Corona-Pandemie verschärft soziale Ungleichheit in Deutschland

In Deutschland sind immer mehr Menschen dauerhaft von Armut betroffen – eine Entwicklung, die durch die Corona-Pandemie weiter beschleunigt und verschärft wird. Dies zeigt der vor kurzem veröffentlichte Datenreport 2021, der am 10. März vorgestellt wurde.

Der „Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland“ wird alle zwei Jahre vom Wissenschaftszentrum Berlin (wzb), dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), dem SOEP (Sozio-ökonomisches Panel) und dem Statistischem Bundesamt erstellt und von der Bundeszentrale für politische (bpb) Bildung publiziert. Er enthält zahlreiche Informationen zur sozialen und ökonomischen Lage.

Die Armutsrisikoschwelle lag im Jahr 2018, auf das sich der Report bezieht, für einen Ein-Personenhaushalt bei einem Nettoeinkommen von 1040 Euro monatlich und für einen Ein-Elternhaushalt mit einem Kind unter 14 Jahren bei 1352 Euro. Fast jeder sechste Einwohner Deutschlands lebte 2018 unter der Armutsgrenze, also in Armut.

Von den Armen des Jahres 2018 waren 88 Prozent bereits in den vier davor liegenden Jahren mindestens einmal von Armut betroffen. Die Hälfte von ihnen, also 44 Prozent, lebten durchgehend in Armut. Damit hat sich der Anteil der dauerhaft in Armut lebenden Menschen seit 1998 mehr als verdoppelt. Damals hatte ihr Anteil noch 20 Prozent betragen.

Den wichtigsten Anstoß für das Anwachsen der Armut gaben die Hartz-IV-Gesetze und andere Maßnahmen der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder und Joschka-Fischer, die zu einem massiven Anwachsen des Niedriglohnsektors in Deutschland führten.

Inzwischen ist die Armut weiter angestiegen. Der jüngste Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands vom November letzten Jahres meldet einen Anstieg der Armut von 15,5 Prozent im Jahr 2018 auf 15,9 Prozent im Jahr 2019. Das sind 13,2 Millionen Menschen. Das Armutsrisiko ist besonders hoch für Alleinerziehende (41 Prozent), Menschen mit Hauptschul- und ohne Berufsabschluss (35 Prozent) und Menschen mit Migrationshintergrund (29 Prozent).

Die große soziale Ungleichheit schlägt sich auch in der Wahrnehmung und den Einstellungen nieder. So halten nur knapp die Hälfte der Bevölkerung ihr eigenes Bruttoeinkommen für gerecht. Vor allem niedrige Einkommen werden als ungerecht angesehen.

Das letzte Kapitel des Datenreports 2021 beleuchtet die ersten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die soziale Lage im Zeitraum von Ende März bis Anfang Juli 2020. So berichten 17 Prozent der an- und ungelernten Arbeiter und Arbeiterinnen und knapp 14 Prozent der einfachen Angestellten von finanziellen Schwierigkeiten. Bei den Beziehern von Niedrigeinkommen war jeder fünfte von finanziellen Problemen betroffen. Bei Facharbeiter-, Meister- und qualifizierten Angestelltenberufen fiel der Anteile mit 9 Prozent niedriger aus. Auch hier waren Alleinerziehende mit 25 Prozent, Selbstständige mit 20 Prozent und Menschen mit Migrationshintergrund mit 15 Prozent am stärksten von finanziellen Schwierigkeiten betroffen.

Ein Fünftel aller in Deutschland lebenden arbeitenden Menschen beziehen ein Niedrigeinkommen. Über ihre Not unter Corona-Bedingungen sagte der WZB-Experte Philip Wotschak bei der Vorstellung des Berichts: „Sie waren in Zahlungsschwierigkeiten geraten, mussten Kredite aufnehmen, waren in ernsthafte Geldprobleme geraten, mussten möglicherweise auf Ersparnisse zurückgreifen, Sozialleistungen beantragen oder ihren Lebensstandard drastisch einschränken.”

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung hatte bereits im Dezember letzten Jahres die Einkommensverluste dieser Menschen während der letzten Monate untersucht. Die WSWS hat darüber berichtet.

Der Datenreport 2021 zeigt auch, dass nur wenige Beschäftigte die Möglichkeit hatten, sich durch die Nutzung von Homeoffice vor einer Corona-Infektion zu schützen. Im ersten Lockdown von März bis April 2020 betrug der Anteil derer, die komplett im Homeoffice arbeiten konnten, 26,3 Prozent. Es handelte sich vor allem Arbeiter und Angestellte in Büros und Verwaltung mit relativ guter Ausbildung und Bezahlung. Nach den Lockerungen im Mai sank der Anteil auf 11,5 und im Sommer auf 6 Prozent. Mehr als jeder fünfte Beschäftigte nutzte das Homeoffice aber weiterhin zeitweilig.

