Kandidaten-Triell: Militarismus, Staatsaufrüstung, Sozialabbau und Durchseuchung

Die Politik der nächsten Bundesregierung wird – ganz unabhängig vom Wahlausgang am 26. September – von Militarismus, Polizeiaufrüstung, Sozialabbau und einer Strategie der Durchseuchung geprägt sein. Das ist die klare Botschaft der Debatte zwischen den Kanzlerkandidaten von CDU, SPD und Grünen, die der Privatsender RTL am Sonntagabend ausstrahlte.

Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock überboten sich gegenseitig mit Bekenntnissen zur Bundeswehr, zum starken Staat und zu einer restriktiven Haushaltspolitik. Nennenswerte inhaltliche Differenzen gab es keine. Alle drei sprachen für eine abgehobene und privilegierte Oberschicht, die jeden Bezug zur Lebensrealität der großen Mehrheit verloren hat.

Sie reagierten auf die wachsende Unzufriedenheit und die Verschärfung des Klassenkampfs, indem sie enger zusammen und weiter nach rechts rückten. Es ist bezeichnend, dass die gegenwärtigen Streiks von Pflegekräften und Lokführern in der fast zweistündigen Debatte mit keiner Silbe erwähnt wurden.

Die tiefe Kluft zwischen den etablierten Parteien und der Mehrheit der Bevölkerung spiegelt sich auch in den jüngsten Wahlumfragen wieder. Erstmals in der Geschichte wird keine Partei mindestens von einem Viertel der Befragten unterstützt. Union und SPD liegen bei 23, die Grünen bei 18, die FDP und die AfD bei 11 und die Linke bei 7 Prozent. Bei einem entsprechenden Wahlergebnis wären mindestens drei Parteien nötig, um eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden.

Bereits beim ersten Thema, den außenpolitischen und militärischen Schlussfolgerungen aus dem Debakel in Afghanistan, zeigte sich die grundlegende Übereinstimmung der drei Kandidaten.

Der Sozialdemokrat Scholz betonte, dass internationale Militäreinsätze der Bundeswehr auch in Zukunft notwendig seien. Er brüstete sich, dass, seit er Finanzminister sei, „der größte Aufwuchs des Bundeswehrhaushalts stattgefunden“ habe. „Wir liegen jetzt über 50 Milliarden. Dafür habe ich mich sehr eingesetzt, dass das möglich ist, und werde es auch in den nächsten Jahren tun.“ Ohne einen sozialdemokratischen Finanzminister hätte es diesen großen Aufwuchs nicht gegeben.

Unionskandidat Laschet sprach sich für die Bildung eines Nationalen Sicherheitsrats, eine bessere Ausstattung der Bundeswehr und eine Stärkung der Europäischen Union aus, damit diese auch ohne Amerikaner militärisch agieren könne. Scholz warf er vor, die SPD habe die Anschaffung bewaffneter Drohnen verzögert, was dieser heftig bestritt.

Am kriegerischsten gebärdete sich die Grüne Baerbock. Sie warf der regierenden Großen Koalition vor, sie ducke sich ständig weg, wenn es schwierig werde, und stelle innenpolitische Motive über außenpolitische Verantwortung. „Das würde ich ändern. Wir haben als Deutsche eine Verantwortung in der Welt.“

Sie sprach sich für eine massive Aufrüstung aus. Mangelndes Material in der Bundeswehr sei „ein dickes, fettes Problem“. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato reiche nicht aus: „Wenn die Wirtschaftskraft runter geht, dann haben wir nicht mehr Sicherheit, aber nominell unser Ziel erreicht.“

In der Corona-Politik sprachen sich alle drei Kandidaten gegen einen weiteren Lockdown aus: „Es wird keinen neuen Lockdown geben“ (Scholz); „Stand heute ist es so, dass wir keinen weiteren Lockdown brauchen“ (Baerbock); „Wir werden mit dem Virus leben müssen“ (Laschet).

Angesichts exponentiell steigender Infektionen mit der gefährlichen Delta-Variante bedeutet dies die gezielte Durchseuchung der Bevölkerung mit Tausenden Todesopfern und Hunderttausenden, die an Long Covid und anderen Spätfolgen der Infektion erkranken. Vor allem Kinder und Jugendliche, die keinen Impfschutz haben und in den Schulen eng zusammengedrängt werden, sind gefährdet.

Laschet, Scholz und Baerbock sind fest entschlossen, die bisherige Politik, die Menschenleben den Profiten der Wirtschaft opfert, um jeden Preis fortzusetzen. Nordrhein-Westfalen, wo Laschet Ministerpräsident ist, weist mit 128 Infektionen pro 100.000 Einwohnern schon jetzt die mit Abstand höchste Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland auf.

