Sachsen-Anhalt: CDU sucht Schulterschluss mit AfD

Neun Monate vor der nächsten Bundestagswahl probt die CDU den Schulterschluss mit der rechtsextremen AfD. Das ist die Bedeutung der gegenwärtigen Regierungskrise in Sachsen-Anhalt, deren Ausgang bisher offen ist.

Die Krise beschränkt sich nicht auf einige rechte Querulanten in einem relativ unbedeutenden CDU-Landesverband, der auf Bundesparteitagen nur drei Prozent der Delegierten stellt. Vielmehr hat auch die Führung der Bundespartei signalisiert, dass sie zu einer offenen Zusammenarbeit mit der AfD bereit ist. Weder die Noch-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer noch Generalsekretär Paul Ziemiak haben die Landtagsfraktion in Magdeburg kritisiert, die darauf beharrt, sich mit den Rechtsextremen gegen die eigene Regierungskoalition zu verbünden. Friedrich Merz, einer der drei Kandidaten für den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur der CDU, hat sich sogar öffentlich hinter sie gestellt.

Auch die SPD und die Grünen sind direkt für die Aufwertung der AfD verantwortlich, die in breiten Teilen der Bevölkerung verhasst ist und in den vergangenen Monaten durch interne Querelen geschwächt war. Die beiden Parteien haben nach der Landtagswahl 2016 eine sogenannte Kenia-Koalition mit der CDU gebildet und sie als „Bollwerk gegen rechts“, also gegen die AfD, dargestellt, die mit 24,3 Prozent als zweitstärkste Partei aus der Wahl hervorgegangen war.

Nun ist klar, dass die Kenia-Koalition kein „Bollwerk gegen rechts“, sondern ein Bollwerk für die Rechten ist. Sie hat die AfD gegen Opposition von links abgeschirmt und ihr politisches Programm verwirklicht: Polizeiaufrüstung, Abschiebung von Flüchtlingen und Sozialabbau in einem Bundesland, das bei Armut und Arbeitslosigkeit auf einem Spitzenplatz liegt. Nun fühlen sich die AfD-Sympathisanten in der CDU, deren Gesinnung nie ein Geheimnis war, stark genug, in die Offensive zu gehen.

Die Krise in Sachsen-Anhalt entzündete sich an einer nebensächlichen Frage, der Erhöhung der monatlichen Rundfunkgebühr um 86 Cent auf 18,36 Euro. Die Erhöhung ist Bestandteil des Medienstaatsvertrags zwischen den Bundesländern, dem sämtliche Länder zustimmen müssen, damit er Anfang Januar in Kraft tritt.

Die CDU-Fraktion im Magdeburger Landtag versteifte sich darauf, die Erhöhung abzulehnen, der alle anderen Bundesländer – auch die CDU-regierten – bereits zugestimmt hatten. Sie begründete dies mit einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die sich für „Beitragsstabilität“ aussprach. Doch das war ein offensichtlicher Vorwand, da sich ähnliche Formulierungen auch in den Koalitionsverträgen anderer Bundesländer finden. Diese stimmten dem Medienstaatsvertrag trotzdem mit der Begründung zu, dass es sich um die erste Gebührenerhöhung seit 2009 und damit lediglich um eine Inflationsanpassung handle.

Die Magdeburger CDU-Fraktion war sich natürlich bewusst, dass sie die Erhöhung nur mit Unterstützung der AfD verhindern kann, die sie ebenfalls ablehnt, während SPD und Grüne sie unterstützen. Die Erhöhung der Rundfunkgebühr diente also lediglich als Vorwand, um eine Zusammenarbeit mit der AfD zu rechtfertigen.

