Arbeitsplatzabbau bei Daimler

IG Metall: „Hauptsache, wir sitzen mit am Tisch“

Die Produktion im Daimlerwerk Berlin-Marienfelde stand am Mittwoch still. Mehrere Hundert der insgesamt 2500 Beschäftigten folgten einem Demonstrationsaufruf der IG Metall und protestierten gegen die drohende Stilllegung des Traditionswerks.

Protest der Daimler-Beschäftigten in Marienfelde (Bild WSWS)

Es war die zweite Demonstration innerhalb eines Monats. Bereits am 12. November hatte die IG Metall zum Protest aufgerufen. Die WSWS hat darüber berichtet. Doch während sich die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter große Sorge um ihre Arbeitsplätze und ihre Zukunft machen, werden sie von der Gewerkschaft buchstäblich an der Nase herumgeführt.

Die Stilllegung des Werks Marienfelde, wo nach den bisher bekannten Plänen die Produktion völlig eingestellt und lediglich eine Art Campus übrig bleiben soll, ist Bestandteil einer umfassenden Strategie des Autokonzerns, mit der die Profitrate auf Kosten der Belegschaft in den zweistelligen Bereich katapultiert werden soll. Der IG Metall und ihren Betriebsräten sind diese Pläne nicht nur bekannt, sie haben sie mit ausgearbeitet und unterstützen sie begeistert.

Am selben Tag, an dem die Belegschaft in Marienfelde protestierte, verkündete die IG Metall auf ihrer Webseite „IGM @ Daimler“ unter der Überschrift „Wichtiger Schritt in die Zukunft“: „Ende letzter Woche wurde der Daimler Investitionsplan für die nächsten fünf Jahre verabschiedet. Darin enthalten: Mehr als 70 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung sowie für Sachinvestitionen. Ein klares Zeichen für die Zukunft, schließlich liegt der Fokus ganz klar auf neuen Technologien und Tätigkeitsfeldern.“

Ein Blick auf die Website des Daimler-Konzerns reicht aus, um zu sehen, was es mit diesem „Investitionsplan“ auf sich hat. Es handelt sich um die praktische Umsetzung einer langfristigen Strategie, die der Konzern am 6. Oktober seinen Investoren vorstellte. Die Strategie verfolgt das Ziel, so Daimler-Chef Ola Källenius, durch eine Senkung der Kosten um mindestens 20 Prozent in den nächsten fünf Jahren „eine starke und nachhaltige Profitabilität“ zu erreichen.

Daimler geht dabei mit der Zeit. Angesichts der obszönen Bereicherung einer kleinen Minderheit während der Corona-Krise will der Konzern die „Luxus-Positionierung der Marke Mercedes-Benz“ noch stärker als bisher ausbauen. Vor allem die „Sub-Marken AMG, Maybach, G und EQ“ sollen deutlich wachsen. „Luxus war schon immer Teil der Seele von Mercedes-Benz. Künftig wird die Marke wieder stärker auf Luxus fokussiert,“ heißt es in einer entsprechenden Presseerklärung.

Das gilt allerding nicht für die Belegschaft. Für sie gibt es nur den „Luxus“ steigender Arbeitshetze und verlorener Arbeitsplätze. Die kontinuierliche Senkung der Kosten ist zentraler Bestandteil der neuen Strategie. „Insgesamt sollen die Fixkosten durch Kapazitätsanpassungen und geringere Personalkosten um mehr als 20% gegenüber den Ist-Werten des Jahres 2019 sinken“, erklärt der Konzern dazu. Dasselbe gilt für „die Sachinvestitionen sowie die Forschungs- und Entwicklungsausgaben“.

Die von der IG Metall bejubelten 70 Milliarden Euro Investitionen dienen vorrangig dazu, den Konzern durchzurationalisieren und auf Elektromobilität umzustellen. „Die Entwicklungsressourcen und die Ausgaben (sollen) in die profitabelsten Marktsegmente fließen, um damit eine höhere strukturelle Profitabilität zu erreichen“, heißt es dazu in der Pressemitteilung des Konzerns. Laut Entwicklungsvorstand Markus Schäfer strebt Daimler „nichts weniger als die Führung im Bereich der Elektromobilität und Digitalisierung durch eine intelligente Plattformstrategie und einen softwarebasierten Ansatz an“.

Das setzt einen kontinuierlichen Arbeitsplatzabbau voraus, wie Finanzvorstand Harald Wilhelm den Investoren erklärte. Stolz präsentierte er eine Grafik, laut der die weltweite Mitarbeiterzahl in den ersten acht Monaten dieses Jahres um 3800 gesunken ist und jetzt unter 170.000 liegt. Dies müsse bis 2025 kontinuierlich fortgesetzt werden.

Nicht nur die IG Metall jubelt, auch die Aktionäre sind begeistert. Sie äußern sich allerdings nicht in Worten, sondern in Zahlen. Der Aktienkurs geht steil nach oben. Lag er im August noch unter 43 Euro, nähert er sich inzwischen der 60-Euro-Schwelle. Das Fachblatt Der Aktionär nimmt als „nächstes Etappenziel“ bereits 65 Euro ins Ziel. Das entspräche bei mehr als einer Milliarde Aktien, die sich im Umlauf befinden, einem Vermögenszuwachs von über 20 Milliarden Euro.

