Militärputsch in Myanmar

Das Militär von Myanmar, auch bekannt als Tatmadaw, hat am 1. Februar in einem Staatsstreich die Regierung entmachtet und Aung San Suu Kyi, Generalsekretärin der amtierenden Nationalen Liga für Demokratie (NLD), in Hausarrest festgesetzt. Es hat für ein Jahr den Ausnahmezustand ausgerufen und sich selbst weitreichende Vollmachten verliehen. Der Oberbefehlshaber der Armee, Generaloberst Min Aung Hlaing, wurde zum neuen Machthaber ernannt.

Das Militär hat außerdem die Kontrolle über die Medien und die Telekommunikations-Infrastruktur übernommen. Laut Berichten aus dem Wirtschaftszentrum Yangon und anderen Städten haben vier Telekomgesellschaften im Land sowie einige Internetanbieter den Betrieb eingestellt. Im Fernsehen erscheint nur der Militärsender Myawaddy TV. Auf den Straßen sind Soldaten und Panzerfahrzeuge aufgefahren.

Aung San Suu Kyi, Regierungschefin von Myanmar, vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag am 11. Dezember 2019 (AP Photo/Peter Dejong)

Als Vorwand für den Putsch dienten angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl am 8. November letzten Jahres. Die NLD gewann damals 83 Prozent der Stimmen und 396 der 476 Sitze im gemeinsamen Ober- und Unterhaus des Parlaments. Die Union für Solidarität und Entwicklung, die vom Militär unterstützt wurde, erhielt nur 33 Sitze. Das neue Parlament sollte am Montag zusammentreten.

Das Militär weigerte sich, das Wahlergebnis anzuerkennen und behauptete Mitte Januar ohne Beweise vorzulegen, es seien mehr als 90.000 Fälle von Wahlbetrug vorgefallen. Letzte Woche drohte der Sprecher des Militärs, General Zaw Min Tun, mit einem Putsch, wenn sich die Regierung nicht zu den Vorwürfen äußere. Letzten Donnerstag wies die Wahlkommission die Behauptungen über Unregelmäßigkeiten zurück, nachdem auch internationale Beobachter diesen widersprochen hatten.

Die USA und ihre Verbündeten, darunter Großbritannien, Australien und Neuseeland, warnten das Militär von Myanmar letzten Freitag in einer Erklärung vor einem Putsch. Am Samstag äußerte sich Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing dazu. Er bestritt nicht, dass das Militär einen Putsch plane, und erklärte, man werde sich an die Verfassung halten.

Ein Sprecher des Militärs erklärte am Montag, bei den Wahlergebnissen habe es „riesige Diskrepanzen“ und „schrecklichen Betrug“ gegeben. Die Wahlkommission habe dies „nicht aufklären können“. Das Militär berief sich auf Artikel 417 der Verfassung, der die Ausrufung des Ausnahmezustands erlaubt, im Falle dass die „Einheit zersetzt oder die nationale Solidarität zerstört“ werde. Weiter erklärte das Militär, es werde Neuwahlen geben, nannte aber kein Zeitfenster.

Die vorherige Militärjunta hatte die Verfassung von 2008 so ausgearbeitet, dass sie weiterhin die wichtigsten Schalthebel der Macht in der Hand hatte. Ein Viertel der Sitze in beiden Kammern des Parlaments wurden für Militärbeauftragte reserviert, sodass es jede Verfassungsänderung verhindern kann. Das Militär kontrolliert außerdem weiterhin wichtige Ministerien wie das Verteidigungs- und Innenministerium und untersteht damit keiner zivilen Aufsicht.

