Eisenbahner bereit zum unbefristeten Streik

Bis zum heutigen Dienstag, frühmorgens um 02:00 Uhr, hat der jüngste Bahnstreik im Tarifkampf der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) gedauert. Es war in dieser Auseinandersetzung mit 120 Stunden der bisher längste Streik, der erstmals auch über ein Wochenende andauerte.

Neben Lokführern und Zugbegleitern streikten Handwerker der Werkstätten, Fahrdienstleiter, Servicemitarbeiter, Instandhalter und Bordgastronomen – im Ganzen laut Angaben der GDL über 19.000 Eisenbahner. Selbst die Deutsche Bahn räumte offiziell ein, dass sich deutlich mehr Lokführer als bisher am Streik beteiligt hätten.

Streikkundgebung der GDL in Berlin, 6. September 2021

An den Streikkundgebungen am gestrigen Montag in Berlin und Frankfurt sprachen Teams der World Socialist Web Site (WSWS) mit vielen Streikenden. Überall forderten sie, den Arbeitskampf unbefristet weiterzuführen, um die provokante Blockadehaltung des Bahnvorstands zu brechen.

So sagte Can, ein junger Zugbegleiter: „Jetzt waren es zwar 5 Tage, aber der nächste Schritt muss ein unbefristeter Streik sein. Jetzt muss es härter kommen: nicht Beginn um 2 Uhr nachts, sondern am Tag muss das geschehen.“ Bei der Bahn müsse alles gleichzeitig stillstehen, „dann können die da oben sich mal einen Kopf machen“, fuhr er fort. „Dann wollen wir doch mal sehen. Es muss richtig wehtun.“

Er erklärte, was der Bahnvorstand bisher angeboten habe, sei „ein Witz“. Während der gesamten Coronazeit hätten die Zugbegleiter in den Zügen durchgearbeitet und hart arbeiten müssen. „Wenn wir wenigsten einen Dank dafür kriegen würden, dass wir teilweise 10 bis 12 Stunden gearbeitet haben – im heißen Sommer, in vollen Zügen mit um die 800 Passagieren. Das war oft richtig stressig. Teilweise kam es zu Verspätungen von 30 bis 40 Minuten, weil einige Querdenker keine Masken tragen wollten. Und dafür sollen wir jetzt nichts kriegen.“

Die Eisenbahner wehren sich dagegen, dass sie den Preis für die Coronakrise zahlen sollen, während das Management absahnt und die Börsen boomen. Die Blockadehaltung der Bahn und der Bundesregierung widere ihn an, sagte Can. „Wir Eisenbahner machen unsere Arbeit eigentlich gerne, aber dieser Streik muss jetzt sein. Der Vorstand stopft sich die Taschen voll, und uns wird gesagt, es sei kein Geld da. Wir Eisenbahner sind hart im Nehmen. Wenn wir den Kampf aufnehmen und uns mit anderen Kollegen zusammenschließen, sind wir Arbeiter allemal stärker als die Arbeitgeber.“

Überall reagierten die Streikenden begeistert, wenn sie von der Solidarität ihrer französischen Kollegen hörten. In Paris hatten sich mehrere Eisenbahner staatlichen Bahngesellschaft SNCF ausdrücklich mit dem Bahnstreik solidarisiert. In Berlin sagten die darauf angesprochenen Eisenbahner spontan, dass man sich „wirklich mit den Kollegen in Frankreich – und auch in andern Ländern – zusammenschließen“ müsse.

In Frankfurt am Main freute sich eine Gruppe von vier Streikenden – Jürgen, Hans und zwei Kollegen, alles DB-Lokführer – sehr über die Solidarität der französischen Kollegen: „Das ist eine gute Nachricht, das wussten wir bisher nicht“, sagte Jürgen. „Es ist stark! Danke an die französischen Kollegen.“

Auch sie würden einen unbefristeten Streik sofort unterstützen, um „eine Nullrunde im laufenden Jahr zu verhindern und die Betriebsrente zu verteidigen“, wie sie sagten. „Das ist doch völlig klar: Wir kämpfen für die Erhöhung unsres Entgelts und eine kürzere Laufzeit. Aber es geht uns nicht nur ums Geld“, erklärten Jürgen und Hans. „Es geht auch um die Bedingungen.“

