Russland-Ukraine-Konflikt: Militärische Auseinandersetzungen erhöhen Gefahr einer Eskalation

In den letzten Wochen sind die Kämpfe zwischen dem ukrainischen Militär und den von Russland unterstützten Separatisten in der Region Donbass deutlich eskaliert. Während die westlichen Medien über die angebliche „Aggression Russlands“ zetern, spielen sich die militärischen Zusammenstöße tatsächlich vor dem Hintergrund einer Reihe von schweren Provokationen der ukrainischen Regierung ab. Sie rechnet damit, in einem möglichen Krieg mit Russland von der Nato unterstützt zu werden.

Die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine sind mittlerweile so scharf wie noch nie seit dem rechtsextremen Staatsstreich vom Februar 2014, der von den USA und Deutschland unterstützt wurde und zur Absetzung der Regierung von Viktor Janukowitsch führte. Dieser Putsch war Teil der über Jahrzehnte praktizierten Strategie der imperialistischen Mächte, Russland einzukreisen. Zudem war er der Auslöser für die Annexion der Krim durch Russland und für den Bürgerkrieg im Osten des Landes, der bisher mehr als 13.500 Todesopfer gefordert hat.

Ein ukrainischer Soldat mit US-amerikanischer Ausrüstung in der zerstörten Butowka-Kohlengrube in der Stadt Awdijiwka in der ukrainischen Donezk-Region. (AP-Foto/Vitali Komar)

Anfang März hatte Kiew eine Strategie zur „Zurückgewinnung der Krim“ bewilligt. Die Halbinsel im Schwarzen Meer ist von großer geopolitischer Bedeutung und beherbergt den Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte. Jeder Versuch Kiews, sie zu erobern, käme einer Kriegserklärung gleich.

Am 25. März bewilligte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine neue Militärstrategie, die die Notwendigkeit betont, die ganze Bevölkerung auf die Mobilisierung für einen Krieg gegen Russland auf ukrainischem Boden vorzubereiten. In der Strategie wird eingeräumt, dass ein solcher Krieg nicht ohne Unterstützung der Nato zu gewinnen ist. Die geplante Aufnahme der Ukraine in das Militärbündnis wird nicht weniger als 19-mal erwähnt.

Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Generaloberst Ruslan Chomtschak, diskutierte vor Kurzem in einem Interview über eine mögliche Offensive zur Rückeroberung der von Separatisten kontrollierten Region Donbass in der Ostukraine. Er gab zu, dass eine solche Offensive enorme Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern würde, betonte aber, Selenskyj sei „in jeder Hinsicht befugt, den Befehl zu geben oder eine Entscheidung zu treffen“.

Gleichzeitig wird in der Ukraine eine hysterische anti-russische Kampagne geschürt. In den letzten Monaten ist Selenskyj gegen wichtige Medien und Fernsehsender der pro-russischen Fraktion der ukrainischen Oligarchie vorgegangen. Gegen den Oppositionsführer und Milliardär Wiktor Medwedtschuk, der enge Beziehungen zum Kreml unterhält, wurden Sanktionen verhängt. Am Freitag warf der Vorsitzende der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft, Michail Wolynzew, Russland während einer Rede in der ukrainischen Rada (Parlament) vor, es hätte das ukrainische Stromnetz attackiert.

Letzte Woche wurden Berichte über größere russische Truppenbewegungen auf der Krim und in der Ostukraine veröffentlicht, an denen u. a. Schützenpanzer und Panzerabwehrraketen beteiligt waren. Weitere Berichte deuten darauf hin, dass belarussische Truppen an der ukrainischen Grenze mobilisiert werden.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warnte am Mittwoch, die Ukraine könne „provokante Schritte unternehmen, die zu einem Krieg führen könnten“. Er warf den USA vor, sie würden die Ukraine benutzen, um die Bedingungen für einen Krieg zu schaffen: „Der Westen bereitet nichts Geringeres als einen Krieg gegen uns vor.“ Am gleichen Tag traf sich Russlands Präsident Wladimir Putin mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu Gesprächen über die Lage in der Ukraine.

Am Freitag sprach US-Präsident Joe Biden erstmals seit seiner Amtsübernahme mit Selenskyj und versicherte ihn seiner „unerschütterlichen Unterstützung“ für die Ukraine gegen Russland. Im Verlauf der letzten Woche gab es mindestens drei Spitzengespräche zwischen der US-amerikanischen und der ukrainischen Regierung, an denen u. a. Außenminister Antony Blinken, Generalstabschef Mark Milley und Verteidigungsminister Lloyd Austin beteiligt waren. Das Wall Street Journal beschrieb die Krise als „Test“ für die Biden-Regierung.

Karte der Schwarzmeerregion [Photo by Norman Einstein / CC BY-NC-SA 4.0]

Die Biden-Regierung hat seit ihrer Amtsübernahme deutlich gemacht, dass sie einen äußerst aggressiven Kurs gegenüber Russland verfolgen wird. Eine der ersten außenpolitischen Schritte von Präsident Biden war ein Luftangriff auf die Stellung einer vom Iran unterstützten irakischen Miliz an der syrisch-irakischen Grenze. Dieser Schlag richtete sich nicht nur gegen den Iran, sondern auch gegen Russland. Letzte Woche lancierten die Nato-Mächte bei einem Gipfeltreffen die Initiative „NATO 2030“ mit dem Ziel, einen Atomkrieg gegen Russland und China vorzubereiten. Kurz vor dem Treffen hatte Biden Putin als „Mörder ohne Seele“ bezeichnet. Dieser außergewöhnliche Angriff auf das Staatsoberhaupt eines fremden Landes löste eine diplomatische Krise aus. Die tiefere Ursache für die wachsende Kriegsgefahr und das immer rücksichtslosere Vorgehen der imperialistischen Mächte und ihrer Verbündeten ist die tiefe Krise des Systems des Weltkapitalismus, die sich durch die Corona-Pandemie deutlich verschärft hat.

