Treffen im Weißen Haus: Trump diskutiert über Ausrufung des Kriegsrechts, um die Wahl zu kippen

Am Freitagabend diskutierten US-Präsident Donald Trump und seine wichtigsten Berater bei einem Treffen im Weißen Haus eine Reihe von Vorschlägen, wie man seine Niederlage in der Präsidentschaftswahl rückgängig machen könnte. Laut zahlreichen Berichten in der Presse diskutierten sie u.a. über den Vorschlag, das Kriegsrecht zu verhängen und in umstrittenen Bundesstaaten die Beschlagnahme der Wahlautomaten anzuordnen.

Die New York Times berichtete zuerst über das Treffen zwischen Trump, Stabschef Mark Meadows, dem Berater des Weißen Hauses, Pat Cipollone, der Anwältin von Trumps Wahlkampfteam, Sidney Powell, und dem ehemaligen nationalen Sicherheitsberater, General Michael Flynn. Die beiden Letzteren sind als Befürworter eines Putsches bekannt. CNN, ABC, NBC und weitere Medien berichteten über weitere Details.

Für Flynn war es das erste Treffen im Weißen Haus, seit Trump ihn begnadigt hatte. Er hatte während einer FBI-Untersuchung zu Beginn von Trumps Amtszeit in zwei Fällen Meineid geleistet und war dafür als nationaler Sicherheitsberater entlassen worden. Für Powell war es der erste Besuch im Weißen Haus, seit sie aus Trumps Wahlkampfteam entlassen wurde, weil sie mehrere bizarre Verschwörungstheorien verbreitet hatte, laut denen der 2013 verstorbene venezolanische Präsident Hugo Chavez die US-Wahl 2020 manipuliert haben soll.

Michael Flynn beim Verlassen des Bundesgerichts in Washington DC 2019 [AP Photo/Manuel Balce Ceneta, Datei]

Dass Trump solche diskreditierten Personen im Weißen Haus begrüßt, verdeutlicht fraglos seine zunehmende Verzweiflung, allerdings auch seine völlige Weigerung, das Ergebnis der Wahl anzuerkennen – Bidens Sieg mit einer Mehrheit von mehr als sieben Millionen Stimmen. Obwohl er sich verhält wie eine in die Enge getriebene Ratte, ist Trump noch für einen Monat Präsident der USA und hat weiterhin enorme Machtbefugnisse, vor allem über den Militär- und Geheimdienstapparat.

General Flynn hatte nur einen Tag vor seinem Besuch im Weißen Haus in einem Interview mit dem Sender Newsmax, der fanatisch zu Trump steht, erklärt, der Präsident solle das Kriegsrecht ausrufen, Wahlautomaten in sechs wichtigen Bundesstaaten durch die Bundesbehörden beschlagnahmen und in diesen Staaten unter der Aufsicht des Militärs die Wahl wiederholen lassen. Das würde natürlich bedeuten, dass bewaffnete Soldaten dafür sorgen, dass die Wähler in Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, Pennsylvania und Wisconsin diesmal „richtig“ wählen, und außerdem, dass die Wahlmännerstimmen dieser Bundesstaaten, die am 14. Dezember aufgrund der Wahlergebnisse offiziell an den Demokraten Joe Biden gegangen sind, stattdessen an Trump gehen.

Laut Presseberichten befragte Trump General Flynn zu seinem Vorschlag, eine Neuwahl unter Kriegsrecht abzuhalten. Meadows und Cipollone sowie andere ungenannte Funktionäre des Weißen Hauses sollen Flynns Vorschlag zurückgewiesen und erklärt haben, der Präsident habe nicht die Vollmacht für die geplanten Aktionen. Powell, die Flynn als Anwältin in seinem Prozess wegen Meineid vertreten hatte, bevor sie sich den Bemühungen von Trumps Wahlkampfteam anschloss, das Wahlergebnis zu kippen, soll den Funktionären vorgeworfen haben, sie seien Trumps Interessen nicht ausreichend ergeben.

