Perspektive

Fast 1000 Corona-Tote in Deutschland – eine Folge offener Betriebe und Schulen

Das monatelange Offenhalten von Betrieben und Schulen hat in Deutschland mit 952 Toten am Mittwoch zu einem neuen Höchststand geführt. Trotz dieser horrenden Zahlen halten sämtliche Bundestagsparteien daran fest, die Profitinteressen vor das Leben und die Gesundheit der Menschen zu stellen. Der sogenannte „harte Lockdown“, der gestern in Kraft trat, schützt vor allem die Wirtschaft und geht nicht ansatzweise weit genug, um zehntausende Leben zu retten.

Mit den neuerlichen Höchstwerten sind in Deutschland insgesamt 23.427 Menschen nachweislich an Covid-19 gestorben. Sollten die Zahlen auf diesem Niveau bleiben, könnte noch in diesem Jahr die Marke von 40.000 Toten überschritten werden. Wahrscheinlicher ist, dass sie noch viel höher liegen, weil die Krankenhäuser des Landes schon jetzt kurz vor dem Kollaps stehen.

Im sächsischen Zittau erklärte ein Krankenhausdirektor, dass in seiner Einrichtung in den letzten Tagen bereits mehrfach triagiert, also entschieden werden musste, wer an Beatmungsgeräte angeschlossen und wem eine nötige Behandlung verweigert wird. Pflegeheime entwickeln sich zu Todestrakten, weil die profitorientierten und kaputtgesparten Einrichtungen nicht einmal rudimentäre Schutzmaßnahmen ergreifen.

Schon jetzt sind die Todeszahlen je Einwohner in Deutschland deutlich höher als sie jemals in den Vereinigten Staaten waren, dem Epizentrum der Pandemie, in dem Präsident Trump die Rücksichtslosigkeit der herrschenden Klasse und ihre antiwissenschaftliche Ignoranz wie kein anderer verkörpert.

Doch die deutsche Politik unterscheidet sich trotz aller besorgten Rhetorik weder in den kriminellen Methoden noch den tödlichen Konsequenzen wesentlich von der des Weißen Hauses. Die Bundes- und Landesregierungen jeglicher Couleur nehmen zehntausende Tote in Kauf, um die Profitinteressen der großen Banken und Konzerne zu schützen.

In den letzten Monaten weigerten sie sich trotz rasant steigender Infektionszahlen, irgendeinen Betrieb zu schließen oder den Unterricht an den Schulen auch nur einzuschränken. Die Arbeiter sollten den Unternehmen trotz der tödlichen Pandemie ohne jede Einschränkung zur Verfügung stehen. Auf diese Weise wurden mit Unterstützung der Gewerkschaften und sämtlicher bürgerlicher Parteien die Infektionszahlen nach oben getrieben und die schreckliche Situation herbeigeführt, die nun tausende Todesopfer fordert.

Erst als an dutzenden Schulen Streiks und Proteste gegen diese Politik der Durchseuchung organisiert wurden und der Unmut in den Betrieben wuchs, sahen sich die Herrschenden gezwungen, zumindest symbolisch zu handeln. In der letzten Woche zeigten die Umfragen des ZDF-Politbarometers, dass 73 Prozent der Bevölkerung die Schließung von Schulen und Kitas und einen weitgehenden Lockdown der Wirtschaft befürworten, um die Pandemie einzugrenzen, die 84 Prozent der Befragten für das aktuell wichtigste politische Problem halten.

Der sogenannte „harte Lockdown“, der daraufhin am Sonntag beschlossen wurde und am Mittwoch in Kraft trat, wird den Forderungen der Bevölkerung und den Notwendigkeiten der Pandemie jedoch nicht ansatzweise gerecht.

Nach wie vor schließt die Regierung mit Ausnahme des Einzelhandels keinen einzigen Betrieb. Damit die Arbeiter in den offen gehaltenen Betrieben arbeiten können, werden auch die Schulen nicht landeseinheitlich geschlossen, sondern lediglich die Präsenzpflicht ausgesetzt. In Berlin will Bildungsministerin Scheeres sogar in den Weihnachtsferien eine Betreuung in den Schulen anbieten. In Österreich führte ein ähnliches Vorgehen zu einer Präsenz in den Volksschulen von bis zu 50 Prozent.

Die Kitas werden vielerorts sogar im Regelbetrieb offengehalten. Denn anders als beim Lockdown im Frühjahr können auch Eltern eine „Notbetreuung“ in Anspruch nehmen, die in nicht lebensnotwendigen Bereichen arbeiten. Viele Arbeiter werden also nicht nur selbst gezwungen, in gefährlichen Betrieben zu arbeiten, sondern müssen auch ihre Kinder in unsicheren Einrichtungen einem hohen Infektionsrisiko aussetzen.

