Ifo-Studie: Bis 2025 sind 178.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie gefährdet

Bis 2030 werden in der deutschen Autoindustrie mindestens 215.00 Arbeitsplätze vernichtet. Davon geht eine aktuelle Studie des Ifo-Instituts (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.) aus, die der Verband der Automobilindustrie (VDA) in Auftrag gegeben hat. Die Studie mit dem Titel „Auswirkungen der vermehrten Produktion elektrisch betriebener Pkw auf die Beschäftigung in Deutschland“ wurde Anfang Mai veröffentlicht.

Bereits in den kommenden vier Jahren werden laut der Studie mindestens 178.000 Arbeitsplätze im Produktionsbereich, die direkt oder indirekt vom Verbrennungsmotor abhängig sind, aufgrund der Transformation zum Elektromotor überflüssig, 137.000 davon direkt in der Autoindustrie. Selbst wenn die Stellen der 75.000 Arbeiter, die laut Schätzung der ifo-Studie bis dahin in den Ruhestand gehen, ersatzlos gestrichen werden, bleiben 100.000 Arbeitsplätze übrig, die anderweitig abgebaut werden müssen.

Protest gegen Arbeitsplatzabbau im Daimler-Werk Berlin Marienfelde im November 2020 (Foto WSWS)

Bis 2030 geht die Studie sogar vom Wegfall von mindestens 215.000 Arbeitsplätzen aus. Auch in dieser Zeit werden die 147.000 durch Ruhestand wegfallenden Stellen die Lücke nicht füllen. Die Studie hält deshalb Entlassungen in der Größenordnung von 70.000 für realistisch.

Die Welt kommentiert: „Die Lücke könnte aber auch noch deutlich größer werden, wenn sich die Entwicklung hin zur Elektromobilität beschleunigen sollte. … Das könnte vor allem dann passieren, wenn die Klimaziele, wie derzeit auf europäischer Ebene geplant, noch einmal verschärft werden.“

Der Zweck der Studie besteht darin, den Autokonzernen, allen voran VW, Daimler und BMW, aber auch Zulieferern wie Bosch, Schaeffler und ZF verlässliche Zahlen zu liefern, um den massiven Stellenabbau zu forcieren.

„In dieser Studie analysieren wir, wie Produktionswert, Bruttowertschöpfung und Beschäftigung in der deutschen Industrie mit der Verbrennertechnologie verbunden und daher vom Übergang von Verbrennungsmotoren auf Elektroantriebe betroffen sind,“ erklären die Verfasser in der Erläuterung zur Studie. „Eine zentrale Frage ist, ob die altersbedingte Beschäftigungsfluktuation ausreichen wird, um die absehbaren Veränderungen zu absorbieren.“

Die betroffenen Arbeiter und ihr Schicksal tauchen da nur als überflüssige „Zahlen“ auf. Schließlich geht es darum, wie viele Zehntausende bisher sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze zusätzlich zu der „altersbedingten Beschäftigungsfluktuation“ vernichtet werden müssen, um beim Übergang von Verbrennungs- auf Elektroantriebe optimalen Profit zu erzielen.

Die Studie betont auch die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Automobilindustrie, die bisher weitgehend auf dem Verbrennungsmotor basiert. „In Summe stellten 2019 somit rund 613.000 Personen Produkte mit Verbindung zu Verbrennungsmotoren her,“ heißt es in der Einleitung. Sie stellten Produkte im Wert von mehr als 149 Milliarden Euro her. Fahrzeuge mit reinem Elektroantrieb wurden dagegen 2019 nur im Wert von 3,1 Milliarden Euro, Plug-in-Hybridfahrzeuge im Wert von 4,3 Milliarden Euro hergestellt.

Aus der Studie geht aber auch hervor, dass die Umstellung auf Elektromobilität nicht der einzige Grund für den Angriff auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen ist. Die Autokonzerne suchen seit langem nach einem Vorwand, um die Profitrate auf Kosten der Arbeiter weiter zu steigern.

