPD group ist ein internationaler Kurierdienst, der in Deutschland 78 Sortierzentren unterhält und über 20.000 Arbeiter beschäftigt. Mitte letzter Woche klagten im DPD-Depot Hückelhofen gleich mehrere Arbeiter über auffällige Symptome. Als sie Covid-19-positiv getestet wurden, richtete das zuständige Gesundheitsamt auf dem Werksgelände eigens eine mobile Teststation ein.
Das betroffene Depot liegt im Kreis Heinsberg, der sich schon ganz zu Beginn der Pandemie als Hotspot erwiesen hatte. Am Wochenende zeigte sich schnell, dass bei DPD etwa jeder vierte Arbeiter angesteckt war. Gleichzeitig wurde bekannt, dass auch bei der Konkurrenz, im DHL-Paketzentrum Neumünster, zahlreiche Beschäftigte mit dem Coronavirus infiziert sind. Davor hatte am 30. April schon das DHL-Verteilzentrum Bremen 22 bestätigte Corona-Infektionen gemeldet.
Ein Unternehmenssprecher bezeichnete es als „spannende Frage“, wie sich die Pandemie bei DPD habe ausbreiten können. Den Konzern treffe keine Schuld, er habe schon früh auf die Abstands- und Hygieneregeln hingewiesen, und letztlich hänge es „an jedem Einzelnen, sich an die Regeln wie Abstand oder Maskenpflicht zu halten“. Solche Aussagen zeugen vom erbärmlichen Versuch der Unternehmer, die Verantwortung für den Ausbruch den Arbeitern in die Schuhe zu schieben.
In Wirklichkeit sind es gerade die unerträglichen Arbeitsbedingungen in der Branche, die eine Masseninfektion sehr erleichtert haben. Der Paketdienst ist seit Langem für seine Ausbeutungsbedingungen berüchtigt. Insgesamt herrschen im Kuriergewerbe ein mörderischer Arbeitsdruck und Lohndumping bei Stress und überlangen Arbeitszeiten, was dazu führt, dass Arbeiter wenig Rücksicht auf ihre Gesundheit nehmen können. Diese Situation hat sich mit der Corona-Pandemie zweifellos verschärft.
Auch hier gilt, was die WSWS von Anfang an erklärt hat: Die verheerende Covid-19-Pandemie stellt nicht die eigentliche Ursache der tiefen Krise dar, sondern sie hat Zustände enthüllt, die revolutionäre Implikationen haben. Sie demonstriert vor aller Augen die schiere Unvereinbarkeit der Profitinteressen von Banken, Reichen und Konzernen mit den Bedürfnissen der Arbeiterklasse.
Im Post- und Zustelldienst arbeiten eine halbe Million Menschen, von denen nicht einmal jeder dritte einen unbefristeten, tariflich bezahlten und abgesicherten Arbeitsplatz hat. Bei DPD arbeiten die meisten Sortierer und Kuriere entweder für die konzerneigene Leiharbeiterfirma DPD Service GmbH oder für einen der zahlreichen Subunternehmer, die als „Systempartner“ die Pakete für DPD austragen lassen. Wie der DPD-Sprecher einräumen musste, ist auch in Heinsberg ein Teil der Arbeiter, die für Subunternehmer schuften, in Sammelunterkünften untergebracht.
Die Deregulierungspolitik von Wirtschaft, Gewerkschaften und mehreren Regierungen aller Parteien hat dafür gesorgt, dass der größte Teil der Paketzusteller heute zu regelrechten Sklavenbedingungen arbeitet. Das ist nichts Neues, sondern bestens dokumentiert. Schon vor Jahren hat der NDR-Journalist Reinhard Schädler, der wochenlang als Undercover-Paketkurier bei einem DHL-Subunternehmer arbeitete, die schlimmsten Missstände aufgedeckt. Um die Arbeitslast zu bewältigen, waren er und seine Kollegen gezwungen, Zwölfstundenschichten, oft ohne Pause, und Sechstagewochen zu arbeiten. Im Ergebnis erhielten sie dafür Stundenlöhne, die weit unter dem Mindestlohn lagen.
Als Folge von Knochenarbeit und andauerndem Stress sind schon normalerweise überdurchschnittlich viele Post- und Paketzusteller krank. Das haben vor zwei Jahren Statistiken der Techniker Krankenkasse und der Berufskrankenkasse ergeben. Besonders häufig leiden sie unter Muskel- und Skeletterkrankungen, viele erleiden Arbeitsunfälle, und die meisten sind nach einigen Jahren völlig ausgelaugt. Tatsächlich wäre es geboten, zahlreiche Paketzusteller zur Risiko-Gruppe zu zählen und bei vollem Lohnausgleich von der Arbeit freizustellen.
Stattdessen hat sich ihre Arbeitslast durch die Corona-Pandemie noch einmal stark vermehrt, bei erschwerten Bedingungen, da Autobahnraststätten und andere Lokale geschlossen wurden. Wie bei Amazon hat sich die Arbeitslast auch bei DHL, DPD und Co. um 40 bis 100 Prozent gesteigert. Wie Kurierfahrer und Sortierer den Medien berichten, erleben sie trotz Einstellung von zusätzlichen Hilfskräften eine Situation „wie an Weihnachten“.
