Die faschistischen Demonstrationen zur Unterstützung des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro am 7. September – dem brasilianischen Unabhängigkeitstag – haben der Welt deutlich gemacht, dass das größte Land Lateinamerikas von einem autoritären Putsch bedroht ist.
Dass brasilianische und internationale Medien die Unmittelbarkeit dieser Gefahr anerkennen, ist ohne Beispiel in den 35 Jahren seit dem Sturz des blutigen Militärregimes, das 1964 durch einen von den USA unterstützten Putsch an die Macht kam und Brasilien mehr als zwei Jahrzehnte lang regierte.
Der 7. September markierte eine neue Etappe in Bolsonaros Bestreben, ein diktatorisches Regime in Brasilien zu errichten – ein Ziel, das er seit seinem ersten Tag an der Macht verfolgt hat. Es handelte sich um den Höhepunkt einer Reihe von Maßnahmen der letzten Monate, zu denen die beispiellose Entlassung der Militärführung und eine Kampagne zur Einführung von „gedruckten Stimmzetteln“ gehören. Letzteres soll die Grundlage für die Behauptung schaffen, dass die kommenden brasilianischen Präsidentschaftswahlen des Jahres 2022 manipuliert wurden, falls er – wie es jetzt wahrscheinlich erscheint – unterliegen sollte.
Die Ereignisse vom Dienstag wurden über Monate hinweg von Bolsonaro und seiner Clique faschistischer ziviler und militärischer Berater vorbereitet und direkt mit rechtsextremen Verbündeten in den USA und anderen Ländern koordiniert. Mit der organisierten Unterstützung von rechtsextremen Gruppen, Polizeikommandeuren, Wirtschaftsverbänden und anderen reaktionären Institutionen wurden Menschenmassen auf die Straßen gebracht, die sich aus den reaktionärsten Teilen der brasilianischen Mittelschicht, außer Dienst gestellten Polizisten und anderen rückständigen Elementen zusammensetzten – mit dem erklärten Ziel, Bolsonaros Übernahme der absoluten Macht zu legitimieren.
Die auffälligsten Banner, die von den rechtsextremen Demonstranten hochgehalten wurden, forderten eine sofortige Militärintervention, den Sturz des Obersten Gerichtshofs (STF) und die „Kriminalisierung des Kommunismus“ in Brasilien. Demonstranten trugen Plakate und T-Shirts mit Slogans in portugiesischer und englischer Sprache und signalisierten ihre Übereinstimmung mit der extremen Rechten in den USA.
Bolsonaro nahm an den beiden Hauptveranstaltungen in São Paulo und der Hauptstadt Brasilia teil, wo er wütende Reden hielt, nachdem er Hubschrauberflüge über die Demonstrationen veranstaltet hatte. In Brasilia, wo er zusammen mit seinem Vizepräsidenten, General Hamilton Mourão, und Kabinettsministern sprach, bezeichnete Bolsonaro den Tag als „Ultimatum“ an alle drei Zweige der brasilianischen Regierung.
Seine heftigsten Angriffe richteten sich gegen STF-Minister Alexandre de Moraes, der gegenwärtig Ermittlungen gegen Bedrohungen der verfassungsmäßigen Ordnung führt, in die der Präsident selbst und seine Anhänger verwickelt sind. Bolsonaro erklärte auf der Veranstaltung in São Paulo, dass er sich „nicht länger an irgendeine Entscheidung von Herrn Alexandre de Moraes halten“ werde. In der Sprache eines Gangsterbosses rief er aus: „Ich möchte diesen Schurken sagen, dass man mich niemals verhaften wird!“
Bolsonaro drohte ausdrücklich den Sturz des Justizsystems an, indem er forderte, dass Moraes von dessen Präsident Luiz Fux zur Rechenschaft gezogen werde, „sonst könnte diese Instanz etwas erleiden, das wir nicht für sie wollen“.
