Europaweite Verzögerungen bei der Verteilung der Impfstoffe

In ganz Europa ist die Ausbreitung der Corona-Pandemie außer Kontrolle. Gleichzeitig wird das Impfprogramm der Europäischen Union jetzt schon allgemein als Debakel angesehen.

Die Verteilung der Impfstoffe in Europa verläuft so langsam wie in kaum einer anderen Weltregion. Die Regierungen haben keinen Plan für die internationale Verteilung des Impfstoffs, und wichtige Infrastruktur sowie Dienstleistungen sind durch das jahrelange Kaputtsparen der Gesundheitssysteme geschwächt. Die Ursache des Debakels liegt darin, dass jeder Entscheidungsprozess von den Profitinteressen der Pharmakonzerne abhängt.

Vorbereitung zur Corona-Impfung in einem Pflegeheim. 7. Januar 2020, Estella in Navarra, Spanien (AP Photo/Alvaro Barrientos)

Besonders prekär ist die Lage in Frankreich, wo die langsame Verteilung des Impfstoffs der Macron-Regierung einen politischen Skandal beschert hat. Die erste Impfung fand am 27. Dezember in einem Altenpflegeheim statt und wurde mit großem Aufwand und Medienpräsenz inszeniert. Am gleichen Wochenende genehmigte die EU den Einsatz des Impfstoffs von Pfizer und BioNTech. Seither wurden in Frankreich laut den Zahlen des Gesundheitsministeriums vom 5. Januar zirka 5.000 Menschen geimpft, d.h. im Durchschnitt 500 Menschen pro Tag. Bei diesem Tempo würde es drei Jahrhunderte dauern, um 90 Prozent der französischen Bevölkerung zu impfen.

In anderen Ländern verläuft die Verteilung des Impfstoffs nicht deutlich besser. In Deutschland wurden bis zum 5. Januar nur knapp über 367.000 Menschen geimpft. In diesem Tempo wäre die ganze Bevölkerung erst im Jahr 2027 geimpft. In Italien wurden nur 260.000 Menschen geimpft, in Spanien 139.000, in Dänemark 63.000 (Stand jeweils 5. Januar). In den Niederlanden fanden noch überhaupt keine Impfungen statt, da die Regierung erst am 18. Januar beginnen will.

In Großbritannien, wo der Impfstoff von Pfizer und BioNTech bereits im Dezember zugelassen und am 8. Dezember die erste Impfung verabreicht wurde, haben bis zum 7. Januar nur 1,3 Millionen Menschen eine Impfung erhalten. In diesem Tempo würde es mehr als vier Jahre dauern, bis die ganze Bevölkerung geimpft ist.

In Israel wurden bis zum 4. Dezember bei einer Bevölkerung von 8,84 Millionen schon mehr Menschen geimpft als in der gesamten EU, deren Bevölkerung 447 Millionen beträgt.

Angesichts der Wut der Bevölkerung haben die Regierungen mit gegenseitigen Schuldzuweisungen reagiert, um die Verantwortung für die inkompetente und chaotische Verteilung von sich zu weisen. CSU-Chef Markus Söder warf der Europäischen Kommission letztes Wochenende vor, sie habe nicht früh genug ausreichende Mengen des Impfstoffs von Pfizer und BioNTech bestellt. Daraufhin erklärte BionNTech-Vorstandschef Uğur Şahin, der vor kurzem Milliardär wurde, im Spiegel, er sei überrascht, wie wenig Impfstoff die EU gekauft habe.

Die Europäische Kommission hat seit Juni mehr als zwei Milliarden Dosen Impfstoff gekauft – mehr als genug, um die ganze Bevölkerung mehr als zweimal zu impfen. Doch angesichts der Unsicherheit, welcher Impfstoff sich als wirksam erweisen würde, teilte sie die Bestellung auf sechs verschiedene Impfstoffhersteller auf, darunter Pfizer/BioNTech, Moderna, Oxford/AstraZeneca und Johnson & Johnson.

Bis letzten Mittwoch, als die EU den Einsatz des Moderna-Impfstoffs genehmigte, der in Großbritannien und den USA bereits zugelassen wurde, war der Impfstoff von Pfizer/BioNTech der einzige auf dem Kontinent zugelassene Impfstoff.

