Zeugenaussage von ehemaligem Johnson-Berater entlarvt Strategie der „Herdenimmunität“ der britischen Regierung

Dominic Cummings, der ehemalige oberste Berater des britischen Premierministers Boris Johnson, hat den Schleier über einem höchst kriminellen Vorgang gelüftet, der in Großbritannien zu mehr als 150.000 Corona-Toten geführt hat.

Bei einer gemeinsamen Anhörung des Gesundheits- und des Wissenschaftsausschusses des Parlaments über die „Lehren aus der Reaktion auf die Pandemie und deren Anwendung in der Zukunft“ erklärte Cummings: „Zehntausende der Todesopfer hätten nicht sterben müssen.“

Mit Blick auf eine öffentliche, von Johnson genehmigte Untersuchung, die jedoch erst im nächsten Jahr stattfinden soll, erklärte er: „Es gibt absolut keinen Grund, sie so lange zu verzögern. Viele der Gründe, warum das geschehen ist, bestehen weiterhin.“

Cummings zeigte während der siebenstündigen Anhörung auf, wie die Untätigkeit der Regierung gegenüber der Ausbreitung von Covid-19 im Januar und Februar bis weit in den März 2020 hinein die Grundlage für das Massensterben geschaffen hat.

Er lieferte zahlreiche Beweise dafür, dass Johnson und sein oberster wissenschaftlicher Berater eine Politik der „Herdenimmunität“ bevorzugt hatten, die darauf hinauslief, das Virus unkontrolliert in der ungeimpften Bevölkerung wüten zu lassen. Er erklärte, die Herdenimmunität sei „die ganze Logik hinter allen Diskussionen im Januar, Februar und Anfang März gewesen“.

Monatelang wurde nichts unternommen, um die Pandemie zu bekämpfen. Johnson bezeichnete sie oft als „Gruselgeschichte“ und gab sich so leichtfertig, dass er sogar erklärte: „Ich werde mir von [Chief Medical Officer] Chris Whitty live im Fernsehen Coronaviren injizieren lassen, damit alle begreifen, dass man davor keine Angst haben muss.“

Selbst nachdem am 30. Januar die Weltgesundheitsorganisation die Pandemie zu einer globalen Notlage erklärt hatte und die ersten Fälle in Großbritannien aufgetaucht waren, habe man laut Cummings „in Whitehall [dem britischen Innenministerium] nicht erkannt, dass es eine Pandemie geben wird.“

Auf die Frage, ob Covid-19 für die Regierung das „wichtigste Thema“ war, antwortete Cummings: „Im Februar, geschweige denn im Januar, hat sie in keiner Weise so getan, als sei [die Pandemie] das wichtigste Thema.“

Als sich das Virus im Februar 2020 dann exponentiell in Großbritannien ausbreitete, sei Johnson „für zwei Wochen in Urlaub gefahren“, auf sein Landhaus in Chevening: „Viele wichtige Leute waren Mitte Februar buchstäblich beim Skifahren.“

Als deutlich wurde, dass sich das Virus rapide ausbreitete, lehnte Johnson alle Eindämmungsmaßnahmen vehement ab. Seine größte Sorge war, dass dies die Wirtschaft schädigen könne. Cummings erklärte: „Nicht wenige im Umfeld von Whitehall dachten, die größte Gefahr bestehe für die Wirtschaft. Nach Meinung des Premierministers ginge die größte Gefahr nicht von der Krankheit aus, sondern von den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung, und deren wirtschaftlichen Folgen.“ Er soll „bei mehreren Treffen“ erklärt haben: „Ein Lockdown wird die Wirtschaft völlig zerstören.“

Es wurden keine Pläne zur Schließung der Grenzen ausgearbeitet, obwohl Cummings nach eigenen Angaben zur Übernahme der Maßnahmen in Singapur und Taiwan riet, die dort erfolgreich waren. Er erklärte: „Es gab keine ordentliche Grenzpolitik, weil der Premierminister nie eine wollte.“ Es war bereits bekannt, dass Johnson den Bürgermeister von Amity aus dem Film „Der Weiße Hai“ als seine Lieblingsfigur und den „wahren Helden“ des Films betrachtet, weil dieser trotz der tödlichen Haiangriffe die Strände nicht sperren ließ.