Das Treffen soll mit „gegenseitigem Anschreien“ geendet haben, ohne dass eine klare Entscheidung gefallen wäre, welchen Kurs Trump nehmen wird. An einem Punkt schlug Trump vor, er könne Powell zur Sonderermittlerin für eine Untersuchung der Präsidentschaftswahl ernennen, was angeblich von Funktionären des Weißen Hauses und sogar von seinem wichtigsten Anwalt während der Wahl, Rudy Giuliani, abgelehnt wurde. Dieser erholt sich momentan von einer Infektion mit Covid-19 und nahm per Konferenzschaltung an dem Treffen teil.

Justizminister William Barr hat sich Trumps Forderung widersetzt, einen Sonderermittler für eine Untersuchung gegen Joe Bidens Sohn, Hunter Biden, einzusetzen. Eine vergleichbare Ernennung Powells zur Untersuchung der Wahl würde er vermutlich ebenfalls ablehnen. Allerdings legt er sein Amt auf Trumps Druck hin zum morgigen 23. Dezember nieder. Sein vorläufiger Nachfolger, der derzeitige stellvertretende Justizminister, Jeffrey Rosen, könnte nach Barrs Rücktritt durchaus gebeten werden, eine solche Ernennung durchzuführen.

Als die Details über das Treffen und seine illegalen und verfassungswidrigen Vorschläge am Sonntag allgemein bekannt wurden, bezeichnete Trump die Presseberichte auf seinem Twitter-Account als „Fake News“.

Laut der Times wurde außerdem über einen Vorschlag Giulianis diskutiert, Trump solle per Dekret die Wahlautomaten in den umstrittenen Bundesstaaten beschlagnahmen lassen, um sie auf „Betrug“ zu untersuchen. Giuliani soll letzte Woche mit dem amtierenden Heimatschutzminister Kenneth Cuccinelli über diese Option diskutiert haben. Cuccinelli erklärte jedoch, das Heimatschutzministerium sei dazu nicht befugt. Ein Dekret würde dies zwar vermutlich möglich machen, allerdings hat der oberste Regierungschef nicht die Befugnis, so gegen die Bundesstaaten vorzugehen, die laut US-Verfassung selbst für die Durchführung der Wahlen zuständig sind.

Cuccinelli ist ein fanatisch immigrantenfeindlicher Heuchler und Halbfaschist und war in seinen vier Jahren als Generalstaatsanwalt von Virginia berüchtigt für seine Law-and-Order-Demagogie. Es ist bemerkenswert, dass er jetzt als mäßigende Kraft in den internen Streitigkeiten der Trump-Regierung dargestellt wird.

Am Sonntag beschäftigte sich die CNN-Sendung „State of the Union“ als einzige mit dem Thema. Ihr Moderator Jake Tapper erklärte: „Wer sich wundert, wie viel Schaden ein scheidender Präsident in seinem letzten Monat im Amt anrichten kann, dem vermittelt Trump jetzt einen Eindruck davon. Am Freitag soll der Präsident im Oval Office mit dem diskreditierten, begnadigten ehemaligen General Michael Flynn über dessen verrückten Vorschlag gesprochen haben, Trump solle das Kriegsrecht verhängen und in den Bundesstaaten, in denen Biden gewonnen hat, Neuwahlen durchführen, um das Wahlergebnis zu kippen.

Berichten zufolge spricht Trump auch davon, Sidney Powell zur Sonderermittlerin zu machen. Ihre verrückten Verschwörungstheorien über die Wahl wurden in einem Gerichtssaal nach dem anderen der Lächerlichkeit preisgegeben.“

Tapper befragte einen Gast der Sendung, den republikanischen Senator Mitt Romney, zu dem Plan, das Kriegsrecht zu verhängen. Romney wies dies mit den Worten zurück: „Das wird nicht passieren. Das führt zu nichts. Und ich verstehe, worauf der Präsident hinaus will: Er will einen Weg finden, ein anderes Ergebnis als das zu bekommen, das ihm das amerikanische Volk geliefert hat.“

Der einzige Vertreter von Bidens Übergangsteam, der am Sonntag über das Thema diskutierte, war Pete Buttigieg, der von Biden zum Verkehrsminister nominiert wurde. Er war deutlich weniger kategorisch und erklärte nur, Biden werde am Tag der Amtseinführung wie geplant sein Amt antreten. Er fügte hinzu: „Ich hoffe, dass in der Partei und im Land die Erkenntnis herrscht, wie wichtig es ist, dass wir weiterhin für Demokratie einstehen.“