Holger Stahlknecht (Foto: Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0)

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) versuchte einen Koalitionsbruch durch verschiedene Manöver und ein Hinauszögern der Verhandlungen zu verhindern. Doch am Freitag stellte sich ihm der Innenminister und CDU-Landesvorsitzende Holger Stahlknecht entgegen. In einem Interview mit der Magdeburger Volksstimme erklärte Stahlknecht, die Ablehnung der CDU sei „nicht verhandelbar“: „Die CDU wird ihre Position nicht räumen. Der CDU-Landesvorstand hat das am Montagabend auch so einstimmig beschlossen. Die Partei steht ohne Wenn und Aber an der Seite der Fraktion. Wir bilden den Schulterschluss.“

In dem Interview machte Stahlknecht auch deutlich, dass es ihm nicht um die finanzielle Belastung durch die Rundfunkgebühr geht, die ausnahmslos von jedem Haushalt erhoben wird und vor allem für Niedrigverdiener eine Last darstellt. Stattdessen griff er die politische Ausrichtung der öffentlichen Medien an, denen er „eine von einer intellektuellen Minderheit verordnete Moralisierung“ und zu viel politische Korrektheit vorwarf. Er habe als Innenminister in der Flüchtlingskrise erlebt, wie Bürger Sorge äußerten, „ob die Integration gelingt, und dann wurden sie in die rechte Ecke gedrängt“. Das ist die Sprache der AfD.

Von der Magdeburger Volksstimme gefragt, was geschehe, falls die Koalition nächste Woche platze, beharrte Stahlknecht auf seiner Haltung: „Nochmal: Wir bleiben bei unserer Position. Der Ball liegt jetzt im Feld von SPD und Grünen.“ Sollten diese die Regierung verlassen, so Stahlknecht, „käme es zu einer CDU-Minderheitsregierung“. Eine solche Minderheitsregierung würde sich nicht nur bei den Rundfunkgebühren, sondern auch bei anderen Fragen auf die AfD stützen. Diese erklärte sich sofort zu einer solchen Zusammenarbeit bereit.

Ministerpräsident Haseloff reagierte auf das Interview, indem er Stahlknecht, der seit 2011 das Innenressort leitet, fristlos vor die Tür setzte. Dieser kündigte darauf auch seinen Rücktritt vom Landesparteivorsitz zum 8. Dezember an.

Aus dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin kam lange Zeit keine Reaktion. Schließlich reagierten sowohl die Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer wie Generalsekretär Ziemiak, indem sie der SPD und den Grünen die Verantwortung zuschoben, die sich jetzt „ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst werden“ müssten. Der Kandidat für den Parteivorsitz Merz solidarisierte sich unverhohlen mit Stahlknecht. Er sagte, man könne die geplante Beitragserhöhung kritisch sehen, und im Übrigen sei „es vollkommen unwichtig, welche Meinung die AfD dazu hat“.

Die Krise ist mit Stahlknechts Ausscheiden keineswegs gelöst. Sowohl die Fraktion wie die Landespartei beharren weiterhin darauf, die Gebührenerhöhung abzulehnen, und Stahlknecht schlagen aus der Partei große Sympathien entgegen. Sein Interview befindet sich weiterhin auf dem Social-Media-Kanal der Landes-CDU, und auf Facebook wurde er von Hunderten als „gradliniger“ und “standhafter“ „Politiker mit Rückgrat“ gefeiert.

Die Sympathien der Sachsen-Anhalt-CDU für AfD sind nicht neu. Landtagsabgeordnete der Partei haben sich wiederholt öffentlich für eine Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Partei ausgesprochen, die in Sachsen-Anhalt von Vertretern des Neonazi-„Flügels“ angeführt wird.

So verfassten die stellvertretenden CDU-Fraktionschefs Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer im Sommer 2019 eine „Denkschrift“, die für eine Koalition mit der AfD plädierte. Die Wähler von CDU und AfD verfolgten ähnliche Ziele, heißt es in dem Papier, das außerdem in bester AfD-Sprache eine „ungesteuerte Migration“ und eine „Zunahme an neuer brutaler Kriminalität“ beklagt. Wörtlich hieß es dann: „Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“ – eine unmissverständliche Anspielung an den Nationalsozialismus.

