Globales Milliardärs-Vermögen in der Pandemie um 3,9 Billionen Dollar gestiegen

Die britische Hilfsorganisation Oxfam International hat im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in dieser Woche einen neuen Bericht über die Auswirkungen der Maßnahmen veröffentlicht, welche die kapitalistischen Regierungen weltweit als Reaktion auf die Corona-Pandemie ergriffen haben. Der Oxfam-Bericht zeigt, dass die Regierungen überall auf der Welt bewusst Maßnahmen umgesetzt haben, die zu einer weiteren Konzentration von Reichtum in den Händen der Finanzoligarchie führten und damit die soziale Ungleichheit, die bereits auf Rekordniveau lag, noch weiter steigerten.

Sozialarbeiter mit Obdachlosen in einer New Yorker U-Bahnstation, 30. April 2020 (AP Photo/John Minchillo)

Im Bericht heißt es, das Pro-Kopf-Einkommen werde dieses Jahr zum ersten Mal seit 1870 (die ältesten Daten aus Steuererhebungen, auf die sich Oxfam stützt) vermutlich in allen Weltregionen zurückgehen. Dies verdeutlicht den vernetzten Charakter des globalen kapitalistischen Systems. Im Wortlaut: „Als Folge der Corona-Pandemie droht die Ungleichheit erstmals in fast allen Ländern der Welt gleichzeitig anzusteigen. Diese Krise verschärft die vorher schon dramatischen Unterschiede zwischen Arm und Reich …“

Die jährlichen Berichte von Oxfam zeigen bereits seit geraumer Zeit die immer schlimmere soziale Ungleichheit, die dem kapitalistischen System innewohnt. In ihrem jüngsten Bericht schreiben die Verfasser: „Die Gesamtzahl der Milliardär*innen hat sich in den zehn Jahren nach der Finanzkrise von 2008 fast verdoppelt.“ Die englische Langfassung berichtet weiter, dass zwischen 2017 und 2018 fast jeden zweiten Tag ein neuer Milliardär hinzugekommen sei. Gleichzeitig lebten laut Schätzungen von Oxfam 56 Prozent der Weltbevölkerung von zwei bis zehn Dollar pro Tag.

Weiter heißt es in der ausführlicheren englischen Fassung, dass die Zahl der Milliardäre schon vor Beginn der Pandemie jede Woche um mehr als drei zugenommen habe, während „Milliarden Menschen am Rande des Existenzminimums lebten ... sie hatten kein Geld und keine Unterstützung, um auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu reagieren, die [die Pandemie] mit sich brachte. Mehr als drei Milliarden Menschen hatten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, drei Viertel der Arbeiter hatten keinen Zugang zu Sozialleistungen wie Arbeitslosenhilfe oder Krankengeld, und in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen im unteren Bereich lebten mehr als die Hälfte der Arbeiter in Erwerbsarmut.“

Der Bericht weist darauf hin, dass Millionen Arbeiter weltweit im letzten Jahr ihre Arbeitsplätze, Vermögen und Angehörige verloren haben, gleichzeitig aber das Gesamtvermögen der Milliardäre zwischen dem 18. März und dem 31. Dezember 2020 um unfassbare 3,9 Billionen Dollar gestiegen ist. Die zehn reichsten „Pandemiegewinnler“, darunter Tesla-Chef Elon Musk, Jeff Bezos von Amazon, der Gründer des Getränkeherstellers Nongfu Spring, Zhong Shanshan, und Microsoft-Chef Bill Gates, konnten ihre Vermögen im gleichen Zeitraum um mehr als 540 Milliarden Dollar steigern.

Diese 540 Milliarden Dollar, die nur zehn Menschen angehäuft haben, sind laut Oxfam „mehr als genug, um die gesamte Weltbevölkerung vor dem Absturz in die Armut wegen des Virus zu retten und mit einem Impfstoff gegen Covid-19 zu versorgen“.

Insgesamt verfügen die knapp 2.300 Milliardäre der Welt über ein Vermögen von schätzungsweise 11,95 Billionen Dollar. Oxfam schreibt dazu, diese Summe sei „genauso viel, wie die Regierungen der G20-Staaten (Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Indonesien, Indien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei, Großbritannien, die USA und die Europäische Union) zusammen als Reaktion auf die Pandemie ausgegeben haben“.

Während in der Pandemie das Leben und die Vermögen der Milliardäre geschützt wurden, besteht bei den Covid-19-Infektionen und -Sterblichkeitsraten „ein klares gesellschaftliches Gefälle: In den ärmsten zehn Prozent der Regionen Großbritanniens liegt die Covid-19-Sterblichkeitsrate doppelt so hoch wie in den reichsten zehn Prozent. Aus Frankreich, Brasilien, Nepal, Spanien und Indien werden ähnliche Trends gemeldet.“

Die Regierungen haben weltweit relativ wenig für Maßnahmen zur Eindämmung und Beseitigung des Virus ausgegeben, das bisher mehr als 2,1 Millionen Todesopfer gefordert hat. Gleichzeitig haben sie Rettungspakete im Wert von mehreren Billionen Dollar an die Finanzoligarchie verteilt. Zudem fordern sie von der arbeitenden Bevölkerung, ihr Leben an kontaminierten Arbeitsplätzen und in Schulen zu riskieren, damit aus ihr weiterhin Mehrwert herausgepresst werden kann.

