Perspektive

Demokraten predigen überparteiliche Geschlossenheit – Republikaner blasen zum Angriff

Das Repräsentantenhaus stimmte am Mittwochnachmittag dafür, zum zweiten Mal ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Donald Trump einzuleiten. Die Anklage ist völlig gerechtfertigt. Sie besteht aus einem Anklagepunkt und beschuldigt den Präsidenten, am 6. Januar den Mob zum Angriff auf den Kongress angestiftet zu haben – mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen und das Ergebnis der Wahl 2020 zu kippen. Doch wird das Verfahren weder Trump aus dem Amt entfernen, noch seine Mitverschwörer entlarven oder das Wachstum einer faschistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten untergraben.

Der designierte Präsident Joe Biden und die Führer der Demokraten im Kongress haben die Woche seit dem faschistischen Putschversuch damit verbracht, die Republikaner zur „Geschlossenheit“, zur „Heilung“ und „Überparteilichkeit“ aufzurufen. Hinter den Kulissen haben sie zweifellos bereits Zugeständnisse in politischen Streitfragen und bei der Auswahl von Personal für Schlüsselfunktionen gemacht, während sie den Republikanern eine effektive Aufteilung der Macht versprechen und das, obwohl die Demokraten ab dem 20. Januar beide Kammern des Kongresses sowie die Präsidentschaft in der Hand haben werden.

Der designierte US-Präsident Joe Biden (AP Photo/Susan Walsh)

Welchen Charakter jene Figuren haben, die die Demokraten als ihre „republikanischen Kollegen“ bezeichnen, wurde zuletzt am Mittwoch deutlich. 197 von insgesamt 211 Republikanern im Repräsentantenhaus stimmten gegen ein Amtsenthebungsverfahren und erklärten damit, dass sie auch weiterhin hinter Trump stehen.

Im Verlauf der Debatte am Mittwoch appellierte dann ein Demokrat nach dem nächsten an die Republikaner. Sie verwiesen auf die unmittelbare Bedrohung mit dem Tod, der sich die Kongressabgeordneten beider Parteien erst vor einer Woche ausgesetzt sahen, als bewaffnete faschistische Schläger an die Türen des Sitzungssaals des Repräsentantenhauses hämmerten, in Büros der Abgeordneten eindrangen und dabei nach Blut schrien. Die Republikaner reagierten, indem sie das Verfahren als Ganzes denunzierten.

Den Anfang machte der Abgeordnete Jim Jordan aus Ohio, dem Trump zu Beginn der Woche die Medal of Freedom verliehen hatte und der als erster für die republikanische Fraktion sprach. Jordan drosch auf eine „Cancel Culture“ ein, von der er behauptete, sie stecke hinter dem Amtsenthebungsverfahren. Er wiederholte die Behauptung, die Wahl sei „manipuliert“ worden, und damit jene Behauptung, die den politische Rahmen für die faschistische Mobilisierung bildet.

Louis Gohmert aus Texas erklärte, dass ein Amtsenthebungsverfahren „Gewalt schürt“ und deutete damit an, dass die Demokraten für weitere Ausschreitungen von Trump-Anhängern verantwortlich sein würden. Andy Biggs aus Arizona warnte, dass die Abstimmung für ein Amtsenthebungsverfahren „Öl ins Feuer“ des Aufstandes vom 6. Januar gieße.

Einer der radikalsten Trump-Verteidiger, Matt Gaetz aus Florida, sagte, Trump sei zweimal angeklagt worden – beide Male deshalb, weil er „Recht gehabt“ hätte. Trump hatte auf die Aktivitäten der „Verbrecherfamilie Biden“ verwiesen, was zum Amtsenthebungsverfahren im Jahr 2019 führte. Im Zusammenhang mit der Wahl 2020 habe der Präsident dann „korrekterweise auf illegale Aktivitäten bei der Abstimmung" verwiesen.

