Die nordrhein-westfälische Landesregierung plant, das Recht auf Versammlungsfreiheit weitgehend auszuhöhlen. Bereits am 30. Juni soll der Landtag ein neues Versammlungsgesetz beschließen, mit dem Polizei und Verwaltung Demonstrationen und Proteste leichter verbieten und Teilnehmende kriminalisieren können.
NRW wird seit vier Jahren von einer Koalition aus CDU und FDP regiert. Ministerpräsident ist der CDU-Vorsitzende Armin Laschet, der auch Kanzlerkandidat der Unionsparteien für die Bundestagswahl am 26. September ist. CDU und FDP hatten 2017 im Koalitionsvertrag vereinbart, das Versammlungsrecht neu zu fassen. Bislang gilt das Bundesgesetz. Seit 2006 haben die Länder jedoch die Möglichkeit, eigene Versammlungsgesetze zu erlassen.
Im Januar dieses Jahres legte die Regierung dem Landtag einen Gesetzesentwurf vor, der seither in den Ausschüssen beraten wird. Nun drängt die Regierung auf Eile. Sie will die Pandemie-bedingten Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit nutzen, um den erheblichen Widerstand gegen das Gesetz zu schwächen.
Bereits 2018 hatte die Regierung mit einem neuen Polizeigesetz die Überwachung von Personen ausgeweitet, Proteste kriminalisiert und die Polizei mit umfassenden Vollmachten ausgestattet. Der jetzige Entwurf setzt diese Politik fort.
Öffentliche und nichtöffentliche Versammlungen, Demonstrationen und Protestveranstaltungen sollen schon im Vorfeld erheblich erschwert und die Teilnehmenden eingeschüchtert werden. Versammlungen müssen mindestens 48 Stunden zuvor angemeldet werden, auch die Anzahl der Ordner muss der Polizei mitgeteilt werden. Entscheidet diese, dass die öffentliche Sicherheit gefährdet sei, müssen sie samt Adresse namentlich benannt werden.
Die Videoüberwachung wird vereinfacht. Es können auch Drohnen eingesetzt werden, um Versammlungen zu filmen. Die Polizei kann „Kontrollstellen“ einrichten, um Personalien aufzunehmen. Auch mit gezielten Teilnahmeverboten und „Gefährderansprachen“ dürfen Demonstrationsteilnehmer eingeschüchtert werden. Strafandrohungen und Bußgelder erhöhen sich drastisch, teilweise auf bis zu zwei Jahre Haft.
Unter dem Begriff „Militanzverbot“ wird das bisherige „Uniformierungsverbot“ verschärft. Das Tragen von „uniformähnlichen Kleidungsstücken“ auf Versammlungen ist verboten. Fußballfans in Trikots, der Schwarze Block der Antifa oder Unterstützer von „Ende Gelände“, die in weißen Maler-Overalls gegen den Braunkohle-Abbau protestieren, fürchten auf diese Weise kriminalisiert zu werden. Auch Arbeitskleidung oder Warnwesten, wie sie die „Gelbwesten“ in Frankreich trugen, lassen sich unter uniformähnlicher Kleidung fassen.
Alles was „aggressiv“ und „provokativ … Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt“, kann gegen eine Versammlung angeführt werden. Das können Sprechchöre oder gegenseitig eingehakte Demonstrationsteilnehmende sein. Auch Parolen wie „Nieder mit dem Kapitalismus!“, „Enteignet die Banken und Konzerne!“ oder – wie auf den Berliner Mieter-Demos – „Deutsche Wohnen enteignen“ können gegen gegen den Gummiparagrafen des „Militanzverbots“ verstoßen. Verstöße können mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden.
Die Regierung Laschet gibt sich wenig Mühe, ihre wirklichen Beweggründe zu verschleiern. Angesichts der Corona-Politik der Herrschenden, die weltweit zu Millionen Toten, Massenentlassungen und einer extremen Umverteilung von Einkommen und Vermögen geführt hat, bereitet sie sich auf heftige soziale Auseinandersetzungen vor. Die Durchseuchungspolitik, die Milliardengeschenke an Konzerne und Superreiche, Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkungen und wachsende soziale Ungleichheit sind mit Demokratie nicht zu vereinbaren.
Gleich an mehreren Stellen verweist die Begründung des Gesetzesentwurfs auf historische Erfahrungen der Weimarer Republik. „Die Weimarer Republik ist auch an ihrer fehlenden Wehrhaftigkeit zugrunde gegangen, am Willen und/oder am (Un-)Vermögen, Demokratie und Republik in Deutschland gegen die gewaltbereiten, gewalttätigen, permanent in Sälen und auf der Straße agitierenden und demonstrierenden Extremisten auf dem linken und rechten Rand des politischen Spektrums zu schützen.“
Tatsächlich deckten und unterstützten die Weimarer Behörden paramilitärische Verbände und faschistische Sturmabteilungen, während sie Arbeiter und Linke mit aller Brutalität verfolgten und selbst Pazifisten wie Carl von Ossietzky ins Gefängnis warfen.