Mit dieser Politik stellt die herrschende Klasse in Deutschland die Profitinteressen der Finanzoligarchie erneut über alle gesellschaftlichen Bedürfnisse. Während die Todeszahlen steigen, verdient eine kleine Elite ein sagenhaftes Vermögen. Der Dax stieg seit dem Tiefstand vom 18. März um mehr als 60 Prozent auf 13.546 Punkte am gestrigen Mittwoch. Zudem ging ein Großteil der Konjunkturpakete, die hunderte Milliarden Euro umfassen, an die großen Banken und Konzerne. Neuen Zahlen zufolge haben dagegen 40 Prozent der Bevölkerung Einkommensverluste erlitten, wobei Arbeiter mit weniger als 1500 Euro Monatseinkommen besonders hart betroffen waren.

Auch in Zukunft sollen die Kosten der Pandemie auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss eine Beteiligung besonders wohlhabender Schichten durch eine Vermögensabgabe am Mittwoch im Bundestag kategorisch aus. Schon in der letzten Woche hatte der Bundestag im Haushalt für 2021 massive Kürzungen im Gesundheits- und Bildungsbereich beschlossen, während der Rüstungsetat weiter erhöht wird.

Dieselbe rücksichtlose Politik, die in Deutschland zu horrenden Todeszahlen geführt hat, wird von der herrschenden Klasse auf dem ganzen europäischen Kontinent verfolgt.

In Großbritannien sind die Schulen und Universitäten seit September durchgängig und ohne Einschränkungen geöffnet. Die Infektions- und Todeszahlen stiegen deshalb nach dem Teil-Lockdown vom November sofort wieder rasant an und stehen jetzt bei etwa 20.000 und 500 am Tag. Seit dem 12. November sank der Sieben-Tages-Durchschnitt der täglichen Corona-Toten niemals unter 400. Insgesamt sind im Vereinigten Königreich schon über 65.000 Menschen an Covid-19 gestorben.

In Frankreich hat die Regierung Macron am Dienstag den Ende Oktober eingeführten Teil-Lockdown beendet, obwohl die gesetzte Marke von 5000 Neuinfektionen pro Tag täglich um das Doppelte überschritten wird. Gestern wurden in Frankreich mehr als 17.000 Neuinfektionen und 412 Todesfälle registriert. Trotzdem bleiben Betriebe und Schulen offen. Macron hat den Menschen lediglich empfohlen, die Kinder zwei Tage früher aus der Schule zu nehmen, um die Quarantäne vor dem Familienbesuch einzuhalten. Das kann aber kaum ein Arbeiter machen, weil er nach wie vor in unsichere Betriebe gezwungen wird.

In Italien, das besonders schwer von der Pandemie betroffen war, ist die Sterblichkeit 2020 mit über 700.000 Toten so hoch wie seit 1944 nicht mehr, dem vorletzten Jahr des Zweiten Weltkriegs.

Der Bankrott des kapitalistischen Systems führt überall zu Barbarei und Massensterben, das zeigen die Entwicklungen auf dem europäischen Kontinent. Die Pandemie verschärft die Krise eines Gesellschaftssystems, das nur noch durch ständige Geldtransfusion in die Finanzmärkte und verschärfte Ausbeutung in den Betrieben überleben kann.

Gegen die Politik des Todes, die sich daraus ergibt, wächst in ganz Europa der Widerstand. In Deutschland protestieren Schüler für die Schließung der Schulen. In Italien streikten am 9. Dezember drei Millionen öffentlich Beschäftigte gegen unsichere und schlechte Arbeitsbedingungen. In Spanien demonstrierten am 29. November Tausende Ärzte und Pflegekräfte gegen geplante Etatkürzungen im Gesundheitswesen, und zwei Wochen später streikten in Portugal Erzieher und Lehrer. In Griechenland haben am 26. November Hunderttausende Arbeiter den öffentlichen Dienst zum Erliegen gebracht. Hinzu kommen die Massenproteste gegen das französische Polizeigesetz.

Es ist entscheidend, diese Kämpfe zu vereinen, unter einer sozialistischen Perspektive zu führen und zu einem Kampf gegen das verfaulte kapitalistische System zu entwickeln. Das erfordert einen bewussten politischen Bruch mit den sozialdemokratischen und pseudolinken Parteien und den Gewerkschaften durch die Bildung unabhängiger Aktionskomitees und den Aufbau einer neuen revolutionären Führung.

„Der Kampf, mit dem Arbeiter angesichts von Covid-19 konfrontiert sind, ist ein internationaler politischer Kampf gegen das kapitalistische System und eine von der Finanzaristokratie bewusst verfolgte Politik des Massensterbens“, erklärten die europäischen Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale Ende September angesichts der Öffnungspolitik und warnten:

„Nach der verfrühten Aufhebung der Lockdowns, die in diesem Frühjahr verhängt wurden, haben die europäischen Regierungen durch die vollständige Wiedereröffnung von Schulen, Arbeitsstellen und öffentlichen Veranstaltungsorten den Weg für ein verheerendes Wiederaufflammen des Virus geebnet. […] Nur durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse in ganz Europa im Rahmen eines internationalen Generalstreiks kann die von der Europäischen Union (EU) eingeleitete Wiederöffnung der Schulen und der Arbeitsstellen gestoppt, Lockdowns zur Kontaktreduzierung verhängt und ein schrecklicher Verlust an Menschenleben verhindert werden.“

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