Während des ersten Lockdowns, der als der bisher schärfste gilt, mussten 60 Prozent der Arbeiter und Angestellten weiterhin vor Ort arbeiten, ohne ausreichenden Schutz vor dem lebensgefährlichen Virus. Betriebe wurden nur kurzzeitig geschlossen, wenn es Zulieferprobleme wegen unterbrochener Lieferketten gab. In solchen Fällen wurden Arbeiter in Kurzarbeit geschickt oder kurzzeitig freigestellt. Arbeiter in Leih- und Zeitarbeit verloren ihre Arbeit häufig ganz und erhielten keinerlei Unterstützung. Dies betraf vor allem den Einzelhandel, die Gastronomie, das Hotelwesen, den Kultur- und Veranstaltungsbereich sowie Soloselbständige.

Von Kurzarbeit waren im April 2020 fast 7 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter betroffen, weitaus mehr als während der Finanzkrise 2008/2009, mit entsprechenden Einkommensverlusten. Beschäftige ohne Kinder erhalten 60 und Beschäftigte mit Kindern 67 Prozent des Nettolohns. Erst ab dem siebten Monat wird das Kurzarbeitergeld auf 80 bzw. 87 Prozent erhöht.

Auch die Arbeitslosigkeit ist in den ersten Monaten des Ausbruchs der Corona-Pandemie gestiegen. Seit beginn der Pandemie sind mehr als eine halbe Million Menschen arbeitslos geworden.

Schulen und Kitas gehören zu den wichtigsten Verbreitern der Pandemie. Kinder zeigen zwar weniger häufig Symptome, verbreiten das Virus aber wie Erwachsene, tragen es in die Familie und stecken Lehrer und Erzieher an. Trotzdem wurden Schulen und Kitas nicht oder nur kurzfristig geschlossen, damit die Eltern weiter arbeiten konnten, um Profite für die Unternehmen zu erwirtschaften. Zur Begründung wurde von Regierungsmitgliedern und Medien oft das „Kindeswohl“ angeführt, der erzieherische und psychische Schaden, der durch lange Schulschließungen entstehe.

Der Datenreport 2021 zeigt, dass dies pure Heuchelei ist. Er stellt fest, dass die Ausstattung mit technischen Geräten in Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 5000 bis 18.000 Euro mit durchschnittlich vier PCs weit besser ist, als bei einem Einkommen unter 2000 Euro mit durchschnittlich zwei Geräten. In armen Haushalten gibt es verbreitet gar keine Endgeräte, mit denen die Kinder am digitalen Unterricht teilnehmen können. Dazu kommen oft enge Wohnverhältnisse, die Lernen und Konzentration erschweren oder unmöglich machen.

Für Alleinerziehende ist es zudem extrem schwierig, ihre Kinder im Home-Schooling ausreichend zu betreuen und zu unterstützen, wenn sie selbst arbeiten gehen müssen. Hilfe und Unterstützung durch die Großeltern war ebenfalls nicht möglich, da sie zu den gefährdetsten Gruppen gehören. Selbst für Eltern im Homeoffice ist es ein permanenter Balanceakt, unter Stressbedingungen die eigene Arbeit und die Unterstützung und Betreuung der Kinder unter einen Hut zu bringen.

Obwohl alle diese Probleme bekannt waren, hat die Bundesregierung Arbeiter- und arme Familien so gut wie gar nicht unterstützt. Es gab weder Hilfen für technische Ausstattung, noch für Masken und Hygieneartikel, noch eine bezahlte Freistellung für die Kinderbetreuung. Stattdessen wurden Banken, Konzernen und der Bundeswehr Hunderte Milliarden Euro in den Rachen geworfen.

Die Zahl der Menschen, die in Deutschland an Covid-19 gestorben sind, ist inzwischen auf 75.000 gestiegen. Über die Zahl der an den Langzeitfolgen (Longcovid) Erkrankten, einschließlich Kindern, gibt es noch keine umfassenden Daten. Betroffen sind vor allem das Leben, die Gesundheit, die Löhne und Arbeitsplätze der Arbeiterklasse, wobei Ärmere überproportional betroffen sind. Die Zahlen aus dem Datenreport 2021 beleuchten nur die ersten Monate, die Entwicklung hat sich seither weiter verschärft.

Unternehmen und Reiche an der Spitze der Gesellschaft haben dagegen von der Pandemie profitiert. Die Aktienkurse haben neue historische Höchstwerte erreicht. Das Nettovermögen der Ultrareichen in Deutschland ist allein zwischen März und Juli 2020 um fast 80 Milliarden auf 486 Milliarden Euro gestiegen. Inmitten von Tod und Leid ist eine neue Schicht von „Pandemie-Profiteuren” herangewachsen. Zwischen Januar und Juni stieg die Zahl der US-Dollar-Millionäre um 58.000, die Zahl der Milliardäre stieg von 114 auf 119.

Gerade meldete die Deutsche Bank, dass sie im Jahr 2020 684 Investmentbanker beschäftigte, die inklusive Boni mehr als eine Million Euro verdient haben. Auch die Deutsche Bank hat wie viele andere Unternehmen unter dem Vorwand der Corona-Pandemie Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut.

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