Im Vergleich zum verarbeitenden Gewerbe, so die Studie, schneide die Automobilindustrie zwischen 2015 bis 2019 wesentlich schlechter ab. Insbesondere ab 2016 sei die Wertschöpfung in der Automobilbranche erheblich gefallen: „Der Unterschied in der Entwicklung zum Verarbeitenden Gewerbe 2019 beträgt 10,7 Prozentpunkte. Verantwortlich für diesen Rückgang sind in den Jahren 2016 bis 2019 die direkt vom Verbrennungsmotor abhängigen Produktkategorien.“

Bereits in diesem Zeitraum sei eine deutliche Entwicklung „weg vom Verbrennungsmotor“ zu beobachten gewesen – ein „Hinweis auf den Innovationsdruck in der Automobilindustrie“. Gleichzeitig gebe es einen massiven Aufholbedarf im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Dies hänge „mit der Tatsache zusammen, dass neben der Elektrifizierung der Antriebe auch die Digitalisierung und Vernetzung von Pkws wesentliche Herausforderungen für die Industrie darstellen“.

Die Studie gelangt zum Schluss, dass der „Transformationsprozess in der deutschen Automobilindustrie bereits Fahrt aufgenommen“ habe, „insbesondere was das Produktangebot betrifft“. Die Beschäftigung in den betroffenen Produktgruppen reagiere dagegen wesentlich langsamer, und die Produktivität im Fahrzeugbau sei gesunken.

Die Autoren führen dies darauf zurück, „dass in dieser Phase parallele (und damit weniger effiziente) Strukturen aufgebaut werden mussten, um die aktuelle Nachfrage zu bedienen“. Gleichzeitig seien „Kapazitäten für alternative Antriebe geschaffen“ worden, „die für den zukünftigen Markt von grundlegender Bedeutung sind“.

Diese Doppelstrukturen gelte es nun so schnell wie möglich abzubauen. Gewichte man „die zum jeweiligen Zeitpunkt betroffenen Arbeitsplätze mit dem Anteil der elektrischen Fahrzeuge an den Neuzulassungen“, stünden rechnerisch „2025 zwischen 29 Prozent und 36 Prozent der betroffenen Beschäftigten zur Disposition“.

Die Coronajahre 2020 und 2021 haben anschaulich gezeigt, wie rigoros und brutal die Autokonzerne den sogenannten Transformationsprozess auf dem Rücken der Arbeiter vollziehen. Daimler und VW, Continental, ZF und Bosch haben bereits tausende Stellen gestrichen und den Abbau von weiteren Zehntausenden angekündigt.

Gleichzeitig wurde die Produktion in sämtlichen Autowerken nach einer kurzen Pause im Frühjahr 2020 schnell wieder hochgefahren, obwohl sich das Coronavirus in den Betrieben und Schulen ausbreitete und zehntausende Todesopfer forderte.

Die IG Metall und ihre Betriebsräte unterstützten dies ausdrücklich, vereinbarten Lohnnullrunden und unterdrückten jeden Widerstand in den Betrieben. Entsprechend hoch fiel das Gewinnergebnis aus. Es ließ selbst verwöhnte Aktionäre frohlocken.

Allein der Daimler-Konzern erzielte im ersten Coronajahr 6,6 Milliarden Euro Gewinn. Prompt entschied sich die Konzernspitze, die Dividende von 90 Cent auf 1,35 Euro zu erhöhen. Selbst das rechtskonservative Unternehmerblatt F.A.Z. geriet ins Staunen: „Das sind – entsprechend langjähriger Übung – 40 Prozent des Gewinns, der 3,39 Euro je Aktie erreichte.“ „Im Ergebnis werden so Steuergelder, die Beschäftigung sichern und Pleiten verhindern sollten, als Gewinnausschüttungen an Aktionäre weitergeleitet“, zitierte die F.A.Z. Lena Kampen von der Bürgerbewegung Finanzwende.