Anfang dieses Jahres stellte die CDU bei einer Kommunalwahl mit Robert Möritz einen bekannten Neonazi als Kandidaten auf, der aus seiner Gesinnung nie einen Hehl gemacht hatte und auch im Vorstand des CDU-Kreisverbands Anhalt-Bitterfeld saß. Als seine rechtsradikale Vergangenheit aufflog, verteidigte ihn nicht nur der Generalsekretär der Landes-CDU, Sven Schulze, sondern auch Innenminister Stahlknecht.

Stahlknecht ist auch sonst immer wieder durch seine rechten Sympathien aufgefallen. So wollte er vor einem Jahr den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt zum Staatssekretär ernennen, eine Galionsfigur der extremen Rechten. Als Innenminister war Stahlknecht auch dafür verantwortlich, dass die Synagoge in Halle völlig ungeschützt war, als der Rechtsterrorist Stephan Balliet dort am Feiertag Jom Kippur 2019 ein Attentat verübte. Nur eine starke Holztür verhinderte ein Massaker. Später beklagte Stahlknecht vor Polizisten, dass sie wegen der Bewachung jüdischer Einrichtungen nicht anderswo eingesetzt werden könnten, wogegen jüdische Organisationen heftig protestierten.

Das alles hinderte die SPD nicht daran, neuneinhalb – und die Grünen viereinhalb – Jahre lang eng mit der CDU und Stahlknecht zusammenzuarbeiten und der Öffentlichkeit vorzugaukeln, es handle sich um ein „Bollwerk gegen rechts“. Auch die Linkspartei hätte mitgemacht, wenn sie gefragt worden wäre.

Die Ereignisse in Magdeburg zeigen, dass die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP im Februar dieses Jahres kein Ausrutscher war. Als Kemmerich schließlich unter einer Welle der öffentlichen Empörung zurücktreten musste und Bodo Ramelow von der Linkspartei ins Ministerpräsidentenamt zurückkehrte, reichte auch er der AfD die Hand, indem er ihr mit seiner Stimme zum Posten eines Landtagsvizepräsidenten verhalf.

Der Aufstieg der AfD, der in der Bevölkerung massive Ablehnung entgegenschlägt, hängt maßgeblich von der Unterstützung der anderen Parteien ab. Die Fortsetzung der Großen Koalition nach der Bundeswahl 2017 diente vor allem dazu, der rechtsextremen Partei zur prominenten Rolle der Oppositionsführerin zu verhelfen. Seither wird sie, obwohl ihr faschistischer Charakter immer augenscheinlicher wird, von den anderen Parteien hofiert und mit der Leitung wichtiger Ausschüsse betraut. Auch die rechtsterroristischen Netzwerke in ihrem Umfeld, die tief in die Sicherheitskräfte hineinreichen, werden von Justiz und Geheimdiensten gedeckt.

Die Rechtsextremen werden gebraucht, um die Politik des Sozialabbaus, der Staatsaufrüstung und des Militarismus gegen wachsenden Widerstand durchzusetzen. In der Flüchtlingspolitik und bei der inneren und äußeren Aufrüstung hat die Bundesregierung längst das Programm der AfD übernommen. Tausende sterben an Corona, weil sich die Bundes- und Landesregierungen weigern, einen Lockdown zu verhängen. Die Profite der Konzerne sind ihnen wichtiger als das Leben der Bevölkerung. Diese Politik kann letztlich nur mit Gewalt verwirklicht werden.

Überall auf der Welt wenden sich die Regierungen deshalb rechtsextremen Kräften zu, um den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse zu unterdrücken, die sich nach links bewegt. Der Gefahr des Faschismus kann nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse entgegentreten, die mit allen kapitalistischen Parteien bricht und sich auf ein internationales sozialistisches Programm stützt. Das erfordert den Aufbau einer neuen, sozialistischen Partei in der internationalen Arbeiterklasse – der Sozialistischen Gleichheitspartei und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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