In der Ukraine zeigt sich die soziale und politische Krise besonders scharf. Nach mehr als einem Jahr Pandemie breitet sich das Corona-Virus völlig ungebremst in der verarmten Bevölkerung aus. Am 1. April starben 421 Menschen und die Zahl der täglichen Neuinfektionen erreichte den zweithöchsten Stand seit Beginn der Pandemie. Offiziell sind mehr als 33.200 Menschen an dem Virus gestorben, doch die tatsächliche Zahl ist vermutlich deutlich höher. Die Krankenhäuser sind überfüllt. Berichten zufolge nehmen manche Patienten Medikamente für Tiere, und ein Berater des ukrainischen Gesundheitsministeriums erklärte, wer sich mit Covid-19 infiziert, müsse darauf vorbereitet sein, „zu Hause zu sterben“.

Die gleichen imperialistischen Mächte, die Milliarden Dollar in die extreme Rechte und das Militär der Ukraine gepumpt haben, um einen Krieg gegen Russland vorzubereiten, liefern keinerlei nennenswerte Hilfe bei der Verteilung von Impfstoffen gegen Covid-19. Die Selenskyj-Regierung hat den russischen Impfstoff Sputnik V mit der Erklärung zurückgewiesen, dessen Einfuhr in die Ukraine wäre ein „geopolitischer Schlag“. Deshalb haben bis zum 30. März nur 220.000 von 44 Millionen Einwohnern die erste Impfung erhalten, nur zwei Personen die zweite. Millionen von zugewanderten Arbeitern haben ihre Stellen verloren, viele weitere wurden entlassen oder mussten einen beträchtlichen Einkommensverlust hinnehmen. Im Kriegsgebiet in der Ostukraine haben Millionen Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser, einige Dörfer haben laut UNICEF überhaupt keinen Zugang zu Wasser. Genau wie die kapitalistischen Regierungen im Rest der Welt hat auch die ukrainische Regierung nichts zur Linderung des sozialen Leids unternommen, sondern die Krise für weitere soziale Angriffe auf die Arbeiterklasse genutzt.

Zweifellos sind die rücksichtslosen Provokationen der ukrainischen Oligarchie teilweise ein Versuch, die enormen Klassenspannungen nach außen zu lenken. Die wichtigste Triebkraft ist jedoch der historische Niedergang des US-Imperialismus und seine Versuche, diesen mit militärischen Mitteln auszugleichen. Um die vollständige Kontrolle über die immensen Ressourcen der ehemaligen Sowjetunion zu erlangen, haben die USA und die Nato Russland seit 1991 systematisch eingekreist und mehrere Staatsstreiche an seinen Grenzen organisiert, zwei davon in der Ukraine in den Jahren 2004 und 2014.

Die RAND Corporation, eine der wichtigsten Denkfabriken aus dem Beraterumfeld der US-Regierung, entwarf in einem Papier aus dem Jahr 2019 eine Strategie mit dem Ziel, Russland dazu zu zwingen, sich in Konflikten an seinen Grenzen militärisch „zu überfordern“. Das Putin-Regime soll laut dem Dokument wirtschaftlich und politisch geschwächt werden, damit sich die USA direkter auf ihren wichtigsten strategischen Rivalen China konzentrieren können. Der militärische Konflikt in der Ostukraine ist ein zentraler Bestandteil dieser Strategie.

In dem Papier hieß es: „Das ukrainische Militär blutet Russland schon jetzt in der Region Donbass aus (und umgekehrt). Mehr US-Militärausrüstung und Berater könnten Russland dazu bringen, sein direktes Engagement in dem Konflikt und den Preis, den es dafür bezahlt, zu erhöhen.“ Danach warnte das Dokument, eine solche Strategie könnte auch für die USA selbst beträchtliche Kosten bedeuten und sei äußerst riskant. Dennoch verfolgen die USA genau diese Strategie.

In den letzten sieben Jahren haben die USA das ukrainische Militär mit hunderten Millionen Dollar aufgebaut, und US-Militärberater spielen eine wichtige Rolle bei der Ausbildung des ukrainischen Heeres. Die RAND Corporation räumt ein, dass alle von ihr vorgeschlagenen Strategien das Risiko einer unkontrollierbaren militärischen Eskalation und sogar den Einsatz von Atomwaffen mit sich bringen. Doch der US-Imperialismus ist eindeutig bereit, dieses Risiko einzugehen.

Die Arbeiterklasse ist mit den katastrophalen Folgen der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistischen Bürokratie im Jahr 1991 konfrontiert. Diese Bürokratie entstand aus dem Verrat der Stalinisten an der sozialistischen Oktoberrevolution von 1917. Wie das IKVI zur Zeit der Auflösung der Sowjetunion schrieb, bedeutete diese nicht das Ende des Sozialismus, erst recht keine Periode des „Triumphs des Kapitalismus“. Vielmehr begann eine neue Periode imperialistischer Raubkriege und sozialer Revolutionen. 30 Jahre später hat sich diese Einschätzung vollauf bestätigt. Die entscheidende Aufgabe ist jetzt der Aufbau einer sozialistischen Antikriegsbewegung in der Arbeiterklasse auf der Grundlage dieser historischen Lehren.

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