Die Landesregierung kontert zwar Kritik an ihrem Gesetzentwurf stets mit dem Argument, die Einschränkung demokratischer Rechte richte sich vor allem gegen Neonazis und Rechtsextreme. In der Gesetzesbegründung und in Interviews, etwa von Landesinnenminister Herbert Reul (CDU), wird dagegen immer auf die Gefahr von „rechts- und linksextremistischen Bestrebungen“ gleichermaßen verwiesen. Dieses Argument ist so alt wie verlogen.
Der Abbau demokratischer Rechte trifft die Arbeiterklasse und Jugend und niemals die Rechten, die vom Staat und seinem Apparat gestützt werden. Gegen wen sich das Gesetz richtet, zeigte exemplarisch auch die Einladung mehrerer „Experten“ zur Anhörung Anfang Mai. Die Landesregierung hat unter anderen Professor Dr. Norbert Ullrich von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, Thomas Dammers, ein pensionierter Polizist, der mehrere Einsätze gegen die „Ende Gelände“-Proteste geleitet hat, sowie Michael Elicker eingeladen.
Elicker ist Anwalt und Professor an der Universität des Saarlandes. Er arbeitet für drei ostdeutsche AfD-Landesverbände. In der Anhörung sprach er sich u. a. vehement für das „Störungsverbot“ im Gesetz aus. Als Beispiel wählte er die lautstarke Störung einer Pegida-Demonstrationen in Dresden durch Gegendemonstranten.
Paragraph 7 des neuen Gesetzes, „Störungsverbot“, untersagt es, eine Versammlung mit dem Ziel zu stören, sie zu behindern oder zu vereiteln. Dazu zählt schon der Aufruf zur Verhinderung oder Blockade einer Versammlung, etwa von Nazi-Aufmärschen. Selbst die „Vorbereitung oder Einübung von Störungshandlungen“ ist verboten.
Das liegt auf einer Linie mit dem Verfassungsschutz. Im Verfassungsschutzbericht 2017, für den damals noch Hans-Georg Maaßen (CDU) verantwortlich zeichnete, waren Teilnehmer an Demonstrationen gegen AfD-Parteitage in Köln und Hannover als linksextrem bezeichnet worden.
Im selben Bericht wurde erstmalig auch die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) als „linksextremistisch“ aufgeführt. Begründet wurde dies damit, dass sich ihre „Agitation … schon in ihrer Programmatik gegen die bestehende, pauschal als ‚Kapitalismus‘ verunglimpfte staatliche und gesellschaftliche Ordnung“ richte, „gegen die EU, gegen vermeintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus sowie gegen die Sozialdemokratie, die Gewerkschaften und auch gegen die Partei DIE LINKE“.
Demokratische Anwaltsvereinigungen haben den Entwurf für das neue Versammlungsgesetz in NRW vehement abgelehnt. „Der Entwurf ist vordemokratisch und atmet den Geist eines autoritären Staats“, urteilten der Republikanische Anwältinnen- und Anwaltsverein, die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen sowie das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Der Gesetzentwurf sei „durch ein tiefes Misstrauen gegen Bürger:innen geprägt, die vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen“. Versammlungen würden „alleinig als polizeilich zu behandelndes Problem – als Gefahr, der man begegnen muss – verstanden“.
Die Hinwendung der Regierenden zu autoritären und diktatorischen Maßnahmen ist eine internationale Entwicklung. Überall auf der Welt reagieren sie auf die Verschärfung des Klassenkampfs, indem sie demokratische Rechte einschränken, rechtsextreme Netzwerke aufbauen oder mit Staatsstreich drohen.
In Griechenland hat die Regierung bereits im letzten Jahr das Demonstrationsrecht massiv eingeschränkt. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron Streiks und die Proteste der „Gelbwesten“ mit brutalen Militär- und Polizeieinsätzen unterdrückt und demokratische Rechte massiv eingeschränkt. Nun fordern Generäle eine Diktatur. Das gleiche gilt für Spanien, wo hohe Offiziere zu einem Putsch aufrufen.
In den USA haben Donald Trump und seine Anhänger am 6. Januar versucht, mit einem Sturm aufs Kapitol die Ernennung seines gewählten Nachfolgers zu verhindern, ohne dass die Hintermänner des Putsches zur Verantwortung gezogen werden.
Für den 26. Juni wird zu einer landesweiten Demonstration in Düsseldorf aufgerufen. Die Sozialistische Gleichheitspartei begrüßt Proteste gegen die Verschärfung des Versammlungsrechts. Sie können jedoch nur erfolgreich sein, wenn sie von einer Politik getragen werden, die die Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus mobilisiert und sich auf die internationale sozialistische Perspektive der Vierten Internationale stützt.