Die IG Metall spielt bei diesem Frontalangriff auf die Belegschaften eine zentrale Rolle. Sie stellt ihren Apparat von Tausenden gut bezahlten Funktionären und Betriebsräten als Partner, Berater und schließlich Vollstrecker der Konzerninteressen zur Verfügung. Zehntausende Arbeiter sind in den letzten Monaten und Jahren Opfer von Sparprogrammen geworden, die von der IG Metall mit ausgearbeitet wurden. Mit tatkräftiger Hilfe der Betriebsräte wurden die Arbeiter so geräuschlos wie möglich über Aufhebungsverträge, Altersteilzeit und Abfindungsregelungen aus den Betrieben entfernt.

Es wundert daher nicht, dass die IG Metall die jüngste Studie des Unternehmerverbands und ihre Schlussfolgerungen ausdrücklich unterstützt. Auf der Webpage „Schaeffler Nachrichten der IG Metall“ verweist die Gewerkschaft darauf, dass sie längst ähnliche Studien in Auftrag gegeben habe und zu gleichen Schlussfolgerungen gekommen sei.

„Aus Sicht der IG Metall sind die Bedenken des Verbands der Automobilindustrie (VDA) berechtigt“, heißt es dort. Bereits in den Jahren 2012 und 2018 seien auf Initiative der Gewerkschaft die Studien „ELAB“ und „ELAB 2.0“ zu den Auswirkungen der Elektromobilität auf die Beschäftigung in Deutschland erstellt worden.

Bei der zweiten Studie „waren auch die Automobilindustrie sowie große Autozulieferer beteiligt, jeweils mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, darunter eine Vertretung des Gesamt- und Konzernbetriebsrats von Schaeffler“. Ihr Ergebnis sei in eine ähnliche Richtung wie die aktuelle Studie von VDA und ifo-Institut gegangen: „Ohne industriepolitische Abfederung sind bei einer Vollelektrifizierung des Antriebsstrangs 75.000 Arbeitsplätze in der deutschen Automobil- und Autozulieferindustrie bis 2030 vom Wegfall bedroht.“

Bereits seit 2010 ist die IG Metall fest in diesen Umstrukturierungsprozess eingebunden. Sie ist Mitglied der Nationale Plattform Elektromobilität (NPE), die die Bundesregierung gegründet hat, um Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften an einen Tisch zu bringen.

Auf der Website der IG Metall heißt es dazu: „Seit der Gründung der NPE – Anfang 2010 – engagiert sich die IG Metall in Sachen Elektromobilität. Denn klar ist, dass sich der Übergang vom Verbrennungsmotor zur Elektromobilität auch auf die Beschäftigung auswirken wird.“

Die IGM vertritt dort einen stramm nationalistischen Wirtschaftskurs. Sie fordert „alle Stufen der Produktion nach Deutschland zu holen – auch die Zellfertigung, die bislang in Asien stattfindet“, wie es in einem Bericht über eine Konferenz der NPE im Juni 2015 auf der Website der Gewerkschaft heißt.

Ein anderer Abschnitt ist übertitelt mit: „Technologieführerschaft zurückgewinnen.“ Darin heißt es: „Damit Deutschland bei der Elektromobilität die Nase vorn hat und davon auch die Beschäftigten partizipieren, muss die gesamte Wertschöpfungskette, von der Herstellung der Batterien bis zum Elektromotor, hierzulande angesiedelt werden. Das fordert die IG Metall.“

Diese nationalistische Politik, die ausschließlich von den Profitinteressen der deutschen Autokonzerne geleitet wird, würde auch die AfD unterstützen. Sie dient auch dazu, die Arbeiter in Deutschland gegen ihre Kollegen in Asien, Amerika und innerhalb Europas aufzubringen und einen gemeinsamen internationalen Kampf zu verhindern.

Ein erfolgreicher Kampf gegen den Kahlschlag in der Autoindustrie setzt eine entschlossene Zurückweisung der nationalistischen Politik der IG Metall voraus. Die Verteidigung aller Arbeitsplätze kann nur gelingen, wenn sich die Autoarbeiter unabhängig von der Gewerkschaft und ihrer Betriebsräte vereinen und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees anschließen.

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