Berlin: Roma-Familien werden trotz Lebensgefahr nach Moldawien abgeschoben

Am 2. August, dem internationalen Gedenktag, erinnerte die offizielle Politik an die Ermordung von 500.000 bis 600.000 Sinti und Roma durch die Nazis. Doch Sinti und Roma werden auch im heutigen Deutschland diskriminiert. Unmittelbar davor hatte die Berliner Landesregierung, ein Bündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen, mehr als 200 überwiegend der Roma-Minderheit Angehörige in die mit Covid-19-Infektionen belastete Republik Moldau (Moldawien) deportiert.

Der Flüchtlingsrat Berlin prangert an, dass die Betroffenen am 15. Juli von Polizeibeamten gegen 3 Uhr nachts brutal aus dem Schlaf gerissen und mit einem Charterflug abgeschoben wurden. Eine weitere nächtliche Abschiebung fand am 30. Juli statt. Unter den Abgeschobenen befinden sich zahlreiche Familien mit kleinen Kindern, Kranke (unter anderem eine krebskranke Frau) und Behinderte. Wie der Flüchtlingsrat in seiner Presseerklärung herausstellt, wurde „die Abschiebung nach Moldawien in alleiniger Verantwortung des rot-rot-grünen Senats geplant und durchgeführt“.

Die rot-rot-grüne Landesregierung unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linkspartei) demonstriert damit erneut ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschen ohne deutschen Pass oder Aufenthaltstitel, auch inmitten der Corona-Pandemie.

Müller entrüstet sich zwar scheinheilig über das Verbot von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), in Berlin 300 Flüchtlinge aus griechischen Lagern aufzunehmen, und behauptet, dass dies „uns alle im Senat sehr wütend“ macht (Radio Eins). Doch zur selben Zeit verschaffen sich Beamte seines Parteikollegen Geisel mitten in der Nacht Zugang zu den Räumlichkeiten von „hunderten besonders schutzbedürftigen Angehörigen der Roma-Minderheit“ und schieben sie ab. „Die Empörung über die Ablehnung des Landesaufnahmeprogramms scheint nur Heuchelei auf dem Rücken der Geflüchteten zu sein“, so Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrates Berlin.

Zwangsabgeschoben wurden auch Geflüchtete, die beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten bereits eine Erklärung über ihre freiwillige Ausreise unterzeichnet hatten und in Kürze in ihre Heimat zurückkehren wollten. Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin kritisiert, „ob das von Rot-Rot-Grün propagierte Instrument der freiwilligen Rückkehr überhaupt ernst gemeint ist, wenn entgegen entsprechender Zusagen dann doch zwangsabgeschoben wird“.

Wie die WSWS seit dem Regierungsantritt der rot-rot-grünen-Koalition warnte, setzen Linkspartei und Grüne überall dort, wo sie mitregieren, die flüchtlingsfeindliche Abschiebepolitik der Bundesregierung rücksichtslos in die Tat um. Nacht- und Zwangsabschiebungen gehören zur regelmäßigen Praxis.

Moldawien zählt zu den ärmsten an die Europäische Union angrenzenden Ländern. Schätzungsweise jeder Fünfte der 3,5 Millionen Einwohner lebt unterhalb der absoluten Armutsgrenze.

Die Roma-Minderheit ist zusätzlich staatlich organisierter Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt. Bitterste Armut wegen überproportional hoher Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Obdachlosigkeit und ein erschwerter Zugang zur Schulbildung prägen den Alltag der meisten Roma-Familien. Über die Hälfte von ihnen sind ohne staatliche Krankenversicherung, wodurch ihnen der Zugang zur medizinischen Versorgung verweigert wird.

Die in ihrer Heimat bestehende „Diskriminierung und Marginalisierung“ erreiche jedoch aus Sicht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) „in der Regel nicht das Ausmaß, das flüchtlingsrechtlich relevant ist“, kritisierte Martina Mauer vom Flüchtlingsrat im Dezember 2019 gegenüber der Berliner Morgenpost.

Nur knapp 80 der rund 10.500 Moldawier, die zwischen 2015 und 2019 beim BAMF Antrag auf Asyl stellten, erhielten eine (befristete) Bleibegenehmigung. Bei den Antragsstellern handelte es sich überwiegend um Roma.

Die weitere Verelendung und auch den Tod der Roma nehmen SPD, Linkspartei und Grüne billigend in Kauf. Ihre Deportation in das vom Robert-Koch-Institut und Auswärtigen Amt als Corona-Risikogebiet ausgewiesene Moldawien kommt teilweise einem Todesurteil gleich.