Auch in sozialen Fragen unterscheiden sich die drei Kandidaten kaum. Nachdem die Vermögen der 136 deutschen Milliardäre allein im Coronajahr 2020 um 178 auf 625 Milliarden US-Dollar gestiegen sind, schlägt Scholz eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für sehr hohe Einkommen um 3 Prozent vor.

Sieht man einmal davon ab, dass Kapitalerträge – die einen großen Teil der Einkommen der Reichen ausmachen – pauschal mit 25 Prozent besteuert werden und das deutsche Steuerrecht Tausende Schlupflöcher für Spitzenverdiener bietet, macht Scholz Vorschlag noch nicht einmal die Steuersenkung der letzten SPD-geführten Regierung von Gerhard Schröder rückgängig. Diese hatte den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt.

Baerbock plädierte angesichts der verbreiteten Kinderarmut (jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf) für eine Kindergrundsicherung im Gesamtumfang von 10 Milliarden Euro. Doch auch das ist nicht mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Angesichts explodierender Mieten, der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse, wachsender Altersarmut und steigender Inflation wächst die Zahl der Armen rasant an.

Laschet war da ehrlicher, wenn er sich von vornherein gegen jegliche Steuerhöhung für Reiche und Unternehmen aussprach. Er begründete dies mit dem ebenso falschen wie abgedroschenen Argument, die Bereicherung einiger Weniger führen zu einem Wachstum der Wirtschaft, das allen etwas bringe.

Alle drei Kandidaten sind sich bewusst, dass die mörderischen Folgen ihrer Corona-Politik und die wachsende Ungleichheit zu heftigen sozialen Auseinandersetzungen führen wird. Deshalb traten sie übereinstimmend für einen starken Polizei- und Überwachungsstaat ein.

Laschet verlangte die Installation von Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen, bessere Ausstattung, mehr Personal und öffentliche Rückendeckung für die Polizei, Lockerung des Datenschutzes und Legalisierung der Vorratsdatenspeicherung. Scholz warf er vor, die SPD habe sich solchen Maßnahmen widersetzt.

Scholz widersprach dem heftig. Das Parlament habe mit Unterstützung der SPD längst ein „ganz scharfes Gesetz“ zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Es werde aber noch vom Europäischen Gerichtshof überprüft und könne in Kraft treten, sobald das Gericht grünes Licht gebe. Zusammen mit Innenminister Seehofer habe er auch die Bundespolizei massiv ausgebaut und habe vor, das für die nächsten Jahre weiter zu tun.

Mit der Videoüberwachung habe er keine Probleme, betonte Scholz. „Da wo ich Verantwortung hatte, habe ich davon auch Gebrauch gemacht.“ Scholz meinte damit seine Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs. In dieser Funktion war er 2017 auch für die brutale Niederschlagung der Proteste gegen den G20-Gipfel durch ein gigantisches Polizeiaufgebot und die Verfolgung zahlreicher linker Jugendlicher verantwortlich, die teilweise zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden.

Auch in der Frage der inneren Aufrüstung bemühte sich Baerbock, Laschet und Scholz rechts zu überholen. Die Grünen seien nicht an dem Schuld, was die Union an der Regierung versäumt habe, sagte sie. Videoüberwachung gebe es an Bahnhöfen und anderen öffentlichen Orten längst. Es gebe aber zu wenig Stellen in der Justiz und zu wenig Polizisten im öffentlichen Raum. „Ich möchte, dass wir unsere Polizei besser ausstatten. Dafür braucht der Staat Geld,“ folgerte sie. „Das bedeutet in Bezug auf die Steuereinnahmen, das in Zukunft sicherzustellen.“

Es ist bezeichnend, dass in der fast zweistündigen Debatte die umfangreichen rechtsextremen Netzwerke im Polizei- und Militärapparat, die Häufung rechtsextremer Straftaten gegen Linke und jüdische Einrichtungen sowie die rechtsextreme AfD mit keiner Silbe erwähnt wurden. Was in letzter Zeit immer wieder für Aufmerksamkeit gesorgt hatte, war plötzlich spurlos verschwunden. Die AfD und ihr Neonazi-Umfeld werden gebraucht, um die rechte Politik der künftigen Regierung durchzusetzen.

Das Triell hat gezeigt – und die Kandidaten haben dies noch einmal ausdrücklich bestätigt –, dass alle drei Parteien bereit sind, mit den andern eine gemeinsame Regierung zu bilden, um ein rechtes Programm im Interesse von Wirtschaft und Kapital zu verwirklichen. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) tritt dem als einzige Partei mit einem sozialistischen Programm entgegen, das die Interessen der Arbeiterklasse, d.h. der großen Mehrheit der Bevölkerung, zum Ausdruck bringt.

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