Suu Kyi, die im Jahr 2010 aus dem Hausarrest entlassen worden war, und ihre Nationale Liga für Demokratie (NLD) hatten dieser undemokratischen Farce zugestimmt. Sie war Teil der Abkehr des Militärs von China und hin zu den USA. Die NLD repräsentiert einen Flügel der herrschenden Klasse im Land, der die Vorherrschaft des Militärs als Hindernis für seine geschäftlichen Interessen ansieht. Deshalb wandten sie sich an den Westen um Unterstützung. Für die Obama-Regierung galt Myanmars Hinwendung zu Washington als Erfolg ihres anti-chinesischen Konfrontationskurses im Rahmen des „Pivot to Asia“. Washington beendete den Paria-Status von Myanmar, stellte die Wirtschaftssanktionen gegen das Land ein und bezeichnete es als „entstehende Demokratie“.

Die NLD gewann die Wahl von 2016 und bildete eine Regierung. Die angebliche „Ikone der Demokratie“, Suu Kyi, wurde zur Goodwill-Botschafterin einer Regierung, die faktisch ein militärgestütztes Regime war. Sie versuchte, Investitionen aus dem Ausland anzuziehen, und verteidigte das Militär gegen Vorwürfe schwerer Menschenrechtsverletzungen. Dies auch, als das Militär die muslimische Minderheit der Rohingya gewaltsam vertrieb und Hunderttausende zur Flucht aus dem Land zwang.

Die Entscheidung des Militärs, wieder die vollständige Kontrolle über das Land zu übernehmen, fiel zweifellos zum Teil unter dem Eindruck der weltweiten Hinwendung zu autoritären und faschistischen Herrschaftsformen. Vor dem Hintergrund der tiefen kapitalistischen Krise, die durch die Corona-Pandemie ausgelöst wurde, hat nicht zuletzt in den USA ein Putschversuch stattgefunden. Bezeichnenderweise hält sich das myanmarische Militär an Donald Trumps Drehbuch, das mit Lügen über Wahlbetrug und einer angeblich „gestohlenen Wahl“ die Grundlage für den faschistischen Putschversuch und den Sturm aufs Kapitol am 6. Januar abgab.

Aufgrund eines deutlichen Anstiegs der Covid-19-Fälle seit Mitte August ist Myanmar mit einer ausufernden wirtschaftlichen und sozialen Krise konfrontiert. Zwischen Ende März und Anfang August gab es im ganzen Land nur 360 Fälle und sechs Todesopfer. Doch diese Zahlen sind stark gestiegen, auf mittlerweile 140.000 Fälle und mehr als 3.000 Todesopfer, was immensen Druck auf das beschränkte Gesundheitssystem des Landes ausübt. Das Wirtschaftswachstum für das Haushaltsjahr 2019–2020 wird auf nur 3,2 Prozent geschätzt, was deutlich unter dem Vorjahreswert von 6,8 Prozent liegt. Für das aktuelle Haushaltjahr 2020–2021 wird nur ein Wachstum von 0,5 Prozent erwartet.

Lockdowns haben zu einem deutlichen Verlust von Arbeitsplätzen und einem dramatischen Anstieg der Armut geführt. Laut einer Studie des International Food Policy Research Institute vom September hatten 59 Prozent der untersuchten 1.000 Haushalte in Yangon und 66 Prozent der untersuchten Haushalte in der ländlich geprägten Trockenzone des Landes ein Tageseinkommen von weniger als 1,90 US-Dollar, was üblicherweise als Maßstab für extreme Armut gilt. Vor einem Jahr, im Januar 2020, lebten laut einer ähnlichen Umfrage nur 16 Prozent der Teilnehmer in extremer Armut.

Derek Headey, der leitende Verfasser der Studie, erklärte: „Armut in solchem Ausmaß birgt das Risiko von Ernährungsunsicherheit und Unterernährung. Die Lockdown-Perioden sind zwar notwendig, um das Virus unter Kontrolle zu bringen, haben aber katastrophale Auswirkungen auf die Armut und müssen durch größere und gezieltere Geldüberweisungen ergänzt werden, wenn Myanmar die wirtschaftlichen Verheerungen der zweiten Welle von Covid-19 eindämmen will.“ Seit der Studie im September hat sich das Los der armen Stadt- und Landbevölkerung zweifellos weiter verschlimmert, was zu scharfen sozialen Spannungen führt.