Vielsagend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die reichsten Milliardäre der Welt ihre Vermögen nach dem Absturz der Börsenkurse wegen der Pandemie im März 2020 sehr schnell wieder aufbauen konnten. Oxfam stellt fest, dass die 1.000 reichsten Milliardäre der Welt ihre Verluste innerhalb von neun Monaten wieder ausgeglichen hatten, während die Armen, deren Zahl laut Oxfam während der Pandemie auf 200 bis 500 Millionen angestiegen ist, möglicherweise mehr als zehn Jahre brauchen werden, um das „Vorkrisenniveau“ zu erreichen.

Das damit einhergehende Anwachsen von Ungleichheit und die weitere Konzentration von Vermögen bei einigen Wenigen geht auf die bewussten Entscheidungen der kapitalistischen Regierungen der Welt zurück, Profite vor Menschenleben zu stellen.

In Deutschland und Europa wurden Billionen in die „Corona-Hilfspakete“ gesteckt, die hauptsächlich Konjunkturpakete für Konzerne und Banken sind. Dazu gehörten schon im letzten Frühjahr und Sommer mehrere Hilfspakete der Bundesregierung, die sich auf 1,2 Billionen Euro belaufen, sowie das Konjunkturprogramm der EU über 750 Milliarden Euro.

In den USA war es der billionenschwere CARES Act, der Ende März 2020 nahezu einstimmig von den beiden großen Parteien in der US-Politik verabschiedet wurde. Diese Gelder wurden nicht dazu benutzt, um Arbeitern und ihren Familien ein Einkommen zu sichern, damit sie zu Hause bleiben können. Ebenso wenig wurden sie für die Ausbildung von Tausenden von Ärzten und Pflegekräften zur Behandlung der Kranken eingesetzt, oder für den Aufbau eines landesweiten Test- und Kontaktverfolgungsprogramms, oder für den Aufbau neuer Krankenhäuser.

Stattdessen erhielten Arbeitslose nur einen sehr geringen Betrag. Damit wurden die Arbeiter faktisch erpresst, unter allen Umständen weiterzuarbeiten. Gleichzeitig erhielt die Wall Street durch die quantitative Lockerungspolitik der US-Notenbank Federal Reserve unbegrenzte Mittel. Diese Klassenpolitik hat den Reichtum der herrschenden Klasse geschützt und vergrößert, deren Vermögen vom unbegrenzten Anstieg der Aktienkurse abhängt.

Der CARES Act sah eine Einmalzahlung in Höhe von 1200 Dollar für Erwachsene und einen befristeten Zuschlag zur Arbeitslosenhilfe vor. Doch das Auslaufen dieser Leistungen hat laut einer neuen Studie der Harris School of Public Policy der Universitäten von Chicago und von Notre Dame (Indiana) seither zu einem Anstieg der Armut in den USA geführt.

Die Verfasser der Studie weisen darauf hin, dass die Armutsquote in den ersten Monaten der Pandemie zwar von 10,8 Prozent im Januar auf 9,3 Prozent im Juni gesunken ist, jedoch nach Auslaufen der Hilfen in Höhe von 600 Dollar Ende Juli wieder anstieg und im Dezember 2020 bei 11,8 Prozent lag. Von diesem Anstieg um 2,5 Prozentpunkte seit Juli waren etwa 8,1 Millionen Menschen in den USA betroffen, d.h. ebenso viele wie die Gesamtbevölkerung der Schweiz.

Dieses Jahr sind zwischen 200 und 500 Millionen Menschen weltweit in Armut gestürzt. Vor der Pandemie mussten etwa drei Milliarden Menschen von weniger als 5,50 Dollar pro Tag oder etwa 2.000 Dollar im Jahr überleben. Der Oxfam-Bericht beruft sich auf Analysen der Weltbank, laut denen die Pandemie bis zum 7. Oktober 2020 zwischen 88 und 115 Millionen Menschen in „extreme Armut“ gestürzt hat, d.h. sie leben von weniger als 1,90 Dollar pro Tag bzw. 694 Dollar pro Jahr.

Oxfam sagt weiter, die zunehmende Ungleichheit äußere sich in der Tatsache, dass die 25 wichtigsten US-Konzerne im Jahr 2020 „elf Prozent höhere Profit erzielten als im Vorjahr“. Gleichzeitig verzeichneten die „Kleinunternehmen in den USA im zweiten Quartal des Jahres mehrheitlich einen Einbruch der Gewinne von über 85 Prozent“.

