Schulbesetzungen in Griechenland gegen unsichere Schulöffnungen

Aus Protest gegen die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts unter unsicheren Bedingungen haben letzte Woche Schüler in ganz Griechenland damit begonnen, ihre Schulen zu besetzen.

Die Schulen in den Städten Karditsa und Agrinio gehörten zu den ersten, die besetzt wurden. Laut dem Direktor der Sekundarschulen in Karditsa wurden am letzten Mittwoch vier der fünf Allgemeinen Lyzeen der Stadt besetzt. Die beiden Berufsoberschulen (EPAL) in Karditsa wurden ebenfalls besetzt.

Am Montag schlossen sich Dutzende weitere Schulen im ganzen Land den Protesten an; bis Dienstag waren im ganzen Land mehr als 100 Schulen besetzt.

In Griechenland steigen die Corona-Fälle seit dem Sommer rasant an, verschärft durch die gefährliche Entscheidung, die Tourismussaison stattfinden zu lassen. Trotz des Wiederanstiegs hat Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis von der rechten Nea Dimokratia Schüler und Lehrer am 14. September wieder in die Klassenzimmer zurückgeschickt. Rund 558.000 Oberschüler und 64.000 festangestellte Sekundarschullehrer – ein großer Teil der zehn Millionen Einwohner Griechenland – sind in unmittelbarer Gefahr. Die Gewerkschaften und die wichtigste Oppositionspartei Syriza (Koalition der Radikalen Linken – Progressive Allianz) haben nichts gegen die Schulöffnungen gemacht.

Diese katastrophale Politik hat dazu geführt, dass sich Covid-19 innerhalb einer Woche im ganzen Schulsystem ausbreiten konnte. Mindestens 59 Schulen mussten bisher geschlossen werden. Damit eine Schule komplett geschlossen wird, müssen mindestens drei Corona-Fälle bei Personen festgestellt werden, die nicht direkt miteinander zusammenhängen.

Dieses Vorgehen trägt zu einem landesweiten Anstieg der Corona-Fälle bei. Am Montag gab es 453 neue Infektionen und sechs Todesfälle. Am Dienstag waren es 346 neue Infektionen (210 davon in der bevölkerungsreichsten Region Attika) und am Mittwoch 358 Fälle. 77 Patienten werden künstlich beatmet. Am Mittwochabend lag die Gesamtzahl bei 16.286 registrierten Fällen und 357 Toten.

Die Schüler fordern u.a. die Begrenzung der Klassengröße auf höchstens 15 Schüler, die sofortige Einstellung von zusätzlichen Lehrern, die feste Einstellung von Reinigungspersonal und den Verzicht auf die Installation von Kameras in den Schulen, was die Regierung unter dem Vorwand des E-Learning umsetzen will. Auf einem Transparent der Schüler steht: „Nicht mehr als 15 Schüler pro Klasse! Mehr Geld für Bildung! Wir sind nicht entbehrlich!“

Die Regierung erlaubt einen Schulbetrieb mit Klassengrößen von bis zu 25 Schülern an Grundschulen und der Abschlussklasse der Sekundarschulen. In den anderen Sekundarschulstufen liegt die maximale Größe sogar bei 27, und diese Grenzen werden regelmäßig überschritten. Die Tageszeitung Efimerida Ton Syntakton berichtete Anfang September, dass laut Angaben des Bildungsministeriums 52 Prozent aller Grund- und Sekundarschüler in Klassen mit mehr als 21 Schülern gehen. Es gibt auch Klassen mit 30 oder 31 Schülern.

Weiter hieß es, 74 Prozent aller Schüler (eine Million von 1,35 Millionen) befänden sich in Klassen mit mehr als 18 Schülern und 52 Prozent oder 700.000 in Klassen mit mehr als 21 Schülern.

Diese Woche besetzten Schüler in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands, mehr als 40 Schulen. Ihnen schlossen sich Schüler in Serres und Sidirokastro an, und nach einem Onlineaufruf auch Gymnasiasten in N. Petrisi und Lefkonas. Laut dem Staatssender ERT schlossen sich die jüngeren Oberschüler des Lyzeums Sidirokastro ihren älteren Mitschülern an. Laut Protothema beteiligten sich auch die jüngeren Klassen in N. Petrisi und Lefkonas an den Protesten.

Auch in Volos, Nea Ionia, Agrinio, Kavala und Achaia wurden die Schulen besetzt. In Achaia auf der Peloponnes-Halbinsel waren am Montag 39 Schulen besetzt, die Schüler demonstrierten in der Regionalhauptstadt Patras.

In der westpeloponnesischen Region Elis wurden am Montag drei Schulen besetzt, am Dienstagmorgen 13 weitere in der Stadt Pyrgos und mindestens vier weitere in anderen Gebieten.

Auch auf Kreta, der größten griechischen Insel, wurden Dutzende Schulen besetzt. In der kretischen Hauptstadt Iraklio waren bis Dienstag 14 Schulen betroffen sowie weitere in Chania und Rethymno. In Chania sind mindestens neun Schulen besetzt, darunter alle Jahrgänge an zwei Schulen, dem Allgemeinen Lyzeum und der Oberschule.

Die unabhängige Nachrichtenseite The Press Project schrieb, der schlechte Zustand des Bildungswesens in Thessaloniki habe die Proteste verschärft. So müssen dort Hunderte von Schülern in unbelüfteten Kellerräumen lernen.