Der myanmarische Historiker, Thant Mying-U, erklärte in den Medien zu dem Putsch: „Die Tür zu einer anderen, sicherlich dunkleren Zukunft hat sich geöffnet. Myanmar befindet sich bereits im Krieg mit sich selbst, es ist überschwemmt von Waffen, und Millionen können sich kaum ernähren. Es bestehen tiefe Spaltungen in religiösen und ethnischen Fragen... Ich bin mir nicht sicher, ob irgendjemand kontrollieren kann, was als nächstes kommt.“

Die neue Biden-Regierung hat bereits angedeutet, sie werde gegenüber Myanmar eine harte Haltung einnehmen. Der künftige Außenminister, Antony Blinken, erklärte in seiner Bestätigungsanhörung vor dem Senat, er werde ministeriumsintern prüfen, ob die Gräueltaten gegen die Rohingya in Myanmar Völkermord darstellten. Die obersten Generäle Myanmars, darunter Min Aung Hlaing, müssen sich seit letztem Jahr bereits wegen Menschenrechtsverletzungen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verantworten.

Als Reaktion auf den Putsch drohte Biden mit der Wiedereinführung von Sanktionen gegen Myanmar: „Die USA haben die Sanktionen gegen Burma [traditioneller englischer Name Myanmars] in den letzten zehn Jahren aufgehoben, weil es auf dem Weg zur Demokratie war. Die Abkehr von diesem Fortschritt wird eine sofortige Neubewertung unserer Sanktionsgesetze und -Behörden erfordern, und angemessene Maßnahmen werden folgen.“

Genau wie Obama geht es Biden nicht um die Verteidigung von Menschenrechten. Die USA sind vielmehr in Sorge darüber, dass der Einfluss Chinas erneut wachsen könnte. Suu Kyi, ihre Regierung und das Militär sahen sich angesichts der Tatsache, dass Myanmar nicht in nennenswertem Ausmaß Investitionen aus dem Ausland anziehen konnte, sowie der zunehmenden internationalen Kritik an der Behandlung der Rohingya gezwungen, sich wegen finanzieller und diplomatischer Unterstützung an Peking zu wenden.

Mit Beginn der Corona-Pandemie hat sich Myanmars Abhängigkeit von Peking noch vergrößert, u.a. im Hinblick auf die kostenlose Lieferung von Impfstoffen, die in China entwickelt werden. Der chinesische Außenminister, Wang Yi, hatte letzten Monat bei einem Besuch in Myanmar über eine engere Zusammenarbeit bei der Initiative „Belt and Road“ gesprochen, die auch strategische Transportrouten und Pipelines durch Myanmar nach Südchina beinhaltet. Angesichts der Spannungen zwischen China und Washington ist eine Alternative zu den von den USA kontrollierten Seewegen durch die Straße von Malakka für Peking von entscheidender Bedeutung für die Sicherung seiner Energie- und Rohstofflieferungen.

China reagierte auf den Putsch deutlich verhalten. Der Sprecher des Außenministeriums Wang Wenbin erklärte nur: „Wir hoffen, dass alle Seiten in Myanmar ihre Differenzen im Rahmen der Verfassung und der Gesetze beilegen und die politische und soziale Stabilität erhalten können.“

Die Aussicht auf eine erneute „Menschenrechts“-Offensive und Wirtschaftssanktionen des US-Imperialismus und seiner Verbündeten war möglicherweise ein wichtiger Beweggrund für das Militär, wieder direkt die Macht zu übernehmen, statt sich auf die potenziell unzuverlässige Unterstützung durch Suu Kyi und die NLD zu verlassen. Suu Kyi hat zu Protesten gegen den Putsch aufgerufen und wird sich zweifellos um Unterstützung an Washington wenden. Aber ihr Image als Ikone der Demokratie ist angeschlagen.

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