Schon vor Ausbruch der Pandemie wäre völlig unklar gewesen, wie die deportierte krebserkrankte Frau, die einen künstlichen Darmausgang gelegt bekommen hatte und sich mitten in einer Chemotherapie befand, die Behandlung fortsetzen oder auch nur die Stomabeutel hätte auswechseln lassen sollen. „Spätestens im Moment der Abschiebung hätte die Polizei die Rückführung abbrechen müssen,“ so der Flüchtlingsrat.

Mit der Corona-Pandemie gehört die krebserkrankte Frau darüber hinaus zur besonders gefährdeten Risikogruppe.

In Moldawien ist das Gesundheitssystem seit Mitte Mai am Ende seiner Kapazitäten. Die Regierung hat den Ausnahmezustand für das Gesundheitswesen bis Ende August verlängert. Rund 2000 Neuinfektionen kommen pro Woche laut Flüchtlingsrat Berlin hinzu. Die Weltgesundheitsorganisation WHO gab Mitte letzter Woche sogar über 400 bekannte Neuinfektionen pro Tag bekannt, wobei von einer wesentlich höheren Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Bisher haben sich offiziellen Meldungen zufolge rund 27.000 Moldawier mit dem Virus infiziert.

„Während in Berlin zu Coronazeiten immer wieder die Solidarität beschworen wird“, gehe es Rot-Rot-Grün gar „nicht schnell genug, wieder mit den Abschiebungen zu beginnen“, kritisiert Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin. Schon im Juni hatte es zwei Sammelabschiebungen gegeben, die eine nach Georgien und die andere nach Serbien.

Laut BZ vom 6. August wurden im ersten Halbjahr 2020 – trotz Corona – fast 300 Menschen deportiert. Asylantrags-Ablehnungsbescheide würden seit Mitte Mai vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wieder zugestellt und Rückführungen „unabhängig von der Pandemie seit Mitte Juni uneingeschränkt vollzogen“, so die Berliner Innenbehörde. 188 Personen wurden vom Flughafen Schönefeld abgeschoben – unter anderem nach Moldawien, Serbien und Georgien.

Ungeachtet ihrer scheinheiligen Lippenbekenntnisse zum Schutz von Flüchtlingen und gegen Diskriminierung haben weder die Grünen noch die Linkspartei die Abschiebungen verurteilt oder gar zu verhindern versucht.

Roma und Sinti gehören nach wie vor zu den am meisten diskriminierten Minderheiten in Europa. Dies gilt auch hierzulande, wie der Zentralrat deutscher Sinti und Roma in seinem aktuellen Bericht zur „Gleichbehandlung von Sinti und Roma und zur Bekämpfung von Antiziganismus in Deutschland“ konstatiert.

Während strukturelle Diskriminierungen insbesondere von den Agenturen für Arbeit und Jobcentern sowie von den Ausländerbehörden, Sozialämtern und Jugendämtern ausgingen, so der Bericht, hätten sich antiziganistische Tendenzen „in Äußerungen von Politikern rechtsgerichteter, aber auch konservativer und sozialdemokratischer Parteien, in Artikeln und Reportagen … und in Hassreden im Internet“ kontinuierlich manifestiert.

Vor vier Jahren, als die SPD in Berlin noch in einer Koalition mit der CDU regierte, ließ Frank Henkel (CDU), Geisels Vorgänger als Innensenator, eine Hundertschaft der Berliner Polizei brutal gegen Roma-Familien vorgehen, die an der Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas gegen ihre drohende Abschiebung demonstrierten.

Die damaligen Oppositionsparteien Linkspartei und Grüne hatten an die Demonstrierenden appelliert, ihre Aktion an der Gedenkstätte zu beenden. Kein Jahr später setzte die neue Berliner Landesregierung aus SPD, Linkspartei und Grünen selbst die unmenschliche Asyl- und Abschiebepolitik der Bundesregierung um, auch gegen die besonders diskriminierte Minderheit der Roma.

75 Jahre nach dem Ende des Hitlerfaschismus hebt der Nationalismus der herrschenden Klasse wieder sein Haupt. Staatlicher Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sind unausweichliche Folgen dieser Entwicklung. Sämtliche Parteien des politischen Establishments, die Grünen und die Linkspartei eingeschlossen, verteidigen angesichts der zugespitzten Krise den staatlichen Unterdrückungsapparat und das Eigentum der herrschenden Klasse.

Die rücksichtslosen Abschiebungen von wehrlosen Kranken, Kindern und Alten und ihre Skrupellosigkeit gegenüber Minderheiten sind ebenso Bestandteil dieser Politik, wie die rigorose Öffnung von Arbeitsstätten und Schulen inmitten erneut wachsender Covid-19-Infektionen.

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