Bemerkenswerterweise gab es am Sonntag in keinem weiteren Fernsehprogramm eine fundierte Diskussion darüber, dass das Weiße Haus die Verhängung des Kriegsrechts erwägt. Ebenso wenig äußerte sich Bidens Wahlkampfteam in irgendeiner Form darüber, dass sich Trump weiterhin weigert, die Wahl anzuerkennen. Biden hat Trumps Drohungen, die Wahl zu kippen, seit dem 3. November heruntergespielt und gleichzeitig dem Militär- und Geheimdienstapparat sowie der Wall Street zugesichert, dass seine zukünftige Regierung ihre Interessen verteidigen wird.

Während des Wochenendes polemisierte Trump auf Twitter weiter gegen das Wahlergebnis. Am Samstag erklärte er, es sei „statistisch unmöglich, dass ich die Wahl 2020 verloren habe“. Er rief seine Unterstützer auf, am 6. Januar, wenn der Kongress offiziell die Wahlmännerstimmen der 50 Bundesstaaten und der Hauptstadt auszählt, zu Protestkundgebungen nach Washington zu kommen. Er twitterte: „Seid da, seid wild“ und behauptete erneut, er habe die Wahl mit einem Erdrutschsieg gewonnen. Er fügte hinzu: „Jetzt müssen republikanische Politiker dafür kämpfen, dass ihnen ihr großartiger Sieg nicht gestohlen wird. Seid keine schwachen Dummköpfe!“

Ein halbes Dutzend republikanische Kongressabgeordnete haben erklärt, sie würden gegen die Wahlmännerstimmen für Biden aus Bundesstaaten wie Michigan, Pennsylvania und Georgia Widerspruch einlegen. Der frisch gewählte Senator Tommy Tuberville (Republikaner, Alabama) erklärte, er werde die Unterstützung durch mindestens einen Senator liefern, was notwendig ist, um eine Abstimmung über den Widerspruch zu erzwingen. Allerdings würde der Widerspruch vom demokratisch kontrollierten Repräsentantenhaus und vom Senat, wo mehr als ein Dutzend Republikaner Bidens Sieg anerkannt haben, zurückgewiesen werden.

Gleichzeitig berichtete die Fernsehsendung Inside Edition, Trump soll seinem Stab „gesagt haben, er verlässt das Weiße Haus nicht und werde das Ergebnis der Wahl 2020 ganz einfach ignorieren...“

Biden hatte im Sommer, nachdem er sich die Präsidentschaftsnominierung der Demokraten gesichert hatte, in Interviews erklärt, seine „größte Furcht“ bei der Wahl sei, dass sich Trump weigern würde, die Entscheidung der Wähler anzuerkennen, und eine friedliche Machtübergabe verhindern. Seit der Wahl schweigt Biden jedoch fast völlig über das Thema und überlässt die Amtsübergabe dem nationalen Sicherheitsapparat, um keinen Appell an die amerikanische Bevölkerung richten zu müssen. Biden fürchtet, dass das einen politischen Aufruhr zur Folge hätte, den die Demokraten nicht kontrollieren könnten.

Die Aussicht auf einen Putsch Trumps wird in Washington täglich heftig diskutiert. Ein Anzeichen für die dortige Stimmung ist ein kaum erwähnter Zusatz zum National Defense Authorization Act (NDAA), der von dem Demokraten und ehemaligen Air-Force-Offizier, Chrissy Houlahan, mit Unterstützung der Republikaner eingebracht wurde. Er würde festlegen, dass Militär und Polizisten im Straßendienst Namensschilder und Rangabzeichen tragen müssen, um sich zu identifizieren, falls Trump den Insurrection Act von 1807 anwendet, wie er es im Juni wegen Protesten gegen den Polizeimord an George Floyd erwogen hatte.

Trump hat mit seinem Veto gegen den NDAA gedroht – allerdings nicht wegen diesem Zusatz, der so gut wie kein Hindernis für den möglichen Einsatz des Militärs gegen die Bevölkerung ist.

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