Pfizer musste ankündigen, dass es die versprochene Menge von 12,5 Millionen Impfstoffdosen bis Ende Dezember nicht liefern kann. Es hat zugesichert, die Produktion in Europa zu erhöhen, kündigte aber gleichzeitig an, dass es private Verhandlungen mit fünf oder sechs privaten Herstellern über die Bedingungen eines Vertrags zur Herstellung des Medikaments führt. Obwohl Milliarden Menschen weltweit von der schnellen Lieferung eines Impfstoffs abhängig sind und nur damit das Virus ausgerottet werden kann, werden die dringlichsten Bedürfnisse der Menschheit privaten Profitinteressen der Pharmakonzerne und einer Handvoll von Großaktionären untergeordnet, die darüber hinaus an der Krise bereits Milliarden verdient haben.

Kommentatoren wiesen darauf hin, dass es beim Einsatz der bereits verteilten Impfstoffe in den Ländern einen größeren Stau gibt. Keins der europäischen Länder hat einen Großteil der bereits erhaltenen Dosen eingesetzt. Deutschland hat weniger als die Hälfte der verfügbaren Dosen verteilt und ist damit verhältnismäßig am weitesten vorangekommen.

In Frankreich hat die langsame Verteilung des Impfstoffs der Macron-Regierung einen Skandal beschert. Sie hatte sich zuerst ausschließlich auf Impfungen in Altenpflegeeinrichtungen konzentriert. Daneben wurde nichts beschlossen, um Impfzentren im Rest des Landes aufzubauen. Als der politische Skandal immer größer wurde, ließ Macron Erklärungen an die Presse durchsickern, denen zufolge er die langsame Verteilung des Impfstoffs durch seine Regierung kritisiere. Gesundheitsminister Olivier Véran twitterte am 2. Januar, innerhalb der nächsten Woche würden 100 Impfzentren im ganzen Land errichtet werden.

Bei den Impfstoffen von Pfizer/BioNTech, Moderna und Oxford/AstraZeneca ist es notwendig, die Patienten nach mehreren Wochen ein zweites Mal zu impfen, um die volle Wirksamkeit zu erzielen. Die Regierungen gehen zunehmend dazu über, die Zeit zwischen den einzelnen Dosen zu verlängern, um den Prozess der Verteilung des Impfstoffs zu vereinfachen und ihr eigenes logistisches Versagen zu bemänteln. Dabei liegen ihnen keine wissenschaftlichen Beweise dafür vor, welche Auswirkungen eine solche Verzögerung auf die Wirksamkeit des Impfstoffs haben wird.

Großbritannien hat bereits angekündigt, es werde den Zeitabstand zwischen den beiden Dosen der Impfstoffe von Oxford/AstraZeneca und Pfizer/BioNTech auf 12 Wochen verlängern, d.h. doppelt so lange wie von der Europäischen Arzneimittelbehörde empfohlen. Auch in Deutschland und den Niederlanden werden ähnliche Schritte diskutiert.

Pfizer erklärte in einer Stellungnahme: „Es gibt keine Daten, die zeigen, dass der Schutz nach der ersten Dosis nach 21 Tagen noch anhält.“ Der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation, Dr. Joachim Hombach, erklärte, es gäbe „kaum empirische Daten aus Tests, die eine derartige Empfehlung [zur Verlängerung der Zeit zwischen den Dosen] untermauern“.

Der chaotischen und inkompetenten Verteilung der Impfstoffe liegen die gleichen Interessen zu Grunde, die von Anfang an die Reaktion der kapitalistischen Regierungen auf die Pandemie auszeichneten. Sie haben es abgelehnt, Schulen und nicht systemrelevante Betriebe zu schließen und die Arbeiter für den Lohnausfall zu entschädigen, obwohl dies die Ausbreitung des Virus hätte verhindern können. Aber solche Maßnahmen beeinträchtigen die Profite der Konzerne. Ihre Priorität ist nicht der Schutz von Menschenleben, sondern der Konzernprofite.

Dabei ist eine seriöse Impfpolitik für die Pandemiebekämpfung entscheidend. Um die weitere Ausbreitung des Virus zu stoppen, muss die Bevölkerung aufgrund genauester wissenschaftlicher Erkenntnisse sicheren Zugang zum Impfstoff bekommen.

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