Perspektive

Oligarchenpolitik: US-Berufungsgericht blockiert SEP-Klage gegen undemokratische Wahlzulassungsgesetze

Die amerikanische Regierung hat viel über „Demokratie“, „Rechtsstaatlichkeit“ und „faire Wahlen“ zu sagen, wenn es um Länder geht, die den Interessen der Wall Street im Wege stehen. Dabei sind die Vereinigten Staaten selbst keine Demokratie im eigentlichen Sinne des Wortes. Vielmehr handelt es sich um eine Oligarchie, vertreten von zwei Parteien – den Demokraten und den Republikanern –, die das politische System kontrollieren.

Das Urteil des US-Berufungsgericht des Neunten Distrikts, das in dieser Woche gegen die Socialist Equality Party gefällt wurde, hat diese grundlegende politische Tatsache zweifelsfrei enthüllt. Es beendete die Anfechtungsklage des SEP-Wahlkampfteams gegen die undemokratischen Wahlzulassungsgesetze von Kalifornien inmitten der Corona-Pandemie.

Meine Vizekandidatin Norissa Santa Cruz und ich hatten am 30. Juni eine Klage gegen Gouverneur Gavin Newsom und Außenminister Alex Padilla – zwei Demokraten – eingereicht, in der wir die Entscheidung des Bundesstaates anfochten, 200.000 Unterschriften auf Papier von uns zu verlangen, um auf dem Stimmzettel zu erscheinen. Jeder Versuch unsererseits, diese Forderungen zu erfüllen, hätte angesichts der Pandemie zweifellos zur Verbreitung von Covid-19 und zu unzähligen Todesfällen beigetragen – schließlich wütete die Pandemie während der gesamten Zeit, in der die Sammlung von Unterschriften erlaubt ist.

Am 20. Juli wurde unsere Anfechtung von der kalifornischen Bezirksrichterin Dolly M. Gee, die vom damaligen Präsidenten Barack Obama ernannt worden war, zurückgewiesen. Sie schloss sich damit dem Standpunkt der Newsom-Regierung an, dass wir für die Erfüllung dieser Forderung Leib und Leben hätten riskieren müssen. Wir haben gegen diese Entscheidung beim Neunten Bundesberufungsgericht Berufung eingelegt. Doch das Gericht erstellte daraufhin einen Zeitplan, mit dem der Fall erst nach dem Druck der Stimmzettel – ohne unsere Namen – abgeschlossen sein werde.

Am 27. Juli lehnte eine dreiköpfige Richterjury – die von Demokraten und Republikanern ernannt wurde – einen Antrag auf beschleunigte Verhandlung der Berufung ab. Unser Antrag auf Überprüfung dieser Entscheidung wurde von demselben Gremium am Mittwoch, dem 5. August, abgelehnt. Damit ist der Rechtsstreit der SEP faktisch beendet, da jede weitere juristische Entscheidung erst getroffen würde, nachdem der Staat bereits die Maßnahmen für den Wahlantritt ergriffen hat, die der Rechtsstreit verhindern sollte.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist ein politisches, kein juristisches Urteil in der Sache. Es gibt für beschleunigte Anhörungen zahlreiche Präzedenzfälle, die dem vorliegenden Fall ähneln, während es für die Ablehnung des Antrags keinerlei vertretbare rechtliche Gründe gibt.

Die Jury verkündete ihre Entscheidungen jeweils mit nur einem knappen Absatz und ging auf keines unserer Argumente ein. Die Kernbotschaft lautete: Wir wollen den Fall nicht in der Sache selbst verhandeln, da die rechtlichen Fragen klar sind, und deshalb werden wir verhindern, dass der Fall rechtzeitig verhandelt wird.

Die gesamte Reaktion der herrschenden Klasse und ihres Staats auf die Klage der SEP war von einem politischen Motiv geleitet: Haltet die Sozialisten von der Abstimmung fern! Die richterliche Entscheidung des Berufungsgerichts, über unseren Fall erst nach dem Druck der Stimmzettel zu befinden, war ein Ergebnis dieser übergeordneten politischen Notwendigkeit.

Eine ähnliche Entscheidung wurde in Michigan bereits im Juli gegen die SEP gefällt, wo wir ebenfalls Bedingungen für die Wahlzulassung anfechten, die von den Demokraten kontrolliert werden. Wir haben gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt.

