Bei Continental im nordhessischen Karben ist der Sozialtarifvertrag zwar angenommen worden. Dennoch bringt die Abstimmung das wachsende Misstrauen gegen die IG Metall zum Ausdruck. Trotz des relativ hohen Altersdurchschnitts im Betrieb und einer massiven Propaganda von Gewerkschaft und Betriebsrat gab es bemerkenswert viele Gegenstimmen.
Abstimmen durften nur Mitglieder der IG Metall und der IG BCE, das heißt knapp 80 Prozent der Belegschaft, und von diesen enthielt sich jeder vierte der Stimme. Von den 75 Prozent, die an der Abstimmung teilnahmen, stimmten schließlich 72,2 Prozent zu. Das bedeutet, dass im Endeffekt nur 45 Prozent der gesamten Belegschaft, also nicht einmal die Hälfte aller Conti-Beschäftigten im Karbener Werk, mit Ja stimmten.
Die Arbeiter hatten seit dem letzten Herbst für den Erhalt des Werks und aller Arbeitsplätze gekämpft. Nach dem 24-Stunden-Streik vom 15. April wurde ein unbefristeter Streik vorbereitet. Einen ersten Sozialtarifvertrag hatte die Belegschaft zurückgewiesen. Aber auch mit dem zweiten Entwurf hat die Gewerkschaft die Schließung besiegelt.
Den Arbeitern gegenüber bezeichnete ihn die IG Metall als alternativlos. Laut IGM-Bezirksleiter Jörg Köhlinger enthalte er die „Chance einer nachhaltigen Standortentwicklung“. Der Betriebsratsvorsitzende Frank Grommeck (Die Linke) hatte die Beschäftigten in kleinen Gruppen zum Unterschreiben aufgefordert und ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt: Wenn sie ihn wieder ablehnten, würden sie „mit leeren Händen auf der Straße stehen“.
Der Vertrag selbst wird bis heute wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Selbst die Arbeiter, die darüber abstimmen mussten, konnten ihn erst am Montag, wenige Stunden vor Ende der Abstimmung, vollständig einsehen.
In jedem Fall besiegelt er die Stilllegung des Werks in Karben mit 1088 Beschäftigten bis 2025. Nur ein kleiner Rumpfbetrieb von 187 Beschäftigten soll weiter für die CES (Continental Engineering Services) arbeiten, während es bei Continental Automotive GmbH ab Anfang 2023 mit den Kündigungen losgehen wird. Älteren Kollegen wurden Vorruhestands- und Altersteilzeitregelungen versprochen. Die Jüngeren werden über eine Transfergesellschaft in die Arbeitslosigkeit entlassen.
Der Stilllegungsvertrag zeigt klar, auf welcher Seite die Gewerkschaften stehen. Sie haben ihn mit ausgearbeitet, um die Stilllegung des Werks reibungslos über die Bühne zu bringen. Sie sind nicht bereit, einen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu führen, der Signalwirkung für andere Betriebe im Konzern und in der gesamten Auto- und Zulieferindustrie hätte.
Die bürgerliche Presse hat das sogleich erkannt. Zeit.de freute sich: „Der Stellenabbau im Continental-Werk im hessischen Karben kann wie vereinbart vollzogen werden. Die Mitglieder der IG Metall stimmten dem nachgebesserten Sozialtarifvertrag zu.“
Damit wird völlig klar: Arbeiter, die ihre Arbeitsplätze verteidigen wollen, müssen sich in Aktionskomitees zusammenschließen, die von den Gewerkschaften unabhängig sind!
Das Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze hatte die Arbeiter in einem Aufruf aufgefordert, mit Nein zu stimmen. Es warnte vor den Spaltungsmanövern der IG Metall, die die älteren Arbeiter gegen die Jüngeren, die Gewerkschaftsmitglieder gegen die Unorganisierten und die Standorte gegeneinander ausspielen. „Vor allem: lasst euch nicht nach Standorten spalten“, heißt es dort. „Die Gewerkschaft lässt alle Belegschaften einzeln kämpfen, wodurch sie nur verlieren können.“
Wie berechtigt diese Warnung war, zeigt sich gerade bei Continental täglich aufs Neue. Schritt für Schritt wird der beschlossene Kahlschlag gegen die Arbeiter durchgesetzt. Im nordhessischen Bebra, nicht weit von Karben entfernt, bereitet die IG Metall gerade den nächsten Ausverkauf vor.
Für den heutigen Freitag hat sie die Arbeiter der ebenfalls zu Continental gehörenden Vitesco Technologies an den Standorten Bebra und Mühlhausen (Thüringen) aufgerufen, an einem 24-Stunden-Warnstreik teilzunehmen. Sie fordert einen Sozialtarifvertrag für rund 900 Beschäftigte. Der Vitesco-Betriebsteil in Mühlhausen soll geschlossen und in Bebra jeder zweite Arbeitsplatz vernichtet werden.
Mit Hilfe der IG Metall sollen konzernweit 30.000 Arbeitsplätze, davon 13.000 in Deutschland, vernichten werden. Von den zahlreichen Schließungen und Teilschließungen sind auch die Reifenproduktion in Aachen (1800 Beschäftigte), die Bremsenproduktion in Rheinböllen (650), die Antriebssparte Vitesco in Regensburg (2100) und Nürnberg (250), das Conti-Werk in Babenhausen (2500), sowie die erwähnten Standorte Bebra und Mühlheim und viele weitere mehr betroffen. Über die Angriffe auf Arbeitsplätze und Standorte in anderen europäischen Ländern bewahren sowohl der Conti-Vorstand als auch die IG Metall Stillschweigen.
Mit dem Kahlschlag will der Continental-Konzern jährlich eine Milliarde Euro einsparen. Dabei arbeiten die Zentrale in Hannover und die IG Metall Hand in Hand. Die Gewerkschafsfunktionäre lassen sich dafür fürstlich bezahlen. Die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, hat letztes Jahr als stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Continental 269.000 Euro bezogen. Des Weiteren haben der Konzernbetriebsratsvorsitzende Hasan Allak (IG BCE) 183.000 Euro und Lorenz Pfau, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Continental Automotive GmbH, 182.000 Euro für die Aufsichtsratstätigkeit erhalten.
Auch in Bebra, Mühlhausen und allen anderen Standorten gibt es nur eine Möglichkeit, den Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze aufzunehmen: Entzieht der IG Metall und allen Gewerkschaften das Vertrauen! Arbeiter stehen in allen Ländern vor den gleichen Problemen. Sie sind mit den gleichen Großkonzernen und ihren Interessenvertretern in den Gewerkschaften konfrontiert.
Wie es im Aufruf der Aktionskomitees heißt: „Nur wenn wir uns zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, sind wir stärker als unsere Gegner!“ Conti-Arbeiter, die sich diesem Kampf anschließen wollen, sollten über die World Socialist Web Site Kontakt zu dem Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze aufnehmen und seiner Facebookgruppe beitreten, um gemeinsam effektive Schritte im Kampf bei Continental einzuleiten!