Dass die Profite der Konzerne und die Vermögen der Milliardäre immer weiter steigen, geht auf bewusste politische Entscheidungen zurück. Oxfam: „Zwischen 1985 und 2019 sank die gesetzliche Körperschaftssteuer von durchschnittlich 49 Prozent auf 23 Prozent. Seit 1980 hat sich der Spitzensatz der persönlichen Einkommenssteuer in den USA von 70 Prozent auf 37 Prozent fast halbiert. Zusätzlich zu den Verlusten wegen niedrigerer Steuersätze schätzt das Tax Justice Network, dass die Länder jährlich mehr als 427 Milliarden Dollar durch Steuertricks der internationalen Konzerne und private Steuerhinterziehung verlieren, was ,alle Länder zusammen das Äquivalent von 34 Millionen Jahreseinkommen von Pflegekräften oder das Jahreseinkommen einer Pflegekraft pro Sekunde kostet‘.“

Die Konzentration von Reichtum äußert sich zwar am krassesten in den USA, doch im Rest der Welt finden die gleichen Prozesse statt. Laut Oxfam haben die Milliardäre im Nahen Osten und Nordafrika zwischen März und August 2020 ihre Vermögen um 20 Prozent erhöht, „insgesamt fast fünfmal so viel, wie der Aufruf zur humanitären Hilfe der Vereinten Nationen wegen Covid-19 für die Region eingebracht hat“. Auch in Lateinamerika und der Karibik ist das „Gesamtvermögen der Milliardäre zwischen März und Juli 2020 um 17 Prozent gestiegen ... mehr als fünfmal so viel wie notwendig wäre, um für ein Jahr den Absturz von 12,4 Millionen Menschen in der Region in extreme Armut zu verhindern“.

Der aktuelle Oxfam-Bericht ist eine vernichtende Anklage gegen das kapitalistische System. Doch genau wie alle früheren Berichte der Hilfsorganisation identifiziert er das Problem nicht zutreffend und bietet deshalb nur reaktionäre Lösungen für diese historische Krise. In der postmodernen Rhetorik der Identitätspolitik nennen die Verfasser das „Patriarchat“, den „strukturellen Rassismus“ und das „verinnerlichte weiße Überlegenheitsgefühl“ als „Ursachen für Ungerechtigkeit und Armut“.

Obwohl der Bericht eindeutig zeigt, dass die globale Ungleichheit keine Frage von Ethnie oder Geschlecht ist, sondern auf das kapitalistische Wirtschaftssystem zurückgeht, ignorieren die Verfasser ihre eigenen Ergebnisse und appellieren an die Regierungen der Welt, die sie auffordern, nicht mehr das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlergehen zu benutzen, sondern sich auf „Wohlergehen, nachhaltige Entwicklung, Ungleichheit und die Umwelt“ zu konzentrieren. Als positives Beispiel nennen sie die kapitalistische Regierung von Neuseeland.

Tatsache ist jedoch, dass sich die Lage immer weiter verschlimmert hat, obwohl Oxfam seit fast zehn Jahren solche Berichte und Empfehlungen veröffentlicht. Angesichts der Pandemie, welche die World Socialist Web Site als „Trigger-Event“ der Weltgeschichte vom Ausmaß des Ersten Weltkriegs identifiziert hat, sind Appelle an die derzeitigen herrschenden Eliten vollkommen nutzlos. Genau wie vor 100 Jahren, als die Soldaten im Ersten Weltkrieg in die Schützengräben geschickt wurden, um für die Bourgeoisie ihres Landes zu sterben, werden heute die Lehrer in Klassenzimmer gezwungen, um Schüler zu beaufsichtigen, damit deren Eltern arbeiten und eine Infektion riskieren, um sicherzustellen, dass die Profite weiter sprudeln.

US-Präsident Joe Biden und seine Demokratische Partei benutzen die gleiche Sprache wie Oxfam und versprechen, den Kampf gegen „Rassismus“ und „Patriarchat“ zu führen. Für sie ist der Kapitalismus ewig und nicht zu hinterfragen. Ihre „Lösungen“ sind heiße Luft; damit wollen sie bloß die wachsende soziale Wut auf das bestehende System ablenken und die Arbeiterklasse von ihrer historischen Aufgabe abbringen.

Der einzige Weg, um die Ungleichheit zu beseitigen, ist die Übernahme der politischen Macht durch die Arbeiterklasse in allen Ländern. Nur so kann eine Wirtschaft und eine Welt errichtet werden, die nach dem Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ funktioniert. Um dies zu verwirklichen, müssen Arbeiter und Jugendliche weltweit unabhängige Aktionskomitees aufbauen und sich der Vierten Internationale und den Sozialistischen Gleichheitsparteien anschließen.

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