Man könnte die Situation als kafkaesk bezeichnen, doch das wäre eine grobe Untertreibung. Im ganzen Land wütet eine tödliche Pandemie. Weit über fünf Millionen Menschen sind in den USA mit Covid-19 infiziert worden und mehr als 165.000 Menschen sind gestorben. Zu diesem schrecklichen Tribut kommen täglich mehr als 1.000 weitere Menschenleben hinzu. Bis Anfang Dezember werden nach neuesten Schätzungen 300.000 Menschen gestorben sein.

Kalifornien hat mit mehr als 6.000 täglichen Neuinfektionen derzeit die höchste Infektionsrate aller Bundesstaaten und mit über 140 täglichen Todesfällen eine der höchsten Todesraten. Dennoch will der Bundesstaat, dass die SEP und ihre Unterstützer mit Hunderttausenden Menschen physisch in Kontakt kommen, indem sie Klemmbretter und Stifte gemeinsam nutzen. Das würde die besten Bedingungen für die Verbreitung der Krankheit schaffen!

Einige der vom Bundesstaat vorgebrachten Argumente sind besonders grotesk und absurd. In seinem ursprünglichen Widerspruch gegen unsere Klage erklärte der Generalstaatsanwalt von Kalifornien, dass unsere Forderung zu einem „unübersichtlichen und überfüllten Wahlzettel“ führen würde, der „Verwirrung bei den Wählern“ und „Frustration über den demokratischen Prozess“ hervorrufen würde.

Die Wähler Kaliforniens sind demnach offenbar derart unverständig, dass sie nicht zwischen mehr als einer Handvoll vom Staat sanktionierter Kandidaten wählen können. In Wirklichkeit wäre die einzige „Frustration“, die sich aus einer Wahlteilnahme der SEP ergeben würde, die Frustration der herrschenden Klasse – und zwar darüber, dass den Wählern eine Option außerhalb der Vertreter der herrschenden Klasse präsentiert würde. Im Rahmen einer besonderen Abberufungswahl entstanden im Jahr 2003 Bedingungen, unter denen 135 Kandidaten auf dem Wahlzettel standen, ohne dass dies zu „Verwirrung“ oder „Frustration“ geführt hätte. Damals hatte John Burton, der Wahlkandidat der SEP, eine beachtliche Stimmenzahl gewonnen.

Weiter erklärten die Vertreter des Bundesstaats, dass wir über die sozialen Medien, in denen sozialistische Politik stark zensiert wird, Unterschriften hätten sammeln sollen – und zwar per Post. Dazu müssten Unterschriftsformulare einzeln an 200.000 Personen geschickt werden. Diese müssten die Formulare ausdrucken, unterschreiben und bei einem physischen Treffen mit einem Notar beglaubigen lassen, bevor sie sie zurückschicken. Selbst wenn eine derart haarsträubende Prozedur möglich wäre, würden allein die Beglaubigungen Kosten in Höhe von rund 20 Millionen Dollar verursachen.

Schließlich wäre da noch die Tatsache, dass die Demokraten in ihrem eigenen Wahlkampf für Joe Biden angekündigt haben, in diesem Jahr – wegen der Pandemie! – keine Tür-zu-Tür-Kampagne durchzuführen. Die Demokraten planen, ihren Kongress im Laufe dieses Monats virtuell abzuhalten – wiederum wegen der Pandemie. Mit anderen Worten: Sozialisten sollen ihr Leben und die Gesundheit der breiten Öffentlichkeit aufs Spiel setzen, um auf dem Wahlzettel zu erscheinen: Eine Aufgabe, die sich Demokraten und Republikanern nicht stellt, weil sie automatisch auf dem Wahlzettel stehen.

Das gesamte Wahlzulassungssystem in den USA ist in höchstem Maße undemokratisch. Jahrzehntelang haben die Bundesstaaten das Wahlrecht angegriffen, indem sie immer beschwerlichere Einschränkungen und Hürden einrichteten: hohe Anforderungen an die Sammlung von Unterschriften, kurze Fristen und andere Beschränkungen, die die Teilnahme so schwierig wie möglich machen sollten. Viele dieser Anforderungen sind in eklatanter Weise diskriminierend. Sie machen es den Demokraten und Republikanern leicht und allen anderen schwer. Von den Gerichten wurden diese Hürden wiederholt bestätigt, mit der Begründung, dass sie „staatlichen Interessen“ dienen.