In der Oberschule von Kordelio, die neben einer Grundschule liegt, werden Schüler im Schulhof unterrichtet, da zwei Räume im Keller der Schule als ungeeignet eingestuft wurden. An der Berufsschule Stavroupolis sitzen 1.200 Schüler in überfüllten Klassen zusammen auf dem Schulhof.

An einer weiteren Berufsschule, der EPAL Ampelokipi, ist mitten in der Pandemie nur eine einzige Reinigungskraft für die ganze Schule zuständig.

Schüler werden nicht nur in überfüllte Klassenzimmer gepfercht, sondern haben auch einen langen Schulweg, den sie teilweise mit dem Bus zurücklegen, sodass das Virus mehr Möglichkeiten hat, sich auszubreiten. Schüler, die nicht in die Berufsschule Evosmos aufgenommen wurden, müssen per Bus nach Kordelio fahren.

The Press Project schreibt: „In Diavata müssen Schüler der Berufsoberschulen (EPAL) und der allgemeinen Oberschulen (GEL) zwei Stunden vor Schulbeginn aufstehen und sich wie Sardinen in einen Bus zwängen, zusammen mit Arbeitern, die zur gleichen Zeit auf dem Weg zu den örtlichen Betrieben sind. Der Grund ist, dass die am nächsten gelegenen Schulen ein oder zwei Dörfer von Diavata entfernt liegen.“

Einige Schüler protestieren auch gegen die Maskenpflicht. Es gab zwar in Griechenland, genau wie woanders, Proteste eines kleinen desorientierten Teils der Bevölkerung gegen Masken. Doch die Schüler kritisieren die Masken vor allem, weil das Tragen einer Maske allein nicht ausreicht, um sich in überfüllten, baufälligen und ungelüfteten Schulen zu schützen.

Die Zeitung To Vima zitierte einen Oberschüler der zweiten Jahrgangsstufe, der sich an einer Besetzung beteiligte: „Wir glauben, der Einsatz von Masken hat nicht den erhofften Effekt, wenn es keine angemessene Infrastruktur gibt und die notwendigen Maßnahmen nicht ergriffen werden.“

Zudem sind die kostenlosen Masken, die vom Staat gestellt werden, von äußerst schlechter Qualität und zu groß, sodass Eltern ihren Kindern eigene Masken kaufen müssen. Die staatlichen Masken können die Kinder nur tragen, wenn sie Löcher für die Augen hineinschneiden, weswegen sie auch als „Fallschirmmasken“ bezeichnet werden. Der stellvertretende griechische Gesundheitsminister Vassilis Kontozamanis erklärte, dass der Kauf von 500.000 unbrauchbaren Masken auf Kosten der Steuerzahler aufgrund eines „Missverständnisses zwischen der Regierung und dem Auftragnehmer“ passiert sei.

Die Regierung reagiert auf die Besetzungen mit Unterdrückung. Am Montag wies die Staatsanwältin am Jugendgericht, Dimitra Tsiardakli, die Polizei an, die Unterbrechung des öffentlichen Diensts zu unterbinden und gegen die besetzten Schulen in der Präfektur Thessaloniki vorzugehen.

Der Befehl wurde an die Polizeidirektion von Thessaloniki und die lokalen Polizeiwachen erteilt. Die Polizei wurde außerdem ermächtigt, nicht nur Strafen gegen die Schüler, sondern auch gegen die Lehrer und Eltern zu verhängen, damit sie die Proteste nicht unterstützen.

Am Dienstagmorgen wurden in einer Schule in Karatsini im Raum Piräus nahe Athen 12 Schüler von einer Motorradeinheit der Polizei verhaftet. Der Befehl zur Festnahme soll von der Polizeizentrale gekommen sein. Die Kinder wurden erst freigelassen, nachdem ihre Eltern auf die Polizeiwache gerufen wurden.

Die ZeitungEfimerida Ton Syntakton berichtete am Dienstag, die Verhaftungen in Piräus hätten zu „starken Reaktionen geführt, da auf Kreta etwas Ähnliches passiert sei: Es gab Beschwerden, weil uniformierte Beamte Schulleiter in Iraklio aufgefordert hatten, die Namen der Schüler auszuhändigen, die sich an den Schulbesetzungen beteiligen.“

Diese landesweiten Proteste in Griechenland sind Ausdruck des wachsenden Widerstands unter Jugendlichen und Arbeitern gegen die Schulöffnungspolitik der kapitalistischen Regierungen weltweit. In allen Ländern brodelt die Wut, die sich früher oder später Bahn brechen wird. Der notwendige erste Schritt für Schüler, Lehrkräfte und Eltern in Griechenland und weltweit ist die Gründung unabhängiger Kampforganisationen, die sich dem globalen Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Bildung anschließen, das in den USA, Deutschland, Großbritannien und Australien entstanden ist.

Siehe auch:

Öffnung der Schulen treibt die Zahl der Covid-Todesfälle weltweit auf über eine Million
[23. September 2020]

EU verweigert obdachlosen Flüchtlingen auf Lesbos jede Hilfe
[16. September 2020]

Nein zu einem griechisch-türkischen Krieg im östlichen Mittelmeer!
[15. September 2020]

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