„Oft kommen wir im Monat auf 200 oder noch mehr Stunden. Es gibt Kollegen, die haben schon tausend Überstunden angehäuft.“ Jürgen erklärt: „Im Februar war mein Überstundenkonto auf Null Stunden herunter, und seither habe ich schon wieder mehr als vierzig Überstunden aufgehäuft. Für viele ist so etwas schlicht nicht machbar. Die sagen: Für das Geld mach ich das nicht. Es ist nicht jedermanns Sache.“

Die Forderung der GDL – 3,2 Prozent Lohnerhöhung in 28 Monaten – liegt jedoch ebenfalls weit unter der Inflationsrate und kommt einer Reallohnsenkung gleich. Dazu sagte Jürgen: „Das Geld wird so oder so nicht reichen – weder in diesem Jahr noch im nächsten Jahr. Es wird ja alles immer teurer. Dabei ist bei der Bahn Geld vorhanden: Sonst würden sie ja nicht so viele Manager finanzieren. Und wir, die wir die ganze Arbeit leisten, gehen leer aus.“

Auf die Corona-Pandemie angesprochen, sagten diese Lokführer: „Da sieht man einmal, dass es keine globale Zusammenarbeit gibt. Es wäre machbar, das Virus auszurotten, aber sie haben das von vorneherein falsch gemacht.“ Schnell kam Jürgen auf seine Schwester zu sprechen, die als Pflegerin arbeitet. Er sagte: „Wie man das Pflegepersonal seit über einem Jahr behandelt, das ist eine Schweinerei: Die werden einfach im Stich gelassen.“

Zwei weitere Streikende berichten von ihren Arbeitsbedingungen: „Etwa zehn Prozent von unsern Schichten sind sogenannte Dispotage. Das bedeutet, dass wir bis kurz vor Beginn nicht wissen, wann sie beginnen und wie genau sie aussehen. Das heißt, ich weiß nicht vorher, ob ich morgens um sechs, mittags um zwölf oder erst am Nachmittag mit der Arbeit anfangen muss.“ Früher habe es noch mehr Dispotage gegeben, doch in den letzten Lokführerstreiks seien etwas bessere Tarifvereinbarungen erzielt worden.

Das sei auch der Grund, so diese Lokführer, warum sie streikten: „Die Bahn will mit dem TEG (Tarifeinheitsgesetz) erreichen, dass in jedem Betrieb nur noch der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft zählt“, erklärte einer. „Da ich in einem Betrieb mit EVG-Mehrheit bin, könnte es durchaus sein, dass diese Bedingungen je nach Tarifvertrag wieder verschlechtert werden.“

Besonders wütend zeigten sich die Eisenbahner über die üble Tirade des DGB-Chef Reiner Hoffmann, der gegen den Bahnstreik gehetzt hatte. Die Streikenden wiesen darauf hin, dass die DGB-Mitgliedsgewerkschaft EVG derzeit als offene Streikbrecher-Organisation arbeitet.

Die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei, die auf der Notwendigkeit unabhängiger Aktionskomitees bestehen, um den Kampf auszuweiten und zum Sieg zu führen, schrieb in ihrem Kommentar zur Attacke des DGB-Chefs: „Das Problem der Arbeiter sind aber nicht nur Hoffmann und andere rechte Gewerkschaftsbürokraten, sondern die Perspektive, auf die sich die Gewerkschaften insgesamt stützen. Diese sehen ihre Aufgabe darin, den Preis der Ware Arbeitskraft – also Löhne, Arbeitsbedingungen, u.ä. – zu regeln, und sind deshalb an der Aufrechterhaltung des Kapitalismus interessiert. Ihr Ziel ist nicht die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung, sondern deren effektivere Gestaltung.“

Die Gründung von Aktionskomitees, die unabhängig von den Gewerkschaften sind und die Kämpfe der Arbeiter über Branchen- und Ländergrenzen hinweg koordinieren, stieß unter den Streikenden auf großes Interesse.

Loading