Mit den beiden Klagen in Michigan und Kalifornien hat die SEP diese Rechtfertigungen völlig entlarvt. Die Anforderungen werden unter den Bedingungen der Pandemie durchgesetzt, obwohl sonnenklar ist, dass es geradezu unmöglich ist, sie zu erfüllen. Das beweist, dass die Zulassungsbeschränkungen nur einem einzigen Zweck dienen: die Opposition aus dem Abstimmungsprozess auszuschließen, und zwar besonders die sozialistische Opposition.

Die Weigerung des Bundesberufungsgerichts, unsere Berufung anzuhören, erfolgt nicht aus einer Position der Stärke, sondern aus einer Position der Schwäche. Unsere Argumente waren unwiderlegbar, während die Argumente des Bundesstaats absurd waren – deshalb beschlossen die Richter, die Uhr ablaufen zu lassen, um überhaupt keine Entscheidung treffen zu müssen.

Die Vertreter der herrschenden Klasse, Demokraten und Republikaner, sind entsetzt über das Anwachsen der sozialen Opposition. Die von der Oligarchie umgesetzte Politik hat zu Massensterben und Elend geführt.

Die Reichen haben die Pandemie zwar genutzt, um noch größeren Reichtum anzuhäufen, doch sie sitzen auf einem Pulverfass. Die Unterstützung für den Sozialismus wächst ebenso wie der Widerstand gegen den Kapitalismus.

In der Resolution, die die Socialist Equality Party im vergangenen Monat auf ihrem Kongress angenommen hat, schrieben wir: „Die erste Hälfte des Jahres stand ganz im Zeichen der Reaktion der herrschenden Klasse auf die Pandemie. In der zweiten Hälfte wird die Reaktion der Arbeiterklasse in den Vordergrund rücken. Die katastrophalen Folgen der Politik der herrschenden Klasse haben der Legitimität des kapitalistischen Systems einen schweren Schlag versetzt.“

Das geschieht bereits. Unter Lehrern und Eltern wächst die Wut über die „Back-to-School“-Kampagne. Arbeiter beginnen sich zu organisieren und wehren sich dagegen, für die Profite der Reichen ihr Leben und das ihrer Angehörigen zu opfern. Millionen Menschen drohen Armut und Zwangsvollstreckung, weil die Corona-Zuschüsse zum Arbeitslosengeld gestrichen wurden. Eine soziale Explosion entwickelt sich.

Demokraten und Republikaner werden bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen ­– falls sie denn überhaupt stattfinden – eine „Wahl“ zwischen Trump und Biden anbieten, zwei rechten Vertretern der Oligarchie.

Die Entscheidung des Bundesberufungsgerichts ist ein weiterer Beweis für die grundlegende marxistische Lehre: Der Staat ist kein neutrales Organ. Er ist ein Instrument der Klassenherrschaft. Wirkliche soziale Veränderungen werden nicht durch diesen korrupten und antidemokratischen Apparat erreicht, sondern durch die Entwicklung einer revolutionären Massenbewegung der Arbeiterklasse. Genau das ist gerade im Entstehen.

Norissa und ich werden weiterhin einen entschlossenen Wahlkampf führen. Die SEP wird in einer Reihe von Staaten, in denen keine persönliche Unterschriftensammlung erforderlich ist, zur Wahl antreten. In anderen Bundesstaaten, unter anderem auch in Kalifornien, werden wir den „Write-In-Status“ nutzen (d.h. Wähler können unsere Namen auf dem Wahlzettel eintragen). In den kommenden Wochen werden wir Online-Wahlveranstaltungen abhalten, um die Perspektive des Sozialismus zu erläutern.

Das wesentliche Ziel dieser Kampagne besteht darin, eine sozialistische Führung in der Arbeiterklasse aufzubauen. Wir rufen alle Arbeiter und Jugendlichen auf, die Entscheidung zu treffen, die sich unweigerlich aus der Realität der Pandemie und dem Wesen der Klassenherrschaft ergibt: Tretet der SEP und ihren internationalen Schwesterparteien bei und nehmt den Kampf für Sozialismus auf!

Loading