Im Jubelartikel der IG Metall findet sich kein Wort über die sozialen Folgen der neuen Daimler-Strategie. Stattdessen ist die Gewerkschaft begeistert, dass auch für ihre Funktionäre etwas abfällt. „Zusätzlich zu dieser eindrucksvollen Summe [von 70 Milliarden Euro] wird auf unsere Forderung hin ein Transformationsfonds mit einem Volumen in Höhe von einer Milliarde Euro eingerichtet – ebenfalls mit einer Laufzeit von fünf Jahren,“ schreibt sie. „Das haben wir im Aufsichtsrat, Arbeitnehmer- mit der Kapitalseite, gemeinsam beschlossen.“

Wozu diese jährlich 200 Millionen Euro gut sind, deutet die IGM nur vage an. Es gehe darum, „die stattfindende Transformation so zu gestalten, dass alle schritthalten können“, und „eventuell kommende Brüche abzumildern“. Auch von „Investitionen an unseren Standorten“ ist die Rede. Sollen damit die berüchtigten „Beschäftigungsgesellschaften“ finanziert werden, die als Verschiebebahnhof in die Arbeitslosigkeit dienen? Die IGM sagt es nicht.

Wichtig ist ihr vor allem eines: Sie sitzt weiterhin mit am Tisch und sahnt mit ab, wenn über Entlassungen entschieden wird. In diesem Punkt ist sie ausnahmsweise ehrlich. Auf „IGM @ Daimler“ schreibt sie: „Nachdem die Gelder nun freigegeben wurden, geht es jetzt um die inhaltliche Ausgestaltung des Transformationsfonds. Dabei klären wir die Frage, wie wir diesen Topf füllen, welche Investitionsvorhaben realisiert werden und wie die Ausschüttungen erfolgen sollen. Klar ist dabei: Wir sitzen mit am Tisch, wenn diese Entscheidungen getroffen werden.“

Die Kundgebung in Berlin-Marienfelde verfolgte das Ziel, dem Konzern die Zuverlässigkeit der IGM zu beweisen. Sie sollte Dampf ablassen – und jeden ernsthaften Widerstand gegen die Kahlschlagpläne von Daimler sabotieren. Hinter bombastischen Ankündigungen, es werde „Feuer vom Himmel regnen“, verfolgte der neue Berliner IGM-Bevollmächtigte Jan Otto eine völlig reaktionäre Politik.

Er lud keine Kollegen aus anderen Daimler-Standorten, wie Stuttgart-Untertürkheim, zur Kundgebung ein, die ebenfalls von Stilllegung bedroht sind. Oder aus dem französischen Hambach, wo das Smart-Werk soeben an den britischen Spekulanten Jim Ratcliffe verscherbelt worden ist. Stattdessen bot er Politikern der Regierungsparteien eine Bühne, die Milliarden an die Banken und Konzerne verschenkt und mit ihrer Corona-Politik den Tod Tausender zu verantworten haben.

Neben Irene Schulz vom Vorstand der IGM, der lokalen Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD und dem stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert sprach auch der Berliner CDU-Vorsitzende Kai Wegner zur Kundgebung und heuchelte „Unterstützung“.

Schulz schlug nationalistische Töne an und forderte von Daimler ein „klares Bekenntnis zum Standort Deutschland“. Schöttler appellierte an die „ethische Verantwortung“ des Konzernvorstands. Wegner mimte den Kumpel und forderte die „Kolleginnen und Kollegen“ auf: „Lasst uns gemeinsam weiterkämpfen“. Kevin Kühnert sang Lobeshymnen auf die IG Metall: es sei viel Wert, „eine Gewerkschaft zu haben, die bereit ist, die Zukunft mitzugestalten“.

Jan Otto hatte bereits in seiner früheren Funktion als IGM-Bevollmächtigter Ostsachsens mit den rechtesten politischen Kräften zusammengearbeitet, um Arbeitsplätze abzubauen. Vor drei Jahren hatte er auf einer Gewerkschaftsdemonstration in Görlitz sogar den AfD-Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla persönlich willkommen geheißen, der inzwischen Bundessprecher der rechtsextremen Partei ist.

In Wirklichkeit können Arbeitsplätze und soziale Errungenschaften nur durch eine vereinte, unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse verteidigt werden, die sich gegen das kapitalistische System richtet. Daimler ist kein Einzelfall. Alle großen Konzerne in der Auto-, Zuliefer-, Stahl-, Maschinenbau-, Chemie und anderen Industrien nutzen die Coronakrise, um Arbeiter loszuwerden, die Ausbeutung zu verschärfen und sich auf Handelskrieg und Krieg vorzubereiten.

Alle Widersprüche des kapitalistischen Systems, die vor hundert Jahren zu zwei Weltkriegen geführt haben, brechen wieder auf. Nur die Enteignung der großen Banken, Konzerne und Vermögen und die Reorganisation der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage, ausgehend von den gesellschaftlichen Bedürfnissen und nicht den Profitansprüchen der Reichen, kann diese gefährliche Entwicklung stoppen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) tritt dafür ein, Aktionskomitees aufzubauen, die völlig unabhängig von den Gewerkschaften sind, die Verteidigung der Arbeitsplätze in die Hand nehmen und sich bundesweit und international vernetzen. Wir rufen alle Arbeiter, die nicht bereit sind, die Angriffe von Daimler und anderen Konzernen hinzunehmen, auf, eine neue, internationale sozialistische Partei aufzubauen und Mitglied der SGP zu werden.

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