Diese Reden dienen eindeutig dazu, das gewaltsame Vorgehen seiner faschistischen Anhänger zu legitimieren. Im Laufe des Tages gab es ernsthafte Befürchtungen, dass Bolsonaros Anhänger das Gebäude des Obersten Gerichtshofs in Brasilia stürmen könnten, ähnlich wie bei der Erstürmung des US-amerikanischen Kapitols während des Putschversuchs vom 6. Januar.
Am Montagabend, dem Vorabend der Demonstration, durchbrach ein Mob von Demonstranten die Absperrungen der Militärpolizei und drang in die „Esplanada“ ein – das Freiluft-Einkaufszentrum zwischen den Ministeriumsgebäuden. Dort behaupteten sie, man werde am nächsten Tag das STF stürmen.
Das Fehlen jeglicher polizeilicher Bemühungen, die Eindringlinge in die Schranken zu weisen, sowie die Weigerung der Beamten, die Demonstranten zu durchsuchen, löste in den oberen Etagen des brasilianischen Staates Alarm aus. Aus Sorge, dass ohne irgendeinen polizeilichen Schutz ein Angriff stattfinden könnte, erörterte das STF die Einberufung der Streitkräfte, um sein Hauptquartier gegen faschistische Kräfte zu verteidigen, die vom Präsidenten der Republik aufgehetzt wurden.
Es wäre ein Akt krimineller politischer Selbstgefälligkeit, würde man die schlussendlich unterbliebene Erstürmung des Gerichtshofs zum Anlass zu nehmen, die durch diese Episode entstandenen ernsten Bedrohungen zu ignorieren. Doch eine solche Selbstgefälligkeit ist innerhalb von Bolsonaros angeblicher Opposition – der Arbeiterpartei (PT) und ihren kleinbürgerlichen pseudolinken Satelliten – weit verbreitet. Die PT, die sich um die Gunst des Militärs bemüht und darauf drängt, seiner „Loyalität zur Verfassung“ zu vertrauen, wird nur darauf hinarbeiten, die Arbeiterklasse politisch zu entwaffnen und jeglichen Widerstand gegen einen Staatsstreich zu verhindern.
Die morenistische Website Izquierda Diario, die zuvor behauptet hatte, dass die Erstürmung des US-Kapitols im vergangenen Januar kein Putsch war und dass Trump nicht wirklich die Absicht hatte, an der Macht zu bleiben, bemüht sich heute, den unbestreitbaren Zusammenhang zwischen dem Putschversuch vom 6. Januar in den USA und der Putschprobe vom 7. September in Brasilien zu leugnen.
Ein Artikel mit dem Titel „Proteste in Brasilia: weit entfernt vom Kapitol und von Bolsonaros Vorhersagen“ des führenden brasilianischen Moreno-Anhängers André Barbieri versucht nicht nur, die Bedeutung der Ereignisse vom 6. Januar herabzumindern, sondern darüber hinaus auch die Ereignisse in Brasilien für noch weniger wichtig zu erklären. Der Artikel schließt mit der Behauptung, dass „Bolsonaro angesichts der enormen Spaltung der herrschenden Klasse in verschiedene Segmente, der Opposition anderer Institutionen der Bourgeoisie und der Antipathie des US-Imperialismus unter der Führung der Demokratischen Partei keine Möglichkeit hat, ‚zum Putsch zu greifen‘“.
Hiermit weisen die Moreno-Anhänger die Gefahr einer Diktatur in Brasilien von der Hand, und dies auf der Grundlage oberflächlichster pragmatischer Kalkulationen über „Spaltungen“ innerhalb der herrschenden Klasse und eines angeblichen Widerwillens der Demokratischen Partei gegenüber einem Putsch – derselben Demokratischen Partei, die 1964 an der Macht war. Sie bestätigen damit die Einschätzung der World Socialist Web Site, wonach ihre Missachtung des Putsches vom 6. Januar „nicht nur die US-Arbeiter einschläfert und politisch entwaffnet, die einer anhaltenden Bedrohung durch eine faschistische Diktatur gegenüberstehen, sondern auch den Boden für die Förderung dieser Politik in anderen Ländern bereitet“.