Am vergangenen Wochenende versprach Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) „strengere Regeln“ für den Arbeitsschutz. Anlass waren nicht die Paketdienste, sondern die Fleischindustrie. Auch dort hat es letzte Woche neue Covid-19-Ausbrüche gegeben.
Nachdem schon Hunderte Schlachthofarbeiter in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg Corona-positiv getestet worden sind, hat nun auch in Bayern ein Geflügelschlachthof von Wiesenhof mindestens 77 Fälle entdeckt. Ein weiterer Schlachthof in Dissen bei Osnabrück meldet 92 Infizierte.
Überall sind es dieselben Bedingungen, die auf den Schlachthöfen große Ausbrüche begünstigen: Die Großbetriebe von Tönnies, Vion, Westfleisch, Wiesenhof etc. beschäftigen Arbeiter aus Osteuropa über Werksverträge als Billiglohnsklaven. Diese werden meist in Sammelunterkünften einquartiert, wo es ihnen nicht möglich ist, die pandemiebedingten Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten.
Dazu sagte SPD-Minister Heil am Sonntag, es sei jetzt Zeit, „aufzuräumen und durchzugreifen“, und er kritisierte besonders die „dubiosen Vertragsstrukturen mit Subunternehmern“, die Kontrollen unmöglich machten. „Da wird organisiert Verantwortung abgewälzt“, so Heil.
Tatsächlich beschrieb der Minister damit treffend seine eigene Partei, die SPD, und die aufeinanderfolgenden Regierungen, der sie seit vielen Jahren angehört. Diese haben gemeinsam mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften die Grundlagen für die verheerenden Arbeitsbedingungen gelegt.
Gerade die SPD war federführend daran beteiligt, die großen „Reformen“, Privatisierungen und Deregulierungen in der deutschen Wirtschaft durchzusetzen. Die Personifizierung dieser Politik ist der frühere SPD-Superminister Wolfgang Clement. Von 2002–2005 setzte er in der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder federführend die Hartz-IV-„Reformen“ durch und ließ die Arbeitsgesetze aufweichen. Anschließend wechselte er selbst in die „freie Wirtschaft“, wo er im Aufsichtsrat der DIS AG, einer Tochter des Personalvermittlers Adecco, persönlich von der Deregulierung profitierte.
Clement steht für eine ganze Schicht von führenden Politikern, Ministern, Gewerkschaftsführern und Wirtschaftsbossen, die in den letzten zwanzig Jahren die Bedingungen für die heutige Katastrophe bewusst herbeigeführt haben.
Die Deutsche Post wurde ab 1995 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und an die Börse gebracht. Wie die Post wurden auch das Telekommunikationswesen, der Flug- und Bahnverkehr, die Gesundheitspflege und der ganze Arbeitsmarkt systematisch dereguliert. Das Ergebnis ist ein gnadenloser Wettbewerb auf den Knochen der Arbeiterklasse. Im Paketdienst konkurrieren heute die Post und ihre Töchter von der DHL Delivery gegen DPD, FedEx, UPS, Hermes, GLS und wie sie alle heißen, wobei jeder dieser Konzerne noch weitere Subunternehmen beauftragen kann.
Nach dem jüngsten Corona-Ausbruch bei einem Schlachthof in Osnabrück hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) die Einführung von „Gesetzen und klaren Regeln“ und ein Ende der Werkverträge gefordert. Besonders die Situation in der Fleischindustrie müsse „grundlegend reformiert“ werden, heißt es in einem Appell der NGG an die Bundesregierung. Auch Verdi, die für den Paketdienst zuständige Dienstleistungsgewerkschaft, verlangt, die Paketunternehmen müssten dafür haften, dass auch bei ihren Subunternehmern vernünftige Konditionen herrschen.
In Wirklichkeit ist es nicht allein die „Schmutzkonkurrenz“ der Subunternehmen und Werksvertragsfirmen, die die Arbeitsbedingungen zerstören, sondern es sind die großen Konzerne selbst, die mit freundlicher Unterstützung von Verdi dem Niedriglohn Vorschub leisten. Dazu gehört auch die Post mit ihren posteigenen Töchtern. Was die Gewerkschaft angeht, so vertritt sie offiziell nur die Festangestellten, nicht jedoch die Lohnsklaven der Subunternehmer.
Im Kuriergewerbe sitzen führende Verdi-Mitglieder in den Aufsichtsräten aller großen Konzerne, wo sie fürstliche Tantiemen dafür beziehen, dass sie die wirtschaftlichen Ziele der Aktionäre unterstützen und gegen die Arbeiter und ihre eigenen Mitglieder durchsetzen. So sitzt Andrea Kocsis, die stellvertretende Verdi-Bundesvorsitzende, zuständig für den Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik, als stellvertretende Vorsitzende im Aufsichtsrat sowohl der DHL Group als auch der Deutschen Post AG, wofür sie allein an Tantiemen jährlich etwa eine Viertelmillion Euro kassiert.