Cummings schilderte, dass er im April eine strenge Schließung der Grenzen gefordert habe. Der Lockdown war zu diesem Zeitpunkt zwar am 23. März gegen Widerstand eingeführt worden, aber die Flughäfen seien noch offengeblieben und Menschen aus Ländern, in denen sich Covid-19 ausbreitete, kamen ungehindert ins Land. Er erklärte: „Damals erzählte [Johnson] bereits wieder ‘der Lockdown war ein schrecklicher Fehler, ich hätte es wie der Bürgermeister aus Der Weiße Hai machen müssen, wir hätten nie einen Lockdown einführen sollen... die Tourismusbranche wird zerstört werden, wenn wir eine ernsthafte Grenzpolitik einführen. ’“

Weiter erklärte Cummings, im März sei es bereits „viel, viel zu spät“ gewesen, um ein Massensterben noch zu verhindern. Das Ergebnis war auf der obersten Regierungsebene allgemein bekannt. Am 13. März kam Helen McNamara, „die zweitmächtigste Beamtin des Landes... die stellvertretende Kabinettssekretärin, in unser Büro, als wir gerade auf das Whiteboard starrten.“ Die Informationen auf dieser Tafel in Johnsons Büro in der Downing Street wurden laut Cummings benutzt, um die anfängliche Reaktion zu planen. Darauf stand unter anderem die Frage: „Wen retten wir nicht?“, sowie die Stichpunkte „1. Kein Impfstoff 2020... 3. Möglicher Lockdown, um Zusammenbruch des NHS zu verhindern.“

Er berichtete: „Helen Macnamara sagte: ‘Ich bin hier ins Büro des Premierministers gekommen, um Ihnen allen zu sagen, dass wir meiner Meinung nach absolut erledigt sind. Ich glaube, dieses Land steuert auf eine Katastrophe zu, ich glaube wir werden tausende Leute umbringen.’“

Cummings behauptet, er habe am 11. März nach einem Gespräch mit Wissenschaftlern darauf beharrt, die ursprüngliche Strategie der Herdenimmunität zu Gunsten eines Plan B aufzugeben, der einige Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beinhaltete. Er erklärte, er habe gewarnt: „Wir müssen das Tempo erhöhen, oder uns drohen zwischen 100.000 und 500.000 Tote, je nach optimistischem oder pessimistischem Szenario.“

Doch auch an diesem Tag wurde nichts gegen die Ausbreitung von Covid-19 unternommen. Die militaristischen Pläne des US- und des britischen Imperialismus und Johnsons Familienleben galten als viel wichtiger. Cummings erklärte gegenüber dem Parlamentsausschuss, am Morgen seien „die nationalen Sicherheitsleute reingekommen und hätten gesagt: ‘Trump will, dass wir heute Abend Luftangriffe im Nahen Osten unterstützen’... und wir müssen darüber auch den ganzen Tag mit [dem Notfallkomitee] Cobra beraten.

„Deswegen ging es an diesem Tag in Cobra nur darum, und Covid wurde völlig an den Rand gedrängt, weil diese beiden Treffen parallel verliefen. Die Leute von der Nationalen Sicherheit gingen ein und aus und sagten: ‚Bombardieren wir jetzt den Nahen Osten oder nicht?‘…“

Hinzu kam noch, dass „die Freundin des Premierministers [Carrie Symonds] absolut aufgekratzt“ war, „weil die Times eine Riesengeschichte über den Premierminister, seine Freundin und ihren Hund veröffentlicht hatte und sie wollte, dass die Pressestelle sich darum kümmert“.

Johnson und sein oberster wissenschaftlicher Berater Sir Patrick Vallance haben sich mehr als eine Woche öffentlich für die Politik der Herdenimmunität eingesetzt. Cummings hob dies hervor, als er den hohen Beamten Sir Mark Sedwill zitierte, der am 12. März zu Johnson sagte: „Herr Premierminister, Sie sollten morgen im Fernsehen auftreten und erklären, dass der Herdenimmunitätsplan so etwas ist wie diese Masernparties von damals. Die Leute müssten die Krankheit bekommen, damit wir bis September eine Herdenimmunität haben.“

Cummings erklärte, er habe am 13. März beschlossen, Johnson die Notwendigkeit eines Kurswechsels zu verdeutlichen, weil „wir den ganzen offiziellen Plan aufgeben müssen, dem Land droht die größte Katastrophe seit 1914“.