Der Zusammenhang zwischen den Ereignissen in Brasilien und dem von Donald Trump in den USA verfolgten Staatsstreich ist offenkundig.
Jair Bolsonaro hat Donald Trumps „Evangelium“ sorgfältig studiert und sich von seinen Aktionen bei den US-Präsidentschaftswahlen von 2020 inspirieren lassen, um in Brasilien eine Bedrohung durch Wahlbetrug an die Wand zu malen und so die Grundlage für einen Putsch zu schaffen. Doch es besteht auch eine direkte Koordination zwischen den brasilianischen Faschisten und ihren Verbündeten in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern. Wie die WSWS aufdeckte, war Eduardo Bolsonaro, der Sohn des brasilianischen Präsidenten, direkt an den Vorbereitungen für die Invasion des Kapitols in Washington am 6. Januar beteiligt.
Als Vermittler zwischen Bolsonaros Plänen in Brasilien und der internationalen extremen Rechten nahm Eduardo Bolsonaro in den letzten Wochen an Treffen mit Befürwortern des Putsches vom 6. Januar und Vertretern der faschistischen Alternative für Deutschland (AfD) teil.
In der zweiten Augustwoche warb Eduardo auf dem „Cyber Symposium“ von Mike Lindell für die Putschmanöver seines Vaters bezüglich der „gedruckten Stimmzettel“. Und nur drei Tage vor dem 7. September eröffnete Eduardo Bolsonaro die brasilianische Ausgabe der Conservative Political Action Conference (CPAC), an der Donald Trump Jr. virtuell teilnahm und Trumps ehemaliger Berater Jason Miller anwesend war, der sich während seines Aufenthalts in Brasilien persönlich mit Jair Bolsonaro traf.
Die Entwicklung dieser faschistischen Kräfte auf der ganzen Welt und ihr Aufstieg zu wichtigen Positionen in den Regierungen verschiedenster Länder ist kein willkürlicher Prozess. Seine objektiven Wurzeln liegen in der tiefen Krise des Weltkapitalismus, die durch die Covid-19-Pandemie radikal verschärft wurde. Die Explosion der sozialen Ungleichheit und die kapitalistische Politik der Normalisierung sozialen Mordes sind mit demokratischen Regierungsformen grundsätzlich unvereinbar.
Dies zeigt sich in abstoßender Deutlichkeit in Brasilien, wo die Milliardäre ihren Anteil am Nationaleinkommen während der Pandemie verdoppelt haben, während dutzende Millionen brasilianischer Arbeiter in Armut gestürzt wurden. Die Zahl der registrierten Covid-19-Toten nähert sich 600.000, während die Ausbreitung der Delta-Variante eine verheerende neue Welle von Infektionen und Todesfällen auslöst.
Dieselbe Krise treibt eine internationale Welle von Kämpfen der Arbeiterklasse an – darunter Streiks, die die jahrzehntelange Vorherrschaft der korporatistischen Gewerkschaftsbürokratien in Frage stellen, und Massenproteste gegen die mörderische Reaktion der Bourgeoisie auf die Covid-19-Pandemie. Bolsonaros Hinwendung zur Diktatur verkörpert eine grundlegende kapitalistische Reaktion auf den Klassenkampf, der sich in Brasilien explosionsartig entfaltet.
Gegen die Koordination der faschistischen Kräfte in den USA, Brasilien und der ganzen Welt zur Förderung von Putschen und neuen brutalen Diktaturen muss sich die internationale Arbeiterklasse über nationale Grenzen hinweg in einem gemeinsamen Kampf für den Sozialismus vereinen. Für Arbeiter und Jugendliche, die gegen eine Rückkehr zur Diktatur, gegen die mörderische Pandemiepolitik und die Verschärfung der sozialen Krise zu kämpfen entschlossen sind, ist die dringendste Frage der Aufbau einer neuen revolutionären Führung, die auf dem Programm des sozialistischen Internationalismus basiert. Dies erfordert den Aufbau einer brasilianischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI).
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