Millionen in Großbritannien noch immer nicht geimpft: Dominante Delta-Variante des Coronavirus auf dem Vormarsch

Die ursprünglich in Indien festgestellte hochansteckende Variante des Coronavirus, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Namen „Delta-Variante“ erhalten hat, ist mittlerweile offiziell der dominante Virenstamm in Großbritannien und breitet sich rapide aus.

Wie Public Health England am Donnerstag bekanntgab, ist die Zahl der im Labor bestätigten Infektionen mit der Delta-Variante im Verlauf der letzten Woche um 79 Prozent, bzw. auf 12.431 gestiegen und hat damit die Kent- oder Alpha-Variante als häufigste Variante abgelöst.

Fahrgäste in der Londoner U-Bahn Anfang Juni (Quelle: WSWS Media)

Die Regierung gibt sich größte Mühe, den Eindruck zu erwecken, als sei das Virus unter Kontrolle. Sie behauptet, ihre Impfkampagne ermögliche eine vollständige Rückkehr zur Normalität. Allerdings breitet sich nicht nur die Delta-Variante weiter aus. Wie die Regierung am Donnerstag zugab, existiert in Großbritannien auch ein nepalesischer Stamm der Delta-Variante, der erneut mutiert ist.

Delta wurde erstmals am 1. April in Großbritannien entdeckt, die Regierung gab dies jedoch erst am 15. April öffentlich zu. Dieses Verhalten liegt auf einer Linie mit ihrem übergeordneten Ziel, nichts zu unternehmen, was eine weitere Öffnung der Wirtschaft behindert.

Durch diese rücksichtslose Öffnungskampagne, die bereits seit Monaten andauert und in weniger als drei Wochen, am 21. Juni, abgeschlossen sein soll, wurde eine vergleichsweise erfolgreiche Impfkampagne durch die Ausbreitung dieser hochansteckenden Variante sabotiert. Am 17. Mai wurde ein Großteil der Wirtschaft wieder geöffnet, darunter Cafés, Restaurants, Fitnessstudios, Kinos und andere nicht systemrelevante Bereiche.

Die Zahl der Infektionen und Todesfälle durch die Delta-Variante hat sich, von anfänglich nur wenigen Infektionen, stetig erhöht. In den letzten sieben Tagen waren es fast 3.000 Fälle pro Tag, am 28. Mai erstmals 4.000 Fälle und letzten Donnerstag fast 6.000 (5.774) – die höchste Zahl seit Ende März, als in Großbritannien noch ein begrenzter landesweiter Lockdown in Kraft war. Am Freitag erreichte die Zahl der Neuinfektionen mit 6.238 einen neuen Höchstwert. Auch die Zahl der Todesfälle ist wieder gestiegen. Während es am Montag keinen einzigen Todesfall gab – was die Medien als Rechtfertigung für die sofortige Beendigung der begrenzten Lockdown-Maßnahmen gebrauchten –, wurden am Mittwoch 12 Tote gemeldet, am Donnerstag 18 und am Freitag 11.

Noch dramatischer war, dass zu diesem Zeitpunkt die Fallzahlen nur in drei Regionen Großbritanniens nicht wieder anstiegen. Der R-Wert stieg von 1 bis 1,1 in der Vorwoche auf 1 bis 1,2 an. Die Delta-Variante breitet sich unter anderem in London am schnellsten aus. Laut Evening Standard von Freitag gehen vermutlich mehr als zwei Drittel aller Hospitalisierungen wegen Covid-19 auf die Delta-Variante zurück.

Laut dem Office for National Statistics (ONS) stieg die Zahl der Covid-Fälle in der Woche bis zum 29. Mai landesweit um 76,5 Prozent. Bei der Vorstellung seiner wöchentlichen Erhebung am letzten Freitag erklärte das ONS, dass in der Woche bis zum 29. Mai in England einer von 640 Menschen in Privathaushalten (d.h. insgesamt 86.000) an Covid-19 erkrankt war. In der Vorwoche waren es nur 48.500, bzw. einer von 1.120.

In Schottland, das über fünf Millionen Einwohner verfügt, scheinen die Fallzahlen sogar noch schneller anzusteigen. Am Donnerstag meldete First Minister Nicola Sturgeon von der Scottish National Party mit 992 positiv getesteten Personen den höchsten Tagesanstieg seit dem 17. Februar. Die Zahl der Neuinfektionen hat sich im letzten Monat mehr als verdreifacht.

Alles deutet darauf hin, dass die Delta-Variante, genau wie befürchtet, deutlich ansteckender ist als die Alpha-Variante aus Kent, die letztes Jahr entdeckt wurde. Die Alpha-Variante war in Großbritannien schnell zur dominanten Variante geworden und hatte sich rasch weltweit ausgebreitet.

Am Donnerstag warnte Neil Ferguson, ein führender Epidemiologe am Imperial College in London und früheres Mitglied der wissenschaftlichen Beratungsgruppe der Regierung für Notfälle (SAGE), in der BBC-Radio-4-Sendung Today, Delta sei „zwischen 30 und vielleicht bis zu 100 Prozent leichter übertragbar“. Weiter erklärte er, die Daten würden „in eine negative Richtung“ deuten, „die beste Schätzung im Moment ist, dass diese Variante 60 Prozent leichter übertragbar ist als die Alpha-(Kent)-Variante“.

Ferguson hatte letztes Jahr gewarnt, die Herdenimmunitätspolitik, die die Regierung offiziell ausgerufen hatte, könnte bis zu 500.000 Todesopfer fordern. Diese Warnung war einer der Hauptgründe für den ersten Lockdown, weshalb er von den rechten Medien als „Professor Lockdown“ verhöhnt wird.