Die Abgeordnete und Waffenrechts-Aktivistin Lauren Boebert aus Colorado begann ihre einminütige Tirade mit den Worten „Glory to God“ („Ehre sei Gott“). Anschließend drosch sie auf „die Linke“ ein, weil diese angeblich zu Gewalt aufgerufen und bei der Welle von Massenproteste gegen Polizeigewalt im vergangenen Sommer Randalierer in Schutz genommen hätte. Zwischen Boebert und der Polizei des Kapitols kam es indessen am Dienstag beinahe zu Handgreiflichkeiten, als die Polizei von allen Kongressmitgliedern verlangte, vor dem Betreten des Gebäudes Magnetometer zu passieren. Berichten zufolge trägt sie regelmäßig eine versteckte Schusswaffe im Kapitol bei sich.

Scott Perry aus Pennsylvania ging so weit, zu erklären: „Was im letzten Sommer geschah, kommt einem Aufstand viel näher als alles, was am 6. Januar geschehen ist.“

Die Auftritte im Repräsentantenhaus machten umso deutlicher, dass Trumps Vorgehen die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der republikanischen Fraktion genoss und immer genießt.

Eine politische Schlüsselfunktion der Demokratischen Partei besteht seit vielen Jahrzehnten darin, die Umwandlung der Republikanischen Partei in eine Organisation zu vertuschen, in der sich Faschisten und Neonazis in giftiger Weise mischen und von führenden Mitgliedern des Partei-Establishments wie dem Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, und dem Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, zwar formell angeführt, aber kaum kontrolliert wird.

Es ist offensichtlich, dass das Ziel derjenigen, die den Angriff auf das Kapitol anführten, darin bestand, Geiseln unter den Kongressabgeordneten und Senatoren zu nehmen und an einigen von ihnen ein Exempel zu statuieren und sie zu töten. Sie wollten damit die offizielle Bestätigung der Niederlage Trumps bei den Präsidentschaftswahlen durch den Kongress verhindern und – indem sie mit einer Massenhinrichtung drohen – Verhandlungen über die Annullierung der Ergebnisse der Wahl 2020 durchzusetzen.

Hätte sich in Washington eine anhaltende Belagerung des Kapitols entwickelt, wären ähnliche Aktionen in den Hauptstädten der Bundesstaaten überall in den USA nachgeahmt worden. Zudem gibt es Grund zu der Annahme, dass auch Teile der Polizei und des Militärs für Trump in Aktion getreten wären.

Hier eine unvollständige Liste der Enthüllungen der letzten Tage: In den Parteizentralen der Demokraten und Republikaner wurden Rohrbomben platziert, um die Polizei vom Kapitol abzulenken; wie sich herausstellte, waren die „Panikknöpfe“, die in den meisten Kongressbüros installiert sind, zu dem Zeitpunkt deaktiviert, als es dringend notwendig gewesen wäre, die Polizei um Hilfe zu bitten; eine Gruppe von „Touristen“, die von Republikanern vor dem 6. Januar (trotz der Pandemie) durch das Kapitol geführt wurden, wurde dabei beobachtet, wie sie sich Notizen über die Anordnung der Büros, Tunnel und andere Durchgänge machten. Einige von ihnen wurden anschließend unter den Angreifern vom 6. Januar wiedererkannt.

Wären die Ereignisse am 6. Januar anders verlaufen, hätten die Angreifer Geiseln genommen, so hätten dieselben Leute, die gestern im Sitzungssaal des Repräsentantenhauses Reden hielten – jene „republikanischen Kollegen“ der Demokraten –, die Aktionen der Faschisten verteidigt und darauf bestanden, dass im Interesse der „Heilung“ des Landes Zugeständnisse an die legitimen Beschwerden der Angreifer gemacht werden. In der einen oder anderen Form hätten sie die Annullierung der Wahl 2020 gefordert.