Weiter erklärte er, obwohl der Premierminister zu einem Lockdown gezwungen wurde und sich selbst mit der Krankheit ansteckte, verschärfte er die Priorisierung der Wirtschaft vor der öffentlichen Gesundheit.

Oberste Priorität hatten die Rettung des Großkapitals und die schnellstmögliche Beendigung des Frühlings-Lockdowns.

Im Vorfeld von Cummings’ Auftritt berichtete ITV News, er habe angedeutet, dass Johnson einen Lockdown im Herbst abgelehnt und erklärt habe, Covid würde „nur 80-Jährige töten“. Der Daily Mirror erklärte unter Berufung auf eine „zweite Quelle aus der Regierung“, die Cummings Version bestätigte, Johnson habe auch gesagt: „Wenn ich 80 wäre, wäre es mir egal, ich würde mir mehr Sorgen um die Wirtschaft machen.“

Letzten Monat hatten mehrere Zeitungen und die BBC berichtet, aus Johnson sei es Ende Oktober – da er den begrenzten Lockdown um eine vierte Woche verlängern musste – herausgeplatzt: „Keine verdammten Lockdowns mehr, sollen sich die Leichen doch zu Tausenden auftürmen!“ Auf die Frage des Komitees, ob er diese Aussage gehört habe, bezeichnete Cummings die Darstellung der BBC als korrekt: „Ich habe gehört, wie Johnson das in seinem Arbeitszimmer gesagt hat.“

Der „Plan B“, der sich laut Cummings durchgesetzt habe, bestand aus möglichst stark begrenzten Lockdowns und anderen Eindämmungsmaßnahmen, die politisch für möglich gehalten und in vielen Fällen bei der erstbesten Gelegenheit wieder aufgegeben wurden. Dies hatte in den Wintermonaten noch mehr Tote zur Folge, da die Regierung einen Großteil der Wirtschaft monatelang geöffnet hielt, obwohl das Virus außer Kontrolle war und in noch tödlichere Varianten mutierte.

Cummings wurde im letzten November aus der Downing Street verbannt, nachdem er seine Brücken zu Johnson abgebrochen hatte. Er erklärte in seiner Aussage, er betrachte Johnson als „ungeeignet für den Posten“. Ein wichtiger Grund für Cummings’ Aussage ist, dass er sich von den Verbrechen einer Regierung distanzieren will, in der er selbst eine so wichtige Rolle gespielt hat. In seiner Aussage leugnete er Berichte, die zuerst in der Sunday Times erschienen waren, wonach er den Kurs der Regierung bei einem privaten Treffen im Februar 2020 folgendermaßen zusammengefasst hatte: „Herdenimmunität, Schutz der Wirtschaft, wenn dabei ein paar Rentner sterben – Pech gehabt.“

Cummings verwandte einen Großteil seiner Aussage darauf, den Gesundheitsminister Mat Hancock anzugreifen, der ihm zufolge wegen fünfzehn bis zwanzig Vorfällen hätte entlassen werden sollen, u.a. weil er während der Pandemie die Öffentlichkeit belogen habe. Auf die Frage eines Mitglieds des Ausschusses, ob die Regierung wegen „unternehmerischen Totschlags“ angeklagt werden solle, erklärte er: „Ich glaube, es haben sich zweifellos viele hohe Regierungsvertreter weit unter den Standards verhalten, die das Land zurecht erwarten kann. Ich glaube, der Gesundheitsminister ist definitiv einer davon.“

Unabhängig von seinen eigenen Motiven hat Cummings die außergewöhnliche Kriminalität der herrschenden Kreise enthüllt, die zu Massensterben und unvorstellbarem Leid geführt hat. Weltweit sind mehr als 3,5 Millionen Menschen gestorben. Angesichts der gleichartigen Reaktion von Regierungen jeglicher Couleur – die dem Schutz von Profiten und nicht dem Schutz von Menschenleben Vorrang einräumten – haben solche Diskussionen über die Notwendigkeit von sozialem Mord in allen Ländern stattgefunden.

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