Nur 50 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft, und nahezu alle Kinder und Millionen Erwachsene unter 40 Jahren haben nicht einmal die Erstimpfung erhalten. Falls die Delta-Variante tatsächlich 60 Prozent leichter übertragbar ist, könnte dies in der augenblicklichen Situation katastrophale Folgen haben. Laut Modellen der SAGE würde eine Variante des Corona-Virus, die mindestens 50 Prozent leichter übertragbar ist als die Kent-Variante, bis zum Sommer zu 10.000 bis 20.000 Hospitalisierungen pro Tag und bis August zu 1.000 Toten pro Tag führen. SAGE hat prognostiziert, dass diese Zahlen den National Health Service in kurzer Zeit überlasten könnten. Zehntausend Hospitalisierungen pro Tag wären mehr als doppelt so viele wie der bisherige Spitzenwert während der Pandemie.

Public Health England veröffentlichte am Donnerstag ein technisches Briefing, laut dem die Delta-Variante bis zu 2,5-mal wahrscheinlicher zu Hospitalisierungen führen wird als die Alpha-(Kent)-Variante.

In den vier Wochen bis zum 2. Mai haben schätzungsweise eine Million Menschen im ganzen Land Symptome von „Long Covid“ gemeldet. Mehr als ein Drittel davon (376.000) hat sich vor über einem Jahr mit dem Virus angesteckt oder vermutet dies. Unter diesen Bedingungen könnte die Delta-Variante weitere schreckliche Folgen nach sich ziehen.

Das Francis Crick Institute und das UCLH Biomedical Research Centre veröffentlichten am Donnerstag eine äußerst beunruhigende Studie, laut der die neuen Varianten bald gegen die aktuellen Impfstoffe resistent sein könnten. Bei Geimpften, die zwei Dosen des Pfizer-Impfstoffs erhalten haben, war die Konzentration der neutralisierenden Antikörper gegen die Delta-Variante fünfmal niedriger als gegen den ursprünglichen Virenstamm. Geimpfte, die nur eine Dosis erhalten hatten, verfügten über noch weniger Antikörper gegen Delta. Zudem war die Antikörperkonzentration mit zunehmendem Alter geringer und ging mit der Zeit weiter zurück.

Nach einer Dosis des Pfizer-Impfstoffs hatten 79 Prozent der Untersuchten eine messbare neutralisierende Antikörperreaktion gegen den ursprünglichen Virenstamm. Gegen die Alpha-Variante ging dieser Wert auf 50 Prozent zurück, gegenüber der Delta-Variante auf 32 Prozent und gegenüber der Beta-Variante aus Südafrika auf bis zu 25 Prozent.

Während der gesamten Pandemie behauptete die Regierung, Schulen seien keine Übertragungsvektoren, sodass Schüler und Lehrkräfte zum Präsenzunterricht erscheinen sollten, damit ihre Eltern arbeiten und Profite für die Konzerne erwirtschaften können. Die Labour Party und die Gewerkschaften unterstützten diesen Kurs.

Doch diese Lügen werden erneut widerlegt. Public Health England veröffentlichte diese Woche Daten vom 26. April bis zum 30. Mai, laut denen die Delta-Variante bereits 140-mal in Schulen aufgetaucht ist. Ende April gab es in Grund- und Sekundarschulen nur drei Delta-Cluster, doch bis Ende Mai waren es bereits 39. Bei insgesamt 97 Ausbrüchen in Schulen, bei denen mindestens eine Variante entdeckt wurde, entspricht dies einem Verhältnis von einer von 250 Schulen landesweit.

Professorin Christina Pagel, Direktorin der klinischen operativen Forschungseinheit am Londoner University College, nannte diese Zahlen in einem Interview mit dem Guardian als Beweis dafür, dass Schulen mittlerweile eine „wichtige Quelle“ von Ansteckungen sind.

Nur wenige Tage, nachdem der konservative Premierminister Boris Johnson erklärt hatte, er sehe keinen Grund dazu, von der Rücknahme „aller juristischen Schranken für soziale Kontakte“ am 21. Juni abzurücken, musste die Regierung Portugal von der „grünen Liste“ unbedenklicher Urlaubsziele streichen. Einer der Gründe dafür war laut Verkehrsminister Grant Shapps die Entdeckung einer „nepalesischen Mutation der so genannten indischen Variante“. Shapps erklärte, momentan ließe sich nicht ausschließen, dass diese Mutation „den Impfstoff außer Kraft setzt“.

Am Donnerstag wurde angekündigt, dass alle britischen Urlauber, die sich momentan in Portugal befinden, bis Dienstag zurückkehren und für zehn Tage in Quarantäne müssen.

Eine kleine Anzahl von Delta-Varianten, darunter auch die nepalesische, weisen die zusätzliche Mutation K417N auf, von der weltweit etwa 90 Fälle identifiziert wurden – 12 in Portugal, 36 in Großbritannien, 12 in den USA und vier in Indien. Public Health England kam bei Sequenzierungen des Virus zu dem Schluss, dass es in Großbritannien sogar 43 Fälle geben könnte.

Obwohl sich im öffentlichen Gesundheitswesen eine Katastrophe anbahnt, beharrt die Regierung darauf, dass der 21. Juni der „Tag der Befreiung“ sein wird und erteilt der Bevölkerung lediglich den „Rat“, nach Möglichkeit von zu Hause aus zu arbeiten.

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