Die Führer der Demokraten versuchten, die Beweise für eine Verschwörung auf höchster Ebene, die immer zahlreicher werden, unter den Teppich zu kehren, um, wie Biden letzte Woche erklärte, eine „starke republikanische Partei“ zu erhalten. Biden stellte dies als eine Notwendigkeit für die amerikanische Regierung dar. Ganz in diesem Sinne zitierte der Mehrheitsführer der Demokraten im Repräsentantenhauses, Steny Hoyer, zum Abschluss der Debatte wiederholt die Worte von Liz Cheney, der republikanischen Fraktionsvorsitzenden und Erzreaktionärin, die Trumps Rolle bei dem Putsch verurteilte und für ein Amtsenthebungsverfahren stimmte. Er lobte zudem das Verhalten von Vizepräsident Mike Pence, der Trumps verfassungswidrigen und illegalen Angriff auf die Legitimität der Wahl unterstützte – bis hin zu dem Punkt, an dem Trump eine direkt rechtswidrige Handlung von Pence verlangte. Trump hatte ihn dazu aufgefordert, eine Kongressabstimmung, in der die Stimmergebnisse des Wahlmännerkollegiums bestätigt würden, zu verhindern.

Letztlich ist das Amtsenthebungsverfahren eine zahnlose Aktion. Der gesamte Rahmen der amerikanischen Politik verschiebt sich radikal nach rechts, wobei die offenen Faschisten noch stärker in die Struktur des Staates integriert werden.

Biden selbst versucht, so etwas wie eine Koalitionsregierung mit den Republikanern zu bilden, trotz der Tatsache, dass die Demokraten jetzt beide Kammern des Kongresses und die Exekutive kontrollieren. Er distanzierte sich bewusst vom Amtsenthebungsverfahren und hatte Forderungen nach einem Rücktritt von Trumps Mitverschwörern in der Republikanischen Partei zurückgewiesen. Dass sie verhaftet und strafrechtlich verfolgt werden sollten, stand für ihn erst gar nicht zur Debatte.

Biden erklärte am Mittwoch, dass er versuchen werde, ein neues Corona-Rettungspaket auf „überparteilicher Grundlage“ zu verabschieden. Das bedeutet, dass McConnell und andere Reaktionäre ein Vetorecht eingeräumt wird. Sie werden die Aufnahme von Bestimmungen wie etwa rechtliche Immunität für Unternehmen fordern, deren Beschäftigte an Covid-19 sterben, womit sie sich auf der Arbeit infiziert haben.

Alles Gerede über „Einigkeit" und „überparteiliche Geschlossenheit“ – das ewige Mantra der Demokraten – bedeutet in Wirklichkeit, dass es keine Abrechnung mit denjenigen geben wird, die den Aufstand angezettelt haben. Die größte Sorge der Demokraten besteht nicht darin, dass der Faschismus wächst, sondern dass sich eine Bewegung der Arbeiterklasse entwickelt, die die Interessen der Wall Street und des amerikanischen Imperialismus bedroht.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Arbeiterklasse unabhängig in die Krise eingreift. Das bedeutet: In den Betrieben und Stadtvierteln müssen Aktionskomitees aufgebaut werden, um die arbeitenden Menschen vor der Pandemie zu schützen. Die Komitees müssen einen politischen Generalstreik vorbereiten, der sich gegen jeden erneuten Versuch der gewaltsamen Erstürmung des US-Kapitols oder einer der 50 Parlamente in den Bundesstaaten richtet, die jetzt alle von den faschistischen Verschwörern ins Visier genommen werden.

Solange die Arbeiterklasse nicht unabhängig und in Opposition zum gesamten politischen Establishment der herrschenden Klasse ins Geschehen eingreift, werden die faschistischen Verschwörungen weitergehen. Der einzige Weg, der Bedrohung durch den Faschismus ein Ende zu setzen, ist die Mobilisierung der unabhängigen Kraft der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System, das die grundlegende Ursache für die Gefahr einer Diktatur ist.

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